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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Frank Finkel?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Frank Finkel?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Über die Schlacht am Little Bighorn sind angeblich weit über 1.000 Bücher geschrieben worden; von den kürzeren Texten in Essay- oder Artikelform nicht zu reden. Zu einem der kontroversesten Themen in diesem Zusammenhang gehört auch nach 146 Jahren, die Geschichte von FRANK FINKEL, der am 29. Januar 1854 geboren wurde. Er gilt vielen als „der einzige Überlebende der Schlacht“, d. h. als ein Mann, der zu den 5 Kompanien unter Führung von G. A. Custer gehörte, die von den Lakota, Cheyenne und Arapaho vollständig ausgelöscht wurden.

Es gab nach der Schlacht im Juni 1876 eine ganze Reihe von Lügnern, die sich öffentliche Aufmerksamkeit und finanzielle Vorteile versprachen, wenn sie sich als Teil von Custers Kompanien bezeichneten. Die meisten dieser Hochstapler wurden schnell entlarvt und verschwanden wieder in der Versenkung.

Bei Finkel verhielt es sich anders. Finkel war niemand, der zwanghaft die Öffentlichkeit suchte. Seine Geschichte erhielt erst größeres Interesse, als er bereits alt war. Er war auch weniger an medialer Aufmerksamkeit interessiert. Dies und einige Elemente seiner Erzählungen verunsicherten auch seriöse Historiker und führen gelegentlich noch immer zum Streit.

Frank Finkel stammte aus einer deutschstämmigen Farmerfamilie in Ohio. Er meldete sich – nach eigenen Angaben - Anfang der 1870er Jahre zur Armee. Er behauptete, an der Sioux-Kampagne 1876 teilgenommen zu haben.

Als die Schlacht am Little Bighorn begann, seien er und sein Pferd frühzeitig verwundet worden. Er habe sich auf seinem Pferd halten können, das mit ihm davongaloppierte.

Finkel war damit einer von 131 deutschstämmigen Soldaten in der 7. Kavallerie. Da seine Eltern ursprünglich nur deutsch sprachen, war sein Englisch anfangs nicht sonderlich gut.

Der Historiker John Koster schrieb, dass Frank sich unter dem Namen „August Finckle“ im Januar 1872 in Chicago in die Armee einschrieb. Dort gab er seinen Geburtsort mit Berlin an, weil er sich Vorteile erhoffte, wenn er sich als „Preuße“ ausgab, da Preußen im amerikanischen Militär hohes Ansehen genossen.

1974 tauchte ein Dokument aus dem Besitz von Finkels Witwe auf. Danach hatte er sich im September 1874 in Iowa unter dem Namen „Frank Hall“ zum Militär gemeldet und war im Juni 1876 Sergeant der Kompanie „C“ unter Tom Custer gewesen. Dass Soldaten sich unter falschen Namen in den Rekrutierungsbüros eintragen ließen, kam oft vor. Manchmal hatten sie etwas zu verbergen, manchmal wollten sie kurzfristig in der Armee untertauchen und planten bereits, sich wieder zu entfernen, wenn ihre Lebenssituation sich änderte. Dann war eine gefälschte Identität von Nutzen.

Nachdem das verletzte, in Panik geratene Pferd ihn vom Schlachtfeld getragen hatte, sei es schließlich sterbend zusammengebrochen. Finkel war bis zu einer einsamen Farm weitergelaufen. Der Farmer habe seine Wunde versorgt. Dann sei er bis nach Fort Benton am Missouri gelaufen, wo er von der Vernichtung der 7. Kavallerie erfahren habe. Er habe sich daraufhin bei der Armee gemeldet, und um seine reguläre Entlassung gebeten. Der zuständige Unteroffizier habe von ihm Nachweise für seine Identität verlangt. Die hatte Finkel natürlich nicht.

Mit einem der nächsten Dampfschiffe reiste er nach St. Louis, wo er zunächst Arbeit in einer Molkerei fand. 1878 kehrte er in den Westen zurück und gelangte bis in den Bundesstaat Washington. Hier heiratete er, beanspruchte Land nach dem Heimstättengesetz, gründete eine Farm und erweiterte diese Jahr um Jahr durch Zukäufe bis auf ca. 350 Hektar. Er und seine Frau hatten drei Kinder. Die Familie ließ sich schließlich in Idaho nieder, wo Frank Finkel zeitweise zum Abgeordneten im Staatsparlament gewählt wurde. In einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1906 wurde ihm „Vertrauen und Respekt“ von seinen Nachbarn bescheinigt.

Nicht vor 1920 redete Finkel über die Schlacht am Little Bighorn, um öffentliche Behauptungen über den Kampf zu korrigieren.

1921 starb auch seine erste Frau. 1926 heiratete Frank Finkel zum zweitenmal.

Finkel starb am 28. August 1930, bevor sein Leben für Historiker kontrovers wurde. In einem Newsletter einer Vereinigung von Little Bighorn-Enthusiasten erschien ein Foto von „Sergeant August Finckle“. Dieses Bild feuerte die Diskussion um die Geschichte dieses Mannes an, der so unauffällig gelebt hatte. Es wurde als Portrait von „Frank Finkel“ identifiziert, aufgenommen ca. 1886. Das Foto wurde von Fotografie-Experten, darunter Forensiker aus Polizeidiensten, mit anderen Fotos aus der Finkel-Familie verglichen; alle gelangten zu dem Schluss, dass „Sergeant Finckle“ „Frank Finkel“ war

Historiker befassten sich daher spät mit seiner Geschichte. Nach offiziellen Dokumenten ist „August Finckle“ in den Armee-Papieren als KIA (killed in action = im Dienst gefallen) gelistet. Aber Finkel lebte bis 1930. Aber Beispiele für Fehler der Armee-Schreiber gab es viele. Der einstige US-Marshal von Oklahoma, Chris Madsen, fand seinen Namen auf dem Monument am Little Bighorn unter den Gefallenen, obwohl er nicht zu Custers Truppen gehörte.

Was Finkels Geschichte scheinbar Glaubwürdigkeit gab, ist die Simplizität. Nicht nur, dass er bis 1920 über seine Erlebnisse schwieg, er versuchte nie, sich zum Helden zu machen. Auf die Frage, warum er nicht weiter darüber geredet habe, nachdem er in Fort Benton von der Armee abgewiesen worden war, sagte er, dass er befürchtet habe, als Deserteur bestraft zu werden. Das alles klang nicht nach einem Aufschneider und Hochstapler. 1921 gab es eine kurze Welle der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Einige Papiere, die ihn hätten bestätigen können, waren verbrannt. Finkel fuhr auch nicht zum 50jährigen Gedenken der Schlacht im Jahr 1926 nach Montana. Hier trafen sich vorwiegend die Überlebenden aus den Reno- und Benteen-Kompanien. Vielleicht hätte einer sich an Sergeant Finckle erinnert.

Gleichwohl war der Historiker John Koster, der ein Buch über Finkel geschrieben hat, von der Wahrheit seiner Geschichte überzeugt; er hatte Analysen von Finkels Handschrift im Vergleich mit anderen Dokumenten anfertigen lassen.

Historiker, die an Finkel glauben, sagen, dass er über Detailkenntnisse verfügte, die nur jemand haben konnte, der selbst am Little Bighorn war. Der große Historiker Brian Dippie, Autor des Buches „Custer’s Last Stand“, schrieb: „Die Antwort liegt in einem faszinierenden Paradox: Da es keine Überlebenden von Custers letztem Kampf gab, können wir niemals sicher sein, dass es nicht doch einen Überlebenden gab.“ Es gab keinen Zeugen für Finkel.

Man kann sich nur auf seine eigenen Aussagen stützen und auf die Glaubwürdigkeit, die er als Mensch in seinen letzten Lebensjahren genoss. Es ist also eine Sache des Glaubens. Vielleicht sagte er die Wahrheit, vielleicht nicht. Was für ihn spricht: Er zog keinen Profit aus seinen Aussagen. Er ging damit nicht hausieren, er suchte keinen öffentlichen Ruhm. Was bleibt, ist das Vielleicht…


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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