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Bonn, Kassel, Blumen, ›Fußballgötter‹ und ›Rolf, der Koyote‹

Teestunde mit Rolf...Moin Rolf, wir sind wieder bei der Stafette mit den Blumen von Bonn nach Kassel. Da gab es doch noch einen Baum (nun ein Bäumchen). Dann erzähl mal wie ihr die Strecke hinter euch gebracht habt (oder schweifst du wieder ab?). Wie auch immer: Der Tee ist serviert...

Bonn, Kassel, Blumen, ›Fußballgötter‹ und ›Rolf, der Koyote‹

Manchmal fallen mir dann wieder Bilder ein, was es alles so für verrückte Sachen waren, die ich erlebt habe.

 

Viele Erlebnisse teilte ich eben mit meinem Freund Werner Kurt Giesa – und viele dieser Sachen sind gelaufen, noch bevor wir beiden zusammen mit Manfred Weinland die klassische Zamorra-Troika bildeten. Eins dieser Erlebnisse war die Blumenstafette von Bonn nach Kassel, von der ich bereits in der letzten Teestunde berichtet habe.

Wir übernachteten noch einmal in einem Ort außerhalb von Bonn. Den Wochentag weiß ich nicht mehr so genau. Am nächsten Tag um die Mittagszeit sollte ein hochrangiger Parlamentarier den Startschuss für die Blumenstafette geben.

Unser Touren-Bus brachte uns also ins ehemalige Bundesgartenschau-Gelände der Stadt Bonn. Und dort wurde uns erst einmal nicht ein Strauß Blumen, sondern ein Baum überreicht. Richtig gehört. Ein kleiner Baum, eine kanadische Rot-Eiche, inzwischen etwas größer geworden, die damals für die Buga Bonn vor drei oder vier Jahren gesetzt wurde. Ein kleines Bäumchen, das nun dazu verurteilt war, von der damaligen Bundeshauptstadt in jene Stadt zu kommen, die sich Anno 1949 auch Hoffnung machte, neben Bonn oder Frankfurt Hauptstadt der damals zu gründenden Bundesrepublik zu werden.

Wären wir in Kassel Hauptstadt der Bundesrepublik geworden, dann hätten wir wirklich was, womit wir gegen die ungeliebten Frankfurter vom Main punkten könnten. Denn wie bekannt herrscht in Hessen ja eine Stimmung wie zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten – wobei wir Nordhessen in diesem Fall die Rolle des amerikanischen Südens übernehmen.

Besonders als das Eishockey-Team der Kassel Huskies noch in der Deutschen Eishockey-Liga gegen die Frankfurt Lions spielten, gingen die Wogen der Rivalität zwischen Nord und Süd in Hessen hoch. Andere Eishockey-Teams, die zum Spiel anreisten, waren Gegner. Kamen die aus Frankfurt – das waren keine Gegner, sondern Feinde und die Eissporthalle kochte. In meinem Kassel-Krimi »Mord in der Eissporthalle« habe ich ein solches Duell beschrieben. Vielleicht erscheinen meine Lokal-Krimis demnächst mal im Zauberspiegel – wenn sie von den Disketten-Speicherungen noch zu retten sind.

Ja, Kassel wäre gerne Hauptstadt der damals zu gründenden Bundesrepublik Deutschland, geworden – zumal Kassel ja ziemlich in der Mitte des Landes liegt – besonders heute. Aber Konrad Adenauer hatte sich in Rhöndorf bei Bonn ein Haus gebaut. Und das sorgte dafür, dass der ›alte Fuchs‹, wie er genannt wurde, die Hauptstadt jenseits des Rheins verlegte.

Der Rhein, von dem Hitler gehofft hatte, dass er den Ansturm der Alliierten aufhalten würde, war nach Adenauers Meinung auch dafür geeignet, ein Bollwerk gegen die Russen zu bilden, die in der damaligen angedachten Militär-Strategie die ›Feind-Darstellung‹ inne hatten. Da ich bei der Bundeswehr in Kassel als Panzergrenadier gedient habe, weiß ich sehr gut, dass bei einem konventionell geführtem Angriff aus dem Osten, von wo einzig und alleine ein Angriff zu erwarten war, dieser bei Fulda (Fulda-Gap) und in Kassel erfolgt wäre.

Schon aus diesem Grund wäre Kassel als Bundeshauptstadt absurd gewesen. Wir ›Landser‹ wussten damals 1968/69 sehr gut, dass wir, wenn der ›Genosse Abrassimov‹ kam, dem ›Auftrag‹ gemäß ›bis zur letzten Patrone kämpfen‹ sollten. Natürlich wären wir in weniger als einem Tag überrollt worden, wenn der ›Iwan‹ seine Panzer hätte rollen lassen, um auf eine andere Art die ›deutsche Einheit‹ zu vollenden. Wir vom ›Bund‹ in Nordhessen hätten damit die Rolle der Helden von Alamo bekommen, weil wir ja den Feind nur so lange aufhalten sollten, bis die Franzosen den Rhein sicherten und unsere Freunde aus Ami-Land anrückten.

Aber all diese Sachen sind ja - Gott sei Dank, mit ehrlichem Herzen gesprochen – nie eingetroffen und heute genau so Geschichte und historische Planspiele wie die Einnahme vom West-Berlin durch Truppen der nationalen Volksarmee der DDR. Ich bin heilfroh, dass es bei meiner Zeit bei der Bundeswehr beim ›Krieg spielen‹ geblieben ist. Denn ich weiß sicher, dass ich sonst mindestens zwölf Menschen auf dem Gewissen hätte – und dass man meinen Eltern auf jeden Fall acht Mal zu einem ›Heldensohn‹ gratuliert hätte.

Wie sagte unser Freund Kurt Brand, wenn er ›vom Kriege‹ erzählte. »Die Jungs meiner Einheit sind alle Helden geworden. Ich war der einzige Feigling!« Mehr muss ich da wohl nicht sagen. Preisen wir uns alle glücklich, dass wir keinen Krieg erleben mussten.

Zurück zur Blumenstafette und der kanadischen Roteiche, die bei uns erst mal Heiterkeit auslöste, was den Namen anging. Denn die Kommunal-Regierung in Bonn war natürlich ›schwarz‹ während in Kassel damals wie heute die ›Roten‹ das Stadtparlament dominierten. Kassel und eigentlich ganz Nordhessen sind das, was man eine ›Hochburg der SPD‹ nennen kann. Und eine ›Rot‹-Eiche war da natürlich besser aufgehoben.

Während wir warteten, dass ›High Noon‹, also um ›Zwölf Uhr Mittags‹ der Startschuss ertönte und auch die Blumensträuße schon zu sehen waren – eben jener aus echten Blumen für den Bundespräsidenten und den aus Plastikblumen, den dann das jeweilige Läuferpaar tragen sollte, kam die Bonner Lokal-Presse zu diversen Interviews und den üblichen Fotos. So stand Werner als Sprecher unserer Aktion in weißem Anzug und Zylinder einmal der Presse gegenüber, ohne nach seinen Romanen und dem Erfolg als Schriftsteller gefragt zu werden. Obwohl er damals schon voll ›im Geschäft‹ und aus der Serie »Professor Zamorra« nicht mehr wegzudenken war.

Dann kam auch der angekündigte Parlamentarier, der überhaupt nicht wusste, was er hier sollte. Von der CDU-Fraktion hatte man ihm nur gesagt, er solle zum Buga-Gelände gehen. Also wusste vermutlich bei den ›Schwarzen‹ die Rechte nicht, was die Linke tat – aber die Hauptsache war der Effekt. Der Name des Parlamentarier war tatsächlich bekannt und mehrfach durch die Presse gegangen.

Es handelte sich um Herbert Hupka, geboren 1915 und vor ungefähr fünf Jahren gestorben. Er war ursprünglich Mitglied der SPD und wurde dann einem jener ›Abweichler‹, die aus Protest gegen Willy Brands Ostpolitik 1972 zur CDU übertraten. Dadurch gelang es damals der CDU fast, die sozialliberale Regierung Brandt-Scheel zu stürzen. Das Misstrauensvotum gegen den Bundeskanzler war damals ein Polit-Krimi erster Ordnung.

Möglich geworden war dieser Krimi also durch Herbert Hupka, der uns mit gepflegter Kleidung und eisgrauen Haaren, jeder Zoll ein Gentleman, entgegen kam und dessen Charakterbild heute ›von der Parteien Gunst und Hass verzerrt‹ in der Geschichte schwankt. Immerhin gehörte Herbert Hupka seinerzeit dem National-konservativen Flügel der CDU an und dass er sich nach der deutschen Einheit sehr stark für die Aussöhnung mit Polen engagiert hat, ist heute kaum bekannt.

Nun ja, auf diese Art konnte ich dann mal einen ›prominenten Abgeordneten‹, den man auch vom Fernsehen her kannte, hautnah kennen lernen. Aber für politische Diskussionen gab es keine Zeit, denn die Glocken der Kirchen läuteten zwölf Schläge und nun ging es los mit der Blumenstafette.

Wenn ich mich recht entsinne, wurde der Startschuss durch jemanden anderes getätigt, weil sich Herbert Hupka weigerte, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Nun, das ist verständlich, er hatte den Krieg erlebt und ich kenne viele, die danach nicht mal auf dem Rummelplatz an der Schießbude mehr eine Knarre in die Hand nahmen.

Jedenfalls ging es nun wirklich los. Wir waren acht (oder zehn, das weiß ich nicht mehr so genau) Läufer, die jeweils zu zweit eine Teilstrecke laufen sollten. Den Anfang aber, am Rheinufer entlang bis zur Rheinbrücke, lief die ganze Mannschaft. Ich weiß, jetzt geht das Geschrei der ›emanzipierten Frauen‹ los – aber Läuferinnen, die diese Strecken durchgehalten hätten, hatten wir damals nicht im Verein. Das änderte sich erst ein Jahr darauf, als einige unserer Läuferinnen ernsthaft trainierten und dann auf der Strecke auch manchen Mann abhängten.

Keiner soll sagen, dass Frauen nicht ein gutes Tempo vorlegen können. Ich erinnere mich da an eine Episode, für die ich keine Zeugen habe, weil ich alleine im Wald trainiert. Irgendwann stellte ich fest, dass vor mir ein weibliches Wesen joggte, das ich mir wirklich gern mal von vorn angesehen hätte. Das waren ja auch noch die Zeiten vor meiner Ehe, als man immer hoffte, auf der Laufstrecke mal die Frau fürs Leben zu finden.

Also dann ... Hüüüjaaaaa ... dem inneren Pferd geistig die Sporen gegeben und mit verhängten Zügeln hinterher. Zu Deutsch ... volle Kraft voraus ... doppelte Schlagzahl ... oder wie immer man das nennen will. Von mir aus auch ›Angriffs-Geschwindigkeit‹. Und der Abstand schmolz so allmählich wie im B-Western der Abstand zwischen der Postkutsche und den sie verfolgenden Banditen.

Schließlich war es geschafft. Ich lief neben ihr und wollte schon ein: »Mein holdes Fräulein, darf ich's wagen – meine Arm und mein Geleit Ihr anzutragen?« hervor keuchen, als sie mir nur kurz ihren Kopf zu wandte. Hier hätte dann anstelle von Goethes »Faust« ein Zitat aus der »Zauberflöte« gepasst. »Dies Bildnis ist bezaubernd schön«. Ach, das wäre so romantisch gewesen.

Doch leider ging die Situation aus wie in der damaligen Trickfilm-Serie von »Schweinchen Dick« mit dem Road-Runner und Coyote Karl. Es fehlte eigentlich nur das »Miep-Miep«. Denn kaum hatte mich das Girl angesehen, startete sie durch. Und es war eben genau so, als wenn der Road-Runner im Fernsehen gestartet ist. Wobei mir eben die unrühmliche Rolle des Coyoten blieb ...

Karl ›Kara-ben-Nemsi‹ May konnte seinem Rappen ja das Wort ›Rih‹ zurufen und dann war es »als ob der Rappe vorher nicht gelaufen wäre«. Bedauerlicherweise hatte ich keinen ›inneren Rih‹ und spürte die Schmach, als der Abstand zwischen mir und der Frau sich rasch vergrößerte. Und als ich total ausgepumpt auf dem Parkplatz am Auto ankam, fuhr sie gerade los und ich war fix und fertig, während sie mir noch zuwinkte.

In jedem Fernseh-Film, der heute gedreht wird, hätte die Situation einen anderen Ausgang gehabt. Schade, ein solches Happy-End schreiben nur Drehbuch-Autoren und nicht die Realität. Was mir da passiert ist, war eben kein Kino, sondern die Wirklichkeit. Und dieses Erlebnis zeigte mir außerdem, dass Autoren wie John Norman, die in Romanen wie der ›Gor‹-Serie die Überlegenheit des männlichen Geschlechts in allen Bereichen körperlicher Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer propagieren, völlig daneben liegen. Vielleicht sollten sich Mister Norman und vom Stil her artverwandte Autoren mal mit einer Frau wie Regina Halmich über diese Thematik unterhalten.

Aber solche Frauen, die ein solches Tempo und solche Ausdauer vorlegen konnten, hatten wir zum Zeitpunkt der Bumenstafette noch nicht im Verein. Und ›Gast-Stars‹ aus anderen Vereinen wollten wir nicht dazu nehmen. Wobei mir bei dem Begriff ›Gast-Stars‹ noch eine andere sportlich Episode einfällt, die ich gern noch erzählen möchte und die dann meine Erzählung von der Blumenstafette für diese Teestunde eben an der Stelle abbricht, als die ganze Mannschaft in Bonn am Rheinufer lang läuft.

Bei dieser Erzählung geht es um Fußball und sicher wird es gerade der Herausgeber des Zauberspiegel mit viel Vergnügen lesen. War er doch selbst aktiver Fußballer und nur böse Zungen behaupten, dass alleine seine Körperfülle das Tor gesperrt hätte. Nein, ich habe Hermann selbst bei einem Spiel in Aktion gesehen – Horst Hübner mit Frau war damals auch dabei. Es war schon ein erhebendes Gefühl, ihn mit der Grazie eines See-Elefanten nach dem Ball springen zu sehen. Ich hätte es nicht schöner gekonnt – und vor allen Dingen – ich hätte im Gegensatz zu ihm den Ball nicht erwischt.

Womit wir beim Thema wären. Ich und Fußball.

Wie bekannt ist, wuchs ich als Kind mit dem Holzschwert in der Rechten und dem ›Sigurd-Heft‹ in der Linken auf. Natürlich wurde in unserer Straße auch Fußball gespielt. Die halb abgeräumten oder planierten Grundstücke der Häuser, die im Krieg zerstört wurden, waren ideale Spielflächen für das, was man heute ›Street-Football‹ nennt. Also zwischen drei und fünf oder sieben Spielern – wobei einer für beide Seiten den Torwart spielt. Fritz Walther und Helmut Rahn waren unsere absoluten Fußballhelden, denen viele Jungen unserer Straße nacheiferten. Auch von uns ›Wikingern‹, wie sich unsere ›Bande‹ aus der Kasseler Hartwigstraße nannte, nachdem wir durch den Film mit Kirk Douglas infiziert worden waren und ›Odin‹ unser Schlachtruf geworden war. Da gab es kaum einen, der für ein zünftiges Fußballspiel nicht die ›Waffen‹ aus der Hand legte.

Ja, wenn irgendeiner einen Ball, meist aus Plastik, mitbrachte, dann lagen die Holzschwerter in der Ecke und König Fußball regierte. Rasch waren ›Mannschaften‹ ausgewählt und dann ging's los – meist mangels Mitspielern oder weil es die Örtlichkeit des Trümmer-Grundstücks nicht besser her gab, auf ein einziges Tor.

Nun ging es bei uns Jungs in dieser Gegend meistens mächtig rau zu – heutige Eltern würden die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Aber damals war eben eine ›gesunde Härte‹ an der Tagesordnung und wenn man blutete, das wurde nicht tragisch genommen. Schon gar nicht von den Eltern, die ja noch aus ihrer Zeit den Spruch »Gelobt sei, was hart macht« verinnerlicht hatten. Blutende Wunden wurden mit Jod ausgepinselt – und weil »ein Indianer ja keinen Schmerz kennt« und »ein Junge nicht weint« wurden die Zähne zusammen gebissen, und dann ging's wieder raus auf die Straße, wo die anderen eben warteten und es weiter ging.

Aber wenn ich dabei war, wenn die Jungs unserer Straße Fußball spielten, gab es etwas, das die immer wieder aufkommenden Aggressionen dämpfte. Nämlich einen Schiedsrichter. Und jetzt dürft ihr drei Mal raten, wer da immer den Schiri machte.

Man hatte rasch festgestellt, dass ich nicht der schnellste Läufer war und mir etwas fehlte, was beim Fußball unbedingt notwendig ist. Man nennt es das ›Ball-Gefühl‹ (Anmerkung hva: Rolf kann alles am Ball: Aufpumpen, einfetten und in den Schrank legen). Und davon war und ist bis heute bei mir nicht ein Atom vorhanden. Ich hatte Glück, wenn ich bei so einem Spiel überhaupt mal die ›Murmel‹ getroffen habe.

Also, wenn ich bei einem Fußballspiel in unserer Straße dabei sein sollte, blieb für mich nur eine einzige Rolle – eben der Schiedsrichter. In Ermangelung eines echten Spielfeldes mit Anstoß-Punkt, Strafraum und Eckfahnen war auch das Problem der Kenntnis von Fußball-Regeln schnell gelöst. Ich kannte damals nur eine Entscheidung. Und die kam, wenn sich zwei Spieler in die Haare bekamen und sich fetzten. Das kam damals oft vor und eine Prügelei würde auch heute auf jedem Fußballfeld mit der einzigen Entscheidung geahndet, die ich damals kannte.

Elfmeter!!!

Allerdings konnte die Entscheidung auch dadurch abgelehnt werden, dass die ganze Fußballmeute wegen dieser ›Fehlentscheidung‹ über den Schiri herfallen und ihn verprügeln wollte. Ich musste dann immer sehen, dass ich es noch schaffte, mein am Spielfeldrand abgelegtes Holzschwert zu erreichen, dass nicht nur den Namen ›Blutgang‹ führte, sondern auch bei Treffern das Blut aus Platzwunden getrunken hat. In unserer Straße war bekannt, dass ich mit dem Schwert nicht nur gut umgehen, sondern auch kompromisslos zuschlagen konnte. Ja, es waren damals wirklich raue Zeiten ...

Aber das war alles längst vergessen, als mich das Schicksal tatsächlich ein einziges Mal auf ein Fußballfeld rief. Und das war während meiner Zeit als Langstreckenläufer, wo ich wenigstens die Kondition hatte, eine dreiviertel Stunde über einen Fußballplatz zu hecheln.

Im Sportverein gab es seit langem eine Rivalität zwischen unserer Langlauf- und der Handball-Abteilung. Die Handballer waren das ›Flaggschiff‹ des Vereins, aber wir Langläufer hatten eben mit Aktionen wie dem Treppenlaufen, dem Sänftetragen und der Blumenstafette arg an diesem Nimbus gekratzt. So kam es, dass einige Monate nach der Blumenstafette die Handballer uns aufforderten, ihnen beim Vereinssportfest mit einer Fußball-Mannschaft gegenüber zu treten.

Hans Klipp, im Range eines ›Majestix‹ gelegentlich auch ›der Chef‹ genannt und absoluter Anführer der Langläufer – übrigens auch von der Leistung her, auf der Langstrecke war Hans in unseren Reihen absolut konkurrenzlos – nahm natürlich diese Herausforderung an. Da der Chef jedoch eins nicht so recht kann - nämlich verlieren – hatte er einen klugen Plan, das Spiel wider Erwarten zu gewinnen.

Eigentlich waren wir Langläufer keine Fußballer und schon gar keine Mannschaft, die zusammen spielen konnte und wo jeder wusste, wo sein Platz war. Hans gelang es allerdings rasch, aus echten Langläufern nach einigem Training einen „harten Kern“ zu bilden – der zwar von der Kondition, nicht jedoch vom Zusammenspiel her den Handballern gewachsen war. Und gerade auf das Zusammenspiel kommt es an – beim Handball wie beim Fußball.

Hans regelte das Problem dadurch, dass er jede Menge Leute kannte, die aktiv Fußball spielten. Und das auch in Vereinsmannschaften, wo Leute auf den Platz kamen, die bezahlten. Die traten dann vor dem Spiel in den Verein ein – und verließen ihn nach dem Spiel wieder. Alles nach der Vereins-Satzung korrekt. Und so konnten sie spielen. Auf diese Weise hatten wir Langläufer eine Mannschaft, die gar keine war. Wichtig war nur, dass es Hans Klipp gelang, elf Spieler auf den Platz zu bringen. Für den Rest – da helfe uns Gott.

Dass meinereiner nicht in jener Fußball-Mannschaft war, muss ich wohl nicht erwähnen. Schon bei einem improvisierten Ball-Gekicke beim Zelten in Wallenstein hatte der Chef erkannt, dass ich im Fußball nur eine Rolle ausfüllen konnte – als Rechts-oder-Links-Draußen. So kam nun der große Tag und nach den üblichen sportlichen Präsentationen im Rahmen des Vereinsfestes kam nun das Fußballspiel. Richtig, alle waren gekommen, die Hans dienstverpflichtet hatte. Jedenfalls standen elf Mann auf dem Platz.

An der Balustrade an Rand standen die ›Schlachten-Bummler‹, der Rest von uns Langläufern. Und natürlich wurde das Spiel nicht nur von meinem Bruder Peter mit spitzer Zunge kommentiert. Nachdem ›unsere Jungs‹ ein paar ›Kirschen‹ ins Netz bekommen hatten, war das nicht verwunderlich. Muss ich sagen, dass ich auch fleißig mit ablästerte? Nee, sicher nicht.

Dann kam die Halbzeit – und einer der ›Landsknechte‹ zog die Fußballschuhe aus und erklärte, er habe ohnehin nur zugesagt, eine Halbzeit zu spielen. Was also bedeutet hätte, dass zur zweiten Hälfte keine vollständige Mannschaft mehr auflaufen konnte – und die Blamage perfekt war.

Wir hörten das alles von Weitem und ich bekam ein echt mieses Gefühl in den Magen, als der Chef quer über den Platz auf uns ›Schlachtenbummler‹ zu getrabt kam. Wir hatten ja alle unsere Sportsachen und die Laufschuhe noch an und konnten sofort eingesetzt werden.

›Einer von euch!‹ rief Hans schon von Weitem und wies in unsere Richtung. Wir guckten uns an wie die römischen Legionäre bei Asterix, wenn der Zenturio brüllt: »Ich will einen Freiwilligen!« Uns konnte er damit doch wohl nicht meinen! 

Doch dann war der Chef heran und schon kam ein schneidendes: »Twerne, los!« Alle grienten mich hämisch an, froh, dieser Sache entgangen zu sein. Von den Sprüchen, die mein ›kleines Brüderchen‹ losließ, wollen wir mal ganz schweigen. Für seine spitze Zunge braucht er normalerweise einen Waffenschein.

Naja, wenn's den sein musste, dann folgte ich eben dem Ruf des Schicksals – und des Chefs - auf seine Verantwortung. Es lebe die ›germanisch-hellebische‹ Gefolgschafts-Treue - ich stellte mich eben dieser Herausforderung – weil ich ja auch die ›Innung‹ nicht blamieren wollte. Die Lästereien hinter mir ignorierte ich einfach. Und ehrlich gesagt – ich hätte genau so gelästert, hätte es jemandem anderen getroffen. Wie heißt es in Schillers »Wilhelm Tell«? »Vom sich'ren Port lässt sich's gemächlich raten«. Und so hockten die anderen Kumpels wie Kaiser Nero in der Loge, während ich in die Arena musste, um ›Fußball-Gladiator‹ zu werden.

Ausgerechnet an diesem Tag war Werner Kurt Giesa, sonst immer mit dabei, wenn irgendwo bei uns die Action tobte, nicht in Kassel. Da Werner ja in Lippstadt mal Fußball gespielt hat, wäre Werner sicher ein besserer Ersatzspieler gewesen als der, welcher jetzt auflaufen musst, um die Zahl ›Elf‹ voll zu machen.

Nun ja, ich habe in meinem Leben auf der Bühne und auch sonst so viele Rollen gespielt – warum nicht mal einen Fußballer.

Meine Aufgabe war dann eine Art ›Libero‹ zu spielen. Da ich vom Fußball eigentlich so viel Ahnung habe wie ein Baby vom Pokern sollte ich den Jungs der Gegenseite ständig im Weg sein. Also hinter dem Ball her hecheln und im entscheidenden Augenblick dem Gegner im Weg stehen.

Obwohl ich diese Aufgabe, wie Falschgeld über den Platz zu laufen und überall da zu stehen, wo mich der Gegner absolut nicht hin haben wollte, erfüllt habe, verloren wir das Spiel mit Pauken und Trompeten. Aber abgelästert wurde während und nach dem Spiel nur einer. Klar, natürlich der ›Held‹ der zweiten Halbzeit, der mit persönlichen Einsatz dafür sorgte, dass man das Spiel nicht ›mangels Masse‹ abbrechen musste.

Der Grund für diese Lästereien waren zwei Spielzüge, die mich im Prinzip in Ballbesitz hätten bringen müssen. Aber eben nur im Prinzip. Denn das erste Mal stolperte ich über den Ball, mit dem ich angespielt wurde. Und beim zweiten Mal kam der Ball, dass ich ihn auf keinen Fall verfehlen konnte. Ich nahm Anlauf und wollte die heranrollende Murmel in eine Wahnsinns-Flanke verwandeln, die selbst einen Franz Beckenbauer in Erstaunen versetzt hätte.

Ja, ich wollte. Und es wäre auch geglückt, wenn – ja wenn sich mein Fuß nicht ungefähr fünf Zentimeter neben dem Ball vorbei bewegt hätte. So was sollte man vielleicht aus ›Künstler-Pech‹ bezeichnen – wobei ich jedoch niemals in Anspruch genommen habe, dass bei mir die Bezeichnung ›Künstler‹ in Verbindung mit dem Begriff ›Ball‹ zusammen passt.

Wie man auf blutende Wunden einen Verband auflegt, so wurde diese ›innere Wunde‹ am Abend mit viel Bier behandelt. Und dann auch schnell vergessen, weil in jener Zeit sehr viele Dinge passierten, die Lappalien dieser Art sofort vergessen machten. Doch eben während der Erzählung ist mir diese Episode wieder eingefallen.

Das also war der einzige Einsatz auf einem Fußballfeld in meinem Leben und man kann zum Abschluss dieser Episode meines Lebens mit Fug und Recht ein Zitat aus Schillers »Wallenstein« anfügen: »Das war kein Heldenstück, Octavio!«

Und deshalb werde ich nächste Woche mit der Blumen-Stafette fortfahren, die dann schon mal eher ein ›Heldenstück‹ war. Und natürlich werde ich auch erzählen, welches ungewöhnliche Schicksal dann die Rot-Eiche in Kassel erwartete.

Und noch ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Wer am Heiligabend die übliche Weihnachts-Geschichte aus dem Lukas-Evangelium hört und dem da so einige Sachen nicht ganz logisch erscheinen, der kann sich zum lieben Christfest im Zauberspiegel meine Erzählung »Bethlehem« vornehmen und lesen, was damals vermutlich wirklich geschehen ist und wie die Jungfrau zum Kind gekommen ist.

Ich wünsche euch allen ›Frohe Fress-Tage‹ und wir lesen und wieder ›zwischen den Jahren‹.
 

Kommentare  

#1 Kerstin 2011-12-22 12:14
Tja, Rolf, was das Ballgefühl angeht, so habe ich da ein unfehlbares Rezept: Wenn das Ding auf mich zugeflogen kommt, renne ich, was ich kann. Nur weg von dieser Bombe, die mir vielleicht noch weh tut, wenn sie mich trifft.
#2 Mikail_the_Bard 2011-12-22 19:19
... solange man(n) dieses "Ballgefühl" nicht an einer gewissen Stelle bekommt, ist ja alle ok. Sonst "Schmerz lass nach!" :-*

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