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Die ‚kleinen’ Fische - Kleinlabel, Kleinverlage und (potentielle) Nestbeschmutzer...

Zauberwort - Der Leit(d)artikelDie ‚kleinen’ Fische
Kleinlabel, Kleinverlage und (potentielle) Nestbeschmutzer...

Die kleinen Hörspiel-Label und kleinen Verlage sind für Fans und Sammler von Erzeugnissen, die den phantastischen Genres zuzurechnen sind, das Salz in der Suppe. Sie liefern ein breites Angebot für den speziell Interessierten. Dabei gilt es allerdings mit dem Rückschluss vorsichtig zu sein, dass ein großes Angebot sich automatisch an großes Publikum richtet.

 

Denn das Publikum aus Fans und Sammlern ist begrenzt und geht keinesfalls in die Zehntausende, sondern ist eher ein exklusiver, kleiner Kreis (und das Budget der Zielgruppe ist letztlich beschränkt).

Lest das Interview zum Leit(d)artikel

Simeon HrissomalisSimeon Hrissomalis brachte es auf den Punkt. Nicht nur im Interview mit dem Zauberspiegel. Auch in der mit dem Zauberspiegel befreundeten Hörspiellobby sprach der Mann von der Russel&BrandonCompany im Interview Thomas "Luke Danes" Rippert Klartext. Er ließ wissen: „Gäbe es heute nicht die Möglichkeit mit PC-Technik ein Hörspiel zu bearbeiten und abzumischen, wäre schon ein Drittel weniger auf dem Markt.“ Und weiter: „Dann kommt noch dazu das die Medienvertriebe augenscheinlich anspruchsloser geworden sind und fast jedes ‚Label’ mit irgendwelchen semiprofessionellen und möchte schon sagen Amateurproduktionen im Vertrieb aufnimmt.“ Dann noch: „Wenn man heute mit einer wirklich TOPproduzierten Serie 1.000 bis 2.000 Exemplare verkaufen kann, kann man sich glücklich schätzen...“ – Das sind jetzt Zahlen aus dem Hörspielbereich. Bei Kleinverlagen mit Büchern dürften die Verkaufszahlen eher noch darunter liegen.

Diese Dimensionen, die Simeon da aufzeigt, sind nichts, womit man reich werden und sein Leben auf einer Karibik-Insel fristen könnte, wenn man produziert. Da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um zu überleben. Da betreibt man das Label im Nebenerwerb (Thomas Birkers Dreamland) oder macht Auftragsproduktionen (Sven Schreivogels Nocturna). Denn: Letztlich muss man als Selbstständiger auch Gewinn machen, um vom Finanzamt nicht zu hören bekommt, einem Hobby und keinem Gewerbe nachzugehen.  - Damit wir uns Recht verstehen, Nebenerwerb bedeutet nicht, dass per se und ganz automatisch unprofessionell gearbeitet wird. Thomas mußte lernen (Mac Kinsey), aber er beweist mittlerweile, dass er es kann (Tony Ballard).

Da läuft aber nun Jemand, namentlich Simeon Hrissomalis, Gefahr zum Nestbeschmutzer degradiert zu werden. Das gehört zu den Automatismen, wenn sich mal einer aus dem Fenster lehnt und heile Welten deformiert bzw. harte Realitäten ins Wolkenkuckucksheim trägt. Da werden dann auch mal gern fachliche fundierte Äußerungen zu persönlichen Rachefeldzügen erklärt (Dergleichen machen vor allem Jene gern, die entweder keine Ahnung haben oder – wenn sie wissen, wovon sie sprechen – dagegen nicht argumentieren können oder wollen. Mit einem derartigen Verhalten sollen unangenehme Wahrheiten auf eine andere Ebene geholt werden, um sie im nächsten Schritt als diffamierend abqualkifizieren zu können. So erspart man sich entweder die eigene Ahnungslosigkeit zu offenbaren oder sich auseinanderzusetzen). In solchen Fällen wird die Verräter-Karte gezogen und nach dem Erschießungskommando gerufen.

Aber bevor wir in diesen - möglicherweise kommenden - Nestbeschmutzerchor einstimmen und Simeon Landesverrat vorwerfen, ihm seine letzte Zigarette, eine Augenbinde anbieten und ihn aufs Schafott führen, nehmen wir seine Äußerungen näher in Augenschein. Letztlich sagt er doch genau das, was aufmerksame Beobachter schon länger gesehen bzw. vermutet haben (vgl. G. Walts Leit(d)artikel vom Januar), aber wofür man nie eine wirkliche Bestätigung bekommt (mal abgesehen von geflüsterten Worten mit Verschwörerlächeln und hinter vorgehaltener Hand). Da hat Simeon Hrissomalis mal eine Ausnahme gemacht und Tacheles geredet.

Also, was sagt Simeon Hrissomalis denn nun Schlimmes:

Zum ersten: Die moderne (und günstigere) Technik erleichtert vieles. Sie ermöglicht, was noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren unbezahlbar war. Hörspiele bzw. auch Bücher können problemlos am heimischen PC abgemischt bzw. gesetzt werden. Zudem erleichtert es moderne Technik auch kleinere Auflagen zu halbwegs akzeptablen Preisen auf CD oder zwischen Buchdeckel zu praktizieren... – So kann – überspitzt formuliert – jeder Depp, der über einen PC verfügt heute Verleger oder Hörspielproduzent werden. Was noch vor zwanzig Jahren überwindbare Hindernisse in Sachen Stückkosten aufwarf, kann jeder nach Feierabend am heimischen Schreibtisch erledigen. PDF-Drucker und Schnittprogramme machen es möglich.

Was nicht heißt, dass Kleinverlage und Kleinlabel grundsätzlich unprofessionell arbeiten oder von Grenzdebilen betrieben werden. Nichts läge mir ferner, doch dem aufmerksamen Beobachter fallen da schon Unterschiede auf, was schon die äußere Erscheinung der herausgebenen CDs oder Bücher angeht. Aber man benötigt heute längst nicht mehr das know how und die Summen, die vor dem PC-Zeitalter nötig waren, um CDs bzw. Bücher zu publizieren. So muss man nicht mehr Vollprofi sein. Ein solides Halbwissen reicht. Wie sagte ein Lektor Mitte der Neunziger, als die erste Welle der Kleinverlage am Markt erschien: „Der Trend geht zum gebundenen Fanzine!“ – Und der Trend wurde nicht gebrochen. Seien wir mal ehrlich. Ein Gutteil dessen, was heute im Selbstverlag, bei BOD, in Kleinverlagen und bei kleinen Labels erscheint, wäre früher, wenn es nicht in Schubladen oder auf Festplatten verblieben wäre, in Fanzines auf den Markt gebracht worden.

Fluch und Segen der Technik...

Zum zweiten: Die Auflagen. Die schiere Anzahl der unterschiedlichen Titel in den Regalen des Handels, in Internetshops oder direkt bei Verlagen oder Labeln lässt keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen gepressten bzw. gedruckten Auflagen (und Downloads) zu. Man sehe sich die Kleinverlage an. Kaum einer dürfte Auflagen über 1.000 Exemplare erreichen. Ich bin sicher, es gab/gibt Fanzines, die in einer höheren Auflage als so mancher Titel in einem Kleinverlag erscheinen. Um das mal ganz deutlich zu illustrieren. Dan Shocker verkaufte etwa 100.000 Hefte pro Exemplar (das war in den Siebzigern). So mancher erfolgreicher Kleinverlagsautor müßte bei den wahrscheinlichen Verkäufen etwa 100 Romane schreiben, um mal soviel zu verkaufen wie ein einziges Dan Shocker Heft der Siebziger...

Was das Buch dann noch vom Hörspiel trennt: Im Buchhandel sucht man Ausgaben der Kleinverleger zumeist vergebens, weil deren Kostenstruktur es oft überhaupt nicht zulässt, sich dort vertreiben zu lassen. Denn der Großhandel nimmt um die 50 % des Nettoverkaufspreises für seine Verteilerdienste. Das lässt sich aber bei diesen kleinen Verlagen kalkulatorisch gar nicht darstellen. Das lässt sich sehr gut nachvollziehen, zumal es deutlich mehr Verlage als Hörspiel-Labels bzw. –Produzenten gibt. Der Buchhandel steht schon voller Bücher von Publikumsverlagen.

Hörspiele kleinerer und kleinster Label findet man schon im Phonohandel, aber wie Simeon wissen lässt, verkaufen sich die Dinger nicht in dem Maße wie es Fans und Freunde gern vermuten und hoffen. 1.000 – 2.000 Exemplare. Das liegt nur knapp über dem Break-Even-Point (das ist der Punkt an dem Aufwendungen und Erlöse sich die Wage halten, so dass ab der nächsten verkauften Einheit Gewinne gemacht werden). Davon kann man aber kaum leben, sondern bestenfalls das nächste Hörspiel angehen. Von einer soliden Kapitalverzinsung kann keine Rede sein. Und da kommt ein weiterer Punkt ins Spiel. Da geht es auch um die Leidenschaft Hörspiele und Bücher zu verlegen. Aber von überlegtem Handeln kann der aufmerksame Beobachter nicht per se sprechen. Das gilt für kleine Verlage wie kleinen Labels.

Zum Dritten: Die Qualität. Simeon merkt an, das beim Hörspiel die Vertriebe nicht auf Qualität schauen, sondern die Produkte an den Markt bringen. Hier gilt es Simeon zu widersprechen. Es ist per se nicht Aufgabe des Großhandels sich um die Qualität des Produkts zu kümmern, das sie in den Einzelhandel bringen, wenn sich die Beurteilung der Qualität auf die Geschmacksfragen bezieht.

Zumindest ist das die immer noch gültige Struktur des Pressegrosso (über das neben Zeitschriften auch Heftromane auf den Markt gebracht werden), wo dem Käufer die Entscheidung über das Produkt seiner Wahl überlassen bleibt.

Daher sollte der Großhandel nicht wählerisch sein (wenn es um Geschmack und ‚künstlerische’ Qualität geht, auch wenn ich Simeon Hrissomalis Äußerung prima nachvollziehen kann. Nur sollte es nicht vom Geschmack eines Großhändlers abhängen was dem Kunden ‚zugemutet’ wird und was nicht. Das soll der Kunde gefälligst selbst entscheiden.

Aber wenn das Produkt Mängel hat, die objektiv feststellbar sind. Schlechte Tonqualität, Fehlpressungen und andere technische und Ausstattungsfehler, sollte der Großhandel wählerisch werden. Das wirft kein gutes Licht auf den Markt, führt zu Reklamationen und Pauschalurteilen wider dem Erzeugnis Hörspiel an sich.

Sind Simeons Äußerungen nun Nestbeschmutzung oder Dinge, die einfach mal angesprochen werden sollten?

Ich denke, es sind einfach Dinge, die auch mal dem Konsumenten nahe gebracht werden sollten. Ein bisschen Einblick ist gut und schadet nicht. Hilft es doch auch gewisse Idealvorstellungen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen... Also keine Nestbeschmutzung, sondern die Möglichkeit einen unverstellten Blick auf die Branche zu werfen.

Auch die Branche sollte die Chance zur Selbstreflexion nutzen und sich überlegen, was zu tun ist, um die eigene Position zu verbessern. Vielleicht führen die grundsätzlichen Überlegungen dazu, dass die Kleinen enger zusammenrücken und mehr gemeinsam angehen, im Sinne einer Genossenschaft, um sich stärker am Markt zu positionieren. – Man wird ja träumen dürfen.

Ebenso sollten die Kleinverleger nicht feststellen, dass sie die Äußerungen nicht beträfen. Das ist ja nicht ihr Medium. Nein auch bei Deutschlands Kleinverleger sollten ich überlegen, ob und wie sie etwas anders machen können und Simeons Äußerungen für sie adaptierbar sind. – Wer weiß, ob sie nicht gemeinsam aus dem – zum Teil – selbst gewählten Ghetto ausbrechen können.

Aber selbst wenn das, was Simeon sagte inhaltlich ins Leere geht, war es doch zumindest lehrreich für den Konsumenten...

 

Kommentare  

#1 Thomas Rippert 2009-04-17 20:51
Simeon als Nestbeschmutzer zu bezeichen (wer macht denn sowas?) finde ich ein wenig zu heftig übertrieben. Simeon ist derjenige welcher das offen ausspricht was viele andere in seiner Situation nur hinter der vorgehaltenen Hand erwähnen.

Das kann ich auch verstehen, denn wer will schon einen Markt kommentatorisch "realisieren" wenn er davon leben muss und dem Fandom suggerieren sollte das alles rosa und mit Glücksbärchis vollgestopft ist.

Ich finde die "Verweigerer des klaren Blickes" (so man so etwas denn haben kann) übersehen immer wieder zutiefst das es dem Markt nicht wirklich so gut geht wie sie es gerne hätten. Doch da ist sich sicher jedes Hardcorefandom gleich. "Der Heftromans lebt. Alle meine Freunde, welche ich durch die Heftromane kennen gelernt habe, lesen immer noch welche..." - Sorry das ich diesen sehr wahren Sarkasmuskommentar von dir zitiere, Horst.

Alles das zu stark überdehnt wird muss irgendwann einmal in seine ursprünglich Form zurück schnappen, wenn es nicht auseinander gerissen werden will. Das gilt für jeden Markt. Und die welche das zuerst unverblümt herausrufen, weil sie Einblick haben wie Simeon, sind immer diejenigen welche als erste am Kreuz landen. (No pun intended).

Man wird sehen wie sich alles entwickelt und um was es wirklich "schade" ist wenn es eingestellt wird, entscheidet der subjektive Geschmack und nicht ein Bewerter oder ein Besserwisser.
#2 Harantor 2009-04-17 23:06
Im Moment ist da noch nichts öffentlich gelaufen. Daher steht im Titel auch das Wörtchen 'potentiell', denn dieser Mechanismus hat zum Beispiel immer bei Heftromanleuten gegriffen, die verkündet haben, was Sache ist...

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