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Schock in drei Akten und vielen Folgen – Das Drama der Serie - April 2014

Auf eine Mail mit Uschi ZietschSchock in drei Akten und vielen Folgen
Das Drama der Serie

Mit dem heutigen Thema habe ich erst Uschi Zietsch zum Nachdenken gebracht ... und dann mich. Denn ihre Antwort zu meiner Frage nach Genre-Unterschieden bei Serien führte erst einmal zu einer sehr interessanten Ausführung über die Unterschiede zwischen Serien und Reihen.

Bei der man aber genau hinhören, ähh ... hinschauen muss. Querleser seien an dieser Stelle gewarnt.



Andreas
: Ich habe neulich mit einem Freund darüber diskutiert, ob Filme einen Cliffhanger haben dürfen, wenn die Fortsetzung erst Jahre später in die Kinos kommt. Oder ob sie nicht in sich abgeschlossen sein müssen, da es ja gerade bei Filmen oft nicht sicher ist, ob die Fortsetzung überhaupt gedreht wird. Dabei fiel mir auf, dass im Kino oft dann eine Handlung über mehrere Filme hinweg erzählt wird, wenn ein Buch oder ein Comic zugrunde liegen. Und die literarischen Grundlagen kommen zumeist aus dem Jugendbuch- oder SF/Fantasy-Bereich. Krimis dagegen erzählen gern einen abgeschlossenen Fall und lassen eher in Nebenhandlungen die Stränge weiterlaufen, allgemeine belletristische Bücher werden einfach so dick, bis alles erzählt wird. Stimmt das, ist der Seriencharakter bei Romanen wirklich eine Genre-Angelegenheit?
Uschi
Äh ... ich antworte jetzt einfach auf ein bisschen mehr. :-) Denn als ich deine Einleitung gelesen habe, fiel mir spontan „Der Goldene Kompass“/„His Dark Materials“ ein. Tolle (und bekannte) Schauspieler, optisch toll gemacht, nur ich, die die Buch-Trilogie nicht kennt, saß da und machte „hääääää ...?“ Es war sehr schnell ersichtlich, dass man einen zweiten Teil machen wollte (logisch, eine Trilogie auf einen einzigen Film zusammenzuquetschen ist pure Gewalt, anderes Erzähl-Medium hin oder her), aber nicht wusste, ob man ihn auch machen durfte, und dadurch haben die Filmemacher zwar eine ganze Menge richtig, aber leider auch vieles falsch gemacht. Es wurde zu viel hineingepackt, sodass die Erklärungen niemand verstand, weil die Hintergründe nicht ersichtlich wurden – nicht ersichtlich werden durften wegen des Spannungsbogens und der Wendungen – und die Handlung auf der Strecke blieb. Es war kein Abenteuer mehr, es war „Tell“ und kein „Show“. Die – durchaus coole – Heldin ging einfach von hier nach da und hakte der Reihe nach ab, was sie brauchte, um ... tja, was zu erreichen? Ich finde den Film schön, aber ich habe ihn null verstanden. Schade! Da wäre nämlich richtig Anspruch dahinter, habe ich das Gefühl, aber kann es nur raten. Ich hätte mir gewünscht, dass man trotzdem noch den Rest verfilmt hätte, vielleicht wäre dann Teil 1 insgesamt mehr Aufmerksamkeit beschieden gewesen.
Also – da hat man jetzt ein Beispiel dafür, wie man eine festgelegte Serie anhand einer vorhandenen Trilogie in den Sand setzen kann.
Aber um auf deine eigentliche Frage zu kommen, die irgendwie immer kniffliger wird, je mehr ich mich damit beschäftige. Hm, ich verbessere meine Antwort gerade zum dritten, nein vierten, nein fünften Mal und gehe als erstes die Frage des „Seriencharakters“ an.
Wie viele „Serien“ gibt es denn überhaupt bei Romanen? (Eine Trilogie ist von Haus aus keine Serie, sondern wir reden hier von Teilen, die weit darüber hinausgehen.) Abseits der Heftromanserien Perry Rhodan und Maddrax mit echtem handlungstechnischen Fortsetzungscharakter, was gibt es da? Also ich denke, zumeist handelt es sich doch eher um Reihen, die nur manchmal Seriencharakter beinhalten, sprich, es gibt möglicherweise einen großen Überbau, einen roten (manchmal handlungstechnischen) Faden, der sich bis zum Finale hindurchzieht und sich aber zumeist an der Hauptperson festmacht. Und wenn man es genau nimmt, gehören auch die beiden Heftromanserien dazu, da sie eine Fortsetzungshandlung auf einen „Zyklus“ festlegen, und dann gibt es einen Break.
Sprich: Es gibt so gut wie keine Serie, sondern mehr Reihe mit Seriencharakter. Eine Serie muss irgendwann enden. Eine Reihe nicht.
Nehmen wir Krimi / Wallander: Hier ist der Überbau Wallander selbst, dessen Leben als Polizisten wir bis zu seiner Erkrankung und Pensionierung miterleben. Er verändert sich, seine Familie verändert sich, das ist der Seriencharakter. Nicht handlungstechnisch, sondern personenbezogen. Genauso bei Brunetti, der zwar seinen inzwischen 20. oder mehr Fall löst, aber ebenfalls eine Menge Veränderungen erlebt. Die Handlungen selbst aber sind in eine Reihe einzuordnen, da jedes Buch/jeder Fall in sich abgeschlossen ist.
Also sei deine Frage mit „Nein“ beantwortet: Der Seriencharakter ist keinesfalls genrespezifisch, das würde bei jedem Genre funktionieren, aber wir müssen ganz klar differenzieren, ob wir wirklich von „Serie“ oder nicht eher von „Reihe“ sprechen. Im TV wird natürlich immer von „Serien“ gesprochen, obwohl es sich auch hier sehr selten um solche in echter Serien-Form handelt.
Es gab vor mehreren Jahren einmal zwei TV-Serien, die hintereinander gesendet wurden, zuerst „Pretender“, dann „Profiler“. Beide Serien hatten einen Überbau – das Drama der Vergangenheit, dem beide Protagonisten zu entkommen versuchen –, aber zunächst trat das wenig in Erscheinung und es waren in sich abgeschlossene Einzelfolgen. Also in Wirklichkeit eine Reihe, und die Protagonisten mussten sich jede Woche einer neuen Herausforderung stellen. Und dann, auf einmal, wurden es fortlaufende, staffelübergreifende Fortsetzungsfolgen und, was noch toller war, es kam bei beiden Serien zu gegenseitigen Crossovers, und das zusammen ergab einen großartigen Drift, den ich Woche für Woche atemlos verfolgt habe. Leider gab es dann aber mittendrin einen Break, ohne dass beide Serien zu einem echten Ende geführt werden durften. (Wahrscheinlich keine Zuschauer mehr.) Bei „Profiler“ gab es ein „Zwischenende“, in dem die erste Protagonistin ihrer Nemesis begegnete, aber bei „Pretender“ hörte es mittendrin in der Nemesis auf, und die zweite Profilerin hatte auch keine Chance, zu einem Abschluss zu kommen.
Es gab in den 90ern eine absolut reinrassige und echte Serie, „Murder One“, die sich über (ich glaube zwei? oder waren es drei?) Staffeln hinweg mit fortlaufendem Fortsetzungscharakter ausschließlich mit einer Handlung, also einem einzigen Fall beschäftigte: Wer ist der Mörder? Das konnte aber nur deswegen funktionieren, weil von vornherein feststand, auf wie vielen Folgen (natürlich kann man hier variieren, aber nicht beliebig) die Mörderjagd stattfinden sollte, wann und wie das Finale stattfinden würde.
Übrigens, sehr schön gelöst aktuell die Serie „The Mentalist“: Er begegnet seiner Nemesis in einigen spannenden Fortsetzungs-Folgen, dann machen wir ein Reset und starten komplett neu. Funktioniert! Was auch aktuell sehr gut funktioniert als Reihe mit Seriencharakter: „Arrow“, „Elementary“ ... und da gibt’s bestimmt noch mehr, aber ich habe leider keine Zeit, sie alle anzusehen.
Aber ich schweife schon wieder ab, wie immer, wir waren ja beim Buch.
Reihen gibt es in allen Genres, aktuell habe ich mir gerade den dritten „Bridget Jones“-Band bestellt, der nach vielen, vielen Jahren jetzt erschienen ist. Bridget Jones erscheint natürlich wie eine Serie, weil wir eine fortlaufende Handlung mit fortlaufender Entwicklung unserer Titelheldin haben, aber dennoch ist jedes Buch für sich abgeschlossen und endet ganz ohne Cliffhanger. Und das Interessante daran: Die Dame hat immer zu meinem Alter gepasst.
Naja, fast. Wink.

Andreas: Dann würde ich gerne noch einmal auf den Aspekt der Abgeschlossenheit zurückkommen: Wie sehr muss ein Buch, das beispielsweise Teil 1 einer Trilogie ist, in sich abgeschlossen sein? Darf es quasi komplett Akt 1 der Handlung darstellen und somit fast nur Exposition sein? Oder ist dann selbst der geduldigste Leser frustriert, weil die Handlung nie so richtig in die Gänge kommt?
Uschi: Ja.
:-)
Ach, du willst noch mehr wissen? Na schön.
Eine Trilogie wird so aufgebaut, dass der 1. Band den Akt 1 darstellt, der 2. Band Akt 2, der dritte Band Akt 3. Das ist wichtig wegen des Gesamtaufbaus.
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaber: In sich muss Band 1 (und Band 2, und Band 3) ebenso ein Dreiakter sein, das heißt, er muss seinen eigenen Spannungsbogen verfolgen, als gäbe es nur diesen einen Band, seine eigenen Geheimnisse aufdecken, die wiederum in ihren entscheidenden Wendepunkten einen Schritt näher an das „große Geheimnis“ führen, aber dennoch mehr Fragen aufwerfen als sie lösen (und es müssen als Häppchen schon ein oder zwei wichtige Fragen gelöst werden, um zur nächsten Spannung zu führen). Deshalb: Cliffhanger am Ende, klar, weiß jeder, doch dahin darf es nicht linear führen.
Meistens ist der zweite Band wie alles, was in der Mitte ist, das „unglückliche Kind zwischen den Stühlen“, weil er als zweiter Akt viel Spannung bringen soll, aber nicht zu viel verraten darf. Die Kunst ist es, hier nicht nur Drama, sondern auch Handlung und nicht erst am Ende einen Knaller reinzubringen, der zu Band 3 führt, sondern eben in sich im großen „Überbau-Dreiakter“ den entscheidenden Wendepunkt darstellt. Denn natürlich wissen wir schon, dass Band 2 nur schlecht ausgehen kann mit entsprechendem Cliffhanger, sonst bräuchten wir ja den dritten Teil nicht mehr. Sprich: Der Held erlebt einen Teilerfolg, deckt Unerhörtes auf – und fällt dann in die tiefste Verzweiflung am Ende des Bandes, als er erkennen muss, dass er trotz der guten Voraussetzungen, die er jetzt hat, scheitern wird.
Die Kunst ist es, dafür zu sorgen, dass der Leser nicht gleich nach den ersten zehn Seiten zum Ende blättert, weil er „das Dazwischen nicht braucht“, sondern die Informationen und Wendungen gezielt zu verteilen und den Knaller an ganz anderer Stelle zu setzen, nicht zusammen mit der Verzweiflung am Ende.
Und Band 3? Auch wenn er insgesamt Akt 3, die Auflösung, darstellt, darf er sich keineswegs schon ausruhen und gemächlich zum Ende führen. Ganz im Gegenteil! Hier muss noch mal der Spannungsbogen enorm aufgebaut werden, um dem Leser zu zeigen, dass es überhaupt nicht dahin geht, was ihm bisher vorgegaukelt wurde, und dass da schon noch mal ein paar Wendungen warten, bis wir endlich erleichtert „uff“ machen können. Oder geschockt sind ....

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