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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Karl May?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Karl May?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: An mehreren Stellen ist in dieser Woche an einen außergewöhnlichen Mann erinnert worden, und ich möchte mich gern anschließen.

Am 30. März 1912 starb in Ernstthal KARL MAY (voller Name: Carl Friedrich May). Er ist einer der meistgelesensten deutschen Schriftsteller. Als Sohn einer bettelarmen Weberfamilie kämpfte er sich mit unglaublichem Fleiß nach oben. Man schätzt die Verbreitung seiner Bücher auf um die 200 Millionen weltweit. Seine Produktivität, seine ausufernde Fantasie sind atemberaubend. Obwohl er selbst aus beengten, eher trostlosen Verhältnissen stammte, stieß er Generationen von jungen Lesern das Fenster zur Welt auf. Er öffnete Menschen, die nie die Aussicht hatten, mehr als ihre engste Umgebung zu sehen und zu erleben, den Blick für die atemberaubenden Schönheiten ferner Länder und für spektakuläre, fremde, reiche Kulturen.

So ist es mir jedenfalls gegangen, als ich mit 11 Jahren anfing, seine Romane zu lesen.

Bis heute gibt es Kritiker, die ihn herabzusetzen versuchen, die ihn verspotten. In einem Spiegel-Artikel wurde er als „Lügenbold“ und „Hochstapler“ bezeichnet. Manche versteigen sich gar dazu, ihn einen „Kriminellen“ zu nennen. Natürlich war er im Gefängnis. Wegen ein paar Diebstählen, die nicht einmal eindeutig bewiesen wurden, oder kleineren Scheckbetrügereien aus blanker Not, was ihn im Kaiserreich tatsächlich zum „Kriminellen“ machte. Dabei bewies er für den Rest seines Lebens, dass er ein Mensch mit festen moralischen Prinzipien war. Wenn man sein gigantisches Lebenswerk betrachtet, sollten sich die, die verächtlich auf ihn herabschauen, einfach nur schämen. Keiner von seinen Kritikern hat auch nur im Entferntesten etwas Vergleichbares geleistet.

Wenn ihm in seiner Jugend einige Fehltritte passiert sind, hat er diese im Rest seines Lebens mehr als gut gemacht.

Natürlich hat er sich selbst zum Helden „Old Shatterhand“ stilisiert. Natürlich hat er sich Abenteuer und Fähigkeiten angedichtet, die er nicht hatte.

Ja und? Wem hat er damit geschadet?

Für mich war er ein Held und ist es bis heute geblieben. Aufgrund seiner Geschichten habe ich angefangen, mich mit Amerika zu beschäftigen. Dabei habe ich natürlich festgestellt, dass er sich viele Dinge nur ausgedacht hat. Er hat die Apachen zu Pueblo-Indianern gemacht, er hat kulturelle Vermischungen vorgenommen, die teilweise haarsträubend waren. Er hat Klischees geschaffen. Aber er hat Träume in die Herzen und Seelen von Millionen von Lesern gepflanzt. Träume, in denen ewige Werte, Weltoffenheit und Anstand feste Elemente waren.

So jedenfalls habe ich es empfunden. Ich bin mit ihm aufgewachsen, und dass ich später durch meine Beschäftigung mit amerikanischer Geschichte und meine unzähligen Reisen ein anderes Bild von Amerika und den Indianern geformt habe, hat meinen Respekt vor diesem Mann und seinem Werk nicht geringer werden lassen.

Er hat Romane geschrieben, Unterhaltung. Die Art, wie er das getan hat, hat in mir den Wunsch nach der Wirklichkeit der amerikanischen Pionierzeit wachsen lassen. Ich nehme ihm die Fehler, die er gemacht hat, nicht übel; denn er hat sich um den Wissensstand seiner Zeit bemüht. Ich habe die Fachbücher des 19. Jahrhunderts in seiner Bibliothek gesehen, deren Angaben er in seine Romane eingeflochten hat, wenn es passte.

Dass seine „Reiseberichte“ auf die Leser so realistisch wirkten – auch auf mich –, ist ein Beweis seiner erzählerischen und intellektuellen Fähigkeiten.

Ich war selbst jahrelang als Autor und Redakteur von Romanen tätig und weiß zu würdigen, was dieser Mann geleistet hat. Heute bin ich der Geschichte und damit der Realität und den Tatsachen verpflichtet. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich das sehr ernst nehme. Aber ich möchte Karl Mays Geschichten nicht missen. Sie haben mich dahin gebracht, wo ich heute bin. Sie haben mich zu dem geformt, was meine Arbeit heute ausmacht.

Neben den wichtigen Kollegen, die mich beraten und gefördert haben, gehört Karl May zu den einflussreichsten Gestalten meiner frühen Jugend. Da mögen noch so viele die Nase rümpfen oder die Augenbrauen hochziehen. Das ist mir völlig egal.

Karl May war kein „Old Shatterhand”, er ist nie im Fernen Westen gewesen, er hat über die Realität an der amerikanischen „Frontier“ nichts gewusst. Aber er hat gewusst, wie man Sehnsucht schafft, wie man Menschen Mut macht, wie man atemlose Spannung erzeugt, und wie man ein junges Herz begeistert. Dafür bin ich das beste Beispiel. Für mich wird er immer derjenige bleiben, der mir den Weg nach Amerika gewiesen hat. Andere mögen anders motiviert worden sein. Aber bei mir war es so.

Er ist unvergessen und wird es bleiben.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

Kommentare  

#1 matthias 2022-04-02 16:59
Danke, dass Sie solch eine "Lanze" für den ollen Karl May brechen. Ich habe dessen Bücher früher zu DDR-Zeiten schlecht bekommen und wenn doch, dann las ich die (meist) VK-Ausgaben sehr gerne und stimme Ihrer Einschätzung vorbehaltlos zu.
Danke dafür

Heute lese ich keinen Karl May mehr, dafür aber gern Texte aus Ihrer Feder ...
#2 Rüdiger 2022-04-03 09:16
Schöne Würdigung.
Nur in Sachen Kriminalität würde ich widersprechen. Er war durchaus kriminell und hat ja immerhin etliche Leute um gutes Geld betrogen. Und das mit den festen moralischen Prinzipien halte ich seitens May nicht immer für glaubwürdig ...

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