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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Mythos Little Big Horn?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Mythos Little Big Horn?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 25. Juni 1876, fand einer der spektakulärsten und inzwischen am umfangreichsten dokumentierten Kämpfe der Indianerkriege statt – die Schlacht am Little Bighorn.

Ich habe im Laufe der letzten Jahrzehnte so viel über dieses Ereignis geschrieben, bin inzwischen mehr als fünfundzwanzig Mal am Little Bighorn gewesen und habe darüber auch immer wieder Texte auf Facebook veröffentlicht, dass ich es heute bei der Erinnerung an dieses Datum bewenden lasse.

Es sind seit dem Ereignis selbst wohl über 1.000 Bücher über Little Bighorn erschienen. Die Essays und Artikel sind nicht mehr zu erfassen. Sehr viel davon ist Humbug, heiße Luft, Spekulation, Wichtigtuerei, schlichtweg falsch. Die Leute, die „mit Custer geritten“ sind und ihre unbedeutenden Erinnerungen aufgeschrieben haben, sind kaum zu zählen. Und dann gibt es Personen, die haben irgendetwas aufgeschnappt oder drei Bücher gelesen und sind damit „Experten“, wobei George A. Custer natürlich immer der „Schurke“ ist.

Nun bin ich weit davon entfernt, diesen Mann in irgendeiner Weise in Schutz zu nehmen, aber die Sache ist doch weitaus komplizierter und vielschichtiger als es sich die Vereinfacher mit ihrem soliden Halbwissen machen, die weder den militärischen Komplex der Indianer noch die Regularien und Denkweisen der amerikanischen Armee durchschauen.

Ich beschäftige mich seit über 40 Jahren mit amerikanischer Militärgeschichte und bin manchmal fassungslos, mit welcher Selbstsicherheit und Ignoranz Planungsverläufe, Organisationstrukturen, Rangsysteme, Befehlsketten und bürokratische Abläufe in einem großen Militärapparat von Leuten auf den Kopf gestellt werden, die nicht einmal die Ausrüstung eines Kavalleristen benennen können und denen selbst die organisatorischen Grundlagen einer Armee oder die Zusammensetzung von Offiziersstäben fremd sind, die von der politischen und militärischen Struktur von Indianervölkern kaum je etwas gehört haben. Die die politischen Fundamente der regulären US-Armee nicht einmal ansatzweise kennen. Aber über Little Bighorn wissen sie genau Bescheid, als wären sie dabei gewesen.

Selbst die beteiligten Indianervölker haben heute einen pragmatischeren Blick auf die Ereignisse. Es prallten zwei Kulturen, zwei Denkungsarten, zwei Weltsichten aufeinander, die unvereinbar waren. Es bedarf einer gründlichen Beschäftigung mit den physischen und geistigen Hintergründen und den handelnden Personen, um zu verstehen, was sich dort abgespielt hat, auch ein Akzeptieren der Mentalität beider beteiligten Parteien ist unabdingbar, nicht einfaches Schwarz-Weiß-Denken und klischeehafte Urteile.

Zu den interessantesten Werken mit Substanz zählen für mich immer noch die Augenzeugen-Interviews, die W. A. Graham unter dem Titel „The Story of the Little Big Horn: Custer's Last Fight“ schon 1926 herausbrachte, oder „The Custer Reader“ von dem großen Historiker Paul A. Hutton, mit dem ich zweimal persönliche Gespräche führen konnte und dessen fundierte Analysen mich immer beeindruckt haben, sowie die Werke von Robert M. Utley.

Welt- und militärgeschichtlich gesehen, war diese Schlacht unbedeutend. Im nationalen historischen Empfinden der Amerikaner ist sie unvergesslich, geradezu monumental.

George Armstrong Custer, zweifellos eine hochinteressante, komplexe Gestalt, erhielt eine völlig überschätzte geschichtliche Dimension.

Wie auch immer: In den grünen Hügeln des südöstlichen Montana gingen 5 Kompanien der 7. US-Kavallerie unter. Geschlagen von den jungen Kriegern der Lakota, Cheyenne und Arapaho, die sich nicht an die in West Point gelehrten Verhaltensweisen indianischer Kriegführung hielten, wonach die Kavallerie eigentlich gar nicht hätte verlieren dürfen. Das glaubte offenbar auch Custer selbst, der sich – was immer in sein Verhalten, in seine persönlichen Schwächen oder vermeintlichen charakterlichen Probleme hineininterpretiert wird – einfach ausgedrückt nur sehr konventionell an das hielt, was jungen Offizieren in der Akademie West Point bzgl. von Kämpfen mit Indianern beigebracht wurde.

Die Indianer gewannen nicht mit „überwältigender Überzahl“, wie Legenden es manchmal noch bis heute verbreiteten, um Custers Niederlage zu begründen. Der Historiker Gregory Michno wies schon vor 40 Jahren nach, dass das Indianerdorf den Umfang einer heutigen Großstadt hätte erreichen müssen, wenn die früher behauptete Zahl von beteiligten Kriegern gestimmt hätte. Auch der Nationalpark-Service hat sich diesbezüglich inzwischen korrigiert.

Little Bighorn ist zum nationalen Schrein geworden, zu einem symbolhaften Ereignis der „Westward Expansion“. Von daher hat diese Schlacht eine historische Dynamik gewonnen, die dem Kampf selbst und dem Protagonisten geradezu Ewigkeitscharakter verschafft hat. Man mag das für richtig oder falsch halten – es ist einfach so. Der Mythos lebt.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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