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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Nathaniel »Texas Jack« Reed?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Nathaniel »Texas Jack« Reed?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Nathaniel „Texas Jack“ Reed wurde am 23. März 1862 – vor 159 Jahren – geboren. Er überfiel Postkutschen, Züge und Banken, ging als Einzelgänger vor, führte manchmal aber auch kleine Banden, und terrorisierte in den 1890er Jahren Gebiete im Indianerterritorium Oklahoma. Sein Ruf entstand vor allen Dingen in dieser letzten Phase. Historiker der amerikanischen Frontier sehen in ihm den letzten Überlebenden der „berüchtigsten Gesetzlosen“ Oklahomas. Manches stimmt, das meiste ist maßlose Übertreibung. Er behauptete später, mit der Dalton-Bande und mit Bill Doolin geritten zu sein (alles gelogen) und zur Bande der „Bandit Queen“ Belle Starr gehört zu haben (wahrscheinlich gelogen). Vermutlich gehörte er tatsächlich zu den Männern, die dem berüchtigten „Cherokee Bill“ bei seiner Flucht aus dem Bundesgefängnis in Fort Smith halfen.

Nat Reed wurde im Madison County (Arkansas) geboren. Sein Vater war Soldat der Unions-Armee im Bürgerkrieg und fiel vermutlich in der Schlacht von Campbells Station im November 1863. Das stürzte seine Mutter in materielle Not. Reed wuchs überrwiegend bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf. Er verließ 1883 Arkansas und zog an die wilde westliche Grenze in Idaho, Wyoming, Colorado und Texas. In Oklahoma arbeitete er zeitweise als Cowboy.

Im Jahr 1885 war er Komplize seines ehemaligen Vormanns der Terry Ranch in Oklahoma, als die beiden Männer mit noch einigen anderen Kumpanen in La Junta, Colorado, einen Zug überfielen. In jener Zeit war es üblich, dass Cowboys nach Ende der Rindersaison in den Winter entlassen wurden. Es gab keinerlei soziale Absicherungen. Viele dieser Männer gingen als sogenannte „Schneevögel“ zur Armee, um regelmäßiges Essen und ein Dach über dem Kopf zu haben – und desertierten im Frühjahr, wenn die Rancher wieder Personal einstellten. Andere wurden zu Viehdieben, Bank- und Eisenbahnräubern.

Das war der Beginn der kriminellen Karriere von Nat Reed. Bei dem Überfall in La Junta stürmte Reed schießend in den Passagierwaggon. Der Raub war erfolgreich. Reed erhielt angeblich einen Anteil von 6.000 Dollar – ein Vermögen in jener Zeit. Der junge Reed gab danach seine Arbeit als Cowboy auf. Er begann ein Leben als Räuber. In Kalifornien gelang ihm die Erbeutung einer Ladung Gold- und Silberbarren.

Er entging immer wieder erfolgreich seinen Verfolgern. Ab Anfang der 1890er Jahre verlegte er seine Taten ganz nach Oklahoma, dass zu jener Zeit als „letzte Grenze“ galt. Das einstige Indianerterritorium war Schritt für Schritt für die Besiedelung geöffnet worden. Die Verhältnisse hier waren ungeordnet. Die Indianerreservationen wurden immer weiter verkleinert, illegale Heimstättensiedler sickerten ins Land. Die Gesetzesvertretung war einer Handvoll Deputy US Marshals überlassen, die dem Bundesgericht in Fort Smith unterstanden, wo der Bundesrichter Isaac Charles Parker einen verzweifelten Kampf gegen die ausufernde Kriminalität in dem riesigen Gebiet führte. Oklahoma war zeitweise ein Paradies für die letzten Banditen der Pionierzeit.

Am 13. November 1894 verließ ein Goldtransport Dallas in Texas. Reed lebte zu dieser Zeit nahe Muskogee (Oklahoma) und überredete vier ehemalige Cowboys, sich ihm anzuschließen, um diesen Zug zu überfallen. Damit besiegelte er sein Schicksal. Sein Plan war, eine Weiche umzulegen, den Zug auf ein Nebengleis zu lenken und den Transportwaggoon zu sprengen. Die Rollenverteilung war klar geregelt: Einer der Männer sollte das Personal in Schach halten. Der bärenstarke Cherokee-Indianer Tom Root sollte den Tresor aufbrechen und die Goldbarren in einen Sack werfen. Ein weiterer Mann sollte die Pferde sichern.

Reed stand an der Weiche – und legte den Hebel zu früh um. Der Lokomotivführer bemerkte das Signal und stoppte den Zug. Die Banditen mussten dem Transport entgegenlaufen. Sie begannen noch im Rennen zu schießen. Der Lokführer, sein Heizer und der Transportschaffner sprangen vom Zug und brachten sich in Sicherheit. Reed und seine Kumpane erreichten den Frachtwaggon, der von innen verriegelt war. Sie wussten nicht, dass sich in dem Waggon gar kein Gold befand, sondern dass hier die Deputy US Marshals Bud Ledbetter, Paden Tolbert, Sid Johnson und Frank Jones warteten. Es kam zu einem einstündigen Schusswechsel, bei dem einer von Reeds Komplizen getötet wurde. Reed kletterte in die Passagierwaggons und beraubte die Reisenden ihrer Wertgegenstände. Dann ergriffen er und seine drei überlebenden Kumpane die Flucht.

Marshal Ledbetter traf ihn mit einer Kugel. Reed konnte nicht mehr reiten, teilte die Beute und blieb unter einigen Büschen liegen, wo ihn eine Indianerfrau fand, die ihn versorgte.

Aus Fort Smith rückte ein Aufgebot von Deputy US Marshals aus, das ins Gebiet der Creek-Indianer eindrang und drohte, alle Farmen niederzubrennen, wenn Reed nicht ausgeliefert werden würde. Die Creek aber warnten den Banditen. Reed gelang es, nach Missouri zu flüchten, wo er sich versteckte, bis seine Wunden geheilt waren.

Im Februar 1895 kehrte Nat Reed nach Oklahoma zurück und lebte zunächst auf der Farm seines Bruders. Hier ließ er sich überzeugen, sein Leben als Gesetzloser aufzugeben. Er schrieb einen Brief an Richter Parker und bot sich als Kronzeuge des Überfalls an, wenn ihm Straffreiheit garantiert würde. Richter Isaac Parker hielt nicht viel von einem solchen Kuhhandel. Er hatte bereits einige US Marshals auf die Fährte der Mittäter Reeds geschickt. Marshal Newton LaForce gelang es, Reeds Kumpane unweit von Tulsa aufzuspüren. Es kam zu einer Schießerei, bei der die Banditen erschossen wurden.

In der Folge erschien Reed vor Parkers Gericht in Fort Smith und wurde zu 5 Jahren Haft verurteilt. Nur ein Jahr später wurde er von Parker auf Bewährung entlassen.

Nat Reed war im Gefängnis geläutert worden. Als er in Freiheit kam, wurde er zum Evangelisten. Er zog durch Tulsa und das Umland der Stadt und predigte ein gottgefälliges Leben ohne Kriminalität. Ab und zu trat er in Wild West Shows auf. 1936 wurden seine Lebenserinnerungen als Buch gedruckt: „The Life of Texas Jack“. Das Buch verkaufte sich über 35.000 Mal. Es erschienen Dime Novels mit Reeds Namen und maßlos übertriebenen Abenteuern.

Reed starb am 7. Januar 1950 – vor 71 Jahren – in Tulsa (Oklahoma) im Alter von 87 Jahren. Einer der letzten Postkutschen- und Eisenbahnräuber des Wilden Westens. Sogar die große „New York Times“ widmete ihm einen Nachruf. Sein Grab befindet sich in St. Paul (Arkansas). Sein Leben wurde 2016 in dem Film “Stageboach“ mit Trace Adkins und Judd Nelson romantisch, actiongeladen und – natürlich – völlig verzerrt und fern der Realität verewigt.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2021Die kommende Ausgabe

 

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