Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit William Travis?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit William Travis?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Nach dem großen Interesse an meinen Berichten über den Alamo, die texanische Revolution und David Crockett will ich heute noch die Geschichte von William Travis, dem letzten Alamo-Kommandanten, hinzufügen, der ebenfalls am 6. März 1836 – vor 184 Jahren – fiel. Bis zu diesem Tag war William Barret Travis nur wenigen Menschen bekannt, und jene, die ihn kannten, hatten keine sonderlich hohe Meinung von ihm. Er galt als Abenteurer, Aufrührer, geltungsbedürftig, egoistisch und war hoch verschuldet. Nichts, was er bis zu diesem Zeitpunkt getan hatte, war erfolgreich gewesen. Beseelt von enormem Ehrgeiz, konnte er auf keinerlei bemerkenswerte Leistungen zurückblicken.

Mit seinem Tod wurde ein Mythos geboren. Travis wurde zur fast übermenschlichen Gestalt. Es gibt kein Grab von ihm, aber sein Name ist in die Geschichtsbücher eingebrannt. Wenige dramatische Tage in der Geschichte von Texas, kaum mehr als ein Wimpernschlag in der Geschichte der Welt, reichten zur Unsterblichkeit.

Vor allem sein letzter Hilferuf, den er aus der belagerten Mission „Alamo“ schickte, gehört heute zum texanischen Nationalmythos.

William Barret Travis kam am 1. August 1809 im Saluda County, South Carolina zur Welt. Die Vorfahren der Travis‘ stammten aus dem englischen Landadel. Nach dem Krieg gegen England (1812-14) siedelte sich die Familie in Alabama an. Sie gehörten zu den ersten Farmern der neugegründeten Gemeinde Sparta. Auf der von seinem Bruder Alexander – einem Pastor - gegründeten „Sparta Academy“, erhielt William B. Travis seine Schulbildung. Unmittelbar nach seinem Abschluß im Alter von 18 Jahren, wurde der intelligente junge Mann als Hilfslehrer im Monroe County angestellt. Hier verliebte er sich in eine seiner Schülerinnen, Rosanna Cato.

William Travis ließ sich in Claiborne nieder und ging bei dem angesehenen Anwalt James Dellet in die Lehre.

Zu jener Zeit war die Stadt Claiborne, begünstigt durch den Schiffsverkehr auf dem Alabama River, ein pulsierendes Handelszentrum. Im Oktober 1828 heirateten William Travis und Rosanna Cato.

Erfüllt von brennender Ungeduld, wollte William Travis schnellstmöglich auf eigenen Füßen stehen und zur gehobenen Gesellschaft von Claiborne gehören. Noch während seiner Lehrzeit bei James Dellet begann er die Herausgabe einer eigenen Zeitung, des „Claiborne Herald“. Er arbeitete faktisch Tag und Nacht. Nach seiner Arbeit im Anwaltsbüro, schrieb er die Artikel seiner Zeitung, akquirierte Anzeigen, erstellte den Satz und druckte. Er erzielte ein bescheidenes Einkommen, aber die enorme Arbeitsbelastung führte zu Nachlässigkeiten und Fehlern.

Travis legte am 27. Februar 1829 seine Rechtsprüfung ab und erhielt die Zulassung als Anwalt. Mit geborgtem Geld eröffnete er umgehend eine eigene Kanzlei.

Schon vorher hatte er sich 90 Dollar geliehen, um seine Zeitung zu bezahlen. Das Einkommen aus dem Blatt reichte allerdings kaum, seine Familie zu versorgen. Klienten in seiner Anwaltskanzlei blieben aus. Trotzdem wuchs ihm und seiner Frau die Arbeit über den Kopf, und so kaufte er zwei Sklaven, die das Haus in Ordnung halten sollten. Der Unterhalt dieser Sklaven ließ die Familie noch tiefer in Schulden sinken. Ende 1829 war Travis gezwungen, seine Zeitung einzustellen.

Die finanzielle Situation der Familie wurde zum Desaster. Schließlich wurde er von seinem früheren Lehrherrn, James Dellet, verklagt, der ebenfalls Forderungen an ihn hatte.

Travis wurde noch während der Verhandlung im Gerichtssaal vorübergehend verhaftet. Im Gefängnis entschied er sich, nach Texas zu gehen, um unterzutauchen und ein neues Leben zu beginnen. Er rechnete auch damit, in einem noch kaum besiedelten Land als junger Anwalt bessere Chancen zu haben.

Er versprach seiner jungen Frau, die kurz vor der Geburt des zweiten Kindes, einer Tochter, stand, dass er ihr bald Geld aus Texas schicken würde, und flüchtete bei Nacht und Nebel aus Claiborne.

Im Mai 1831 beantragte Travis zunächst ein Stück Land in Stephen F. Austins Kolonie. Seine Hoffnungen, erfolgreich als Anwalt arbeiten zu können, erfüllten sich nicht. Er geriet rasch mit der mexikanischen Verwaltung in Streit, landete erneut im Gefängnis. Nach seiner Freilassung ging er nach San Felipe. Hier stellte er am 10. April 1835 erneut einen Antrag für eine Landzuweisung. Seinen Familienstatus gab er als „Witwer“ an, was ihm einen größeren Anspruch ermöglichte. Die Verheimlichung seiner Familie schien ihm ebensowenig Gewissensbisse zu bereiten wie die Tatsache, daß er seiner Frau und seinen Kindern natürlich so gut wie nie hatte Geld schicken können.

Wenig später tauchte Rosanna Travis mit beiden Kindern in Texas auf und verlangte die Scheidung. Danach kehrte sie mit ihrer Tochter Susan nach Alabama zurück. Der gemeinsame Sohn Charles blieb bei Travis in Texas.

Hier breitete sich Widerstand gegen die mexikanische Regierung aus. Die amerikanischen Kolonisten fühlten sich im Stich gelassen. Sie verlangten Mitspracherecht bei der Verwaltung und größere Unabhängigkeit von der Zentralregierung im fernen Mexico City. Travis – gebildet, eloquent und radikal in seinen Äußerungen – profilierte sich rasch als einer der Sprecher der Rebellen.

Als Stephen Austin bei einem Besuch in Mexiko City verhaftet wurde, heizte sich die Stimmung unter den Texanern auf. Im Dezember 1835 ernannte der provisorische Gouverneur, Henry Smith, ihn zum Oberstleutnant einer noch zu gründenden Kavallerie und beauftragte ihn, San Antonio zu verstärken. Hier hatten die Texaner die kleine mexikanische Garnison vertrieben und die alte Alamo-Mission besetzt.

Noch vor ihm, am 19. Januar 1836, erreichte ein anderer Abenteurer den Alamo: James Bowie, ein gescheiterter Landmakler, Sklavenhändler und gefürchteter Duellant. Zwei Wochen später traf auch William Travis ein. Der „Lieutenant Colonel“ brachte gerade mal 18 Männer mit, nachdem er vorher versprochen hatte, wenigstens 100 Freiwillige zu rekrutieren.

Sofort entstanden Rivalitäten zwischen Travis und Bowie. Sowohl Bowie als auch Travis beanspruchten die Führung. Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiss: Bowie sollte die Freiwilligen, Travis die regulären texanischen Soldaten kommandieren. Nach wenigen Tagen erkrankte Jim Bowie schwer an Typhus, und Travis war damit faktisch Kommandant des Alamo.

Dann traf die Nachricht ein, dass ein großes mexikanisches Heer unter Führung des Staatspräsidenten und Generals Antonio Lopez de Santa Ana im Anmarsch war. Am 23. Februar 1836 tauchte die mexikanische Armee auf den Ebenen südlich des Alamo auf und schloß die Mission ein.

Die Stärke der mexikanischen Invasionsarmee lässt sich nur unter Vorbehalten beziffern. Der Militärhistoriker A. A. Nofi geht davon aus, daß sich die Gesamtstärke der Invasionsarmee auf über 6.000 Offiziere und Mannschaften belief. Diese verteilten sich wie folgt: „Ca. 4.500 Mann Infanterie, 185 Zapadores, ca. 1.120 Mann Kavallerie, ca. 190 Mann Artillerie und ca. 50 Kommandeure und Stabsangehörige.“

Organisiert in 4 Brigaden, brachen diese im Abstand von jeweils zwei bis drei Tagen aus Mexiko auf, daher trafen die Truppen mit Verzögerungen in San Antonio ein, so daß es Tage dauerte, bis sich eine effektive Belagerung aufbaute. Daher hatte die Besatzung mehrfach die Möglichkeit, Kuriere auszuschicken oder zu empfangen. Sogar Verstärkung rückte während dieser Zeit noch ungehindert in die Festung ein.

Behindert wurde der Aufmarsch Santa Anas durch ein seltenes Wetterphänomen im südlichen Texas, einen plötzlichen, sehr harten Wintersturm, der die Mexikaner völlig unvorbereitet traf. Die Soldaten führten keine entsprechende Ausrüstung mit. Zahlreiche Männer erfroren oder wurden durch Frost einsatzuntauglich. Es wird von einem Ausfall von mindestens 2% der Kopfstärke ausgegangen.

Den Texanern gelang es immer wieder, Angriffe der Mexikaner zurückzuweisen. Am 24. Februar 1836 verfaßte Travis einen Brief „an das Volk von Texas und alle Amerikaner in der Welt“, der heute zu den bedeutendsten Dokumenten texanischer Geschichte gehört:

„Mitbürger – Patrioten! Ich werde von tausend oder mehr Mexikanern … belagert. Der Feind hat die Kapitulation auf Gnade oder Ungnade verlangt, anderenfalls werde er die Besatzung dem Schwert überantworten, wenn die Festung genommen wird…“ Der Brief endete mit den Worten: „SIEG ODER TOD!“

Inzwischen schickte der Oberkommandierende der Texas-Armee, Sam Houston, Travis den Befehl, den Alamo aufzugeben. Der dachte nicht daran.

Nach 13 endlosen Tagen, in denen die Besatzung bis an die Grenze ihrer physischen Belastung gegangen war, gingen die Munitionsvorräte zu Ende. Auch die Nahrung wurde knapp. Im Morgengrauen des 6. März befahl Santa Ana den endgültigen Sturm. William Travis fiel auf der Nordmauer durch einen Schuss in den Kopf. Mit seinem Tod wurde er zum Märtyrer. Aber – um es ganz klar zu sagen – kaum einer der führenden Personen weinte ihm eine Träne nach.

Wie bei allen Ereignissen dieser Art gab es Rivalitäten zwischen den Leitfiguren. Fast alle verfolgten nicht nur ein gemeinsames Ziel, sondern hatten eigene Pläne. Jeder wollte sich für hohe Positionen in einem neu gegründeten Staat in Stellung bringen. Auch Travis hatte sich für die Zeit nach einer erfolgreichen Revolution Hoffnungen auf ein hohes Amt gemacht; mindestens auf einen Sitz im Parlament.

Am 31. Juli 1851 erhielten seine Kinder, Charles Edward Travis und Susan Isabella Travis, ein Stück Land von 1.920 Acres zugesprochen. Charles wurde 1853 zum Abgeordneten im texanischen Parlament gewählt. Zeitweise diente er als Captain der Texas Rangers. Er starb 1860 an Tuberkulose. Seine Schwester Susan – bei der sogar die Vaterschaft von Travis bezweifelt wurde – starb im Alter von nur 39 Jahren.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.