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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Pickett?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Pickett?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 16. Januar 1825 wurde einer der bekanntesten Offiziere der amerikanischen Militärgeschichte geboren. Seinen Ruhm gewann er durch seine größte Niederlage. George Edward Pickett führte in der Schlacht von Gettysburg im amerikanischen Bürgerkrieg seine Divison in den Untergang; er folgte einem Befehl R. E. Lees. Picketts Division zählte etwa 5.500 Mann. 1.140 wurden verwundet, 224 fielen sofort, 1.499 gerieten in Gefangenschaft. Unter den Gefallenen und Verwundeten waren Pickets 3 Brigadekommandeure und 13 Regimentsführer.

Der ebenfalls legendäre Colonel John Mosby schilderte nach dem Krieg ein Treffen zwischen Lee und Pickett als äußerst kühl und reserviert. Pickett habe hinterher geäußert: „Dieser Mann hat meine Division zerstört.“ Worauf Mosby antwortete: „Das hat er, aber er hat Sie damit unsterblich gemacht.“ Obwohl diese Beurteilung sicher nicht falsch war wird diese Episode von den meisten Historikern bezweifelt, weil Pickett nie ein negatives Wort über Lee in der Öffentlichkeit verlor. Wenn er nach dem Scheitern seines Angriffs gefragt wurde antwortete er stets lakonisch: „Ich war immer der Meinung, dass diese Niederlage etwas mit den Yankees zu tun hatte.“

Geboren in Richmond, wuchs G. E. Picket auf der Familienplantage von Turkey Island auf. Picket trat in den 1840er Jahren als Lehrling in die Anwaltspraxis seines Onkels Andrew Johnston in Illinois ein. Mit 17 erhielt er allerdings einen Platz in der Offiziersakademie West Point. Seine Witwe behauptete später, kein anderer als Abraham Lincoln habe ihm den Zugang nach West Point ermöglicht. Tatsächlich war es ein Kongreßabgeordneter, der zeitweise mit Lincoln in einer Anwaltssozietät arbeitete.

1846 graduierte Pickett als letzter von 59 Kadetten seines Jahrgangs; er hatte in West Point eher gefaulenzt und Schabernack getrieben. Bei seinen Kameraden war er beliebt, bei seinen Lehrern berüchtigt. Es war sein Glück, dass gerade der mexikanische Krieg begonnen hatte und junge Offiziere benötigt wurden, anderenfalls wäre er aus dem Armeedienst entlassen worden. So diente er als 2nd Lieutenant im Amerikanisch-Mexikanischen Krieg und wurde für seinen Einsatz in der Schlacht von Chapultepec 1847 ausgezeichnet. Danach folgte Garnisonsdienst u. a. an der Indianergrenze in Texas, wo er 1853 einen anderen späteren US-General, Winfield Scott Hancock, zum Duell forderte. Hancock lehnte ab. Im Januar 1851 hatte Pickett zum erstenmal geheiratet; seine junge Frau starb noch im November desselben Jahres in Fort Gates im Kindbett. 1856 diente Pickett in Washington State am Pacific und heiratete hier Morning Mist, eine indianische Frau aus dem Volk der Haida. 1857 wurde dem Paar ein Sohn geboren, James Tilton Pickett. (Er wurde ein bekannter Zeitungsillustrator, der 1889 der Tuberkulose erlag.) Morning Mist starb einige Monate nach der Geburt des Sohnes. 1859 kommandierte Pickett die Kompanie D der 9. US-Infanterie im sogenannten „Schweinekrieg“, der zwischen der „Hudson‘s Bay Company“ und amerikanischen Farmern ausbrach, als ein Farmer ein Schwein erschoß, dass der Pelzhandelsgesellschaft gehörte. Anstatt eine Bezahlung des Tiers zu akzeptieren, machte die Hudson’s Bay daraus eine Staatsaffäre, bei der schließlich 3 britische Kriegsschiffe mit 1.000 Mann anrückten. Letztlich schaltete sich US-Präsident James Buchanan ein und beendete den Konflikt auf dem Verhandlungsweg.

Als 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, war Pickett Captain der US-Armee. Er nahm am 25. Juni 1861 seinen Abschied und trat in die Konföderierte Armee ein. 1862 hatte er es bereits zum Brigadegeneral gebracht. Von Anfang an galt er als flamboyante Gestalt. Seine Erscheinung zog die Blicke auf sich. Bei seinen Soldaten war er populär, da er sich nicht scheute, bei Angriffen in der ersten Reihe mitzuziehen. In der Schlacht von Gaines Mill im Juni 1861 wurde er aus dem Sattel geschossen. Sein rechter Arm blieb für fast ein Jahr gelähmt. Nach drei Monaten Genesung kehrte er in den Dienst zurück und übernahm das Kommando einer Division in der Armee von Nord-Viginia unter dem Korpskommandanten James Longstreet.

Am 3. Juli 1863, dem letzten Tag der Schlacht von Gettysburg, führte er die katastrophale Attacke, die seither seinen Namen trägt. Eigentlich hatte Longstreet das Kommando, aber der Angriff wurde immer „Pickett’s Charge“ genannt, wahrscheinlich weil er der einzige Generalmajor aus Virginia war, der involviert war und die Zeitungen seines Heimatstaates seine Rolle hochspielten; Historiker nannten diesen Angriff ein "Gemetzel".

Nach vorausgegangenem zweistündigem Artilleriebombardement war Lee überzeugt, dass die Unionslinien sturmreif waren. Die drei Divisionen Longstreets marschierten auf das offene Feld etwa 1 Meile vor Cemetery Ridge. Picketts Befehl ist überliefert: „Auf, Männer, in eure Position! Kein Mann soll heute vergessen, dass er aus Old Virginia kommt.“

Als die grauen Reihen zurückgeschlagen wurden, berichtet eine Anekdote, dass Lee Pickett aufforderte, seine Division zur Verteidigung neu aufzustellen. Pickett habe erwidert: „General Lee, ich habe keine Division mehr.“

1863 heiratete Pickett LaSalle "Sallie" Corbell, die ihm eine äußerst loyale Ehefrau war. Das Paar hatte zwei Söhne; einer starb früh an Masern. Der andere wurde später Offizier der US-Armee.

Im Februar 1864 ließ Pickett 22 Männer aus North Carolina, die als Unionssoldaten in seine Gefangenschaft gerieten, wegen „Desertion“ bei New Berne hängen. Diese Entscheidung gilt bis heute als Kriegsverbrechen; denn diese Männer waren keine Deserteure, sondern ungeachtet ihrer Herkunft reguläre US-Soldaten.

In der Schlacht von Five Forks, wo Pickett um jeden Preis den wichtigen Eisenbahnknotenpunkt der Konföderierten halten sollte, wurde er am 1. April 1865 geschlagen. Durch einen Fehler war er von seiner Division abgeschnitten worden und nahm mit einigen anderen Offizieren sein Mittagessen ein, als die Union einen energischen Angriff unternahm. Als Pickett seine Truppen wieder erreichte, waren seine Linien kollabiert und seine Division befand sich in Auflösung. Man spricht vom „Waterloo der Konföderation.“ Behauptungen, dass Pickett in den letzten Kriegstagen von Lee seines Kommandos enthoben worden sei, basieren offenbar auf unbelegten Gerüchten.

Dr. M. G. Elzey, der Stabsarzt von Pickett, schrieb 1911 in einem Brief: „Ich bin ein kompetenter Zeuge der Tatsache, das er niemals unter Arrest war, sondern als Kommandeur seiner Division bis zum letzten Moment in Appomattox agierte.“

Pickett kapitulierte bei Appomattox Courthouse und wurde am 12. April 1865 auf Ehrenwort entlassen.

Pickett ging danach zunächst mit Frau und Sohn nach Kanada, da er wegen der Hinrichtung der 22 US-Soldaten eine Anklage und Verurteilung fürchtete. Sein alter Freund U. S. Grant sorgte dafür, dass er 1866 unbehelligt nach Virginia zurückkehren konnte. Danach versuchte er, seine Familie als Farmer und Versicherungsagent zu ernähren. Im Juni 1874 wurde er durch Beschluß des Kongresses vollständig pardoniert. Er starb am 30. Juli 1875 im Alter von 50 Jahren in Norfolk an einem „Abzess der Leber“, wie es offiziell hieß. Gerüchte besagten, dass er sein Leben lang ein starker Trinker war.

Über 40,000 Menschen säumten den Weg des Sarges zum Hollywood-Friedhof in Richmond.

Seine Legende lebte dank seiner Witwe weiter, die in mehreren gut verkauften Büchern und Artikeln äußerst fantasievolle (meist unwahre) Geschichten verbreitete. So behauptete sie u.a., dass Präsident Abraham Lincoln bei seinem Besuch des eroberten Richmond privat zu ihrem Haus gekommen sei und einen der Söhne Picketts in seinen Armen gehalten habe. Sally Pickett überlebte ihren Mann bis zum 22. März 1931. Es gab einen langen Streit zwischen den Nachkommen Picketts und der Stadtverwaltung von Richmond, ob die Witwe neben ihrem Mann im konföderierten Sektor des Friedhofs bestattet werden dürfe. Erst 1998 wurde Sally Pickett auf Initiative der “Military Order of the Stars and Bars” und der “United Daughters of the Conferacy” neben das Pickett-Monument umgebettet. Pickett selbst gilt heute eher als ein “tragischer Held” der verlorenen Sache der Südstaaten. Der Historiker John Waugh schrieb: „Er war ein exzellenter Brigadekommandeur, der niemals bewies, dass er auch eine Division führen konnte.“


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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