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Boulevard kostenlos - Tiefe hinter der Paywall?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneBoulevard kostenlos
Tiefe hinter der Paywall?

Erfolgsmeldungen hinsichtlich bezahlter Nachrichten im Netz sind rar gesät. Immer wieder mal wird in den Raum gestellt, dass jetzt, ja, jetzt, endlich, also in diesem Jahr, aber nun wirklich - also jetzt ist das Jahr für die Paywall. Wirklich! Jetzt! Aber ob bisherige Modelle hierzulande so erfolgreich sind wie in den USA - wobei in den USA Trump wohl dafür gesorgt hat, dass einige Zeitungen Abonnenten erworben haben - weiß im Endeffekt niemand so genau.

Denn mit offiziellen Zahlen, Daten oder Fakten halten die Verleger gerne mal hinter den Berg. Ja, sicher, es gab ab und an mal jubilierende Meldungen - die von hier ist aber nicht mehr zugänglich. Eine richtige große Zusammenstellung stammt von 2015, aber dass die Zahlen veraltet sind - offensichtlich. Nun müssen Verleger nicht ihre Zahlen, Daten, Fakten ins Netz stellen, aber offenbar ist es gut und billig, ständig über fallende Werbeerlöse zu nörgeln. Und man könnte auch annehmen, dass Verleger sich doch mit ihren Erfolgen brüsten! Aber offenbar scheint das mit der Paywall nicht unbedingt zu greifen. 

Schließlich ist dieses Internet ja mit dem Geburtsfehler entstanden, dass Informationen frei für alle zugänglich verfügbar sind. Dass das Internet nicht für Verleger erfunden wurde, sondern Verleger das Internet nutzen um ihr Monetarisierungsmodell zu erweitern - das kommt in den Debatten nun selten vor. Dass Informationen im Netz nicht immer richtig sind, dass Leute auch gefälscht Nachrichten verbreiten, um ihre eigene Agenda voranzutreiben - auch das ein Geburtsfehler des Netzes. Unbestritten. Das Problem ist allerdings - wie so oft - nicht das Instrument an sich, sondern wie das Instrument genutzt wird.

Doch zurück zu Lück oder zum Thema an sich: Dass Verlage versuchen, die fehlenden Anzeigenerlöse im Print durch das Aufstellen einer Paywall zu lösen, ist nichts Ehrenrühriges. Und verständlich. Dass das natürlich nicht komplett gegengerechnet werden kann, das ist auch logisch. Allerdings muss der Anreiz dafür, um Geld für ein Abo dazulassen schon sehr hoch sein. Das kennen wir vom täglichen Einkaufen: Der Nutzen muss höher sein als die Kosten. (Manchmal ist der Nutzen auch nur imaginiert oder gutes Marketing. Natürlich.) Nur, wenn ich das Gefühl habe wirklich einen Mehrwert zu bekommen, dann werde ich Geld hinlegen, um hinter die Paywall zu gelangen. Ich lege ja auch Geld für einen Schwamm hin. Ich meine, 4,- Euro für einen Putz-Schwamm! ABER: Der ist im kalten Wasser hart, wird im warmen Wasser weich, hat diese Zacken für die Ecken, diese Öffnung für Löffel und Messer und... Ähm. Ja. Nutzen. Ihr verstehe schon. Hoffe ich. Ähm.

Nutzen generieren möchten vor allem die Lokalzeitungsblätter mit ihren Paywalls. Ob die Funke-Gruppe, Lensing oder wer auch immer gerade das Monopol in der Region hat: Sie verstecken gerne Nachrichten über die Region und die Stadt hinter einer Paywall. Aktuell bei der WAZ etwa eine Übersicht, wo in welchen Städten im Pott gestreikt wird - okay, neuer Test, der Alzheimer voraussagt ist nicht lokal, könnte aber sein, dass eine Uni im Pott das entwickelt hat. Ärztemangel in Olpe. Resümee des Jazz-Festivals in Bochum. Es sind also Artikel, die wirklich von Interesse für den Leser sein könnten. Und sie sehen - zumindest wenn man sich die ersten Zeilen durchliest - nach dem aus, was man als qualitativ gute Artikel einstuft. Ja. Die WAZ und qualitative Artikel. Falls jemand aus dem Pott das jetzt lesen sollte: Sie sind halt besser, als manches Andere, was die WAZ macht.

Denn: Wer nicht aufpasst, der landet auf der Suche nach Nachrichten bei der WAZ schon mal auf DerWesten. Diese Art von Portalen sproß in der Vergangenheit nur so aus dem Boden, weil - weil - na ja, BUZZFEED! Buzzfeed! Und Heftig. (Heftig gehört mittlerweile zur Funke-Gruppe, die die WAZ macht und man ahnt, woher das Aussehen und die Ästhetik...) Dass Buzzfeed in den USA eine erfolgreiche und gute Nachrichtenabteilung macht - neben der Quizze, Umfragen und den anderen belanglosen Unterhaltungsartikeln - scheint man immer zu übersehen. Ebenfalls hat auch der deutsche Ableger eine ernsthafte Nachrichtenorganisation. Es ist etwas - nein, es ist zutiefst, sehr und überaus ironisch, wenn Buzzfeed offenbar zuerst mit den Boulevard-Themen großgeworden ist, um dann auch ernsthafte Nachrichten zu machen, die Verleger in Deutschland aber ernsthafte Nachrichten gemacht haben, um dann vermehrt auf den Boulevard-News-Zug aufzuspringen.

Jetzt sind die Nachrichten auf DerWesten noch relativ - na ja - sie arbeiten schon mit den üblichen Überschriften, den üblichen Clickbait-Photos, bewegen sich aber noch einigermaßen im Rahmen. Dennoch fällt der große Anteil von Boulevardmeldungen - und natürlich Fußball - auf dem Portal auf. Und selbst etwas ernsthafter wirkende Artikel wirken durch die Aufbereitung extrem boulevardig. Der Leser wird geduzt, die Sprache ist teilweise dem Slang verhaftet: "Voraussichtlich ab Mitte Mai kannst du deinen Eimer Hotwings auf der Königsstraße futtern." Die Hauptfakten schön vorne am Anfang des Artikels in übersichtlichen Sätzen - für die "Zu Lang, Nicht Gelesen"-Fraktion. Spekulative Fragen, Vermutungen in der Überschrift - "Kommt ein Primark nach Duisburg?" Auflösung: Dazu sagt der IHK-Experte konkret nichts. Kurzum: Es ist das Sammelbecken für die Themen, die viele Klicks bringen. Denn viele Klicks: Mehr Umsatz, da die Werbeanzeigen öfters angezeigt werden. Ghostery zeigt übrigens 17 Analyse-Tools bei DerWesten an. Wer also momentan wegen Facebooks Datenskandal besorgt ist, beschwere sich bitte auch bei der WAZ...

Kleiner Exkurs: Diese Strategie findet sich auch beim Boulevard-Portal schlechthin, das ja eigentlich nur "Angst, Hass, Titten und den Wetterbericht" - Die Ärzte - verbreitet. Richtig, auch BILD packt die interessanteren Themen hinter die Paywall. Ich möchte jetzt nicht zitieren, was ich momentan da sehe, aber "Angst, Hass, Titten" passt schon. Wie geschrieben: Kosten - Nutzen.

Auf der einen Seite also die jugendlich-hippen Portale - und die WAZ ist ja nicht die Einzige, die sowas hat - mit Boulevard-Journalismus-Nähe, weil das Themen sind, die bei den Lesern ziehen. Man schaue sich mal die Top-10-Liste auf DerWesten an, was für Artikel da geklickt werden. Auf der anderen Seite dann die Artikel, die gut recherchiert sind, aber hinter einer Paywall stecken. Wenn dazu noch die andere Seite der Nachrichten kommt, wenn aus gezielten Quellen noch Fake-News gestreut werden und Portale neu aufgesetzt werden - die AfD drohte ja schon damit - um die eigene Agenda mit falschen Nachrichten zu unterfüttern, dann fragt sich: Wo wird sich Derjenige, der gezielt Nachrichten sucht bedienen?

Die Antwort: Dort, wo er nichts bezahlen muss. Also bei den Portalen, die Boulevard-Journalismus bieten. Portale, die einen einfachen Zugang zu Informationen gewähren. Ob die nun stimmen, ob da Stimmung gemacht wird gegen bestimmte Gruppen in der Gesellschaft, ob das seriöser Journalismus ist; der Hahn, der danach kräht, der muss erst noch geboren werden. Hauptsache, die Kasse stimmt erstmal und die Sensationslust ist befriedigt. Dass die mit künstlichen Mitteln angefeuert wird, ja, wen juckt das schon.

Der seichte, sensationslüsterne Billigjournalismus schwimmt wie Fett schillernd auf der Oberfläche des Internets, während die guten, informativen Reportagen im Mariannengraben der Paywalls versenkt werden. Sensationsheischende Meldungen, die darum betteln in den Sozialen Medien geteilt zu werden und dadurch natürlich auch Vorurteile und Bilder übermitteln. Bilder, die falsch sein können, die aber nach dem Absenden des Tweets oder dem Schreiben des Facebook-Postings niemand überprüft und die unwidersprochen durch das Netz geistern. Auch, wenn sie das nicht gerne hören: An der aktuellen Stimmung bei gewissen Themen tragen Zeitungsverlage auch direkt eine Teilschuld. Wobei sie natürlich nicht für alles verantwortlich gemacht werden können, aber ja: Wer dafür sorgt, dass die qualitative Berichterstattung zugunsten des goldenen Kalbes geopfert wird, der darf sich nicht wundern, wenn ihm die Glaubwürdigkeit um die Ohren fliegt.

Ist das Dilemma auflösbar? Das Dilemma auf der einen Seite Geld einnehmen zu müssen, damit auf der anderen Seite Journalisten gut bezahlt werden und ihren Job machen können - obwohl das Anzeigenmodell nicht mehr greift? Vielleicht gibt es für das Problem momentan auch keine. Vielleicht gehört das momentan zu den Wachstumsschmerzen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Ein vorübergehender Zustand, eventuell, den wir erstmal so akzeptieren müssen. So schwer das auch momentan fällt, aber die Hoffnung bleibt immerhin, dass sich das Ganze irgendwann verwächst. Jedoch sollte man den Zeitungsverlegern auch ins Stammbuch schreiben: Man kann im Seichten sicherlich nicht ertrinken, aber erst im Tiefen lernt man richtig schwimmen.

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