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Room Number 1206

RomanRoom Number 1206

Jakob Mathiaschitz saß im Flugzeug nach Singapur, Economy Class, er half seiner Firma beim Sparen. Er hatte einen Fenstersitz, wie immer, wenn es irgend möglich war.

Er mochte das, hinaussehen, wenn das Flugzeug sich über die Rollbahn bewegte, auf der Startbahn beschleunigte, bis Take-off, es abhob und er sich plötzlich leicht fühlte, als wäre er aus Papier gemacht.

Move, Baby!. von Bright Angel)Es stieg hinauf, bis die Landschaft immer kleiner wurde und sich sein Blickwinkel ausdehnte, es schließlich die Wolkendecke erreichte, wo eine meist nur kurze Zeit es draußen lediglich weiß war, als es sie durchstieß, und sich dann direkt, so schien es ihm, unter der ewig scheinenden Sonne befand..

Er war von Linz aus geflogen, zusammen mit seinem chinesischen Kollegen, Dr. Yang Xiu, und dessen Frau, die zwar jung war, doch nicht allzu hübsch, ihre Augen waren rot schattiert, vorerst nach Frankfurt am Main. Sie hatten ein paar Stunden zu überbrücken gehabt und waren in die Stadt spaziert, vorbei an einem Dolly-Buster-Sexshop. Das war so ziemlich das Einzige, was Jakob an dieser Stadt aufgefallen war. Jetzt saßen sie in dieser riesengroßen Boeing der Singapore Airlines, Dr. Xiu und seine Frau, Jakob wusste gar nicht, wie sie hieß, sie hatte sich zwar ihm vorgestellt, doch er hatte ihren Namen nicht im Gedächtnis behalten, er war für ihn nicht von Bedeutung, einige Sitzreihen vor ihm. Dr. Xiu war etwas verkatert, er hatte Jakob erzählt, er und seine Frau seien gestern lange mit ihrem Vermieter zusammengesessen und hätten Wein getrunken. Jakob hätte so etwas nie getan, das wäre ihm zu intim gewesen. Wenn er gelegentlich mit Frauen im Bett landete, deren Bekanntschaft er erst einige Stunden zuvor gemacht hatte, war er stets bemüht, zu ihr zu gehen und nicht zu ihm, damit er nach dem Akt gleich verschwinden konnte, denn es war ihm zu vertraut, neben jemandem zu schlafen, als ob sein Atem ihn verraten könnte. Jakob lebte seit eineinhalb Jahren in Micheldorf in Oberösterreich. Er stammte aus Kärnten, eigentlich ist es schwer zu sagen, von wo er stammte, er wurde in Klagenfurt am Wörthersee geboren, doch bereits nach einem Jahr zog er mit seinen Eltern nach Deutschland, sein Vater war dorthin gegangen, wo er die beste Arbeit gefunden hatte, so wie er jetzt, als eine Art eines modernen Söldners, und hatte die Familie mitgenommen. In Deutschland durchliefen sie mehrere Stationen, die meiste Zeit lebten sie in einem Dorf in der Nähe von Göttingen in Niedersachsen, das sich „Elliehausen“ nannte. Dann ging es, als Jakob neun gewesen war, für ein knappes halbes Jahr zurück nach Klagenfurt, worauf viereinhalb Jahre in Wien folgten. Der Vater baute während dieser Zeit ein Haus in Klagenfurt, in das sie zogen, als Jakob vierzehneinhalb war. Der Hausbau war durch Kredite finanziert gewesen. Als Jakob gerade fünfzehn war und seine Schwester Sybille sieben, gingen seine Eltern eines Abends aus. Sie fuhren mit dem Auto weg und kehrten nicht zurück. Sie verunglückten. Ein Betrunkener rammte sie frontal. Vielleicht war das der Grund, dass Jakob nur selten trank. Seine Schwester und er kamen daraufhin zu ihrer Großmutter. Das Haus war nicht zu halten. Es wurde zwangsversteigert. Als Jakob sechzehn war, lernte er Alina kennen. Es wurde eine Teenage Love Affair. Nach zwei Monaten zogen sie zusammen in ein gemietetes Zimmer. Die Großmutter war inzwischen unter der Erde. Zu seiner Schwester, sie ging später zurück nach Wien und wurde schwanger, war der Kontakt abgebrochen. Er hatte nicht ihre Adresse und keine Telefonnummer von ihr. Sie war ihm auch nie besonders am Herzen gelegen. Jakob wusste gar nicht warum, es war einfach so. Er unterhielt auch keinerlei Beziehungen zu seiner Verwandtschaft. Sie war für ihn schlichtwegs nicht existent. Jakob war ein Baum, der keine Wurzeln hatte, vielleicht würde er noch welche schlagen, aber noch nicht jetzt. Er war erst einunddreißig. Er lebte in einer kleinen Wohnung, die ihm die Firma „Thermoform“ stellte, die ihn rekrutiert hatte. Sie stellte Anlagen und Maschinen zum Bau von PVC-Fenstern und –Türen her. Jakob war der zuständige Asien-Verkäufer, mit Ausnahme von China, Hongkong und Taiwan, die Dr. Xiu betreute. Jakob fuhr einen Firmenwagen, einen schnittigen dunkelblauen Ford Mondeo. Die Firma versorgte ihn mit einem Laptop und einem Handy, in dem er auch seine privaten Nummern speicherte, die nicht allzu zahlreich waren. Er hatte, bis auf Sportgeräte, spezieller Multifunktionswäsche und seiner Kleidung nichts Eigenes. Nun war Nacht. Die meisten Passagiere sahen einen Gute-Laune-Film, der gerade lief. Jakob hatte die Kopfhörer aufgesetzt und hörte Country-Musik, die von der Weite der Prärie und unglücklichen Liebschaften handelte. Neben ihm saß eine junge Französin, die adrett aussah, sie war Sachbearbeiterin bei einer in einer ähnlichen Sparte tätigen Firma wie die seine. Sie war offensichtlich als Aufputz für die „Aseanplas“, die Kunststoff- und Kunststoffmaschinenmesse in Singapur gedacht, wo ihrer beiden Firmen sich und ihre Produkte präsentierten. Als sie sich neben ihn gesetzt hatte, wechselten sie einige Sätze, aus Höflichkeit, doch dann hatte Jakob aus dem Fenster gesehen, die Frau hatte das Zeichen verstanden, das lautete. „Ich wäre jetzt lieber ungestört“ und brach mit ihrem Redefluss. Jakob stellte sich vor, seine schöne Kollegin Ivana säße nun neben ihm, legte ihren Kopf gegen seine Schulter und ihre langen schwarzen Haare fielen über seine Brust. Ivana war nett, Anfang zwanzig und kokett. Sie arbeitete als Sekretärin parallel in zwei technischen Abteilungen. Jakob kam öfters mit technischen Anliegen zu ihr. In der Mittagspause scherzten sie miteinander. Sie kam aus Bosnien, war katholisch, einmal hatte sie für ihn übersetzt, als er mit einem Bankdirektor in Sarajewo telefonisch über eine Finanzierungsvariante verhandelt hatte. Anschließend hatte sie zu ihm gesagt: „Nimm mich als deine Sekretärin, Jakob, und du kommst nie mehr zum Arbeiten.“ An sich waren Frauengeschichten für Jakob im Berufsleben tabu, doch für Ivana hätte er vielleicht eine Ausnahme gemacht.


Jakob nahm die Decke und den Polster, den die Stewardess ausgeteilt hatte, er lehnte seinen Sitz zurück, gab den Polster unter seinen Kopf und hüllte sich in die Decke. Er zog die Fensterabdeckung herunter, wie ein Lid über ein Auge. Wie jetzt seine Lider über seine Augen. Das Flugzeug rumpelte von Zeit zu Zeit ein wenig, wenn sie in leichte Turbulenzen gerieten. Daher hatte er sich, um nicht von einer Stewardess in diesem Fall geweckt zu werden, vorsorglich angeschnallt. Er malte sich eine Szene aus, eine vielfärbige Frühlingswiese, rundherum Wald, Musik in der Form eines elektronischen Soundteppiches und Hippiemädchen, die tanzten, allerdings solche, die sich zurechtgemacht hatten, sich geschminkt, rasiert und die Nägel lackiert. Er könnte sich eine nehmen, wenn er wollte, sie würde nicht „Nein“ sagen, er könnte auch in den Wald gehen, der dunkel war, um Ruhe zu finden oder den Ursprung der Musik erkunden. Alle Wege stünden ihm offen. Doch es mischten sich Störbilder ein, das hasserfüllte Gesicht mit glasigen Augen, sie hatte getrunken, mit der er seinen vielleicht fantasievollsten Sex gehabt hatte, die ihm vorwarf, er benütze sie lediglich als „Sex-Puppe“, wie sie sich ausdrückte. Das hatte sich wirklich einmal ereignet. Auch der Soundteppich bekam Risse, verzerrte Töne woben sich in ihn ein und sehr niederfrequente, die ein Rumoren im Bauch verursachten. Dann kam ihm wieder Ivana in den Sinn, die letztjährige Sommerparty seiner Firma. Er hatte gehofft, sie würde sich sexy anziehen und sie könnten ihre Gespräche etwas länger halten und die Schäkereien vertiefen. Doch Ivana erschien in einer Jeans-Latzhose, ihr Haar war wirr und sie war zu stoned, um viel zu reden. Sie beachtete ihn auch kaum, jedenfalls nicht mehr als die anderen, er hatte sich einen meinetwegen auch nur geringen Beweis ihrer Zuneigung gewünscht. Nach zwei Stunden zog sie mit einem blonden, muskelbepackten Techniker davon. Der war wohl ein netter Kerl, ruhig, umgänglich, ein Bursche vom Land, der darauf stolz war, eine Geisteshaltung, die Jakob zu teilen vermochte, Jakob und er hatten ein gut kollegiales Verhältnis, doch in diesem Moment war er sein Konkurrent. Wahrscheinlich hatte er Ivana vorgeschlagen, mit ihm einige Lines Speed zu legen, und so hatte er sie für sich gewonnen, wohl nur für einige wenige Stunden, und es schien auch zwischen ihnen nichts gelaufen zu sein, Jakob hätte das in der Zukunft bemerkt, doch war er enttäuscht. Die anderen Mädels in der Firma, die auch anwesend waren, gaben ihm nichts, höchstens in beschränkten Maßen Renate, die Chefsekretärin, der er in Birmingham einmal an ihren Silikonbusen gefasst hatte, worauf sie gekünstelt auf seine Hand geklatscht hatte und gesagt: „Oh, lass das!“, aber das „Oh“ war ziemlich lang gewesen, in Wahrheit hatte es ihr wahrscheinlich doch gefallen, doch mit Chefsekretärinnen ist das oft eine gefährliche Sache, denn da steckt das Wort „Chef“ drin, und sie sind auch nicht so selten dem vorbehalten.

Jakob schaffte es nicht einzuschlafen, jedenfalls nicht bewusst, er döste stundenlang dahin, bis es im Flugzeug wieder laut wurde. Das „Frühstück“ wurde ausgegeben. Jakob zog die Fensterabdeckung wieder hoch. Da war wieder die strahlende Sonne, die nun über Asien lag. Eine Durchsage des Kapitäns drang durch die Lautsprecher, dass die Landung in einer halben Stunde erfolgen würde. Jakob stellte seinen Sitz wieder gerade und klappte das Tablett aus. Er pellte die Stanniolfolie von seinem Essensbehälter. So unterschiedlich auch die Speisen waren, sie rochen doch immer irgendwie gleich. Er aß nur einige Bissen Rindfleisch, Reis und Gemüse, das Dessert rührte er gar nicht an, dafür trank er zwei Tassen Kaffee. Viele der Passagiere drängten sich nun in langen Schlangen in die WCs, um sich frisch zu machen und sich vor allem die Zähne zu putzen. Jakob hatte keinen Alkohol getrunken. Er blieb, wie er war. Seine Sitznachbarin sah ihn groß an. „Jetzt geht´s los“, sagte sie. „Ja, stimmt“, antwortete Jakob, „wir sehen uns dann bei der Messe wieder.“ Er sah sie auch an, doch sein Blick blieb nicht an ihr haften, er ging durch sie hindurch. Die Stewardessen händigten Visa-Vordrucke aus. Jakob füllte seines aus. Dr. Xiu kam kurz vorbei und wünschte ihm einen guten Morgen, er schien geschlafen zu haben, denn er sah frisch aus. Das Flugzeug schraubte sich hinunter. Hier waren keine Wolken. Jakob sah das Land, das Meer. Es wurde immer deutlicher, Häuser, Straßen, Schiffe in der blauen See, viel Grün. Schon war die Landebahn in Sicht. Noch einen Kreisel, dann steuerte das Flugzeug auf sie zu. Es ging abwärts wie in einem Lift. Das Flugzeug setzte auf, schnell, sukzessive verringerte es seine Geschwindigkeit, bis es nur noch rollte. Es rollte gemächlich zum Gate, dies dauerte einige Zeit. Die Gangway wurde angedockt. Der Ausstieg begann. Jakob wartete, so wie für ihn üblich, bis der erste Schwung an Leuten vorbei war, er schnappte sich seine Aktentasche aus dem Gepäckfach über ihm, schloss zu Dr. Xiu und seiner Frau auf und ging zum Ausgang, wo einige der Stewardessen lächelnd standen: „Welcome to Singapore.“ Als Erstes fiel ihm das Warnschild in der Arrival Hall auf: „Drug traffickers will be killed!“ Die meinten es wirklich ernst hier. Gepäck vom Förderband holen. Alles da, gut. Sich in einer langen Schlange zur Passkontrolle anstellen. No problem, Zollkontrolle, manche Koffer wurden geöffnet, seiner nicht. Und jetzt raus aus dem Flughafengebäude, zu den Taxis. Die heiße Luft schwappte ihm entgegen wie eine Wand, die aus Plasma besteht. Palmen, kein Schmutz am Boden, nirgendwo, geradezu klinische Sauberkeit. Dr. Xiu, dessen Frau und er stellten sich in eine immens lange Schlange, die sich mehrmals um Eisengitter wandte. Taxis sind hier das hauptsächliche Beförderungsmittel, sie kosten nur wenige Singapur Dollars, wohingegen man, wenn man ein Auto besitzt, einen Abstellplatz dafür vorweisen muss, der sehr viel kostet. Alle Autos waren sauber. Ach ja, fiel Jakob ein, wenn ein Auto auch nur leicht verschmutzt ist, muss man Strafe zahlen. Hier ist alles reglementiert. Sogar Kaugummikauen ist verboten. Hier steht die Todesstrafe auf Delikte, für die man bei Jakob zuhause nicht mal in Untersuchungshaft gehalten werden würde. Dafür ist Singapur die sicherste Stadt der Welt. Eine der Geschäftsleute, die Drehscheibe Süd-Ost-Asiens. Nun waren nur noch wenige Leute vor ihnen. Die Taxis hielten hintereinander und die überwiegend Geschäftsreisenden flitzten zu ihnen. Fünf Leute vor ihnen, fünf Business People, vier Männer, eine attraktive Asiatin, auch in Business Style, drei Taxis standen. Das dritte war ihres, Gepäck in die Hand genommen und los, Dr. Xiu saß vorne, dessen Frau und Jakob stiegen hinten ein. „International Hotel, downtown“, der Fahrer nickte nur kurz und fuhr los.

Das Hotel war purer asiatischer Luxus. Dr. Xiu hatte es buchen lassen. Wahrscheinlich wollte er seiner Frau was bieten. Zahlte eigentlich ihre Firma für seine Frau auch mit?, fragte sich Jakob. Dr. Xiu war nur deshalb mitgefahren, weil er anschließend für einen Monat nach China fuhr. Seine Frau war aufgedreht, ihr gefiel es hier offensichtlich und sie betrachtete den Trip als Urlaubsreise. Was Jakob überhaupt nicht tat. Dr. Xiu stammte aus Xi´an, der Stadt im Norden Chinas, wo die Armee der Terrakotta-Krieger steht. Er hatte in Österreich, wo, war Jakob nicht bekannt, Technik studiert und zuvor in der Papierfabrik in Gratkorn gearbeitet. Zusammen mit seiner Frau hatte er eine achtjährige Tochter. Wer kümmerte sich eigentlich jetzt um sie? Alle drei waren sie mittlerweile österreichische Staatsbürger. Dr. Xiu hatte als Berufsbezeichnung im Visum „Business man“ angegeben. Bislang hatten Jakob und er immer ein recht gutes Verhältnis gehabt, ein rein geschäftliches, wie Jakob generell mit Kollegen fast niemals über Privates redete. Um es genauer zu definieren, gab es für Jakob außer seinen sportlichen Aktivitäten und gelegentlichen One-Night-Stands überhaupt nicht Privates. Dr. Xiu und er teilten das Büro und die Sekretärin, Nathalie, eine dickliche Französin aus Caen, die sich dümmer stellte als sie war, um sich Arbeit zu sparen. Jetzt aber schien Dr. Xiu zu spüren, dass Jakobs einziges Ziel hier war, Geschäfte wenn nicht abzuschließen, so doch wenigstens anzubahnen, und vermutlich hatte er auch bemerkt, dass Jakob seine Frau nicht besonders mochte.

Jakob checkte im Hotel ein, erhielt die Karte für sein Zimmer, welche als Schlüssel diente. Ein Room Boy nahm Jakobs Koffer und ging zum Aufzug. Jakob folgte ihm. Vor dem Aufzug standen ein sehr gut ein einen blauen Anzug gekleideter schon älterer asiatischer Geschäftsmann mit akkuratem Scheitel, womöglich ein Japaner, und eine jüngere asiatische Frau in einem dunkelgrünen Kostüm, stark geschminkt, sehr gutaussehend und mit grellrot lackierten Zehennägel, die sicherlich mehr war als nur seine Assistentin. Im Aufzug drückte der Room Boy auf den Knopf mit der Zwölf. Jakobs Zimmer lag im zwölften Stock, Room Number 1206. Es war viel zu groß, als ob es für ihn nötig gewesen wäre und sicherlich auch viel zu teuer. Jakob packte seine Koffer aus, stellte den Laptop auf den Tisch, schaltete ihn aber nicht ein, denn heute war ein Samstag, da war nichts Besonderes an elektronischer Post zu erwarten. Er putzte sich die Zähne, rasierte sich, ging unter die Dusche, zog sich neu an, schwarze Jeans und rotes Hemd, leger, doch nicht allzu sehr, wäre er hier alleine gewesen, hätte er eine kurze Hose und ein T-Shirt angezogen, aber da Dr. Xius Frau mit von der Partie war, wollte er nach etwas mehr Geld aussehen. Jakob sah auf sein Handy, nachdem er die lokale Zeit auf ihm eingestellt hatte. Es gab gar niemanden, der ihm so nahestand, als dass er ihn angerufen hätte, um ihm mitzuteilen, er sei wohlbehalten angekommen. Vielleicht würde die Phase von mehr Muße später einmal kommen, mit Frau, Kindern und Haus im Grünen, doch momentan war in seinem Leben die Arbeit angesagt. Er steckte Handy und Brieftasche in seine Hosentaschen, zog seine schwarzen, ziemlich teuren Schuhe an und begab sich zum Aufzug. Er war erschöpft und müde, doch wollte er nicht unhöflich sein und darum traf er sich nun mit Dr. Xiu und dessen Frau im Hotelcafé. Die zwei saßen bereits an einem Tisch. Dr. Xius Frau hängte sich an dessen Arm und lächelte. Sie war aufgeregt und unternehmenslustig. Dr. Xiu grinste über beide Ohren. Er war richtig happy. Erst als Jakob den Vorschlag machte, zum Messegelände zu fahren und ihren Stand aufzubauen, sah er ernster drein. Nein, das könnte bis morgen warten, sagte er, womit er ja nicht unrecht hatte, seine Frau und er würden eine City Tour unternehmen und Jakob solle doch mitkommen. Okay, wenn´s unbedingt sein muss, dachte sich Jakob, wieso denn eigentlich nicht, er arbeitete doch sonst fast ständig, schrieb lieber Reiseberichte, die er seiner Sekretärin und dem Verkaufsleiter mailte, als sich etwas anzusehen. Er sagte zu. Er zahlte die fünfundzwanzig Singapur Dollar an der Rezeption mit seiner Kreditkarte. Kurze Zeit später war der Bus schon da. Während der Zeit der wenigen Meter, die Jakob aus dem Hotel raus zum Bus ging, der klimatisiert war und abgedunkelte Scheiben hatte, kam es ihm vor, als verließe er ein künstliches Gebilde, bis ihm wieder die südostasiatische Hitze wellenförmig entgegenschlug, und er erneut in einem abgeschlossenen System landete. Er nahm am Fenster Platz, Dr. Xius Frau saß in der Reihe vor ihm am Fenster und ihr Mann daneben, sie war ausgelassen wie ein junges Mädchen, lachte und kicherte und fummelte an ihrem Mann herum. Die City Tour dauerte so ungefähr fünf Stunden, Jakob sah nicht auf sein Handy und Armbanduhr trug er keine. Er war wirklich schon sehr erledigt, das Schaukeln des Busses verstärkte seine Müdigkeit und er musste ständig dagegen ankämpfen, einzuschlafen. Er bekam nicht allzu viel von dem Trip mit. Was ihm im Gedächtnis blieb, war das Raffles Hotel, bei dem der Bus gar nicht Halt gemacht hatte, das ganz weiß war und säulenbesetzt, in britischem Kolonialstil erbaut, und dort besonders der Inder in der Fantasieuniform, der vor dem Eingang stand und die Neuankömmlinge begrüßte. Er trug weiße Handschuhe, das sah irgendwie ziemlich edel aus. Der Bus blieb an mehreren Plätzen stehen, die fast so steril sauber waren wie das Innere eines Krankenhauses. Der Fremdenführer erklärte ihre Geschichte, doch Jakob hörte nicht zu. Little India dann war etwas anders, auf jeden Fall viel lauter und lebendiger, der Geräuschpegel war höher, die Inderinnen trugen meist Saris, Sarongs wehten, die Männer waren im Allgemeinen mit Dhotis und Kurtas bekleidet. Es waren auch viel mehr Menschen an einem Platz als im übrigen Singapur. Und natürlich zeigte der Fremdenführer ihnen viele Geschäfte. Jakob kaufte jedoch nichts. Auch nichts aus der Fabrik, die billigen Glasschmuck erzeugte, die sie völlig unsinnigerweise besuchten, was auffällig lange Zeit beanspruchte. Chinatown was nichts Spezielles, Dr. Xiu, dessen Frau und er aßen Nudeln an einem Straßenstand, was in Asien fast nur in Singapur möglich ist, ohne sich als Europäer eine Lebensmittelvergiftung zuzuziehen.

Singapur, Chinatown. von Bright Angel)Ziemlich am Schluss dann gingen sie in den Botanischen Garten mit seiner prachtvollen Orchideensammlung. Jakob machte sich nicht viel aus Blumen, doch diese hier waren wirklich gewaltig groß, sie blühten in allen Farben und verströmten eindringliche Gerüche. Und dazwischen waren unheimlich viele verschiedene Arten von Palmen. So ähnlich stellte sich Jakob den Garten Eden vor, falls es diesen geben sollte, denn Jakob war nicht gläubig, zumindest spürte er davon nichts an der Oberfläche. Am Ende fuhr der Bus die Orchard Road entlang, die noble zentrale Einkaufsmeile, dann waren sie wieder vor dem Hotel. Jakob war erleichtert, die Tour hinter sich zu haben. Seine Wahrnehmung war schon etwas verzerrt, denn als Dr. Xiu und seine Frau sich von ihm verabschiedeten, drangen ihre Sprachmelodien gedehnt an seine Ohren. Dr. Xiu und er vereinbarten, sich morgen um neun zum Frühstück zu treffen. Das war wichtig, deshalb nahm es Jakobs Gehirn gerade noch auf. Sobald er in seinem Zimmer war, zog er sich bis auf die Unterhose aus, ließ die Sachen gleich auf dem Boden liegen, putzte sich nur schnell die Zähne und stellte den Weckruf in seinem Handy auf acht Uhr. Er ließ sich ins Bett fallen und deckte sich bis zur Hälfte zu. Jetzt schlafen, nur noch schlafen. Er legte sein Gesicht in den Polster, das einsank, seine Glieder wurden ganz schwer. Durch die Vorhänge drang ein Streifen Licht. Er dachte an zuhause, wo jetzt Winter war. Es war Schnee gelegen, als er in seinem Firmenwagen zum Flughafen Hörsching gefahren war. Das Letzte, was ihm in der Wachphase in den Sinn kam, war, dass wenn er jetzt verschwinden würde oder sterben, er niemandem abgehen würde. Er war ganz auf sich alleine gestellt.

Dann bog er ab in das Land der Träume. Es schneite in dicken Flocken. Er war auf einer Loipe, seine Füße steckten in Langlaufskiern. Er wusste, dass er viel jünger war als jetzt, obwohl er sich selbst nicht sah. Er befand sich auf einem abgelegenen Berg in Kärnten. Vor vielen Jahren, er rechnete nach, es war vor zwölf, er war damals neunzehn gewesen und lebte noch in Kärnten, hatte er dort eine Freundin gehabt, die etwas aussah wie die Romy Schneider. Sie war an den Wochenenden öfters zu ihrer Familie gefahren, die auf einem Bergbauernhof gelebt hatte. Manchmal hatte er sie begleitet. Das war eine mystische Gegend gewesen, man war hoch oben gewesen, und hatte eine weite Gegend übersehen, die nur aus Wald bestanden hatte und kaum je einem Gehöft oder einem Haus. War ein Auto die unbefestigte Straße vorbeigekommen, drehte man sich nach ihm um, da dies so selten geschah. Die Beziehung hatte nur wenige Monate gehalten, denn sie war nach Graz gegangen, um dort zu studieren, und er war in Klagenfurt geblieben, wo er gerade seine Reifeprüfung an der Höheren Technischen Lehranstalt abgelegt hatte. Sie hatten wohl noch miteinander telefoniert, doch bald schon hatte sie ihm mitgeteilt, sie habe nun in Graz jemanden kennengelernt und Jakob sei aus dem Rennen. Das hatte ihn damals tief getroffen, denn er hatte sie innig geliebt, sie war auch immer so fröhlich gewesen, und nach der Trennung war es, als hätte sie seine restliche Lebensfreude an sich genommen. Jakobs jetziger Traum spielte wohl in jener Zeit, als sie noch ein Paar gewesen waren, im späten Winter des Jahres 1998. Alle paar hundert Meter blieb er stehen, denn an den Laufflächen seiner Ski hatten sich Schneebatzen gebildet, die er entfernte. Die Bäume trugen Schneekronen. Jakob stieß sichtbare Atemwolken aus. Nun kam die Abfahrt. Zum Glück bremste der frische Schnee, denn sie enthielt etliche Kurven. Jakob meisterte sie, ohne zu stürzen. Nach wenigen hundert Metern auf ebenem Gelände im klassischen Stil, dann stand er vor dem Auto, das er damals in Wirklichkeit günstig gleich nach seiner Führerscheinprüfung erstanden hatte, einen zweitürigen roten VW Jetta, der schon stark rostbefallen gewesen war, ein wichtiges Kaufkriterium hatte es dargestellt, dass seine Langlaufski hineingepasst hatten, die zwei Komma fünfzehn Meter lang waren, der Wagen hatte sogar einen Skisack vom Kofferraum bis in den Innenraum gehabt. Jakob verstaute seine Ski und –Stöcke im Wagen, zog die Handschuhe aus, nahm die Haube ab, klopfte sich den Schnee vom Leib und tauschte seine Langlaufschuhe gegen Bergschuhe. Er trank etwas Tee aus einer Thermoskanne, saß einige Minuten untätig auf dem Fahrersitz, um zu verschnaufen. Jetzt hatte er wieder genug Kraft getankt. Er startete den Wagen und fuhr los, die Serpentinen des Berges hinunter, die ziemlich steil waren. Er nahm einen anderen Weg, als er ihn hinaufgenommen hatte. An seiner rechten Seite waren Bäume. Plötzlich aber waren keine mehr da, sondern nur noch ein Abgrund, der tief ins Tal reichte. Jakob fuhr eine Linkskurve, etwas glitzerte auf der schmalen Bergstraße, ungefähr fünf Meter breit, die er überwinden musste. Als alle vier Reifen sich auf dem glitzernden Etwas befanden, wusste Jakob, was es war, es war ein gefrorener Bach, und der in einer Kurve. Jakob lenkte nach links, der Wagen reagierte nicht, die Reifen hatten ihre Bodenhaftung verloren und schlitterten weiterhin geradeaus, direkt auf den Abgrund zu. Jakob hatte nicht mehr die Zeit, aus dem Auto zu springen, denn er war angeschnallt. Noch sah er, dass jetzt vor ihm und links und rechts nur noch Luft war. Die Schnauze des Autos bewegte sich nach unten, es schlug über. Jakob befand sich in freiem Fall. In wenigen Sekunden würde er sterben. Er sah schon einen Felsvorsprung vor sich, doch bevor auf aufschlug, erwachte er aus diesem Traum.

Zuerst wusste Jakob nicht, wo er sich befand. Er reiste sehr viel und ständige Ortswechsel waren für ihn üblich. Als Erstes sah er auf sein Handy, 06:48 Uhr. Er drehte sich noch einmal im Bett um, behielt aber die Augen offen, um den Traum abzuschütteln. Das Thema des Traumes war ein häufiges, Unfälle mit verschiedenen Autos in unterschiedlichen Lebensaltern. Er wusste nicht, woher das rührte. In Wirklichkeit hatte er lediglich einen Parkschaden verursacht, als Führerscheinneuling, und einmal hatte ihn ein entgegenkommendes Auto touchiert, das jenseits des Mittelstreifens auf seiner Straßenseite gefahren war, die Fahrerseite seines Wagens war ziemlich demoliert gewesen, doch er war gänzlich unverletzt geblieben. Er war als Kind auf seinem Fahrrad, als sie in Elliehausen gewohnt hatten, er war, ohne auf die Straße zu achten, aus der Hauseinfahrt rausgefahren, von einem Auto erfasst worden. Er war darüber geschleudert worden und hinter ihm liegen geblieben. Kurze Zeit war er benommen gewesen, dann war er wieder aufgestanden, er hatte gute Knochen, nichts war gebrochen gewesen. Er hatte lediglich einige Schürfwunden abgekommen, und das Fahrrad, das war natürlich nur noch Schrott gewesen. Doch das war ja schon so lange her gewesen, er träumte auch niemals, er sei auf einem Fahrrad oder ein Passant, stets befand er im Traum innerhalb eines Wagens. Während Jakob so über den Traum sinnierte, kehrte seine Erinnerung zurück, die Flugreise mit Karin, der Französin neben ihm, Dr. Xiu und seine Frau, die City Tour. Er war in der Löwenstadt. Die Bewohner dieser Stadt, die den Status eines Landes besitzt, hatte er mal gelesen, sollen die ehrlichsten Asiens sein. Vor etlichen Jahren hatte eine Zeitung einen Test gemacht, sie ließ auf Straßen von asiatischen Städten jeweils zehn Brieftaschen mit umgerechnet hundert US-Dollars liegen mitsamt Lichtbildausweisen. In Hongkong war eine Brieftasche zur Fundstelle gebracht worden, in Singapur neun. Wie viele würden es bei mir daheim sein?, überlegte Jakob, er schätzte drei oder vier. Zweck dieser Reise war die Aseanplas des Jahres 2010, die am Montag beginnen würde und bis Mittwoch dauern. Heute war der 10. Januar 2010, ein Sonntag. Am Freitag würde er wieder zurückreisen, in den Schnee Oberösterreichs, zu seiner Dienstwohnung in Micheldorf, das gleich neben Kirchdorf liegt, von wo ein ehemaliger Schulkollege von ihm mal gesagt hatte, er habe dort noch niemals ein hübsches Mädchen gesehen, und er hatte ziemlich Recht damit gehabt, zu seiner Dienstwohnung, die nicht sein Zuhause war, sondern nur eine vorübergehende Station.

Jakob hatte noch Zeit. Er machte ein mit seiner Handykamera ein Foto aus seinem Hotelfenster. Das war ein Spleen von ihm, von jedem Hotel, in dem er logierte, schoss er ein Foto. Die Fotos überspielte er anschließend auf seinen Laptop, und die Fotos von asiatischen Hotels ähnelten einander ziemlich stark. Meist sah man hohe Häuser, gelegentlich mit Glasfassaden, Straßen mit besseren Geschäften, die Markenware für Reisende vertrieben. Nur in Ahmedabad in Indien war es anders gewesen, da hatte er ein gewaltig breites Flussbett fotografiert, in dem Holz- und Wellblechbaracken standen, ein Slum, der regelmäßig zur Regenzeit überflutet wurde. Doch hier in Singapur, kaum ein Unterschied zu Tokyo, Bangkok oder Jakarta, nur wenn er Details näher heranzoomte, war es sauberer. Kein Wunder, wenn man einige hundert Singapur Dollars Strafe zahlen musste, wenn man nur ein Papierschnipsel fallen ließ. Jakob begab sich ins Bad, machte sich fertig für den beginnenden Tag, zog sich ein cremefarbenes Ralph-Lauren-Hemd über und eine schwarze Hugo-Boss-Hose mit exakt gezogenen Bügelfalten. Ein wenig Benetton-After-Shave aus dem achteckigen Flakon. Er hatte sich eine fremde Haut übergezogen. Nun war er bereit für die Aufgaben, die auf ihn warteten. Noch eine halbe Stunde bis neun. Jakob setzte sich in einen der bequemen Sessel, die mit teurem Stoff bespannt gewesen schienen. Er visualisierte seinen Tagesablauf. Eigentlich war ja nicht mehr zu tun, als ihren Messestand aufzubauen, besondere Gespräche standen keine an. Er sah wieder auf sein Handy. Die letzte Frau, die er aufgegabelt hatte, fragte er nicht einmal nach ihrer Nummer. Anfangs waren sie recht vertraut miteinander gewesen, sie hatte ihm erzählt, sie arbeite als Behindertenbetreuerin, dann war er ihr in ihre Wohnung gefolgt. Und sie wollte es auf die harte Tour haben. Sie zappelte unter ihm, sagte aber: „Na komm, mach schon!“ Ihm bereitete das keinerlei Vergnügen. Er hielt sie dann doch an den Händen fest, wobei sie ihre Augen verdrehte, nie schloss sie sie, es machte sie an zuzusehen, um auf ihre Kosten zu kommen. Vielleicht hätte es eine ganz gute Beziehung werden können, denn sie war interessiert an ihm und schien warmherzig zu sein, sie erzählte einiges über ihre Arbeit mit ihren Schutzbefohlenen, und, auch wenn Jakob womöglich seiner Welt oft zynisch begegnete, gegen Behinderte, egal ob körperlich oder geistig, hatte er überhaupt nichts, im Gegenteil, er empfand ihnen gegenüber, was bei ihm oberflächlich selten war, Mitgefühl. Mag sein, dass das daherkam, dass bei seiner Geburt die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt war und er wirklich Glück hatte, mit hellem Kopf der tatsächlichen Welt zu begegnen. Doch die sexuelle Vorliebe der Frau zerstörte die Brücke zwischen ihnen, noch bevor sie errichtet worden war. Er sorgte noch dafür, dass auch sie zu ihrem Höhepunkt kam, doch gleich danach zog er sich wieder an, teilte ihr mit, dass er früher raus müsse und verschwand ohne jede Bezeugung von wenn schon nicht lieben, dann doch wenigstens sie mögen, sie wert zu schätzen. Der Akt blieb ihm im Gedächtnis, als Negativum, denn er sollte die Rolle eines miesen Vergewaltigers spielen, doch die Frau war jetzt kaum noch vorhanden, nur war sie eben seine letzte gewesen und die Sätze, die sie von sich gegeben hatte, als er sie angebaggert hatte und sie dies voll und ganz erwidert hatte, waren doch ganz süß gewesen. Nur, da er ihre Nummer nicht hatte, war sie völlig seinem Leben entschwunden, und auch wenn sie einander wiedersähen, würde sie sich wohl nicht mehr auf ihn einlassen. Es war die Einsamkeit des Geschäftsreisenden, der hinter unterschiedlichen Masken verborgen nur das von sich preisgab, was ihm zu Erfolg verhülfe, die Jakob nun verspürte. Doch das kannte er schon, das war nur ein vorübergehender Zustand, der durch die Arbeit wieder verschwände, oder, besser gesagt, verdeckt werden würde. Obwohl er nicht so viel Zeit zur Verfügung hatte, schaffte er es recht oft, bei einer Frau zu landen schon nach wenigen Stunden ihrer ersten Bekanntschaft, er sah nicht übel aus, mittelgroß, aschblonde Haare, schon leicht grau an den Schläfen, eisblaue Augen oder von der Farbe von Stahl, wie man es nimmt, volle Lippen, sein Gesicht war ein ebenmäßiges und symmetrisches, zwar hatte er keine Muskelberge, doch eine stark ausgeprägte Tiefenmuskulatur, früher hatten manche Frauen gesagt, er sei ein schöner Mann, und so wie es aussah, war er es immer noch. Zudem war er eloquent, konnte witzig und charmant sein und, was womöglich das Wichtigste war, er vermochte es, hinter den Stirnen der Frauen ihre Wünsche zu lesen. Nur brachte das Jakob in diesem Augenblick herzlich wenig. Fakt war, dass praktisch alle seine Erlebnisse vergangene waren, die sich nicht revitalisieren ließen. Am häufigsten telefonierte er mit Nathalie, irgendein französischer Chansonnier hatte einmal ein Lied über eine Nathalie geschrieben, hätte er seine gekannt, dicklich, bebrillt und entweder tatsächlich oder nur aus Bequemlichkeit unbeholfen, wäre ihm dies sicherlich nicht eingefallen.

So, jetzt war es an der Zeit. Fünf Minuten vor neun. Jakob griff sich seine Aktentasche, eine schwarze von Delsey, die nicht nur teuer aussah, sondern es auch gewesen war, er wollte gleich direkt nach dem Frühstück zum Messegelände fahren. Das Buffet war opulent, es gab wirklich geradezu alles, wie in asiatischen Luxushotels, und er war in einem, üblich. Wenn Jakob alleine reiste, was meistens der Fall war, nahm er oft nur ein Frühstück zu sich, wofür er  sich eine Stunde oder sogar länger Zeit nahm. Dr. Xiu saß bereits an einem Tisch, er lächelte Jakob unergründlich asiatisch an, seine Frau schliefe noch, erklärte er ihm. Jakob ging als Erstes gleich rüber zum Buffet und machte sich den ersten Teller voll, dem etliche weitere folgen sollten, doch nicht ganz so viele, als wenn er keinen Begleiter gehabt hätte. Dr. Xiu redete nicht viel, er beobachtete Jakob ausforschend, achtete auf jede seiner Bewegungen und Gesten. „Na, Yang, ist es dir doch hoffentlich recht, wenn wir jetzt sofort zum Messegelände fahren?“, verlautbarte Jakob schließlich. Dr. Xiu war dies augenscheinlich überhaupt nicht gelegen, er verengte seine Augen zu noch schmäleren Schlitzen, setzte einen mürrischen Gesichtsausdruck auf und sagte, er wolle sich noch von seiner Frau verabschieden, zu Mittag müsste es doch früh genug sein. Jakob brachte das Argument, dass, was wäre, wenn ihre Ausstellungsstücke, die nur aus zwei Modellen, Bildern und Prospekten bestanden, nicht vor Ort wären, zum Beispiel im Zoll hängengeblieben, das war Jakob bei einer Plastindia-Messe in New Delhi schon mal passiert? Dr. Xius Haltung verkrampfte sich, und plötzlich ereignete sich eine kleine, unschöne, bösartige Szene. Dr. Xiu lächelte trotz seiner angespannten Gesichtszüge und fragte: „Du, Jakob, sag mal, änderst du wohl täglich den Nummerncode deiner Aktentasche?“ Jakob war bemüht, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen, doch wahrscheinlich war sie nicht zu übertünchen gewesen. Er wusste, dass es stets problematisch war, wenn die Partnerin eines Kollegen auf eine Geschäftsreise mitkam. Er hatte sich bei ihm auch bislang nicht zugetragen, doch vom Hörensagen war es ihm bekannt. Nicht nur deswegen, weil die Partnerin einen Business Trip als Ferienreise sah, sondern auch daher, dass sie negative Stimmung gegen den Kollegen ihres Partners machte, dem irgendwelchen Blödsinn erzählte. Ganz unvermittelt fiel Jakob jetzt der Name von Dr. Xius Frau ein, sie hieß „Fang“. Er ging nicht auf Dr. Xius Provokation ein. Er sah ihm nur direkt und relativ lange in die Augen, Asiaten haben das nicht so gerne und sagte betont gedehnt: „Weißt du was, Yang, ich schlage vor, wir treffen uns in einer halben Stunde wieder hier in der Lobby.“ Der Bruch war nun da. Es war weder zu übersehen noch zu überhören noch zu überfühlen. Dr. Xiu verzichtete auf eine Gegenrede, er antwortete lediglich: „Okay, wenn du meinst.“ „Ja, das tue ich“, entgegnete Jakob, im Grunde war es gar nicht so sein Ding, dass er das letzte Wort haben wollte, doch diesmal schien es ihm angebracht. Dr. Xiu ließ seinen halbvollen Teller stehen, stand auf und bewegte sich, ohne sich weiter zu äußern, davon in Richtung des Aufzuges.

Exakt eine halbe Stunde später verließ Jakob den Frühstückssaal und trat in die Lobby. Dr. Xiu wartete bereits mit einem Aktenkoffer in der Hand. Jakob nickte ihm nur kurz zur neuerlichen Begrüßung zu. Dr. Xiu nickte ebenfalls. „Na, dann wollen wir mal“, sagte Jakob, „ich werde uns ein Taxi bestellen.“ „Ist nicht nötig“, erwiderte Dr. Xiu, „ich habe das schon erledigt.“ Sein Tonfall war betont neutral. Das Taxi war bereits da. Dr. Xiu nahm am Beifahrersitz Platz, Jakob hinten. Der Taxifahrer war ein Asiate. „Exhibition Centre, please“, wies ihn Dr. Xiu an. Er sagte dies allerdings komplett verkorkst, verschluckte einige Buchstaben. Sein Englisch war mehr Radebrechen denn flüssige Sprache. Der Taxifahrer grinste: „Okay Sir, E-x-h-i-b-i-t-i-o-n C-e-n-t-r-e“, wiederholte er langatmig und fügte, an Dr. Xiu gewandt, etwas in Mandarin hinzu. Auf Dr. Xius Stirn standen Schweißtropfen. Er lächelte nur, was bei Asiaten oft ein Zeichen von Scham ist. Jakob registrierte befriedigt, dass er sich zum Affen gemacht hatte. Niemand mehr redete während der Fahrt. Sie war auch nicht lang. Sie waren bald dort. Dr. Xiu zahlte mit seiner Kreditkarte und ließ sich den Kurzbeleg aushändigen, er gab dem Taxifahrer kein Trinkgeld. Chinesen sind bekannt als recht rüde Geschäftsleute, sie verlangen viel und bedanken sich nur äußerst selten, auch wenn alles optimal geklappt hat, doch in diesem Fall war es verständlich: Wer schenkt schon jemandem was, der einen blamiert hat?

Vor dem Exhibition Centre war eine weite Fläche mit hellen Steinen ausgelegt, das Centre selbst war ein Zweckbau. Dr. Xiu und Jakob schulterten ihre Aktentaschen und spazierten hinein, wo es aussah wie in jedem Messegebäude, egal ob Wien, Düsseldorf, Birmingham oder Tokyo, sie sind alle gleich, „funktional“ ist wohl der passenden Ausdruck, nur ihre Größe variiert, die Aseanplas ist eine kleinere Veranstaltung. Sie hat etwas an Wert eingebüßt, früher wurde der Einkauf für ganz Südostasien in Singapur zentralisiert, heutzutage kaufen die meisten Länder direkt ein. Kontrakte werden bei Messen ohnehin praktisch keine mehr abgeschlossen, doch geht es darum, präsent zu sein. Was mein Konkurrent bietet, kann ich auch, und das noch besser. Man trifft Interessenten, Bekannte, Mitbieter, schielt zu den figurbetont gekleideten Messemädchen. Es ist primär ein Gesichtsbad in der Menge. Sie hatten den Stand 193 innerhalb des Gemeinschaftsstandes der österreichischen Außenhandelsdelegation. Durch sein vieles Rot war er leicht zu finden. Die gelochten Trennwände waren alle schon aufgestellt. Dr. Xiu und Jakob hatten nicht mehr als acht Quadratmeter. Sie wechselten einige Worte mit dem Gesandten und ließen sich von einem Verantwortlichen der Messeagentur ihre Kiste bringen. Alles war drin. Das erste Modell der Extrusionsanlage kam auf das weiter vorne stehende Podest, das der automatischen Kappsäge auf das hintere. Die hundert Prospekte, hauptsächlich englisch, ein paar deutsche, ein dünner Packen auf Mandarin, auf das Beistelltischchen gestellt. Fertig. Jeder setzte sich auf seinen Stuhl hinter dem kleinen runden Besprechungstisch, in der Mitte einige Vordrucke für Gesprächsprotokolle mit ihrem Firmenlogo, auf dem Teppichboden war kaum Platz für ihre voluminösen Aktentaschen. Ein äußerst unspektakulärer Anfang. Jakob wurmte es, dass Dr. Xiu eigentlich Recht behalten hatte, es war eine völlig reibungslos abgelaufene Angelegenheit von knapp zwei Stunden gewesen. Der Stand ihres wichtigsten Konkurrenten war dreimal so groß. Das war auch nicht so gut. Jakob wollte Kontakt zu den anderen heimatlichen Firmenvertretern suchen, es waren auch manche Bosse da, um sich ins Gespräch zu bringen, doch Dr. Xiu lag daran, möglichst bald wieder bei seiner Frau zu sein. In Ordnung, morgen sehen wir hier weiter, alles ist vorbereitet, gehen wir, meinte Jakob. Und, ganz kurz nur und darum wahrscheinlich ehrlich, grinste ihn Dr. Xiu an, mit breitest hochgezogenen Mundwinkeln.

In zwanzig Minuten waren sie wieder im Hotel. Fang wartete schon stark geschminkt, Zeitung lesend, in der Lobby. Sie winkte ihrem Mann zu. Jakob begrüßte sie, wie es der Anstand gebot. Dr. Xiu fragte, ob sie alle zusammen schnell beim reichhaltigen Mittagsbuffet was zu sich nehmen sollten, doch Jakob lehnte ab, es war ja doch eine eher rhetorische Frage gewesen, und überdies verspürte er überhaupt kein Hungergefühl. Sie würden bis neunzehn Uhr getrennte Wege gehen, was jeden der drei offensichtlich zu freuen schien, und sich dann zum Abendessen irgendwo unten im Hotelbereich wieder treffen, sähe man sich nicht gleich, es gäbe ja Handys.

Jakob hätte sich an den Hotel-Pool legen können, zwischen aufgeblähten Geschäftsleuten, muskulösen, braungebrannten Technikern und attraktiven jungen Sachbearbeiterinnen, vermutlich fast jeder Mann in seinem Alter hätte das getan, außerdem ist so ein Pool oft eine recht gute Kontaktbörse, man muss sich halt an die aufgedunsenen Typen halten, doch Jakob zog es vor, ein wenig herumzuwandern, sehen, was der Stadtstaat ihm bieten könnte. Was hauptsächlich Shopping-Malls waren, unzählige, eine nach der anderen, man bekam hier alles, die Preise waren natürlich weit niedriger als in Österreich, aber doch höher als zumeist in Südostasien, Designerware hatte sowieso weltweit ziemlich einheitliche Preise. Aber Jakob brauchte nichts, er guckte sich bei den Sonnenbrillen um, er war sehr wählerisch, keine traf seinen Geschmack, an Mitbringseln hatte er keinen Bedarf, außerdem waren fast alle hier kitschige Massenware und betont unpersönlich, als ob man denken sollte: weltweit tauglich. Nur manche gezeichnete Ansichtskarten erregten seine Aufmerksamkeit, er hätte sicherlich einige gekauft, wenn er jemanden gehabt hätte, dem er sie hätte schenken können. Und diese pingelige Sauberkeit! Gelegentlich wünschte sich Jakob einen großen Dreckfleck mitten auf einer der Straßen. Die Singapurer würden groß auf ihn schauen und gleich wäre irgendein Reinemachmann zur Stelle, der ihn wegmachen würde. In den Straßen bewegten sich die Leute weit schneller, aber doch weniger schnell als in anderen asiatischen Großstädten, in den Kaufhäusern dafür betont langsam, abwägend, gustierend, zur Freundin genau auf ein Produkt weisend. Einkaufen als Selbstzweck. Ganz arg hatte Jakob es in Makati, dem Nobelstadtteil von Manila gefunden, wo er unlängst gewesen war. Gerade an den Feiertagen hatten die Geschäfte offen, durch die Horden von dünnen Filipinas zogen, die all die ausgelegten Waren bestaunten und doch höchstens das Geld hatten, sich eine wohlriechende Seife zu kaufen. Was soll´s, dachte sich Jakob, so ist es halt, es ist ja auch eine logische Entwicklung: Die Städter wollen Geld, und wer Geld will, geht in die Städte. Ein oberschlauer Seminarleiter würde das eventuell als „Win-win-Situation“ bezeichnen, Jakob empfand es als kannibalistisch, aber so rennt nun mal die Zeit, und wer sie nicht zum Freund hat, der hat sie zum Feind.

Ab achtzehn Uhr fünfzehn saß Jakob in der Hotel-Cafeteria. Er war durstig und blätterte die Getränkekarte durch. Da hatte er etwas gefunden: „Beer with Mug“, was er orderte. Das Bier mag ein nicht allzu gutes Tiger-Beer gewesen sein, und die Kellnerin brachte einen Krug aus Steinzeug. Aha, „mug“ hieß also „Krug“. Auf dem Krug war ein Bild von einem weißen Gebäude und darüber die Aufschrift: „Victoria Memorial Hall 1910“, und wirklich, „Tiger Beer“ stand noch darauf. Ein persönliches Andenken. Für wen?, sinnierte Jakob kurz, na, für mich selbst. Kurz vor neunzehn Uhr erschienen Dr. Xiu und seine Frau, sie bei ihm eingehängt, sie waren wahrscheinlich am Pool gewesen, oder auf dem Zimmer, vermutlich beides, denn ihre Gesichtszüge waren wirklich sehr entspannt. Sie winkten Jakob zu, als sei er ein Kind im Cowboyanzug bei einem Faschingsumzug und sie seine Eltern. Er hob ebenfalls seine Hand, er ließ den Rechnungsbetrag bei der Kellnerin auf sein Zimmer schreiben und ging zu ihnen rüber. Ist doch relaxter, wenn man sich wieder versteht, befand Jakob. Wohin gingen sie essen? In eines der Kaufhäuser. Nicht, dass Jakob Dr. Xiu vertraute, doch hieß er seine Wahl des Essens gut. Es wurde ein asiatischer Schnellimbiss, aber wirklich delikat und dazu sehr preiswert. Fang lehnte zwischen den kleinen Mahlzeiten ihren Kopf gegen ihres Mannes Seite, strich ihm über den Kopf, begriff seine Schulter. Die hier machen Vacancy, ich arbeite, sagte sich da Jakob, doch war das schon eine einseitige Sichtweise, denn Dr. Xiu war wohl schrullig, wenn er im Stress war, verhaspelte er sich auf Deutsch und konnte kaum noch reden, doch war er offener als die meisten Asiaten und unbestreitbar ein tüchtiger Verkäufer, der Umsatz und Gewinn brachte. Jakob hatte doch die Wesensart, zu erfolgsfixiert zu sein, zu verbissen, „immer locker, Jakob, immer locker“, hatte ihm Ivana einmal gesagt, wahrscheinlich wegen seines gehetzten Gesichtsausdruckes. Ja, weniger ist oft mehr, das musste er noch lernen. Außerdem, wer sagte denn, dass Dr. Xiu nicht arbeitete? Er riss sich zwar nicht das Herz aus der Brust, aber er erledigte, was nötig war. Seine Priorität lag natürlich bei der anschließenden einmonatigen China-Reise, Abflug war Donnerstagmorgen. Für Jakob war die Messe wichtiger. Er wollte immer das Maximum herausholen, die Zitrone auspressen, bis kein Saft mehr drin war, nur hätte es sein Nervenkostüm geschönt, aufhören zu pressen, nachdem die Zitrone bereits leer war. Manche Läden waren bereits durch Rolltore geschlossen, die umtriebigen Händler mit ihren gefälschten Markenuhren, Sonnenbrillen und Füllfedern, seltener welche mit Tüchern, standen noch überall herum. Nicht so aufdringlich hier wie anderswo in Asien, alles ist cheap und best quality, das ist es überall, hier in Singapur aber vermieden sie Körperkontakt. Dr. Xiu und Fang sahen sich beim Heimweg ein bisschen was an, Jakob nicht, denn er kaufte nur echte Marken. Schnöselig? Fand Jakob nicht, doch welcher Dummkopf hielte sich schon selbst für dumm? Jakob hätte sich selbst als puristisch bezeichnet, lieber weniger Dinge, dafür garantiert keine gefakten. Wenn die Zeit reif wäre, irgendwann vielleicht, würden es auch Eheringe aus Stahl tun, nur extravagant müssten sie sein.

Jetzt lag Jakob im Bett, um sieben würde sein Handy beepen, falls er nicht schon vorher den Weckruf rausnahm. Anzug, weißes Hemd, die hellblaue Krawatte mit den goldenen Seepferdchen und dem roten Schiff aus Surabaya hingen bereit, die Aktentasche war gepackt. Ab ins Land der Träume, doch selten waren die schön. Er dachte an Frauen, mit der Überlegung, dass ihn eine in seinen Traum begleiten würde. Wieder mal Sex zu haben wäre nichts Schlechtes, das hatte ihm sein chinesischer Kollege voraus, doch er präsentierte es ja auch wie auf einer Theaterbühne, schon echt peinlich. Die Asiatinnen waren ja alle leicht zu haben, doch mochte Jakob ihre unterwürfige Art nicht, so wie er auch keine Kerle mochten, die auf sie standen. Außerdem gefielen sie ihm nicht, bis auf die Inderinnen, die waren spitze, aber die musste man ja gleich heiraten. Hier in Singapur war Prostitution bei Todesstrafe verboten. Aber anderswo in Asien? Die Frauen waren so geldorientiert, dass sie ihren Schlitz gleich waagrecht haben sollten, damit man vorher auch seine Bankomatkarte hineinschieben könnte. Jakob lächelte über diesen Einfall. Böse Gedanken, das wusste er. Aber wer sagte denn, dass er gut wäre?

Zur Strafe begleitete ihn keine Frau ins Traumland. Es gab gar kein Traumland. Er schlief ein. Schwarze Periode. „Peep-peep-peep“, machte das Handy, mit sich steigernder Lautstärke. Diesmal legte Jakob sich eine Armbanduhr an, eine Swatch mit silbernem Ziffernblatt und gelben Lederarmband samt goldenen Punkten, die gleichzeitig hip und schwul, oder zumindest ziemlich weibisch aussah. Fang fuhr sogar mit zur Messe. Zu dritt hatten sie in ihrem Mini-Stand nun wirklich keinen Platz mehr, zudem hatte man Dr. Xius Gattin auch nicht gerade als optischen Aufputz bezeichnen können. Der von Jakob erhoffte Besucher-Ansturm blieb auch aus, nach zwei Stunden hatten wohl etliche Einkäufer, Techniker und Geschäftsleute ihren Stand passiert, aber keiner hatte ihn besucht, nur zwei oder drei Kataloge gingen weg. Jakob sah rüber zum etwas größer als ihrer seienden Stand von ihrem jüngsten Konkurrenten, den Gerd Friesacher und eine hübsche Asiatin betreuten. Friesacher war früher Leiter der Projektierung in seiner Firma gewesen, seine neue kopierte hauptsächlich, er galt als umtriebig und fähig und war, wie Jakob erfahren sollte, nachdem sie einander Handzeichen gegeben und geplaudert hatte, ausnehmend witzig. Mittelgroß, breite Brust, längere Haare als unter Technikern üblich, er hielt seine Assistentin am Laufen, er lachte oder zumindest grinste viel, machte auf locker. Er war Jakob auf Anhieb sympathisch. In seiner Firma ging die Mär, er habe einmal mit einer chinesischen Delegation, bei denen wird ja jeder auch nur minimale Brustansatz mit einem schwarzen Balken übermalt, eine Misswahl besucht. Die Chinesen waren natürlich hellauf begeistert gewesen, und dafür bei der Abnahme kulant. Er war ein manischer Auto-Raser, er liebte die deutsche Autobahn, was Jakob grundsätzlich nicht behagte, doch zu Friesacher passte es, er war ein stimmiger Typ. Er erzählte Jakob, er messe seinen Erfolg an seinen Sportwagen, bei Thermoform habe er es bis zum Porsche gebracht, jetzt spitze er auf einen Ferrari. Jakob drehte eine ausgedehnte Runde. Nur ein paar Meter weiter, auch beim österreichischen Gemeinschaftsstand, war so ein knorriger, schon älterer Mann von einer ebenfalls in Micheldorf ansässigen Firma, die Maschinen für Teile von Rohren vertrieb, auch High-Tech. Er wollte nicht so richtig reden, wahrscheinlich fürchtete er, Jakob könnte ihm seinen Job streitig machen. Gut, Jakob war gut und gerne zwanzig Jahre jünger, doch der Chef war ja nicht anwesend, wer kleinkariert denkt, ist keine große Nummer, urteilte er. Es hatte generell den Anschein, als ob die meisten Aussteller die Messe nicht für so richtig wichtig einschätzten. Langsame Bewegungen selbst in den Eröffnungsstunden. Die teilnahmslosen Mienen sind Verkäufern ja überhaupt zueigen, aber diese waren es wirklich. Jakob besuchte die Opening Ceremony mit einer Rede des Premierministers, der als „His Excellency“ tituliert wurde. Nachdem die roten Drachen und goldenen Tatzelwürmer verschwunden waren, redete dieser bestverdienendste Politiker der Welt, über den guten Zusammenhalt der Asean-Staaten, über die prosperierende Wirtschaft, über die hohe Bedeutung dieser Exhibition, ohne jede Emotion, völlig gleichförmig, gestenlos, der schwarze Scheitel klebte am Kopf. Es hätte ebenso eine Politbüro-Veranstaltung in Peking oder ein Soldatenbegräbnis sein können. Auf dem Rückweg traf Jakob Karin mit ihren blondierten Korkenzieherlocken an ihrem Stand, der so groß war, dass sie sogar einen Extruder aufgestellt hatten und der abgesondert lag, ihre Firma war ja auch die Dependance eines amerikanischen Unternehmens, sie betreute gerade einen Kunden, Small Talk machen als akzentfrei mehrsprachige Betriebswirtin, Jakob war froh, keine Frau zu sein. Dr. Xiu saß auf dem einen Stuhl, seine Frau auf dem anderen, das Fach mit den Gesprächsprotokollen war noch immer leer. Und wirklich wahr: Fang hielt seine Hand, wie im Honeymoon. Es war die Idee des Besitzers ihrer Firma gewesen, eines kroatischstämmigen Handwerkers, der nur mich Ach und Krach die Gesellenprüfung als Elektriker geschafft haben soll, der es durch Instinkt und Härte zu dieser Firma gebracht hatte, sie war bereits seine dritte, und frühere Mitbesitzer allesamt finanziell und persönlich ruiniert, allerdings hatte er auch als genauer Techniker gegolten, genug vom Chef erzählt, seine Idee war es gewesen, Dr. Xiu mitsamt Frau mitzuschicken in der Hoffnung auf chinesische Unterhändler bei der Messe, und einige Tage später müsste er ja sowieso weiter, also läge Singapur irgendwie auf dem Weg. Und Yang Xiu, vermutete Jakob, hat wohl auch beim Chef insistiert, um seiner Frau was, für ihre Augen, Schönes zu zeigen und sie zu beeindrucken. So ein Blödsinn! Jeder hatte zwei Komma siebenundsechzig Quadratmeter Platz, und auch von dem war noch einiges vollgestellt. Jetzt waren die Xius dran, ihre Runde zu drehen. „Lasst euch ruhig Zeit“, sagte Jakob, als sie gerade im Begriff waren zu gehen. Es war geradezu so, als sähen die Messebesucher über seinen Stand hinweg. „Nimm´s nicht persönlich“, lautet der goldene Spruch der Wirtschafts-Krieger. Höchstwahrscheinlich ging es den anderen auch nicht anders. Er wünschte, er hätte seinen Laptop dabei. Friesacher sah ständig zu ihm rüber, er beobachtete ihn offensichtlich, er war eben ein echter Hai. Jakob ging in sich. Ob seine Eltern wohl auf ihn stolz gewesen wären? Sicherlich sogar! Beruflich, von großer Höhe aus gesehen, ging es bei ihm raketengleich aufwärts. Bei der Thermoform könnte er es bis zum Alter von fünfunddreißig, seiner Einschätzung nach, zum Verkaufsleiter gebracht haben. Nur noch den Besitzer über sich zu haben, die Firma machte zirka fünfundzwanzig Millionen Euro Jahresumsatz bei hundertsechzig Beschäftigten, klang gut in Jakobs innerem Ohr. Andererseits, wie war das noch, als der Besitzer den Verkaufsleiter, seinen Chef, der mit einer schweren Grippe zuhause im Bett gelegen war, in Jakobs Anwesenheit, das Telefon auf Konferenzschaltung geschalten, angerufen hatte und ihn nach Strich und Faden zur Sau gemacht und der unbeholfen zurückgekrächzt hatte? Jakobs Vater hätte, vielleicht, vermutlich, in ihm sein wohlgesetztes Ebenbild gesehen und seine Mutter hatte ja ohnehin nie Wert auf soziale Kompetenz gelegt, auf Jakobs Geburtstagskarten hatte sie stets neben „Glück und Gesundheit“ „viel Erfolg“ geschrieben, mit Rufzeichen, die wäre garantiert auch zufrieden gewesen, „nur Golf solltest du bald anfangen zu spielen“, hätte sie ihn jetzt noch angewiesen. Jakob entsann sich lediglich zweier fröhlicher, unbeschwerter Ereignisse, die er mit seinen Eltern verlebt hatte Beim ersten war er fünf und spielte mit seiner Mutter Mensch-ärgere-dich-nicht, als der Papa angetrunken von einer Firmenfeier nach Hause kam. Er machte Scherze mit Jakob, klopfte auf seinen Rücken, war lustig. „Der Papa ist krank“, sagte Mama, sie meinte seinen Rausch. Das zweite Ereignis war, als Mama mit seiner Schwester schwanger war, sie spazierten durch den Wald in Niedersachsen nahe der DDR-Grenze und Mama hockte sich plötzlich hin und pinkelte, Papa lachte und daraufhin auch Jakob. Das war´s schon mit den schönen familiären Momenten. Auch wenn seine Eltern noch lebten, er würde sich nicht bei ihnen geborgen fühlen, resümierte Jakob und kehrte zurück in die Außenwelt. Da waren gelangweilte Gesichter der Körper, die sich an seinem Stand vorbeischoben. Noch um einiges öfter als zu ihm sah Friesacher in eine andere Richtung, ungefähr zwanzig Meter von Jakobs Stand weg. Es war der verhältnismäßig große Stand eines Herstellers von Holzspielzeug, völlig atypisch für eine Kunststoffmesse, Hölzer, die man zu verschiedenen Figuren zusammensetzen konnte, was hauptsächlich ein junger, alternativ angehaucht zu scheinender Mann in hoher Geschwindigkeit vorführte. Und er verkaufte wirklich viele Sets direkt am Stand. Jakob kannte den jungen Mann, er wohnte bei seinen Eltern in einem geräumigen Haus mit großem Grund in der Klagenfurter Kreuzberglgegend, dem teuersten Viertel der Stadt. Jakob wohnte mit Alina, wohl nur für kurze Zeit, denn dann trennten sie sich, im Haus daneben in einer winzigen Mietwohnung mit defekter Wasserinstallation. Der Bursche, er kannte seinen Namen gar nicht, war der älteste von drei Brüdern, der Vater hatte eine regionale Boutiquenkette, die auf „Franco“ firmierte. Die vier liefen dauernd mit Eishockeyschlägern herum. Jakob hasste, damals wie heute, Eishockey und die verklüngelte Klagenfurter Oberschicht. Doch, man konnte nichts dagegen sagen, der nun junge Mann war schnell und vif. Friesacher war augenscheinlich von ihm beeindruckt. Okay, sitzen, warten, kurzzeitig kam Jakob auf die Idee, einen roten Papppfeil aufzutreiben und „Here to go“ oder was Ähnliches darunterzuschreiben, der auf seinen Stand weisen sollte, war natürlich Humbug, und man würde sich damit lächerlich machen. Jakob blätterte in einem Prospekt, Mandarin, auch egal, er kannte sie ja alle auswendig. Bis er zu Thermoform gekommen war, vor eineinhalb Jahren, hatte er ohne ein Stück Belletristik nicht einschlafen können, auch auf Dienstreisen hatte er immer Bücher mit, er hatte jedes Buch der „Phantastischen Bibliothek“ vom Suhrkamp Verlag gelesen, gerne auch las er amerikanische Storyteller und auch Philosophen, ja keine Bestseller und keine Mainstream-Themen durften behandelt werden. Das hatte sich völlig aufgehört. Bei der Thermoform wurde eine Technologie verwendet, die Jakob erst lernen hatte müssen, und es war viel Fachliteratur im Umlauf. Jetzt las Jakob die Plastic News und etliche andere Zeitschriften, auch solche wie den Harvard Business Manager, als Abendlektüre. Aber nicht auf Reisen, da las er gar nichts mehr. Und was er überhaupt nie mehr praktizierte, war die Schreiberei. Als er mit Alina zusammen gewesen war, hatte er Gedichte und kurze Geschichten geschrieben, und auch veröffentlicht, doch der Lernaufwand in der Schule wurde immer mehr und er mochte die Leute vom Literaturbetrieb nicht: alte Geilspechte, die sich an junge Mädels ranmachten, Schnorrer, die nur darüber redeten, wie sie Fördergelder einstreichen könnten, Seidentuch-Träger, bei denen man ein Fremdwörterlexikon brauchte, wenn sie den Mund aufmachten. Sie waren Jakob von ganzem Herzen widerlich. Nur wenn er Freundinnen hatte, kurzzeitig, schrieb er nicht nur SMSes und Mails, sondern auch Briefe, nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, pornografisches Zeugs, und Spanisch. Die Frauen waren alle sehr angetan von seiner Wortzimmerei, und ihm bereitete der Vorgang des Schreibens viel Freude. Vor einigen Jahren hat Jakob sich dann einmal über Veröffentlichungschancen erkundigt, ohne überhaupt Material zu haben, aber das hätte er schon rechtzeitig produziert, doch es wurde ihm beschieden, es sei schwierig, es dauere, man müsste jemanden persönlich kennen, also ließ er es bleiben. Seine Maturaarbeit hatte er noch in einem Ordner abgeheftet, sie handelte von Fausts Beziehung zu Gretchen, und Jakob sah in ihr ein, nicht wegen der besten Note, kleines Meisterwerk. Es reizte ihn jetzt schon sehr, Wortartistik in SMS-Form zu betreiben, soviel Künstler steckte schon noch in ihm. Wenn er gelegentlich etwas Dope und manchmal auch andres bei seinem Wiener Dealer kaufte, der Fotograf und ein netter Typ war, waren da ständig Kunden oder Freunde oder beides, die Unterscheidung ist da schwierig, mal baute der, mal der, da waren Theaterleute, die auch schrieben, Kunsthandwerker, Maler, Fotografen, Musiker, bis auf einen normalen Angestellten und einen Systemadministrator waren da eigentlich durchwegs Künstler, die waren nett und interessiert. Es ging relaxed zu. Das war die Welt, in der sich Jakob wohl fühlte. Und warum lebe ich jetzt in dieser hier?, dachte er, vielleicht steige ich irgendwann später aus und züchte auf Kreta Schafe und schreibe. Gut, Kreta und Schafe einmal sicher nicht, denn Griechenland mag ich nicht und Schafe sind blöde Tiere, aber schreiben, schreiben, das wär schon eine Option. Aber zuvor: Kopf hoch und Geld verdienen! Hier einmal und jetzt war er für seine Firma der Minusmann, für sie gab es momentan nichts zu verdienen. Er hatte sein Gehalt und für Singapur erkleckliche Diäten. Auszahlen tat sich Jakob gerade nicht. Belangloses Schauen der Messebesucher, einer wollte einen Prospekt, aber gar kein Gespräch, er rückte auch seine Karte nicht raus. Man braucht auch eine gewisse Gelassenheit, sagte sich Jakob, er stand ja sowieso wie ein Zitteraal dauernd unter Strom. Das war wirklich eines seiner Probleme: er konnte sich nicht entspannen, nicht mal beim Sport, nur beim Drogenkonsum gelang es, je mehr Drogen und je halluzinogener, desto besser. Ein Jahr vor dem Tod seiner Eltern nahmen sie ihn für eine Woche aus der Schule und er besuchte, es musste damals gerade neu gewesen sein und als vielversprechend vermarktet, die ehrgeizige, nicht besorgte Mutter drängte dazu, ein Seminar für autogenes Training bei einem Doktor Pfefferkorn in München. Es brachte überhaupt nichts, Jakob lag mit geschätzten fünfzig, meist älteren Leuten auf dem Boden und schaffte es nicht mal richtig, die Augen zu schließen. Sein Vater war damals nicht unnett zu ihm gewesen, sie schauten sich „Star Wars“ im Kino an und der Vater war stundenlang beim Hugendubel, viele Bücher anlesen und einige kaufen. München war damals noch schmutzig und staubig, und da Jakob seitdem nicht mehr dort gewesen war, war es das für ihn immer noch. Nur einem einzigen seiner Kollegen hatte sich Jakob wenigstens ein wenig verbunden gefühlt, dem jungen Controller der Firma, doch den hatte der Besitzer gefeuert, nachdem er bei der Kalkulation der Gestehungskosten der selbst gefertigten Maschinen und Werkzeuge jeweils ziemlich genau auf die Hälfte der offiziell verlauteten gekommen war. Die Lehre für Jakob daraus war, dass wenn man schon hinter die Kulissen blickt, soll man für sich behalten, was man gesehen hat. Der Controller war gleich alt wie Jakob, war lustig und vor allem gebildet, sowas mochte Jakob, und er hatte das für Oberösterreicher typisch breite Gesicht, den blassen Teint und die rötlich blonden Haare. Sie gingen einige Male gleich nach der Arbeit gemeinsam laufen. Der Controller wollte ständig schneller sein als Jakob und, obwohl relativ untrainiert, war er es sogar, dafür schaffte er nur kurze Strecken. Doch Jakob fiel auf, dass der junge Mann ihn eigentlich nur nach seiner Arbeit ausfragte, Controller sind ja bekannt dafür, die Spinnen zu sein, die ihre Netze weben und auf Beute aus sind, „to control“ heißt nun nicht direkt „kontrollieren“, sondern „steuern“, aber der Klang des Wortes war dennoch ein unsympathischer, und ihn nur oberflächlich Privates fragte, wonach Jakob den scheinfreundschaftlichen Kontakt abbrach und sich dafür alleine, öfters mal nach der Arbeit, den Berg hinaufschraubte, vorbei an einigen kleinen Höfen, den fast nicht begangenen Wanderweg entlang, in seinem ihm gegebenen Tempo, recht langsam, aber zäh. Und nur als er alleine lief, fühlte er sich befreit. Jetzt tauchten Dr. Xiu und seine Frau wieder auf. Sie waren was essen gewesen, sie sagten es nicht, aber sie waren es, denn Dr. Xiu hatte so eine eigene Art von Zufriedenheit nach dem Essen, so wie nun. Keiner fragte, was der andere getan hatte, weil man schon wusste, die Antwort würde lauten: „nichts“, oder eine gefällige Umschreibung dessen. Dr. Xiu sah in die immer noch leere Ablage für Gesprächsprotokolle. Jakob stand auf, damit Fang sich setzen konnte, sie hatten ja nur zwei Stühle, und seine Beine waren ihm aus Untätigkeit schon fast eingeschlafen. Er stellte sich etwas abseits und setzte einen leicht blasierten Gesichtsausdruck auf, um in Frieden gelassen zu werden. Er betreute seine Länder seit acht Monaten, vorher hatte er den Verkaufsinnendienst geleitet, wo er sehr viel Einblick in die Firmenstruktur hatte, er drängte aber nach draußen, und so hatten sie ihm Asien gegeben, ausgenommen die Teile, die rentabel waren. Sein Forecast fürs erste Jahr war nicht hoch und zum größten Teil hatte er ihn schon erfüllt. Doch für das zweite Jahr würde der Besitzer weit mehr verlangen, doch was Jakob eigentlich tat, war Kühlschränke an Eskimos zu verkaufen. Im Grunde genommen waren Kunststofffenster nicht für Tropenländer geeignet, da sie sich aufgrund der Hitze verbogen und vom intensiven Sonnenlicht verfärbt wurden, generell waren sie für Hochhäuser nicht zulässig, zudem verlangte man in fast allen seiner Länder billige Güter, in seinem Fall Fensterprofile mit geringer Wandstärke, für die wiederum machten sich teure high-quality Maschinen wie seine nicht bezahlt. Für Jakob hieß das wohl, dass wenn er nicht bald selbst vom fahrenden Schiff abspränge, würde man ihm nach Piratenmanier die Augen verbinden, die Hände fesseln und ihn mithilfe des Degens zwingen, die Planke hinauszumarschieren und in einem haiverseuchten Gewässer das Schiff zu verlassen. Oder er könnte natürlich auch andere Länder bearbeiten, Südamerika würde ihn reizen, er sprach auch Spanisch und hatte sich Portugiesisch mittels eines Lehrbuches selbst angeeignet, bei seiner letzten Firma war er unter anderem auch für Spanien und Portugal verantwortlich gewesen, sein Vater war nämlich auch Südamerika-Verkäufer gewesen, in Feuerfestprodukten für Stahlwerke, vielleicht deshalb, nur müsste Jakob dann erst den Südamerika-Verkäufer loswerden, doch der Besitzer mochte den. Schwierig. Gut, er las ohnehin jeden Samstag, den er in Österreich war, die Stellenanzeigen im „Standard“, in erster Linie, dann in der „Presse“ und auch, falls sie aufzutreiben war, in der „Kleinen Zeitung“, falls sich mal in seinem schönen Geburtsland ein guter Job ergäbe. Bisher hatte er allerdings seit seinem letzten Wechsel noch kaum auf Stellenausschreibungen geantwortet, doch er würde dies jetzt wieder intensivieren. Jakob sah in ein völlig ausdrucksloses Asiatengesicht, keine Ahnung, ob dahinter Glück, Interesse, Freude oder Trauer war. „Ja, das werde ich wirklich tun“, sagte er sich tonlos in diesem Moment. Und ging wieder sich die Beine vertreten. Diesmal schaute er bewusst, bei welchem Stand der Chef vertreten war, was nicht oft der Fall war, wenn, dann hatte er seine Frau mit, die blieb dann aber meist im Hotel, hatte Jakob in Erfahrung gebracht, und den Firmentrip als Lustreise konzipiert. Mehr als Belanglosigkeiten wechseln mit ihm war nicht drin. Aber eigentlich wollte Jakob ja sowieso Branche und Bundesland wechseln, nur in Österreich wollte er seine Basis haben, warum eigentlich?, er war doch ein Herumtreiber, keine Ahnung, es war eben so. In einer dreiviertel Stunde würde die Messe ihre Pforten schließen, Zeit für den Rückweg. Auf ihrem Stand saß Dr. Xiu gerade mit einem pockennarbigen, robusten Mittfünfziger zusammen. Seine Visitenkarte lag auf dem Tisch, nicht für Thermoform gedacht, sondern für Dr. Xiu persönlich. Der Mann war Chef einer Robotertechnik-Firma und interessierte sich für Dr. Xiu. Was der wohl an ihm fand? Egal, er wirkte, als läge er ihm gleich den Dienstvertrag auf den Tisch. Dr. Xiu war völlig asiatisch unterkühlt, als er Jakob sah, er hatte dem Mann sicherlich nur seine Privathandy-Nummer, er hatte nämlich ein zweites, gegeben. Unglaublich, Jakob glotzte sich die Augen leer nach Job Opportunities, während sie seinem Kollegen zugeflogen kamen, oder hatte der etwa, als er mit seiner Frau unterwegs gewesen war, etwa auch Sightseeing der besonderen Art betrieben? Der pockennarbige Mann wechselte mit Jakob einige kurze Sätze, mit Dr. Xiu längere, und sein Tonfall war da auf mehr Nähe bedacht. Der Mann stand dann auf und ging. Dr. Xiu und Jakob saßen noch in etwa eine viertel Stunde still nebeneinander, dann räumten sie die Modelle, die Prospekte und die leeren Gesprächsprotokolle in das absperrbare Kästchen. Jakob nahm den Schlüssel an sich. Friesacher zugenickt, der winkte zurück, auch seine Assistentin, ziemlich außer Puste. Game over für heute. Rein ins Taxi und ab ins Hotel. Im Taxi fragte Jakob Dr. Xiu, ob er Nathalie anrufen wollen. Dr. Xiu tat, als sei er verwundert über die Frage. Arbeiten, nein danke, es sich gutgehen lassen! Und so jemand steht kurz vor einem neuen Engagement, ist das gerecht?, fragte sich Jakob. Unter die Dusche, umgezogen, Laptop ein, eher weinige Mails, nur in einem Fall Handlungsbedarf, ein Kunde wollte einen Preis bestätigt haben. Handy her, zuerst Nathalie: „Hallo Nathalie, steht was an?“ „Nein, Chef, es ist völlig ruhig. Aber: Wir vermissen dich.“ Typisch Nathalie, wenn Jakob unterwegs war, war es am Basisstandort, „daheim“ war unpassend, immer ruhig, nie war was zu tun, laut Nathalies Version. Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Und vermissen würden Nathalie und ihre Kolleginnen, die früher allesamt Jakob unterstanden, eher Blattläuse im Garten. „Gut, Nathalie, verbindest du mich bitte zum Lohmann?“ Lohmann war der Verkaufsleiter, Jakobs direkter Vorgesetzter, fintenreich und eitel und geschäftlich an der Grenze zum Betrug, trotzdem, irgendwie mochte Jakob ihn, denn er brachte ihm was bei, half ihm, und das erwähnte er auch, seinen Marktwert zu steigern, für Jakob war er der Typ „nettes Arschloch“. Lohmann war im Stress, „ich würde jetzt gerne mit Ihnen tauschen“, sagte er, er meinte: Schnee gegen Sonne, er ließ Jakob den Preis bestätigen. Jakob schrieb ein kurzes Mail zurück. Was weiter am Programm stand, waren: Dr. Xiu, Fang, Kaufhaus, Uhrenverkäufer, freudloses Essen, diesmal einen Stock höher, aber nicht so schlechtes. Heim ins Hotel, ausziehen, Zähne putzen, Weckruf ins Handy eingeben. Bett, schlafen, träumen.

Jakob träumte, er fuhr mit seinem Vater im Herbst durch die niedersächsische Heide, er war acht. Papa hatte ein großes Fahrrad und er ein kleines. Sie fuhren Feldwege entlang, zwischen Äckern, die schon abgeerntet waren, bald würde man sie abfackeln, um sie wieder fruchtbar zu machen, dann sammelte Jakob leere Schneckenhäuser, vorbei an vielen knorrigen, alten Bäumen, die mit Misteln besetzt waren. Papa erklärte ihm: „Das sind Misteln. Sie sind Parasiten. Sie leben vom Baum. Sie sind gut gegen Krankheiten. Sie helfen sogar bei Krebs.“ Sie fuhren durch ein kleines Waldstück, wo dünne Fichten in ziemlich gleichen Abständen standen. Die Sonne schien durch und es gab wenig Unterholz. Bei einem Tisch machten sie Rast und jausneten Brot, Wurst und Käse. Jakob trank Limonade, Papa eine Flasche Bier. Als sie heimfuhren, warfen sie lange Schatten und dann breitete die Sonne eine purpurne Decke aus, unter der sie sich schlafen legte. Die letzten Meter entlang eines Flusses, das Wasser machte gurgelnde Geräusche.

Cut. Jakob wachte auf und ging pinkeln. Er sah auf sein Handy. Noch vor Mitternacht, noch genug Zeit, um in die Traumwelt zurückzukehren. Er drehte sich auf die linke Seite, atmete ruhig, schloss die Lider, hinter dem alsbald neue Sequenzen erschienen.

Es war später Sommer. Er war in Klagenfurt bei seiner Großmutter, der Mutter seiner Mama. Mama war auch in der Küche mit dem Sparherd in ihrer kleinen Wohnung am Kreuzbergl, Papa war in Deutschland geblieben, weil er arbeiten musste. Jakob war noch zu jung für die Schule. Oma machte sich gerade fertig, sie nahm sich einen großen Korb und gab Jakob einen kleinen. Sie gingen im Wald des Kreuzbergls Schwarzbeeren klauben. Manche aß Jakob gleich vom Strauch. Sie machten ihm einen blauen Mund. Als sie wieder in der Wohnung waren, richtete Mama Jakob eine große Schale Schwarzbeeren mit viel Zucker an, und wenn er danach noch Hunger hatte, eine zweite. Jakob schmökerte gerne in Bilderbüchern. Und zum Abendessen schmierte ihm Oma Honigbrote und bereitete ihm eine Tasse Kakao zu, den guten alten Bensdorp-Kakao, der bitter war und den man süßen musste. Omas Telefon läutete, Papa war dran, Oma holte Jakob zum Telefon, Papa fragte, ob er wohl Spaß hatte, alleine mit zwei Frauen, das kann ja schwierig sein, sagte er anschließend scherzhaft.

Jakob drehte sich einige Male hin und her. Ihm war heiß. Er streckte die Hand aus und stellte die Air Condition auf kälter. Er schlief wieder ein.

Jakob hatte bereits einen Bartflaum. Er saß mit Vater und Mutter in einem Zugabteil. Jakob wusste nicht, wohin sie fuhren, die Landschaft, die beim Waggonfenster vorbeizog, sah kärntnerisch aus, sie fuhren gen Süden. Vielleicht war Wien der Abreisebahnhof gewesen. Jakob genoss das Ruckeln des Zuges. Vater las die „Frankfurter Allgemeine“, die ihn bis auf die Beine verschluckte, Mutter machte Jakob Vorhaltungen wegen schlechter Schulnoten. „Albin, sag doch was“, stichelte sie den Vater an. Der legte kurz die Zeitung weg und sagte: „Jakob, so wie du dich verhältst, wirst du ein Versager bleiben.“ Jakob roch und sah auch Rauch vom Gang, immer mehr. „Feuer!“, hörte er Leute schreien. Und jetzt sah man es auch. Der ganze Gang war voller Flammen, als ob man ihn mit Benzin getränkt hatte. Sie zwängten sich ins Abteil. Im Nu erfasste es die Polstersitze. Hertha, Jakobs Mutter, begann an den Haaren zu brennen, Vater, dessen Zeitung sich augenblicklich entzündet hatte, auf der ganzen Brust, nur wenige Sekunden später auch im Gesicht. „Albin, Jakob, mein Sohn!“, kreischte Mutter in Todesangst, das Feuer hatte bereits ihren Oberkörper und das Gesicht erfasst. Jakobs Rücken brannte, er versuchte das Fenster hinunterzudrücken, um hinauszuspringen, doch er passte nicht durch die Öffnung. Er gab unartikulierte Schmerzenslaute von sich. Vater war bereits eine Feuersäule. „Jakob!“, brüllte er mit der letzten Kraft seiner Lungen und warf sich über ihn. Er hatte wohl in seiner Verzweiflung gedacht, er könnte Jakobs Feuer ersticken. Nun war das ganze Abteil, der ganze Waggon wie die Sonne, die Protuberanzen ausstößt.

Heftig atmend kam Jakob zurück ins Leben, nach Singapur, ins International Hotel, Zimmer Nummer 1206. 05:37 zeigte die Uhr am Kopfende des Bettes, und es müsste Dienstag, der 12.01.2010 sein. Der zweite Tag der lausigen Aseanplas stand an. Jetzt erstmal beruhigen, sagte sich Jakob, es war nur ein Traum, die ersten zwei waren realistische Erinnerungen, der dritte ein Fantasiegebilde, wer so was häufig träumt, und Jakob träumte sehr oft von tödlichen Unfällen, nur war er bislang meist alleine, ist natürlich mit sich selbst nicht im Reinen. Jakob wusste ja wohl, dass er es nicht war, er immer in Extremen unterwegs, und auch nur deswegen gut. Er war ein gehetztes Tier, als ob er ständig auf der Flucht sei, vor sich selbst, wie ihm eine Seminarleiterin einer Veranstaltung einer ehemaligen Firma einmal konstatiert hatte. Zudem wurde festgestellt, dass bei ihm Eigenwahrnehmung und Fremdbild eklatant auseinanderklaffte. Das war natürlich nicht gut. Vielleicht war Jakobs Turm des Erfolges nur aus dünnem Holz gebaut und seine Rakete schon flügellahm, nur merkte er es selbst noch nicht. Nun wäre eine Zigarette fein, doch Jakob hatte keine, denn er war Nicht-Zigaretten-Raucher, Joints wohl, beizeiten, und wenn, dann einige, viele, sehr viele, aber das ist etwas anderes, fand er. Er saß noch etwas untätig am Bettrand. Die Lust nach Rauchen ließ nach. Die kurze Selbstanalyse hatte ihn ganz gut beruhigt, und wieder auf Schiene gebracht, fuhr sein Zug denn in die richtige Richtung? Zu vielschichtig, das in diesem Moment zu bewerten, sagte sich Jakob, die Weichen habe ich ja bereits gestern gestellt, auf mittlere Sicht muss ein neuer Job her, eine neue Herausforderung, change time. Er musste sowieso die Messeberichte erstellen, und er würde mit Xiu akkordieren, dass er sie für sie beide schriebe, aber sie müssten dasselbe sagen, dass in Ermangelung von möglichen Aufträgen oder überhaupt Interessenten man keine Prognose erstellen könnte, auf literarische Weise hoffnungsfroh gestaltet, um Zeit zu gewinnen, doch weder Lohmann und erst recht nicht der Besitzer würden sich davon bluffen lassen. Naja, vielleicht täte sich ja doch noch was. Doch war es auch so, dass sich Jakob in diesem Metier, dieser Technik und diesen Ländern schon recht gut auskannte, daher interessierte es ihn nicht mehr so richtig. Bei der Thermoform war wohl die Luft schon ziemlich raus. Jakob würde die Augen offener halten als zuvor. Und, da er sich jetzt alles klargelegt hatte, würde er es zukünftig entspannter angehen, auch das mit Dr. Xiu und Fang, sollen die doch tun, was ihnen Spaß macht, er würde sie später nicht wiedersehen, warum sollte das an seinem Nervenkostüm zerren? Käme geschäftlich doch noch was Positives, wäre das eine unerwartete Wendung, wie ein Schwarm Glühwürmchen in der undurchdringlichen Nacht, deren Licht man mit dankbaren Händen annehmen sollte. Jakob machte sich zurecht, ließ recht lange das warme Wasser über seinen Leib perlen, die Krawatte ließ er vorläufig weg, und ging runter zum Frühstücksbuffet. Alles war noch vorhanden, er aß Würstchen und Bacon-and-Eggs, Schnittwurst, verschiedene Kuchen und Brötchen mit Honig und Marmeladen, trank viel süßen Kaffee, so lange, als ob es für ihn keine Zeit mehr gäbe, lokale Zeitungen wollte er keine lesen, denn die werden zensiert, und gefilterte Information ist wie ein Raubtier ohne Zähne. Schließlich kam Dr. Xiu, ohne Fang, stellte seine Aktentasche unter den Tisch, holte sich Suppe, aß auf Zeit. Er blieb gleich unten, während Jakob nach oben ging, sich die Zähne putzte und die Krawatte band, der Griff nach dem Aktenkoffer, Laptop auch?, er könnte im Internet surfen, nein, das war dann doch zu viel. Jakob hatte bei einem vergangenen Job in Kärnten, bald nach der Matura, als Verkaufstechniker in der Reinraumtechnologie gearbeitet, seine Kollegen und er saßen in einem Großraumbüro, der Chef hatte ein eigenes, kleines. Und fast immer, wenn man zu ihm reinging, um was zu fragen oder Bericht zu erstatten, spielte der gegen seinen Computer Schach. Da sinkt die Autorität dann natürlich gegen null. Runter. Taxi. Messe. Schrank aufgesperrt, die Materialien drapiert und Platz genommen, Dr. Xiu und Jakob. Warten. Den österreichischen Kollegen in ihren Ständen schien es schien es genauso zu gehen: In der Startrampe sitzen in Erwartung eines Starts, der sich immer weiter verzögerte, der Countdown sich wiederholend zu einer Litanei. Die Besucher kamen, manche hatten teils gefüllte Plastiksackerl, sicherlich von Prospekten. Auch vor Jakob und Dr. Xius Stand sammelten sie manche ein, Jakob oder Xiu baten um ihre Karten, gaben ihrerseits ihre, informierten sie nach ihren Wünschen und stellten ihrerseits Fragen. So kamen sie wenigstens zu Gesprächsprotokollen, die sie anschließend handschriftlich verfassten und die Visitenkarten anhefteten. Nach einer Stunde war es wieder ruhiger. Friesacher kam rüber auf ein paar Worte, gute Laune verbreitend. Ein australischer Forscher von einer Regierungsstelle erkundigte sich bei Jakob nach exakten technischen Daten, steif und korrekt, der surfte garantiert nicht. Dr. Xiu und Jakob saßen nebeneinander und plauderten, über ihre Firma, Dr. Xiu war schon länger dabei und sagte, der Besitzer übe extremen Druck aus, du kriegst höchstens ein Jahr zur Vorbereitung, dann ginge es los, verkauftest du, streichelte er dich, verlörest du einen Auftrag, schlug er dich, sprichwörtlich genommen. Auch wenn Dr. Xiu es nur aus Kalkül von sich gegeben haben sollte, was Jakob gar nicht glaubte, bestärkte es ihn nur in seiner Entscheidung zu wechseln. Er sah plötzlich viel mehr Farben, das Licht war heller. Aufbruchsstimmung. Längst noch war er jung genug. Jakob erzählte von seinem sportlichen Touren, das war unverfänglich, wie er sich, wenn er einige Tage frei hatte, sein schwarzes Kohlefaserbike samt Rucksack schnappte und über Radwege, Langstraßen, Berge Schleife für Schleife nach sich ziehend, gerne entlang Flüssen, unterwegs in billigen Unterkünften übernachtend, in weit entfernte Gegenden fuhr, immer ohne Helm, auch wenn es in rasender Fahrt abwärtsging. Man lernt die Gegenden so sehr gut kennen und fühlt sich ihnen verbunden. Es ist Bildersammeln im Kopf. „Fährst du alleine?“, fragte Dr. Xiu, und er lachte, als Jakob: „Ja, immer“ sagte. Dr. Xiu wollte sich nun etwas ansehen. Jakob blieb sitzen, es war wieder still geworden, er reiste in seinen Kopf.

Es war ein Freitagabend im Herbst des Jahres 1994. Vater hatte sich einen Smoking angezogen, mit ungewohnter Fliege, Mutter ein dunkelgrünes Abendkleid in einem Stoff, der wirkte wie Brokat. Sie schminkte sich im Bad. Ein Theaterabend stand an. Jakob, der in seinem war, sah durch die offene Tür, wie Vater hinten an sie herantrat und seine rechte Hand an ihre Taille legte. Mutter lachte auf. Das war sehr selten. Seine Schwester Sybille, sie konnte das gut, malte in ihrem Zimmer. „Kinder, macht euch keine Sorgen, bis Mitternacht sind wir wieder da“, sagte der Vater schon von vor der Tür. „Seid schön brav“, sagte pflichtbewusst die Mutter. Das Auto startete und sie fuhren weg. Dann brach Jakobs Erinnerung an sie ab. Er wusste, sie waren tot, konnte sich aber nicht daran erinnern, die Nachricht über das Unglück empfangen zu haben. Was passierte danach? Wie reagierte seine Schwester, er, Geschrei, Weinen, bei Jakob wäre, unpassend zwar, aber wahr, das Gefühl von Befreitheit denkbar gewesen? Was geschah? Es muss doch ein Begräbnis gegeben haben. Jakob hatte nicht den Funken einer Erinnerung. Ja genau: Wo waren sie überhaupt beerdigt worden? Wo lag ihr Grab? Wo? Jakob – wusste es nicht.

„Hallo Jakob, du siehst hungrig aus, soll ich dir eine Bulette holen?“ Jörn Diekmann stand vor ihm, sein sprechsüchtiger Indonesien-Vertreter. Jörn wippte im Stand. „Hallo Jörn, setz dich doch.“ Er nahm Platz. „Danke, das tut gut, mein linkes Knie macht mir nämlich Probleme, Kreuzband.“ Jörn, der Fuchs mit der randlosen Brille und dem Dauergrinsen auf den spitzen Lippen, ein typischer seefahrender Hamburger. Er war in Surabaya stationiert und hatte zirka dreißig Leute unter sich. „Wie geht das Geschäft, Jörn, Bedarf an unseren Maschinen? Was ist gerade dein Renner?“ „Generatoren laufen zurzeit gut, vor allem kleinere. Kunststofffenster, ehrlich gesagt, sind schwierig. Weiß du was, treffen wir uns am Abend. Passt dir neunzehn Uhr? Ich schreibe dir die Adresse des Lokales auf.“ Jakob sagte zu. Jörn gab ihm den Zettel. Er stand auf, und obwohl er humpelte, war er trotzdem zackig schnell. Jörn, einige wenige Jahre älter als Jakob, der sich von der Sekretärin seines übergewichtigen Chefs in Jakarta schikanieren lassen konnte und der unter Freiheit verstand, samstags um neun am Abschlag zu stehen - sonst keine Hobbys, Interessen: außer der Arbeit keine bekannt - und einen indonesischen Jungen totfahren zu können und dafür seiner Familie nur ein paar hundert Dollar zahlen zu müssen, keine Polizei, und die freuten sich sogar noch darüber. War das eine denkbare Perspektive? Jörn galt weithin als erfolgreich. Wollte das Jakob? Auf diese Weise natürlich nicht. Umdenken war angesagt. Jakob saß tatenlos herum, und im Gegenteil zu früher störte es ihn gar nicht. Friesacher kam herüber, während seine Assistentin wartete. „Darf ich?“, fragte er, auf den freien Stuhl zeigend. „Klar doch, bitte.“ Friesacher streckte die Hand aus: „Sag Gerd zu mir.“ Jakob drückte zu: „Okay Gerd, ich bin Jakob.“ Sie redeten zwanglos, Gerd erzählte ein bisschen was von seiner Frau, sie schien nur zuhause herumzusitzen, aber nicht, dass er zwei Töchter habe und sich gerade ein schönes Haus mit einer Unmenge an Fenster gebaut habe, was Jakob von ihm wusste. Er fragte Jakob nicht aus, wollte nur wissen, ob es „den Lohmann noch gäbe“, wegen dem sei er nämlich gegangen, „der ist ein Arsch“. Jakob erzählte überhaupt nichts Privates, nur was er beruflich vor diesem Job getan habe. Gerd sagte, seine Firma sei erst im Aufbau, es sei ein wenig schwierig. „Und was tust du, wenn´s nicht funktioniert?“, fragte Jakob. „Es muss funktionieren“, antwortete Gerd, sah zu Boden, ballte er nicht auch die rechte Hand zur Faust? Sicherlich, er hatte das neue Haus in der Nähe und als Alleinverdiener Frau und zwei Kinder zu versorgen. Beneidete ihn Jakob? Wegen seines Jobs nicht, im Gegenteil, Gerd war zwar eine Ebene über Jakob angesiedelt, aber er war unter Druck, konnte nicht einfach weg gehen. Um seine fixe Beziehung, Fragezeichen, um eine Frau schon irgendwie, aber nicht um eine geehelichte, die man jeden Tag sah, eine Freundin für gelegentliche gemeinsamen Stunden, ja, das wünschte er sich schon. Um die Kinder? Ja, das auf jeden Fall. Jakob sah zwar generell grantig drein, sodass ihm fast überall, aus Furcht wohl, Respekt entgegengebracht wurde, sich die Leute eher fern von ihm wissen wollten, doch, auch wenn er gar nichts sagte und irgendwo saß, wo Kinder waren, sie sahen groß zu ihm rüber, er sah sie geradewegs und freundlich an, manche der Kinder begannen Faxen zu machen, kamen zu ihm oder grinsten bloß still in sich hinein. Auch Katzen und Hunde mochten ihn, obwohl er Hunde nicht besonders leiden konnte. Also war er wohl doch kein Schlechter. Lieber allerdings wäre es ihm gewesen, zumindest eines der Kinder wäre ein Junge, Mädchen im rosa Prinzessinnenkostüm waren nicht so seins, Jungen waren unbeholfen lustiger, die wollten immer Weltrekorde aufstellen, Mädchen waren, wenn sie klein waren, meist brav und sich ihrer Grenzen bewusst. Es war ein angenehmes und wirklich lockeres Gespräch. Sie vereinbarten, am Mittwoch, wenn die Messe vorüber wäre, abends durch die Stadt zu ziehen und am Donnerstag tagsüber Sentosa Island, wo Gerds Hotel lag, zu besuchen. Gerd sah immer öfters zu seiner Assistentin, dass der nicht schon der Mund weh tat von ihrem eingefrorenen Außendienstmitarbeiter-Lächeln. „Ich muss“, sagte er. „Gut, tschüss, bis später“, entgegnete Jakob, streckte seine Hand aus, die Gerd mit festem Druck schüttelte. Dr. Xiu tauchte wieder auf, tauschte einige Sätze mit Gerd, lachte dabei, Gerd lachte auch. Der Sessel war noch warm, auf dem Dr. Xiu Platz nahm. „Na, Yang, wie war´s?“ Jakob sah ihr Verhältnis nun deutlich entspannter, ihre Wege trennten sich bereits. „Zwar nicht wenige Leute, aber kaum echtes Interesse“, Dr. Xiu grinste jetzt, „soll ich es sagen, oder sagst du es?“ „Mach schon ich“, sagte Jakob, „die Messe ist ein Flop.“ Dr. Xiu grinste immer noch und nickte heftig. Hatte Jakob nicht gestern noch gemeint, er könne bis in höchstens vier Jahren Lohmanns Job bei der Thermoform machen und heute wusste er, er müsste sich recht flott von sich aus davonmachen, um nicht gefeuert zu werden? War seine Selbsteinschätzung doch eine überhebliche? Gut, es war nicht seine Schuld, die Länder gaben nicht mehr her, er hatte vieles sehr zufriedenstellend erledigt, bislang war er immer profitabel gewesen, aber er hatte Mankos im Sozialverhalten, er war verbissen, der Besitzer sagte einmal, was übertrieben war, aber einen wahren Kern hatte, er habe ihn „noch nie lachen gesehen“. Die Leichtigkeit müsste er sicher erst lernen. Kann man das, sie lernen? Vielleicht sollte er regelmäßig, täglich kiffen, bevor er in die Firma ging? Nein, das war nicht ernst gemeint. Er war sicherlich zu wenig locker, der Klagenfurter drüben bei dem Spielestand war es, Gerd Friesacher beobachtete ihn ständig, als ob er ihn irgendwie engagieren wolle, an ihm hatte er weit weniger Interesse. Das war sicherlich ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunft: Jakob müsste mehr Show machen. Und fürs Erste vielleicht: Seh dich selber realistischer. Glaub nicht, du bist der Überflieger, sonst bist du nicht gewarnt, wenn du trudelst und zu stürzen beginnst. Jakob ging wieder los, und er probierte, einfach einen Smile aufzusetzen, wenn er mit Ausstellern redete. Und es funktionierte, die Leute waren bereit, mehr zu erzählen. Er schäkerte mit den Hostessen, viele blieben bloß höflich, aber einige stiegen darauf ein. Bei Geschäftsleuten war es ein von Jakob aufgesetztes Lächeln, bei den adretten Frauen ein echtes. Ein witziger Satz gab den anderen, doch irgendwann war die Zeit um, die Mädels mussten wieder an die Arbeit. Es war, als ob Jakob die Reste der Kunststoffwelt schnupperte, um sich später an sie erinnern zu können. Dann kam er wieder zurück und Dr. Xiu spazierte herum, sehr gut möglich, dass er ähnliche Gedanken hegte. Als er zurückkam, ging Jakob kurz zu ihrem ernstesten Widersacher. Da hatte alles mehr Linie. Der Verkäufer blickte streng, der ebenfalls anwesende Verkaufsleiter, der jünger war, war jovial und freundlich, aber natürlich nicht freundschaftlich, er erzählte nichts, fragte aber auch nichts. Der hinter einem Podest mit Prospekten stehende Friesacher war so ungefähr das Attraktivste, was Oberösterreich hervorzubringen hatte. Jakob ließ den Lichtblick hinter seinen Augen verglühen und plauschte mit Dr. Xiu. Er erzählte was über China, dass ein paar Demonstranten, wie die damals am Tiananmen-Platz, niemals ein so straff geführtes Regime stürzen könnten, China sei anders. Jakob wusste wohl, Dr. Xiu war, obwohl dem Pass nach jetzt Österreicher, stolzer Chinese. Jakob erzählte, was für ein luftiges Gefühl es sei, mit langen Kufen über das frische Eis des Morgens zu gleiten, die Sonne war gerade aufgegangen, das Innere des Himmels war noch dunkel, als ob die Nacht um ihren Bestand kämpfte. Niemand außer einem selbst auf dem winterlichen See, und „ratsch-ratsch-ratsch“ machten die Kufen, man war ein erdgebundener Vogel. Später redeten sie über Frauen, kurze Anekdoten, Jakobs waren erfundene und die von Dr. Xiu vielleicht auch. Die Frauen wurden auf Körperteile reduziert. Gelächter kam auf. Warum redeten Männer eigentlich so was, blanker Blödsinn, reduziert? Sie lebten ja nicht mal danach. Sowohl Dr. Xiu als auch Jakob schätzten Frauen als gleichwertige Partner. Ganz einfach: Weil es Spaß macht. Die Zeit war gekommen. Der zweite Tag der Messe überstanden. Heute nahm Dr. Xiu den Schlüssel, und Jakob fragte ihn im Taxi diesmal nicht, wer wann mit Nathalie telefonieren würde, denn er hatte nicht vor, es zu tun. Pfllichterfüllungsgemäß tat er es im Hotel dann doch, natürlich sagte sie wieder, es wäre tote Hose, die Mails konnte er beantworten, ohne mit Lohmann sprechen zu müssen. Duschen und etwas Legeres anziehen, um dreiviertel sieben bestellte Jakob bei der Rezeption sein Taxi, Diekmann stand an. Der Taxifahrer war ein typisch dünner, sehniger Asiate mit den verhärteten Gesichtszügen von jemandem, der schon einiges erlebt hat. Jakob reichte ihm Diekmanns Zettel. Sie fuhren durch die Häuserschluchten. Lichter der Nacht. Jakob war froh, für auch nur kurze Zeit alleine zu sein. „It must be hell, to be out of money here, isn´t it?”, fragte er den Fahrer. Sein Lachen klang ehrlich statt nur höflich. Ja, das sei es wirklich, und am schlimmsten sei das “caning”, man könne sich überhaupt nichts erlauben. Beim caning holt der Scharfrichter mit einem Rohrstock aus wie Roger Federer mit dem Tennisschläger und schlägt gegen das nackte Gesäß. Sprayt man eine Sonnenblume auf eine Hauswand, kriegt man ungefähr achtzehn Hiebe, wenn man ohnmächtig wird, werden die tiefen, blutenden Striemenwunden verarztet, man liegt einige Tage in seiner Zelle auf dem Bauch, dann geht´s wieder weiter. Der Ort, den Diekmann notiert hatte, war eine Bar. Jakob gab dem Fahrer mehr Trinkgeld als üblich. Diekmann saß im Freien auf einem Rattansessel. Während sie einige Biere tranken, erzählte Diekmann, seine Frau habe die Scheidung eingereicht, es würde teuer werden, Jakob spielte das im Kopf durch, würde er einmal heiraten, davor hatte er nämlich Angst, keine Kinder, der Mann zahlt für die Frau, oft ein Leben lang, und wenn er viel verdient, dann zahlt er viel, für nichts. Grauenhafter Gedanke. Dann beklagt sich Diekmann, dass zwei seiner besten Männer zur Konkurrenz abgewandert seien, die Indonesier kannten keine Treue. Er sagte wirklich „Treue“, er, der er ebenfalls zur Konkurrenz gegangen war mit einer ordentlichen Menge an technischen und kaufmännischen Unterlagen. Eigentlich redete die ganze Zeit über Diekmann, während sie bittere asiatische Biere tranken. Diekmann war ein guter Mann, angenehm mit ihm zu arbeiten, er war irgendwie nett, aber sicher nicht sympathisch, er hatte, bevor er nach Indonesien gegangen war, in Hamburg einen Bahasa Indonesia-Kurs besucht und seine Kenntnisse reichten für flüssigen Smalltalk, er wusste, worauf es geschäftlich ankam und unternahm schnell das Richtige, um den Auftrag zu ergattern. Über Kunststofffenster und die Maschinen dafür sprachen sie gar nicht, für Jakobs Firma gab es bei Diekmann in nächster Zeit nichts zu holen. Jakob verabschiedete sich, nachdem Diekmanns Redeschwall versiegt war, er sollte selber mit seinen Problemen klarkommen, aß in einem kleinen Lokal in der Nähe des Hotels eine Kleinigkeit, richtete seine Sachen für morgen und war froh, im weichen Bett zu liegen. Eine schlanke Frau mit festen Brüsten neben mir wäre jetzt fein, dachte er, bevor er die Augen schloss und sich auf die Seite drehte.

Im Traum war er mit einer Frau zusammen, die so aussah, wie er sie sich vor dem Einschlafen ausgemalt hatte. Sie fuhren in der Nacht über die Autobahn, es war warm, es musste Sommer sein. Jakob wusste nicht, wohin es gehen sollte. Er fuhr einfach. Sie machten bei einer Raststation Halt, um Kaffee zu trinken. Er fühlte sich gut, die Frau schien sich wohl zu fühlen, sie streichelte seine Hände. Sie setzten sich wieder ins Auto, weiter durch die Nacht. Die Gegend war ihm fremd, obwohl er wusste, dass er sie kannte. Plötzlicher Szenenwechsel: Die Frau und er lagen nackt im Bett. Er griff an ihre Brüste, wobei sie leicht zitterte. Die Frau beugte sich über ihn. Er wachte auf. Immer in solchen Momenten. Der Morgen kündigte sich bereits an.

Es hatte schon einen gewissen Automatismus an sich, rasieren, duschen, anziehen, frühstücken, heute wieder mit Dr. Xiu, noch mal rauf, Zähne putzen, Krawatte rum, Aktentasche in die Hand, Taxi, Fahrt durch klinisch saubere Straßen, Aseanplas, Schrank aufgesperrt, Modelle raus, Prospekte aufgeschichtet, ebenso die Vordrucke für die Gesprächsprotokolle, Gerd zugewunken, auch seiner aparten Assistentin, niedergesessen und tief durchgeatmet. Warten auf Kunden, die nicht kamen. Dr. Xiu war gedanklich schon bei seiner China-Reise. Er habe einiges zu verhandeln, sagte er, und der Besitzer erwarte sich eine sehr hohe Erfolgsquote. Zwei Millionen seien schwer genug zu erreichen, aber möglich. Wenn er damit nach Hause käme, frage der Besitzer: Wo ist die dritte? In allen Verkaufsabteilungen war der Druck hoch, aber hier war er exorbitant. Es gingen Gerüchte in der Firma um, der Besitzer wolle verkaufen. Jakob wusste es sogar konkreter, denn er hatte zu dem mittlerweile gekündigten Kaufmännischen Leiter ein gutes Verhältnis gehabt, der war Alkoholiker und redete viel im Suff, darunter erzählte er, dass der Besitzer einen Mehrheitsbeteiligten suche, um Kasse zu machen, denn der Geschäftszweig der Thermoform war ein stark aufstrebender, am höchsten im Kurs stand eine kanadische Firma, den Namen nannte er aber nicht. Jakob hatte wenige konkrete Aufträge in Aussicht, es war mehr so ein Vielleicht, Mag sein, in Japan dauerte es zwei Jahre, um auch nur einen Probeauftrag zu kriegen, und er hatte erst vor acht Monaten angefangen, die Koreaner waren mit ihrem Erzkonkurrenten verbandelt, woanders wurden Kunststofffenster in seinem Gebiet üblicherweise nicht eingesetzt. Manchmal gingen einzelne Werkzeuge, aber nie eine ganze Extrusionslinie. Der thailändische Handelsdelegierte, der dort stationiert war, hatte Jakob bei einer Tagung in Linz direkt gesagt, verbreitetes Marketing für sein Produkt in seinem Land machen sei okay, richtigen Verkäufer brauche es derzeit aber keinen. Jakob wusste nicht, was er Dr. Xiu entgegnen sollte, also sagte er nichts. Auf ihren Plastiksesseln wirkten sie wie zwei unterbeschäftigte Autoverkäufer. Der Stand des Holzspielzeugverkäufers war zwar offen, doch Show wurde keine geboten, der Klagenfurter war noch nicht da. Der Chef war sauer, er konnte das selbst nicht. Jetzt kam der junge Mann, Gerd ging auf ihn zu, Jakob schloss sich an, er habe verpennt, sei unterwegs gewesen, sagte er. Er hatte recht lange braune Haare, ein Lederband um die linke Hand gewickelt, er war aber sicherlich kein Jude, in der er ein abgegriffenes handschriftlich geführtes Auftragsbüchlein hielt, er hatte Jeans an und ein Batik-Hemd. „Kommst du heute abends mit?“, fragte Gerd. „Wann denn?“ „Gib mir deine Handynummer, dann ruf ich dich an“, Friesacher gab ihm einen Zettel, auf den der Klagenfurter die Nummer schrieb. Der Chef zeigte ihm, dass er ärgerlich war. Er kümmerte sich aber gar nicht darum, stellte seine Hölzer auf und begann mit der Show. Gerd und Jakob sahen zu. Er hatte echt flinke Finger. Da Jakob schon weg von Dr. Xiu war, ging er gleich weiter. Mit der Zeit kennt man die Gesichter schon, man wächst ein wenig zusammen. Jakob achtete mehr auf die Technik der Anlagen, um sich Kenntnisse zuzulegen. Man sieht nur die Oberfläche der Geschäfte machenden Menschen im Arbeitsleben, egal, welcher Rasse, sie sind alle gleich, austauschbar. Es ist so wie auf Flughäfen, wo man überall auf der Welt die gleichen Produkte kriegt. Jakob ging von Stand zu Stand, sprach aber niemanden an, signalisierte auch, nicht belangt werden zu wollen, verschaffte sich einen technologischen Überblick, und wo er bereits besser informiert war, achtete er auf Details, denn die waren es oft, die einen hohen Preis rechtfertigten. Die da an ihren Ständen standen, eher lungerten, waren ja auch in keiner anderen Lage als er. Nur Jakob war schon müde, müde von der Kunststoffindustrie, müde von Asien. „Geschlaucht“ war das treffendere Wort. Er würde zwischen diesem Job und dem nächsten eine Radtour machen. Das brauchte er. Und sich wieder, einige Male gleich, mit Drogen dichtmachen und ausgehen. Vielleicht traf er auch auf eine nette Frau. Er brauchte Privatleben, nicht nur dauernd Firma. Nun stand er vor dem Stand eines italienischen Herstellers von Spritzgussmaschinen. Der Verkäufer hatte übernackenlange Haare und eine Sonnenbrille hochgesteckt. Er sprach mit seinem Kollegen, verwendete dabei seine Arme und Hände und gestikulierte, dass man fast verstünde, was er sagte, ohne auch nur ein Wort zu hören. Jakob hatte jetzt alles durch. Er ging zurück zu seinem Stand, wo Dr. Xiu gelangweilt saß. „Sag mal, Yang, was macht eigentlich Fang?“, fragte er, um ein wenig sympathisch zu wirken. „Sie geht shoppen“, war die Antwort, „ich hoffe, sie kauft nicht die ganze Stadt leer.“ Das Problem hatte Jakob nicht, aber er hatte auch niemanden zum Anlehnen oder jemanden, der sich an ihm anlehnen wollte, auch niemanden, bei dem er sich aussprechen konnte, nur ein paar oberflächliche Freunde, die eher Bekannte waren. Jakob war wie der einsame Wolf, der den Mond anbetete. Auf Dauer konnte das nicht gut sein. Dr. Xiu und er unterhielten sich, über ihre Firma, über die Konkurrenz, über neue in Verwendung stehende Techniken, über irgendetwas, ganz gleich worüber, nur die Zeit sollte vergehen. Jetzt stand Dr. Xiu auf, um sich die Beine zu vertreten, er wollte auch eine Kleinigkeit essen. „Soll ich dir was mitbringen?“, fragte er, was Jakob ablehnte. Ein potentieller Kunde kam, merkwürdigerweise ein Russe, das sind interessante Kunden, die haben viel Schwarzgeld. Er war nicht uninteressiert, er wollte investieren. Vom Fenstergeschäft verstand er nichts. Jakob informierte ihn allgemein über die Technik und weit genauer über Profitmöglichkeiten. Der Russe war nett und entspannt, so wie Russen oft sind, großes Herz. Sein Leibwächter war dafür nervös, auch typisch. Jakob versprach, sein zuständiger Kollege werde sich umgehend mit ihm in Verbindung setzen. Das war der vielleicht einzige interessante Kontakt der ganzen Messe, und er betraf nicht ihn. Jakob sah auf seine Uhr, zwölf Uhr zwanzig. Blick in die Menge. Niemand braucht was. „Und ich brauche nichts von euch.“ Jakob kletterte in seinen Kopf und breitete seine Gedankenwelt gleich einem Teppich vor sich aus.

Es war im großen Garten des herrschaftlichen Hauses, in dem sie in Wien zur Miete wohnten. Der Garten hatte Bäume mit riesigen Ringlotten und Herzkirschen. Lianen rankten sich um verwachsene Sträucher, unter denen Hirschkäfer krabbelten und eine Igelfamilie Zuflucht gefunden hatte. Ein Tischtennistisch stand da. Eine Seite war hochgeklappt. Jakob war ungefähr zwölf und spielte gegen sich selbst. Er tat das fast lieber als gegen andere. Er war ein ziemlich guter Spieler, der zweitbeste in seiner Schulklasse, sie spielten mal bei dem, mal anderswo, mal bei Jakob im Garten. Es wurmte ihn, nicht der Beste zu sein, und deshalb trainierte er mit einer ziemlichen Besessenheit. Er packte Ball und Schläger erst weg, als die Sonne schon ihr rotes Abendlicht über dem Garten ausschüttete. Vögel saßen auf den Zweigen. Die rotgetigerte Katze des Hausherrn huschte jagend umher. Jakob war nur ein weiteres Lebewesen in diesem Garten, den die Natur gestaltete, wie es ihr beliebte.

Und hier? Jakob schwamm zurück an die Oberfläche. Eine immergleiche Messe in einem überreglementierten Stadtstaat, wo jede Pflanze akkurat beschnitten war, die Palmen so angeordnet, dass sie ins Stadtbild passten. Nichts bliebe hier dem Zufall überlassen, alles sollte vorhersehbar sein. Jakob wusste es nicht, aber als die drei hauptsächlichen Tugenden stellte er sich Fleiß, Sauberkeit und Anpassungsfähigkeit vor. Was ihm Spaß machte, war in Singapur nicht üblich oder verboten. Läufer waren hier fast nie zu sehen, und die wenigen waren ausländische Geschäftsleute oder Touristen. Überhaupt trieben die Asiaten sehr selten Outdoor Sports, in China beispielsweise wegen der miesen Luftqualität, sie trieben überhaupt wenig Sport, sie arbeiteten lieber. Konzerte fanden hier meist im kleinen Rahmen in Hotels statt, wie sich überhaupt viel in den künstlichen Gebildem der Hotels abspielte. Wenn man Drogen nahm und eine große Menge daheim bunkerte, bekam man vom Henker die Schlinge um den Hals gelegt und unter seinen Füßen ging die Falltür auf, kein Pardon. Mit Freizeitgestaltung sah es hier wirklich übel aus, zumindest für jemanden wie Jakob.

Dr. Xiu kam zurück, ausdrucksloses Gesicht. Jakob wollte nicht mehr gehen. Er hatte alles gesehen. Mit Gerd und dem Klagenfurter würde er die Zeit ab dem Abend verbringen, gute Kollegenschaften suchen, nicht Freundschaften, mit den anderen auf der Messe nicht mal das. Er wollte auch nicht mehr über Nebensächlichkeiten mit Dr. Xiu reden, er sah einfach nur geradeaus in die Luft, wobei er innerlich die Lider schloss.

Er entsann sich einer seltsamen Begebenheit, die sich einmal zugetragen hatte. Er hatte von Figuren geträumt, die metallisch waren. Sie vollführten bestimmte Handlungen, fuhren Ski oder Schlitten, manche gingen einem Handwerk nach. Die Figuren gingen bald wieder und machten einem andrem Traum Platz. Einige Tage später half er einem Kollegen, eine Kiste zu dessen Auto zu tragen. Er öffnete den Kofferraum, und da waren mehrere zirka zwanzig Zentimeter große aus Metalldraht geflochtenen Figuren zu sehen, eine von ihnen fuhr Ski, eine stellte einen Schuh her, eine hatte eine Schere in der Hand, die auf kleine Spanplatten montiert waren. Sie waren wirklich sehr kunstfertig. Griffen nun Jakobs Träume in die Realität oder war das nur Zufall? „Was ist das?“, fragte er seinen Kollegen. „Das sind Stücke von Kindern aus schwierigen Verhältnissen, im Rahmen des Werksunterrichts gefertigt. Falls ich es dir noch nicht gesagt habe, meine Frau ist Lehrerin.“ „Sie sind schön“, sagte Jakob. Der Kollege schaute leicht verdutzt, so einen Gefühlsausdruck wie „schön“ verwendete sein Kollege üblicherweise nicht. „Ja, sind sie“, antwortete er, „deshalb haben wir sie den Kindern auf für ein paar Euro abgekauft.“ Der Kollege fragte nicht, ob Jakob, gegen Zahlung natürlich, auch eines wollte. Das nächste Mal könnte er seine Kiste selber schleppen oder jemand anderen um Hilfe fragen, dachte Jakob. Er war kein Mystiker, glaubte nicht an Wahrträume, aber merkwürdig war dieser Vorfall doch.

Jakob hatte keine Bindungen. Wenn jemand starb, den er kannte, dann war es vielleicht schade, dass er nicht mehr mit ihm reden konnte, wenn er ihn gemocht hatte, aber das war´s dann auch schon. Das Gefühl von Trauer über den Verlust einer Person war ihm unbekannt. Er hatte zwar in seiner Firma, wie in den vergangenen auch, Kollegen, mit denen er gut zusammenarbeiten konnte und welche, die ihn mit Informationen versorgten, er aber kein dämlich businessmäßig gesprochener „Networker“. Dafür war es im Gegenteil so, dass bevor er mit einer Frau ins Bett ging, er immer eine Beziehung zu ihr aufbaute, nur oft hielt sie nur eine oder einige wenige Nächte, dann wurde ihm die Frau langweilig. Ein wenig leid tat es ihm immer noch um die Romy-Schneider-Frau aus seiner späten Jugend. Isabella war ihr Name Sie war so schön wie schlau wie interessant. Doch die Erdendrehung nahm eine falsche Wendung und warf sie ab, wo er stehen geblieben war. Jede Frau, mit der er auch nur wenige Stunden verbrachte, bekam ein bisschen von seiner Liebe ab. Auch wenn Blasen auf der Reeperbahn nur noch fünfzehn Euro kostete und Verkehr zwanzig, gab es da eigene unbeleuchtete Ecken, wo die Frauen knieten?, würde er sich nie dafür hergeben, da er sich dann auf ein läufiges Tier reduziert gefühlt hätte.

„Hallo Jakob“, Gerd Friesacher stand vor ihm. Seine Stimme durchschnitt Jakobs Gedankenwolle. „Ich schlage vor, ich bin um zwanzig Uhr bei euch im Hotel. Seid ihr einverstanden?“ Jakob wusste nicht, dass Gerd Dr. Xiu auch mit einbezogen hatte, aber die beiden waren früher ja Kollegen gewesen, wär auch okay. Dr. Xiu nickte. „Ja, ist gut“, sagte Jakob. Niemand fragte den anderen, wie denn die Messe für ihn war, sie waren schließlich Konkurrenten, war sie für Gerd ebenso mau?, seine Assistentin hatte jedenfalls echt viele Gesprächsprotokolle erstellt und Visitenkarten gesammelt, ging das lediglich mit Charme und gutem Aussehen?, denn das hatte sie ja wirklich. Als Gerd wieder weg war, fragte Jakob Dr. Xiu: „Sag mal, Yang, was hältst du von Friesachers Assistentin?“ Er erwartete sich die mit einem Grinsen unterlegte Bemerkung, dass sie sehr gut aussähe, doch Dr. Xiu sagte stattdessen: „Sie ist Chinesin. Ihre Eltern sind reich und haben gute politische Beziehungen.“ Woher wusste er das nur? Jakob hatte nie gesehen, dass er mit ihr gesprochen hätte. Da hat er wieder mal seine Chinesen-Connection spielen lassen, der kennt den, und jeder weiß was zu berichten. Sie musste so rund Mitte zwanzig sein, natürlich schlank und straff, nicht so ein rundes Gesicht, ihres hatte einen gewissen Ausdruck, und sie war fix und eine souveräne Arbeiterin. Hoffentlich, dachte Jakob, nahm Gerd sie abends mit. Natürlich wäre es ein etwas gefährliches Spiel, denn sie steht ja auf der Gegenseite, doch man könnte, sollte ja über seine, ihre Interessen reden, und gegen eine Nacht mit Küssen und Umarmungen auf Tüchern hätte Jakob heute garantiert nichts einzuwenden. Nun saßen sie wirklich nur noch herum, Dr. Xiu und Jakob. Sie sprachen viel und von geringer Tiefe, wie sie Oberösterreich fänden, Dr. Xiu erzählte von Ex-Kollegen, die Jakob nicht kannte, Jakob erzählte von Landschaften, in die er keine Personen stellte, dem aufmüpfigen Meer in der Flut von Calais, dem riesigen Industriehof in Sheffield, eine Stadt in der Stadt, deren Zeit abgelaufen war, von der vielfältigen Schönheit Kärntens, den Seen mit Trinkwasserqualität und den abgerundeten Bergen, wobei ihm das schon fast zu privat war, denn Kärnten stand ihm nahe. Sie plauderten stundenlang, ohne auch nur das Geringste ihrer Persönlichkeiten preiszugeben, bis die Kollegen rundherum schon einpackten. Endlich geschafft! Zeit zum Aufbruch. Sie ließen sich von einem Messeverantwortlichen ihre Kiste bringen, packten ihre Modelle und die Prospekte hinein, die Gesprächsprotokolle nahm Jakob an sich. Sie gaben den Schlüssel des Kästchens der Sekretärin der Außenhandelsorganisation, verabschiedeten sich von allen Kollegen, Konkurrenten am Gemeinschaftsstand, winkten Friesacher zum Abschied zu, und der Eingang zur Messe war nun ihr Ausgang geworden. Eine letzte Fahrt zurück ins Hotel. Jakob würde sie nicht abgehen. Jakob unterbreitete Dr. Xiu seinen Vorschlag, die Messeberichte, die aufgrund der Gesprächsprotokolle erstellt wurden, auch für seine Kunden zu verfassen und positiv und optimistisch darzustellen, den er jedoch ablehnte, er hielt sein Blatt doch lieber bedeckt. Im Hotel angekommen, ließ sich Jakob Zeit. Am Klo sitzend las er einen Singapur-Führer, der auf einem Tischchen lag. Er duschte sich langsam einseifend. Zog Jeans an und ein apricotfarbenes Hemd, eines seiner liebsten, die Uhr gab er nicht mehr ans Handgelenk. Er rief Nathalie an, nachdem er seine Mails gecheckt hatte, es waren nur Infos, nichts dazu zu tun, und fragte sich anschließend wieder einmal, warum er das eigentlich getan hatte, er ließ sich zu Smerslak durchstellen, dem Osteuropa-Verkäufer, und berichtete ihm von dem Russen und gab ihm dessen Handynummer durch. Die Arbeit war getan. Die Nacht konnte beginnen! Jakob setzte sich an die Hotelbar, trank einige Longdrinks, behielt dabei den Eingang im Auge, um Friesacher nicht zu verpassen. Er suchte Kommunikation, aber an der Theke war niemand, mit dem sich zu reden lohnte, selbstverliebte Geschäftsleute und Chinesinnen mit Pferdegesichtern. Nein danke. Jakob war eigentlich jemand, der viel dachte, aber philosophieren tat er seit seiner Jugend nicht mehr so richtig, damals war es etwas anderes gewesen, die Joints gingen im Kreis und Schwachpunkte der Gesellschaft wurden aufgezeigt und Lösungsmöglichkeiten diskutiert, den Mädchen verrutschten die Röcke und gaben schlanke Schenkel frei, jetzt aber fragte er sich nie so etwas in der Art wie: Wer bin ich und wohin gehe ich? Womöglich auch deshalb, weil sein Leben ein Selbstläufer geworden war. Wiewohl er viel von der Welt sah, war er vielleicht in einer engen Kammer gefangen, ohne es zu wissen. Fest stand, dass er mit praktisch niemandem, mit dem er arbeitete, befreundet sein wollte, außer mit Ivana, braune Augen, rote Lippen, lange glatte schwarze Haare, kann man dann sagen, dass er sich in der richtigen Sphäre bewegte? Zwischendurch ein Kaffee, üblich asiatisch schwach, zu viel Alkohol bekommt Jakob nicht. Er trank ja auch langsam. Eine junge Frau hatte ihm mal erzählt, sie möge Cocktails wegen der vielen verschiedenen Farben, sie hatte eine lila Haartolle und war im Gesicht gepierct, sie sah aus wie sechzehn, dabei sei sie fünfundzwanzig, sagte sie. Sie war hübsch auf ihre frech wirkende Art. Trotzdem spendierte ihr Jakob keine Drinks. Viele Kollegen von ihm hielten es so, dass sie an den Hotelbars sich um Kontakte bemühten. Auch wenn es hilfreich sein könnte, war es Jakob zu mühsam, und er wollte auch mal ausspannen. Die Chinesinnen schnatterten. Die Business People schütteten hartes Zeugs in sich rein. Das muss Unsummen kosten, dachte Jakob. Er kannte Monteure, die leerten regelmäßig die Minibar, was sie klarerweise selbst bezahlen mussten. Wenn er alleine war, ging Jakob, hatte er genügend Zeit, meist in Lokale in den Straßen, aber er wartete hier ja auf Friesacher und Dr. Xiu, der Klagenfurter wäre auch mit von der Partie, und Friesachers Assistentin? Würde er bei seiner Firma bleiben wollen, könnte er sich unmöglich näher mit ihr abgeben, das wäre mehr als nur ein Spiel mit dem Feuer, sie könnte wahrscheinlich Informationen aus ihm ziehen, ohne dass er es merkte. Und Friesachers Firma, er war praktisch der Chef, hinter ihm stand nur der Besitzer und Geldgeber, tat nichts anderes, als die Thermoform-Technologie zu kopieren, sie war wirklich ein brandgefährlicher Konkurrent. Was Jakob im Moment, und der würde anhalten, ziemlich egal war, er hatte abgeschlossen, er brauchte im Gemeinen lange für einen Entschluss, aber war der einmal gefasst, dann war er unumstößlich.  Und er fühlte sich, mehr als nur ein bisschen, wie ein Vogel, der im Frühling zurückgekommen war in das wiedererweckte Land.

Dr. Xiu kam auf ihn zu, seine Frau neben ihm, mit gut einem Meter Abstand. Er schien in Gedanken, auch seine Frau war ruhig. Er bestellte sich eine Bloody Mary, für Fang eine Caipirinha. Jakob nahm ein Ginger Ale. Beide standen sie an der Bar, tranken in kleinen Schlucken von ihren Drinks, ohne zu reden. Dr. Xiu erzählte Jakob nicht, ob es etwas Bestimmtes gegeben habe, es ging ihn ja auch nichts an, oder ob er an seine morgige China-Reise dachte. Wollte er bei Thermoform bleiben, musste er das Maximum herausholen. Wahrscheinlich könnte er wechseln, er hatte ja anscheinend von dem Roboter-Hersteller ein Jobangebot unterbreitet bekommen, doch er war schon Ende dreißig, viele Chancen würde er nicht mehr haben. Alle drei leerten sie langsam ihre Drinks, als wäre die Zeit ihr Feind. Da erschien Friesacher. Alleine. Schade, dachte Jakob. Er war umgezogen, hatte seine Krawatte locker umgebunden, als ob er förmlich wirken wolle. Er begrüßte Dr. Xiu, Fang und Jakob, stellte sich in ihre Mitte, bestellte ein Bier und dann gleich noch eines. Dr. Xiu und er redeten über Landschaften, darüber kann man immer reden, ohne sich zu verplaudern, über die ländliche Oberösterreichs und die städtische Singapurs. Dr. Xiu gefiel es hier an ihrem derzeitigen Standort besser, er war Städter und schien sich heimisch zu fühlen unter den vielen Chinesen in Singapur, auch mochte er das Geordnete und das Saubere. Friesacher sagte zwar einiges, es waren aber samt und sonders Feststellungen, er gab keine Präferenz ab. Er war der Typ, der sich immer alle Türen offenhielt. Er rief den Klagenfurter an und berichtete anschließend, dass er in drei Stunden oder so sagen würde, wo sie gerade seien und er würde dann dorthin kommen. Dr. Xiu meinte, er und Fang müssten morgen früh raus und sie würden bald abbrechen. Zu viert machten sie sich auf, um in einem Kaufhaus ein bisschen was zu essen. Friesacher kaufte bei einem fliegenden Händler eine gefakte Damen-Rolex für seine Frau. Natürlich handelte er den Preis noch weit runter, so weit, dass Dr. Xiu anerkennend nickte. Er warte immer bis zum Schluss, sagte er, dann kriege man die Dinge am günstigsten. Auf der Straße winkte Friesacher ein Taxi runter. Wo man denn hier ausgehe, fragte er den Fahrer. „Clarke Quay“, sagte der, das läge am Singapore River, manche Lagerhäuser seien dort als Kneipen und Restaurants adaptiert worden, zwei Diskotheken gäbe es auch. Disko ist gut, dachte Jakob, aber in Singapur? „Wann musst du morgen aufstehen, Gerd?“, fragte er. „Egal, ich fliege erst übermorgen“, war die Antwort. „Machen wir dann für vierzehn Uhr beim Busbahnhof aus, für Sentosa Island?“ Sicherlich war es nicht klug von Jakob, das neben seinem Kollegen zu vereinbaren, Dr. Xiu sah auch kurz und schnell zu ihm rüber, aber erstens hatte er das mit dem Roboter-Hersteller gegen ihn im Talon und zweitens war es ihm, überhaupt und jetzt besonders, einfach egal. „Okay, gerne, vierzehn Uhr steht, habe ich schon abgespeichert.“, entgegnete Friesacher, während sie durch die keimfreien Straßen Singapurs fuhren. Das ist keine Stadt, die einen verschluckt, so wie Bangkok zum Beispiel, dachte Jakob. Hier wird man nicht aufgenommen, man bleibt Gast, haftet an ihrer Oberfläche, so wie Staub, wo ein Windhauch reicht, um ihn fortzunehmen. Kurz war Jakob alleine, obwohl in Gesellschaft, Friesacher, der vorne saß, wechselte mit dem Fahrer einige Worte, und Dr. Xiu und Fang, die schlank und grell, was durch die relative Dunkelheit der großstädtischen Nacht verdeckt wurde, neben ihm saß und ihn berührte, blickten  aus den Autofenstern, wehmütig ein wenig vielleicht, dass sie morgen müssten, sicherlich müde, Dr. Xiu gähnte, Fang tat es ihm nach. Jakob spann die Gedanken weiter. Bei ihm in Oberösterreich, wo er vielleicht nicht zuhause, aber stationiert war, und auch in Kärnten, wo das schon eher zutraf, würde jetzt vermutlich Schnee liegen. Er erinnerte sich, als er damals mit dem Romy-Schneider-Mädchen, Isabella, nachdem sie beschlossen hatte, sie waren noch zusammen, nach Graz studieren zu gehen, mit seinem roten VW Jetta zum Keutschacher See gefahren war. Sie stellten das Auto beim Strandbad ab, gingen durch das Gatter. Der See war weit, die mit nur dünnen niedrigen Bäumen bewachsene Halbinsel schien ihn zu teilen, junge Leute spielten Eishockey. Die Sonne ging gerade unter. Jakob und Isabella sahen ihr letztes Rot. Der Schnee war so hart, dass man nicht einsank. Jakob hatte die Szenerie von knapp hinter dem Gatter betrachtet, Isabella war losgestapft, alleine, durch den Schnee, immer weiter bewegte sie sich von Jakob fort, ohne sich nach ihm umzudrehen. Da wusste Jakob: Er nahm schon jetzt nicht mehr teil an ihrem Leben. Sie hatte sich, klar ersichtlich, schon jetzt von ihm getrennt. Der Fahrer hob jetzt die rechte Hand und zeigte umher, das sei Clarke Quay, wo er stehenbleiben sollte?, fragte er. Vielfärbig beleuchtete Häuser am Fluss, schön eigentlich, menschengemacht, nicht natürlich, ganz anders als momentan die Bilder in seinem Kopf. Noch einige hundert Meter, dann machte Friesacher Handzeichen, stopp. Er beglich die Rechnung. Sie stiegen aus. Ich brauche eine neue Sehnsucht, damit ich wachse, dachte Jakob. Hier war es warm statt kalt wie daheim. Friesacher ging vor, wahrscheinlich schon von Kindesbeinen an, er war der Typ, der die Richtung bestimmte. Er steuerte ein rotbeleuchtetes Gebäude an, Holztischchen und Stühle im Freien, Lounge-Musik, dieser nichtssagende Jazz-Verschnitt, meist von Frauenstimmen getragen. Sie bestellten ihre Drinks. Jakob saß neben Friesacher. Er hatte einen Longdrink mit ein wenig Wodka genommen, der war blau, und zuoberst eine Orangenscheibe. Die um sie herum Sitzenden waren wohl in der Überzahl Geschäftsleute, manche mit Frauen, meist jüngeren. Sie erzählten ihre Geschichten in verschiedenen Sprachen, schienen nüchterner als in fast allen anderen Städten, geradezu artig verharrten sie auf ihren Stühlen, lachten, mehr dienstbeflissen als echt, in ihren Polohemden. Business People, ist die Stadt brav, ist man es auch, man passt sich an, ist freundlich zu Kollegen, ohne deren Freund zu sein. Von außen aus gesehen, war Jakob auch so einer, aber er wäre jetzt lieber, wie vor einigen Jahren, auf Drogenurlaub im sommerstaubigen Amsterdam statt im blankpolierten Singapur. Er wusste noch, als es dort sogar ihm einmal zu viel geworden war, weil die Theke geradezu in Bier schwamm und er den tätowierten Kellner im Rockergewand gebeten hatten sie aufzuwischen. Der hatte nur gelacht und natürlich nichts getan, woraufhin Jakob bald darauf ging, er wollte ja nicht, dass ihn eine Bande bedrängte. Mag sein, dass Jakob gerade jetzt deshalb an Amsterdam dachte, da ihr Lokal so rot beleuchtet war und es ihm das dortige Red Light District in Erinnerung rief. Bei seiner ersten Reise, am zweiten Tag, da hatte er das Viertel mit den käuflichen Damen im Schaufenster, der Vorhang wurde zugezogen, wenn der Kunde sich ans Werk machte, noch nicht gekannt, er saß im Bulldog-Coffeeshop am Leidseplein, rollte Joints, rauchte sie, trank Milkshakes, sah sich um, da trat ein großer stämmiger Deutscher auf ihn zu und fragte ihn, ob er wisse, „wo hier die Nutten“ seien. Im Schlepptau hatte er einen eher kleinen, sehnigen Araber, der niemals seine Sonnenbrille abnahm und mit der er aussah wie die Fliege Puck. Er habe zwei Nachtclubs bei Köln, und sie seien mal schnell mit seinem Mercedes hier raufgefahren. Nein, wisse er nicht, sagte Jakob, leider, vielleicht an den Brücken über die Grachten. Jakob baute Joints mit dem Zuhälter, er konnte das wirklich gut, sie waren lang, filigran und hart und brannten gleichmäßig. Dem gefiel das anscheinend und er fühlte sich wohl. Der Araber sprach unterdessen laufend Leute an. Schließlich verließen sie zu dritt das Bulldog´s, da sagte plötzlich der Araber zu Jakob: „Ich finde, du gehst jetzt besser. Weißt du, ich mag dich nicht so besonders.“ Wo die Nutten waren, das erfuhr Jakob am folgenden Tag, nachdem er am Dam Square von einem Schwarzen zwei Acids gekauft hatte, die sich im Nachhinein, schwer verwunderlich, wenn man weiß, dass die heutzutage Heroin bis zu einem Reinheitsgehalt von nur sieben Prozent aufstrecken, als link erwiesen hatten. Die Grachten und ihre Laternen, an denen unabgesperrte Fahrräder lehnten, die waren hier sozusagen Allgemeingut, braucht man eines, setzte man sich einfach auf irgendeinen Sattel und fuhr davon, hatten ihre eigene Romantik, kam dann noch das Lachen einer hübschen, hellgesichtigen Holländerin dazu, war die Szenerie perfekt. Jedenfalls ging Jakob nach dem kurzen Statement von Fliege Puck ins Melkweg, der Techno-Disko nur einige Meter weiter. Er rollte weiter seine Joints, trank Grass Tea, bestellte einen Space Cake und sah dem schwarzhäutigen Paar zu, wie es fröhlich und gestikulierend einen neuen Haschisch-Kuchen buk. Die Nacht wurde dann noch lang, so wie vielleicht heute, doch hier in Singapur trug er die Maske des weltgewandten Maschinenverkäufers. Dr. Xiu redete mit unbewegtem Gesicht mit Friesacher. Fang hing an seinem Arm. Friesacher lehnte sich immer wieder zurück, sonst saß er sehr gerade, um groß zu wirken. Jakob hörte nicht hin. Er teilte nicht der anderen Sicht. Erst als eine Chinesin mittleren Alters in einem dunkelblauen Kostüm mit Goldknöpfen auf Dr. Xiu zutrat, sah er genau hin. Dr. Xiu bat sie, sich zu ihnen zu setzen. Sie bestellte einen türkisen Drink mit einer Kiwi als Dekoration. Zuerst sprach sie in Englisch, doch dann wechselte sie in Mandarin, und Dr. Xiu übersetzte für Friesacher und Jakob. Sie hatte auch auf der Messe gearbeitet, und sie beschwerte sich über ihre Landsleute, viel Arbeit für wenig Lohn, weniger Stunden wurden ihr regelmäßig verrechnet, als sie leistete, überhaupt behandelten sie ihre Chefs von oben herab, sie war unzufrieden. Es muss halt schon auch ein Problem sein, wenn jeder dein Chef ist, dachte da Jakob. Zurück nach China wollte sie, so wie es aussah, auch nicht, das hatte sie mit Dr. Xiu und seiner Frau gemein. Die sahen das anders, die liebten saubere und sichere Städte wie Singapur, in China hatten sie ja selten echte Hobbys, in ihrer Kultur war Geld fast sogar wichtiger als Gesundheit, denen machte es nichts, praktisch rund um die Uhr, so wie hier, im Job zu sein. Jakob war ja in einem Land des Wohlstandes aufgewachsen, wo die soziale Absicherung weltweit herausragend ist, man hat immer ein Netz, das einen auffängt, in nicht so hoch entwickelten Ländern war Privatleben ein Luxus und Geldverdienen stand allzeit am höchsten in der Prioritätsskala. Die Chinesin sah fast ständig auf den Tisch oder zu Boden, während sie sprach. Dr. Xiu und besonders Fang nickten mitfühlend. Ja stimmt, kam es Jakob in den Sinn, sein Kollege behandelte ja auch Nathalie weit besser als er, er beschwerte sich schon, wenn ihm was nicht passte, Dr. Xiu eigentlich nie, er trieb sie an, Dr. Xiu ließ sie gehen, wenn sie gehen wollte. Friesacher hielt sich aus der Unterhaltung raus, er hatte ja schließlich auch eine chinesische Assistentin – die, ja, heute leider nicht mit dabei war. Jakob sagte auch nichts. Jemand an einem der Nachbartische lachte, schwarzgefärbte Haare, nach hinten gegelt, der Bauch wölbte das Hemd, keine Uhr, nein, ein Chronometer, wahrscheinlich Amerikaner. Der ihm gegenübersaß, war wohl sein Chef, Punkte auf das Angestellten-Schleim-Konto schreiben. Was würden all diese Leute jetzt wohl tun, wenn Mr. Lordi und seine Kumpanen durch den aufbrechenden Asphalt hochsteigen würden?, dachte Jakob da. Lordi, die finnische Band für Teenie-Emos mit ihren Fellen, Ketten und Ringen, böse!, immer. In Finnland gibt es ja einen echten Lordi-Kult mit Lordi-Briefmarken, Lordi-Pralinen, ein Lordi-Restaurant, sogar ein Platz in Rovaniemi ist nach ihnen benannt. Jakob erinnerte sich an den Film, wo ein Vater seine Tochter, die andauernd malte, sie hatte im Film den schwarzen Stift und wollte unbedingt einen roten, es war aber keiner da, im Rollstuhl durch ein Krankenhaus schob, begleitet von einer Krankenschwester, für den „Mr. Lordi“ das Drehbuch geschrieben hatte. Die Zeit war stehengeblieben, plötzlich waren die Stationen uralt, das Personal war tot, die Lordis stiegen aus den Böden der Flure, des Fahrstuhles, und die Sauerei ging erst richtig los. Jakob hatte ihn sich ja nur deshalb spätnachts im Fernsehen angesehen, weil er gehofft hatte, der warmherzigen und scharfen Krankenschwester würden irgendwann die Kleider vom Leib gerissen werden. Das passierte aber leider nicht. Eine Szene war ganz gut, wo Teddybären mit Verbänden im untersten Stock des Stiegenhauses ankamen, obwohl sie schon vor langer Zeit von einem der oberen Stockwerke zu fallen begonnen hatten, und einige Bilder ebenfalls, wo der Vater und die Krankenschwester aus dem Fenster sahen, draußen war Nacht, eine Stadt, Hochhäuser, alles war unbeleuchtet, und Eiskristalle schwebten durch die Luft. Hier ist alles hell, und jeder hat gute Manieren, sagte sich Jakob und war wieder zurück in Singapur. Die Lichter hier erinnerten ihn an Silvester. Nicht an den letzten Jahreswechsel vor ein paar Tagen erst, den Jakob alleine in seiner Dienstwohnung verbracht hatte, mit einem LSD-Trip, einem Smiley auf kleinem Löschpapier, und unablässig Joints rollend, während elektronische und Gruftie-Musik lief, eine Fadenlampe, er hatte sie einmal von einer Freundin geschenkt bekommen, änderte ihre Farben. Zu Mitternacht startete er eine einzige Rakete von unten im Garten. Jakob hatte nicht gewusst, welchen Wunsch fürs neue Jahr er ihr hatte mitgeben sollen, also verglühte sie ohne einen. Nein, diese Lichter hier weckten in Jakob Bilder hervor, als er, sechzehnjährig mit Alina zur evangelischen Kreuzbergl-Kirche auf dem Kreuzbergl gegangen waren, das etwas über Klagenfurt gelegen ist. Schwach nur beleuchtet war die Stadt, um Mitternacht dann schossen von überall her Raketen in die Höhe, in allen Farben. Jakob gefielen am besten die roten, die eine Blase bildeten, die größer wurde, aber es waren auch blaue, grüne, goldene, violette, weiße, welche, die gerade in den Himmel schossen, solche, die sternförmig auseinanderstoben. Das ist die neue Welt, hatte Jakob damals gedacht, und die jetzt, fünfzehn Jahre später hier in Singapur, war es wirklich. Diese Lichter waren statisch, nicht bewegte, die Leute waren nicht ausgelassen, sondern ruhig entspannt, vergleichbar waren die Farben. Jakob sah zu Friesacher, der die Umgebung betrachtete. Dr. Xiu hatte zu übersetzen aufgehört, da er gesehen hatte, dass die Lamentiererei der Chinesin Friesacher und Jakob nicht interessierte, sie war zwar durchaus nicht hässlich, aber auch nicht hübsch genug, dass die beiden sich um sie bemüht hätten. Friesacher hatte einiges von einem ehemaligen Chef von Jakob, mit dem er ganz gut klargekommen war, beruflich nur, aber das reichte, mehr war von beiden Seiten nicht erwünscht. Der war ein Bauernbub aus Oberkärnten, unweit des Weissensees, gewesen, was man ihm auch ansah, er war nicht dick, aber von kräftiger Statur und grobgliedrig. Friesacher hatte ebenso auffällig breite Handgelenke. Beide wirkten sie wirklich sympathisch, hielten alles Private fern und hatten ein autoritäres Auftreten, und Meidlinger, so hatte Jakobs ehemaliger Chef geheißen, war dieses so oft gesehene, für Jakob unverständliche typisch männliche Verhalten von „Ich bin besser als du“ zueigen gewesen. Jakob war einmal nahe dem sich auf Deutsch nennenden Kronstadt in Rumänien mit ihm auf einen Berg gestiegen. Jakob mochte die Karpaten, die waren urwüchsig, kaum verbaut, da lebten sogar noch viele Bären, und in tieferen Lagen bestanden sie hauptsächlich aus hellen Laubbäumen. Jakob ging leichtfüßig und locker, Meidlinger schnaufte bald. Er war damals Ende vierzig und starker Raucher. Immer fand er eine Ausrede, um eine Pause zu machen, mal schnitzte er etwas in einen Baum, dann nahm er eine Pflanze genau unter die Lupe, dann schnürte er seine Schuhe enger. Daraufhin verringerte Jakob sein Tempo, und die Pausen wurden etwas seltener und kürzer. Friesacher schien sich da besser verstellen zu können. Er ganz sicher nicht der Typ, den man sich als Chef wünscht, wenn einem die Arbeit nicht so richtigliegt. Jakob musste jetzt bald was zu ihm sagen, wenn jeder für sich alleine ist, hätten sie sich ja auch gar nicht treffen brauchen. „Na, Gerd, wie geht´s?“ „Oh, gut“, antwortete der, „morgen kann ich endlich mal aufstehen, wann ich will. Ich schaue halt, dass ich von der Stadt so viel wie möglich mitkriege. Ich weiß ja nicht, wann ich wieder herkommen werde, und ob überhaupt.“ Er löste seinen Blick von Jakobs Augen und wandte ihn nach links, nach rechts. Man hatte keine Ahnung, ob ihm gefiel, was er sah oder nicht. Dass dieses Zusammensein mit Geschäftspartnern immer mit dem Beobachten und Analysieren des andren einherging, dachte Jakob, er war wie ein Psychotherapeut und die, auf die er traf, waren seine Patienten, die er einschätzen musste, war das nur seine Eigenart, oder waren alle Geschäftsleute so? Es fehlte da einfach die Leichtigkeit. „Sauber, was, die Stadt“, sagte Jakob. „Ja, schön“, entgegnete Freisacher. Er sah auf die Uhr. „Es ist schon Zeit. Ich werde mal unseren Freund anrufen, dass er herkommt. Entschuldigt mich mal einen Moment.“ Er stand auf und ging zur Bar, sprach mit einem Kellner, er nahm sein Handy zur Hand, wählte, redete, der Kellner war inzwischen weg, er hielt es einem anderen ans Ohr, der etwas hineinsprach. Friesacher kehrte wieder zurück, streckte sich ein wenig, setzte sich neben Jakob. „Er wird bald hier sein.“ „Ist gut“, gab Jakob zurück, „dann erkunden wir mit ihm Singapore by night.“ Warum sagte er das eigentlich? Er war doch gar nicht scharf auf den Typen. Singapore by night, so steril wie ein Brutkasten. Eine Frau lachte auf, Jakob sah hin, eine Asiatin, interessantes Gesicht, orangefarbenes kurzes Kleid und High Heels von derselben Farbe, etwas zu grell, um seriös zu wirken. Neben ihr saß ein gebräunter Weißer in Hemd und Sakko, der seine Uhr beim Ärmel raushängen ließ und Witze riss. Sie macht es für Geld, dachte Jakob, oder für eine bessere Position. Und wenn sie nach ihren Diensten nicht kriegt, was sie will, wird sie ihn unter Druck setzen. Er benutzt sie, und sie lässt sich benutzen. Das ist das Spiel. Eine Hand wäscht die andre. Hoffe nur, dass genug Wasser da ist, um deine auch sauberzukriegen. Der Mann palaverte weiter mit gestikulierenden Händen, und das sich naiv stellende Ding lachte, als ob sie noch niemals in ihren Leben etwas Besseres gehört hätte. Krimi hatte auch so gelacht, kam Jakob in den Sinn, Krimi aus Hartberg in der östlichen Steiermark, aber bei ihr hatten die Augen mitgelacht, und sie tat es, wenn sie wollte, nicht wenn wie dachte, es passte gerade. Jakob hatte in ihrer Nähe als Projekttechniker gearbeitet, er hatte sich nicht besonders wohl in der Firma gefühlt, die Mentalität der Leute dort war ihm als recht stumpfsinnig erschienen, aber ihm wurden die Überstunden ausbezahlt, also hatte er gut verdient. An einem Samstag im Mai vor mehr als fünfeinhalb Jahren, er ging gerade aus, saß in einem Lokal eine junge, zarte, blonde Frau, alleine, die Beine überkreuzt, das Besondere an ihr war, dass sie keinen Büstenhalter unter dem weißen Leibchen trug, und man sah ganz deutlich, dass ihre Brüste rund und fest und wunderschön waren. Jakob sprach sie an, er sagte: „Schöne Schuhe“. Die gehörten gar nicht ihr, sondern ihrer Freundin, entgegnete sie, aber sie lachte dabei, und ihre Augen waren so blau wie seine. Kriemhild war Zahntechnikerin, sie arbeitete viel und verdiente wenig. Körperlichkeit, Musik, Drogen, das wurde ihre kurze gemeinsame Welt. Jakob quittierte bald den Job, er hatte einen neuen gefunden in Velden am Wörthersee, die Firma mietete ihm eine Garconniere an, in die er alsbald zog. Er war wieder in seinem Geburtsland, aber es würde nur vorübergehend sein, dass wusste er, und so wurde es auch. Er schrieb Krimi unzählige SMSes, Mikrogedichte, und einige kunstvolle Briefe, fuhr aber nicht mehr zu ihr raus, und sie antwortet immer seltener. Irgendwann dann schrieb sie als Kurznachricht: „Ich liebe deine Zeilen, aber lass es bitte sein.“ Trotzdem sms-te er ihr immer seine Nummer, später schrieb er sie auf eine Karte, die er ihr schickte – sie hatte ihre Nummer gewechselt und ihm nicht die neue gegeben. Vor drei Monaten dann hatte sie ihm unerwarteterweise ein SMS mit „alles liebe von krimi“ geschickt, sie war ja doch sein süßes Hippiemädchen. Jakob hatte darauf nicht reagiert Er könnte es jetzt tun, sie wäre eine Option. Nein, eine aufgewärmte Speise wird schal. Sie hatte schöne Bilder in seinen Kopf gezaubert, die durch die Gegenwart nur verzerrt werden würden. Die Vergangenheit soll ruhen. Die Gegenwart spielte sich hier ab, im nächtlichen Singapur. Wo „eine entspannte Atmosphäre“ herrschte, das heißt, nichts richtig los war, wo man Geschäfte machte, alte abschloss und neue anbahnte, sich für den Job als sympathisch zu präsentieren ist ja auch ein Geschäft, und den Sex bei Mitarbeitern zu suchen erst recht, „ich blase dir einen, und du erhöhst dafür mein Gehalt“, und tust du es nicht, dann sage ich es deiner Frau, oder dem Geschäftsführer, und der wird dich feuern. Wo er neben einem schlauen Konkurrenten saß, der scheinbar völlig emotionslos vor sich hinsah, bei dem man überhaupt nicht wusste, ob er einfach nur ein gestresster Geschäftsmann war, der relaxen wollte, sich langweilte oder sich, wie Jakob, in einem Disneyland für Erwachsene fühlte, wo drei Chinesen in ihrem Singsang redeten, die eine eigene Welt hatten. Dr. Xiu war nun wieder reiner Chinese, und nicht auch österreichischer Staatsbürger, der einer Landsfrau in ihrem Unglück beistehen wollte. Fang weniger, denn die Andre sah doch noch besser aus als sie, was ja nicht schwer war. Jakob vermutete, dass es allen dreien leidtat, von Singapur wieder abreisen zu müssen. Singapur, die Stadt ohne Zauber. Wie würde ein Maler sie darstellen? Einer, der realistisch malte, würde vielleicht den weißen Löwen malen, der Wasser spie, aber was würde Edvard Munch heute malen, einen Verurteilten mit dem Strick um den Hals und Panik im Gesicht vor einem Einkaufszentrum? Schade, fand Jakob, dass er kein graphisches Talent hatte, er hätte so gute Ideen. In der Volksschule hatten sie nur zwei seiner Arbeiten auf dem Gang ausgehängt, beide in der vierten Klasse in Klagenfurt, wo er ja nur einige Monate gewesen war, einen Schmetterling, ein Pfauenauge mit viel Rot und Schwarz, und vier Bäume, der sich verändernde Baum in den vier Jahreszeiten, im Frühling bekommt er Laub und erblüht, im Herbst essen die Kinder seine Äpfel, und im Winter ist er nackt. Der Kellner kam und fragte nicht, ob sie noch etwas trinken wollten, sondern was sie trinken wollten, als Aufforderung, so in der Art von, in Pidgin-English ausgedrückt: „No drink, please go.“ Die drei Chinesen tranken Alkoholisches, und Friesacher wartete, was Jakob bestellte, er nahm einen Bitter Lemon, um sich eine Cola bringen zu lassen. Okay, das ist das sich gegenseitig Abklopfen, dachte Jakob, wer hat zuletzt, ist schon eine Zeitlang her, gesprochen?, ach ja, er selbst, „dann erkunden wir mit ihm“, der Klagenfurter war gemeint, „Singapore by night“, hatte er gesagt, das hieße, dass jetzt Friesacher am Ball wäre. Klar könnte er jetzt auf nett machen und lustige Sprüche von sich geben, doch er wollte Gerd weder etwas verkaufen, noch bei ihm arbeiten. Natürlich lauerte der auch darauf, dass Jakob im Suff Firmeninterna von Thermoform preisgeben würde, zwar hatte er beschlossen zu wechseln, sein Entschluss war bereits unumstößlich, doch bei einer fristlosen Entlassung würde er nicht nur einiges an Gehalt verlieren, sondern sein Dienstzeugnis wäre auch verheerend, und er könnte kaum jemanden von dort als Referenz angeben. Ein besoffener Kunde ist ja doch der beste Kunde, für den Verkäufer, wusste Friesacher wahrscheinlich noch besser als Jakob. Plötzlich - Reifenquietschen. Jakob zuckte zusammen. Auf dem Stuhl sitzend machte er sich ganz klein. Er wartete. Auf Klirren, das Zerspringen von Autofensterscheiben. Auf das Geräusch des Aufpralls. Auf das Knirschen von verformt werdendem Metall. Nichts folgte. Das Auto fuhr weiter. Viele Blicke folgten ihm. Jakob seiner nicht, er saß ganz starr, stierte zu Boden. Dr. Xiu sah Jakob an, öffnete den Mund, um zu sprechen, bemerkte aber, dass Friesacher ihm einen aufmunternden Klaps auf den Rücken geben wollte, schloss ihn wieder. Friesacher nahm seine Hand doch wieder herunter, stattdessen erkundigte er sich: „Erinnert dich das woran, Jakob?“ „Nein, wüsste ich nicht“, sagte der und machte sich wieder gerade, seine Handinnenflächen waren leicht feucht. „Mit Gerd als deinem Fahrer auf der deutschen Autobahn wirst du wohl nicht froh werden, was?“, meinte Dr. Xiu und grinste. Jakob hätte jetzt „Du etwa?“ fragen können, um ein wenig Schlagfertigkeit zu zeigen, aber er blieb still. Langsam nur entkrampfte er sich. Die Bilder, sein schreiender Mund, die Hände das Lenkrad umkrampfend, sein Rumpf, das Auto hob ab, kippte nach vorn, der Teddybär, den er als Kind gehabt hatte, flog vom Rücksitz gegen das Armaturenbrett, die Bilder verblassten und wichen wieder den bunten Lichtern der großstädtischen Nacht. „Der Vogel, der in der Nacht fliegt, bleibt dem Auge verborgen“, sage er nun, etwas zu laut. Dr. Xiu und Friesacher schauten ungläubig, Fang und die andere Chinesin sahen Jakob an, dann gleich wieder weg. „Seht ihr? Mein Gehirn funktioniert noch“, setzte er hinzu. Friesacher lächelte leicht, bemüht, er konnte mit dem Spruch nichts anfangen, Dr. Xiu schien nachzudenken, ihm könnte der Satz gefallen haben, er mutete ja auch asiatisch an, er gab aber nichts von sich. Jetzt müsste etwas passieren, oder sie könnten alle gleich schlafen gehen. „Hallo, ihr Nachtschwärmer“, der Klagenfurter stand neben Friesacher, schüttelte seine Hand, dann die der anderen am Tisch. Er hatte eine Jeans mit modischen Rissen an, das karierte Hemd über der Hose, Lederband am Handgelenk, seine Füße steckten sockenlos in Mokassins, die einfach aussahen, aber nicht ganz billig waren, die Brille stach heraus, goldfarben, ja klar, „Allesch“, unter der alteingesessenen Klagenfurter Händlerfamilie war ja auch der Luxus-Optiker. Jetzt, wo er sich vorstellte, erfuhr Jakob erst seinen Vornamen: „Seppi.“ Er setzte sich im rechten Winkel von Friesacher, und während er beim Kellner ein Bier bestellte, musterte ihn Dr. Xiu, auch wenn die Risse in seiner Hose angesagt sein sollten, er mochte sie nicht, für ihn war das unpassendes Auftraten, nur kurz, er sah gleich wieder weg. Sympathie und Antipathie sind immer biederseitig, wusste Jakob, wenn du jemanden ablehnst, lehnt der dich auch ab, und das geschieht in den ersten paar Sekunden. Seppi hatte Dr. Xius Blick schon wahrgenommen, als der Kellner ihm sein Bier, ein kleines, wie immer, wenn man nobel wirken will, Seppi hätte, falls vorrätig, garantiert ein großes genommen, gebracht hatte, nahm er einen kräftigen Schluck, es war jetzt zur Hälfte leer, und sagte: „Ist doch irgendwie öd hier. Wollen wir nicht wechseln?“ Jakob wollte soundso schon länger weg, er musste aber aufpassen, Dr. Xiu nicht zu vergrämen, er war schließlich doch sein Kollege, er wirkte jetzt auch viel menschlicher als früher, also fragte er: „Yang, kommt ihr mit? Ein bisschen Abwechslung wäre, finde ich, ganz angenehm.“ Dr. Xiu wehrte ab, nein, sie flögen morgen recht früh, er sei auch schon müde. Jakob war das ohnehin recht, und er hatte die Situation gerettet. Gerd, Seppi und Jakob leerten ihre Drinks und zahlten. Sie verabschiedeten sich von Dr. Xiu und den Damen, Jakob wünschte ihm, dass er viele Extrusionslinien in China verkaufe, er sagte nicht „China“, sondern, „dort, wo du hinfährst“, sicherheitshalber wegen Gerd, er meinte es fast ehrlich, und gingen. Sie spazierten entlang des Flusses, untypisch asiatisch waren nur wenige Boote vor Anker, und die paar waren in tadellosem Zustand. Jakob atmete etwas befreiter, er war vor allem froh, Fang los zu sein. Sie steuerten eine grüne Bar an, Kontrastprogramm, die Musik war etwas lauter. Jetzt tranken alle Bier. Seppi trank schneller als Gerd und Jakob und dadurch mehr. Der braucht einen Kellner für sich alleine, dachte Jakob, alle geschätzten zehn Minuten kam einer an ihren Tisch und fragte, ob sie noch was wollten, und Seppi orderte jedes Mal, Gerd und er nur jedes zweite bis dritte Mal. Er habe Handelswissenschaften fertig studiert und das mit dem Holzspielzeug mache er seit mehr als sechs Jahren, als Studentenjob sozusagen, letzte Ostern war er in Chicago gewesen und im Sommer in Santiago de Chile. Ob er auch die Sprache spreche, fragte Gerd einschmeichelnd, da er ja wusste, dass die Antwort nur „Ja“ lauten konnte. Jakob sprach auch Spanisch, aber höchstwahrscheinlich schlechter als der Klagenfurter, den er für sich selbst nicht so recht „Seppi“ nennen wollte, doch ihn fragte Friesacher ja nicht. Leicht gekränkte Eitelkeit. Egal. Es könnte ja auch wohl sein, dass Gerd, der ja wirklich durch und durch Geschäftsmann war, an Seppis überheblichem Verhalten seinem Chef gegenüber beispielsweise, so nach der Art von „Ich habe es nicht nötig, mir was von dir sagen zu lassen“, oder bereits vorher schon bemerkt hatte, dass er zum guten Teil ein verwöhntes Söhnchen aus gutem Haus war und er einfach seinen Fuß in die Tür, nach Kärnten?, in Seppis Familienunternehmen?, kriegen wollte. Der Klagenfurter schüttete Bier in sich hinein, es machte ihn betrunken, aber nichts aus, offensichtlich war er es gewöhnt. Er war ein bisschen wie das Antiteilchen in der Materie der Stadt. Nicht nur, dass er etwas unpassend gekleidet war, was schwerer wog, war, dass er nicht richtig interessiert war, zu Gerd und ihm eine Beziehung aufzubauen. Jakob blickte sich um. Steigt der Alkoholpegel, werden die Frauen ja begehrenswerter, viele waren schon hübsch, aber praktisch keine einzige war ohne Begleiter, es gab auch keine Gruppe von Frauen, sie waren hier nur als Anhang gedacht. Seppi glotzte die ringsherum interessiert an, dass sie vergeben waren, kümmerte ihn nicht. Alle sind sie so zivilisiert hier, dachte da Jakob, außer vielleicht Seppi, der nicht so ganz. Die Stadt des Löwen ohne Leidenschaft, sie brennt nicht, nicht mal wie Feuer knisternd im Kamin, sondern strahlt wie ein elektrischer, dessen Glut aus der Steckdose kommt. Jakob fiel eine rundliche Asiatin auf, die ihn an die Volksschullehrerin erinnerte, die er öfters mal in Wien besucht hatte, als er in der Nähe gewesen war, fast immer in der Nacht, da waren die vielen gewundenen Straßenbahnschienen gewesen. Es drehte sich fast ausschließlich ums Miteinander-ins-Bett-gehen, er wusste auch ihren Namen nicht mehr. Sie waren im Auto gefahren, Jakob lenkte, „du kannst das viel besser, wenn du stoned bist“, beliebte sie dann zu sagen, sie war daneben, sie griffen einander aus, hinten saß ein Freund, da fragte er: „Du, Kleine, sag mal, weißt du, was „69“ ist?“ „Tu doch nicht so blöd, das weißt du doch auch. Und red leiser, da ist ja noch jemand im Auto.“ „Nein, wirklich, ich weiß es nicht. Na los, sag schon, was es ist.“ Na das, was wir immer tun.“ Sie hatte stets darauf bestanden, es mit Kondom zu tun, immer, wegen der Ansteckungsgefahr. Einmal war Jakob bei ihr gewesen, da stand auf ihrem Nachtkästchen eine Hunderterpackung von ihnen. Und eine Woche später war sie fast leer. Naja, man gönnt sich ja sonst nichts, hatte die liebe Pädagogin wohl gedacht. Nach einem ihrer Akte erzählte sie ihm, sie habe vor einigen Monaten abgetrieben, es wäre ein Junge gewesen, oder war es bereits einer?, und immer, wenn es dunkel sein, sähe sie seine toten Augen. „Leute, hier ist doch auch nichts Gescheites los und die Nacht ist noch jung, schauen wir woanders hin?“ Mit schon etwas schwerer Zunge brachte Seppi diesen recht langen Satz wie einen perfekten Linkswalzer auf das Parkett des Wiener Opernballs. Niemand hatte etwas dagegen, im Gegenteil. Hier im ewigen Sommer Singapurs zog eine nun blaue Bar sie an wie die Motten das Licht. Draußen sitzend beobachtete Jakob die Zweisamkeiten, aus der Kollegin wurde die Freundin, die Pärchen waren nun vertrauter, Hand schmiegte sich an Arm, Füße kletterten an Unterschenkeln. Kleine Lieben, schön irgendwie, sann er, tut gut sie auch nur zu sehen, macht diesen Ort zu einem liebenswürdigeren Platz. Es gab keine Bettler hier, es gab keine Schnorrer. Wer in dieser Stadt nicht wealthy war, musste so tun, als wäre er es, sonst bot sie ihm keinen Platz. Jakob trank nun Longdrinks, eher süßere, Gerd meist dasselbe, obwohl es ihm eher nicht schmeckte, in gesteigerter Frequenz. Sie steuerten eine Bar an, an deren Decke lilafarbenes Licht an Regenschirm-ähnlichen Gebilden hing. Nun spürte Jakob schon den Alkohol in seiner Blutbahn, Gerd wohl auch, trotzdem passte jeder von ihnen auf, was er von sich gab. Seppi war schon ziemlich dumpf, ließ den Kopf vornüber hängen, die Kellner mochten das nicht. Jakob ging zur Theke und zahlte alles. Welche sei die bessere der zwei Diskotheken hier?, fragte er. „The Clinic“, sagte der Kellner, ohne Frage, sie sein „really specific“. Wie müsse man gehen? Nur dieser gebogenen Straße folgen, entlang des Flusses, wenn es laut werden würde, dann sei sie bald auf der rechten Seite. Jakob gab fast drei Singapur Dollars Trinkgeld, sozusagen als Schadenersatz für Seppis Benehmen. Beleg? Nein danke, nicht notwendig. Als Seppi aufstand, begann er zu lamentieren, dass seine Familie ihn dränge zu heiraten. „Die Frau hast du schon?“, fragte Friesacher. Mehr als „Ja“ gab Seppi nicht preis, nur dass es noch zu früh für ihn sei. Er wird wohl trotzdem müssen, ist doch tragisch, ein Vogelmensch im Käfig, dachte Jakob nicht wenig schadenfroh. Jakob ging links, Seppi in der Mitte und Gerd rechts. Der Fluss lag still, die Dschunken wirkten wie in ein Bild drapiert, das der Reinraum-Stadt. Plötzlich zog Seppi einen kleinen Rubik´s Cube, zu dem man früher „Zauberwürfel“ gesagt hatte, als Schlüsselanhänger aus einer Hosentasche. „Stein – Schere – Papier, wer von euch gewinnt, kriegt ihn“, sagte er. Drei Male die Faust schütteln. „Papier“ hatte Jakob. Er würde Gerds Stein als Sinnbild für ihn als groben Klotz, als geistige Momentanaufnahme gesehen, umwickeln. Falsch! Gerd hatte die „Schere“. Er und Seppi lachten, und Seppi gab ihm den Schlüsselanhänger. Jakob hätte ihn gerne gehabt, nicht gekauft, sondern ihn hier und jetzt in diesem Spiel gewonnen. Diese Kleinigkeit war wie ein winziger Stachel eines Kaktus, der ihn noch lange, ganz fein nur, aber beständig, tief in ihm drinnen stechen sollte. Der Techno war schon deutlich hörbar und wurde bei jedem Schritt lauter. Sie waren da. „The Clinic.“

Die Schlange vor ihr war nicht lang, und es standen kaum Frauen darin, die sich aufgebrezelt hatten, um am Türsteher vorbeizukommen. Der winkte sogar Seppi durch. Im großen Saal spielte gerade eine Band, auf einer richtigen erhöhten Bühne, eine etwas pummelige Asiatin ganz in schwarz mit Overknees und ein paar Jungs, so böse, wie es halt in Singapur gerade noch erlaubt war, aber in Jakobs konzerterprobten Ohren war es doch gefälliger Asia Pop, doch nicht ganz schlechter. Es waren viele Leute da, vielleicht war weiter hinten noch ein wenig Platz, doch es war zu dunkel das auszumachen. Jakob klatschte nach jedem nicht völlig missratenem Song, also fast immer, aus Respekt vor den Darbietenden, die brauchen das. Gerd tat geradezu begeistert, er kam nicht davon weg Jakob zu pacen, das war schon fast ein Instinkt. Und Seppi schaute sich hauptsächlich nach Mädels um. Jakob holte Bier im Pappbecher für alle drei und fragte sich, was hier so besonders sein sollte, „The Clinic“ bestand doch bloß aus viel Schwarz und Stahl und wirkte lieblos, runde einfache Hocker an den Tresen, nichts stach heraus. Hier johlten schon manche, aber in heiter alkoholgeschwängerter Stimmung, Aggression war keine zu spüren. Wenn die Leute hier auf Droge sein wollten, mussten sie wahrscheinlich Psychopharmaka missbrauchen, dachte Jakob. Joints bei Konzerten rauchen, wie es früher üblich gewesen war, konnte man aufgrund der Handykameras ja heutzutage auch in seinem Land nicht mehr. Es war zu laut hier, um miteinander zu reden. Jakob bewegte sich, aber weniger als sonst zu Musik, Seppi war fast nur noch zum Betrunkenen reduziert, Jakob wollte soundso in keiner anderen Haut stecken, doch in Seppis schon gar nicht, Gerd schien es zu gefallen, oder tat er nur so?, nein, das war wohl wirklich die Art, wie er seine Freizeit, mit ein wenig Job gekoppelt, gerne verbrachte. Dann ging Seppi ein paar Schritte, und kam nicht wieder zurück. Das Konzert war bald aus. Das Licht wurde verstärkt. Gerd und Jakob standen vorerst ein wenig verloren herum, dann holten sie sich je ein Bitter Lemon. Reden war inzwischen etwas mühselig geworden. Sie beschlossen zu gehen. In einem einfach aussehenden Seitenraum sahen sie Seppi mit einer thailändisch anmutenden jungen hübschen Frau rummachen. Er sah nicht zu ihnen rüber. Gerd meinte, dass er für sie zahlen müsse, was ja wohl völlig klar war, wozu Jakob nickte. „Der wird es nicht packen verheiratet zu sein“, sagte Gerd. „Der packt es ja schon jetzt nicht“, entgegnete Jakob. Auf der Straße war es ein wenig kühler. Gerd nahm das erste Taxi. „Das war lustig, es hat mir gut gefallen“, sagte er. „Mir auch, ciao, bis morgen, nein, bis heute um vierzehn Uhr“, gab Jakob zurück. Er stieg in das zweite Taxi. Der Fahrer fragte nur kurz: „You´ve been in „The Clinic“?“, und als Jakob nichts als „Yeah“ sagte, war er leise, bedacht und austauschbar. Immer schwimme ich meinen Träumen hinterher in diesem weiten, weiten Meer und niemals erreiche ich sie, dachte Jakob im gerade noch nächtlichen Singapur, aber das hält mich am Schwimmen. Fände ich solch eine einsame Insel, würde ich mich doch nur fürchterlich langweilen. Und auf diese Art entdecke ich Korallenriffe, die wie Blumenwiesen des Frühlings im Wasser blühen. Die Reifen rollten gleichförmig über den Asphalt. Jakob bemerkte schon die Lichter seines Hotels. Beim Zahlen rundete er auf den nächsten Singapur Dollar auf. Der Fahrer zeigte keine Regung, aber wahrscheinlich hielt er ihn für einen verblödeten, angetrunkenen Geschäftsmann, was Jakob jedoch völlig egal war. Im Zimmer nur noch kurz raus aus den Sachen und die Zähne geputzt, 03:57 zeigte das Handy, die Uhr am Bett hatte er abgeschaltet, ihre roten Ziffern waren ihm zu grell gewesen. Jakob legte sich bäuchlings aufs Bett und schlief sofort ein.

Einige Stunden später, als es schon hell war, ging er ins Bad Wasser trinken und nahm eine Kopfschmerztablette ein. Er legte sich gleich wieder nieder, und jetzt kam er, ein Traum.

Er war ein kleiner Junge, der im Schnee seinen Schlitten zog. Er wusste gar nicht, dass er so ausgesehen hatte, vielleicht hatte er das auch nicht, doch er musste dieser Junge sein, denn sonst war niemand da, und er sah ihm nicht zu, sondern war in ihm drin. Die Gegend war ihm gänzlich unbekannt. Es war eine Hochebene eines Berges mit teils unbewaldeten Kuppen. Er konnte über zwei Schanzen springen, die mussten doch Kinder gebaut haben, wo waren die alle? Die Fahrt hinunter machte Spaß, hinauf zog er ächzend den Schlitten an seiner Schnur. Er hatte das Bedürfnis jemandem zu sagen, dass das lustig sei, was er täte, er wollte, dass jemand sähe, wie toll er fahren könnte. Die einzigen Geräusche waren vom Schlitten, von seinen Schuhen und seinem Atem.

Jakob erwachte. Der Mund war etwas trocken und geringe Reste von Kopfweh steckten in den Schläfen. Noch eine Tablette geschluckt mit mehr Wasser als nötig, und es würde schon passen. Das Handy zeigte 11:13 Uhr. Das Frühstücksbuffet würde schon abgeräumt sein, außerdem war er eigentlich nicht hungrig. Er rasierte und duschte sich, seine Augen waren von feinen roten Linien durchzogen, schlüpfte in eine helle Hose und ein beiges Hemd, das er über den Bund hängen ließ. Er fuhr mit dem Lift hinunter, ging in die Cafeteria und trank Kaffee. Als Super-Angestellter würde er ihn jetzt schnell hinunterschlürfen und die Messeberichte erstellen, es waren nur zwei Gesprächsprotokolle, die seine Länder betrafen, davon eines von Dr. Xiu ausgefüllt mit „Allgemeine Information“ unter „To do“, sein Kollege hatte seines Wissens nach vier, die er dann an Lohmann und Nathalie mailte. Er war aber nicht mehr der Super-Angestellte der Thermoform. Er blieb sitzen und bestellte den dritten Kaffee. In der Cafeteria waren nur wenige Leute, fast nur eher gutaussehende Frauen, deren Männer anscheinend bei der Arbeit waren. Waren sie alleine, lasen sie Zeitung oder taten einfach nichts, so wie Jakob, zwei Tische waren von je zwei Frauen besetzt, die miteinander Mandarin redeten. Ob diesen Frauen ihre Rolle gefiel? Sie waren wohl so in ihr verhaftet, dass sie gar nie auf den Gedanken kämen sie zu hinterfragen. Solch eine Frau wäre definitiv nichts für Jakob, für später einmal, wenn, dann wollte er eine starke Partnerin, nur mal so theoretisch dahingedacht. Hier in Asien sollen die Persönlichkeiten sich auflösen wie Salz im Bad des Gemeinwohles, bei uns im Abendland und womöglich sogar noch stärker in der Neuen Welt soll die Individualität einer Person reifen und sie möglichst nicht unterscheidbar machen. Alleine schon dieser Business Look, zu dem gehörte, dass er keine langen Haare tragen durfte, machte Jakob ein wenig zu schaffen. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Das war eben der Preis, den er zu zahlen hatte, der ihn zwar etwas einengte, aber, nüchtern betrachtet, war er das?, ja, jetzt schon, kein allzu hoher war. Das Gegenteil der Naturwissenschaft ist die Theologie, die Religion der Antipode des Experiments. Der Fortschritt heißt Logik und nicht mehr Vertrauen. Vielleicht ginge es uns aber besser, wenn wir mehr glaubten statt alles überprüften. Der Islamistenführer weiß seine im Kampf gefallenen Söhne im Garten, in dem Wasser und Milch und Honig fließen, sie sind noch vorhanden in dieser Welt oder jener darüber, sind nicht restlos ausgelöscht. Doch hier kreuzen sich die Dinge wieder: Die Summe der Energie bleibt ja gleich. Also müssen auch die Gedanken der toten Söhne in irgendeiner Form noch vorhanden sein. Je mehr man weiß, desto schwieriger wird die Urteilsfindung, damit ließ Jakob es bleiben, leerte seinen dritten Kaffee und ließ die Kellnerin den Rechnungsbetrag auf sein Zimmer schreiben.

Bin ich mir sicher?, weiß ich denn genau, was ich will?, fragte sich Jakob, nachdem er im Lift auf den Knopf mit der „12“ gedrückt hatte und der leise und mechanisch emporrauschte, nicht auf den Beruf bezogen, sondern auf mein ganzes Leben. Eher weiß ich doch, was ich nicht will, und nur schemenhaft, was ich gerne hätte. Aber sicher, sicher bin ich mir nicht. Der Lift war angekommen, die Tür glitt zur Seite. Die telefonierende Amerikanerin fuhr weiter, stieg aus. Room Number 1206 ließ ihn herein, für eine letzte Nacht. Er putzte sich die Zähne. Es war schon dreiviertel eins, die Zeit war zu knapp, um noch zu arbeiten, aus arbeitstechnischer Sicht würde er den heutigen Tag streichen. Als Jakob vom Fenster aus die vielen Palmen am Boden betrachtete, kam ihm der Gedanke, dass die Geschäftsleute, so wie auch er, wie Ameisen seien, die dort unten Beute machten und alles in ihre Bauten verschleppten. Und diese Stadt machte es ihnen dabei so angenehm wie möglich. Als ob sie sich selbst äße. Nein, er könne sich nicht mit angezogenen Schuhen auf das noch ungemachte Bett mit dem weißen Leintuch legen, sie waren ja nicht mal sauber, Jakob setzte sich auf einen Stuhl mit Blick in den Raum. Sein Leben war doch weitaus reichhaltiger und abwechslungsreicher als das von seinem Bekannten Karli zum Beispiel, den er „Karl, die Kakerlake“ nannte. Er lernte ihn in Linz beim Weggehen kennen. Karli saß alleine an einem Tisch und beobachtete ihn und andere Gäste, bis Jakob zu ihm hinging und ihn fragte: „Was tust du da?“ „Ich schaue.“ „Das sehe ich, und warum?“ „Weil ich neugierig bin.“ Das war eine ehrliche Antwort, dadurch kamen sie ins Gespräch. Karl war dreiundzwanzig und konstatiert schizophren, er hörte aber keine Stimmen oder sah, was es nicht gab, aber er war feindselig und sehr zurückgezogen. Er stellte alles infrage. Einmal fragte er Jakob, ob er Weisheit oder Intelligenz suche, wenn er erstmals auf jemanden träfe. „Titten“, war Jakobs nicht ernstgemeinte Antwort. Karli vertrieb sich die Zeit mit Online-Spielen. Er drang tief in die Programmstruktur ein und veränderte Parameter, um größere Schiffe mit besserer Bewaffnung zu bekommen, „damit es richtige Schlachten und nicht bloß Scharmützel gibt“, wie er Jakob erzählte. Nein danke, dachte Jakob jetzt, wenn man so was macht, ist man doch schon so gut wie tot. Karli, der reduzierte Mann, Karl, die Kakerlake. Jakob fand sich selbst wie einen Wasserläufer, der bei seinen vielen Dienstreisen fast immer nur an der Oberfläche blieb, was er sah, waren Flughäfen, Hotels und Fabriken, und das Land und seine Städte durch Autofenster, ganz selten nur sank er ins Wasser ein, wenn er mit unbekannten Einheimischen sprach, wofür er kaum die Zeit, oder nach der Menge Arbeit auch die Lust hatte. Karli, die Kakerlake bot Tiefgang, und deswegen schätzte Jakob ihn. Freier Wille, ich mach dich kaputt, Jakobs kruder Gedankenblitz, ich schneid dir die Beine ab, dann bist du nicht mehr frei. Jakob fiel der Bericht ein, den er im Fernsehen gesehen hatte, über die Erschießung von Nicolae Ceausescu in der Kaserne von Targoviste, der ein selten schmuckloser Ort ist. Sie suchten den Platz für die Vollstreckung des Urteils vor Prozessbeginn aus. Der mutmaßliche Todesschütze erzählte, Ceausescu habe ihm zuvor in die Augen gesehen und wahrscheinlich läge er deshalb so oft in Alpträumen. „Dich, meinen Mörder, seh ich an.“ In die Seele des Henkers haben sich die Augen des Verurteilten eingefressen. Jakob erinnerte sich an das seltsame Gefühl, das er hatte, als ihn ein Blinder auf der Straße direkt ins Gesicht blickte. Man kann alles relativieren, der Blinde hat ihn nur gehört, und seine Augen waren überdreht, die Augäpfel zeigten nicht in seine Richtung, aber trotzdem blieben diese leichte Beklemmung und die Unsicherheit: „Hat er mich vielleicht doch gesehen?“ Es klopfte an der Tür. Das Zimmermädchen. „Can you come later to tidy up my room?“, fragte er, “I´m out in half an hour.” Ein gazellenhaftes Wesen, hübsch und schüchtern. Sie hatte noch nichts gesagt, sie lächelte nur. „Okay, you may stay“, sagte er. Sie zog das Bett ab und neu auf, reinigte das Bad, wechselte die Handtücher, leerte die Mülleimer, saugte Staub und wischte die Möbel. Jakob sah ihr zu. Und gab ihr, als sie fertig war, einen Singapur Dollar Trinkgeld. „Thank you very much, Sir“, sagte sie, „welcome“, Jakob. Er war nicht neidisch, wenn jemand ein großes Haus hatte, das rechtschaffen erworben war, gönnte er es ihm, aber er war schadenfroh. In seiner HTL-Zeit kam er mit seinen Kollegen so leidlich aus, mit manchen besser, mit manchen schlechter, nur mit zweien überhaupt nicht. Der eine war die Klassen-Plaudertasche gewesen und arbeitete nun als volkstümlicher Radio-Moderator, und der andere?, der war der King gewesen, keine Ahnung. Bis er ihn, als er geschäftlich in Klagenfurt war, seine Stadt, in der er jetzt Gast war, ein Jahrzehnt später, am Heiligengeistplatz in einer Buslenker-Uniform sah. Das war die pure Genugtuung. Heiligengeistplatz? Busbahnhof? Er musste los. Achtung! Schluss mit dem Spazierengehen im eigenen Gehirn und mit allen Sentimentalitäten, davon wird einem ja die Birne weich. Ellenbogen ausgefahren und spitz gemacht, es geht raus auf die Straße. Das dem Urwald abgetrotzte Singapur empfing ihn mit seinen warmen Armen.

Als Jakob dem Taxifahrer „Central Bus Station“ als Destination nannte, wusste der nicht recht, wohin er wollte. Wo sich alle Busse träfen, wo sie ihre längste Rast einlegten, beschrieb es Jakob. Der Taxifahrer sagte, er könne sich schon denken, wo das sei. Wie groß war denn die Chance, dass Friesacher wirklich dort war? Jakob schätzte sie auf rund fünfzig Prozent. „Alright, let´s go“, sagte er und setzte sich auf die Rückbank.

Und Gerd war dort. Mit einer riesigen tropfenförmigen Ray-Ban-Sonnenbrille stand er breitbeinig massiv an einer Ecke. „Hallo“, begrüßte ihn Jakob, „ich war mir nicht ganz sicher, dass du da seist.“ „Doch, ich bin, weil ich zuverlässig bin“, sagte Gerd, was er gerade gezeigt hatte, „ich halte mich an Abmachungen.“ Ach ja, er logierte ja auch auf Sentosa Island, hatte er das nicht gesagt?, das sie sich jetzt anzusehen gedachten, Jakob hatte das nicht bedacht. „Ich bin extra wegen dir rübergekommen“, setzte er hinzu und kam damit Jakobs Frage zuvor. „Danke, ich weiß das zu schätzen“, entgegnete er. Gerds Feststellung schien ein wenig so etwas wie: „Jetzt schuldest du mir einen Gefallen“ nach sich zu ziehen. Auf so etwas ließ sich Jakob nicht ein, aber gut, aufmerksam von Gerd war es ja wirklich. Sein bäriger Händedruck. „Sieh her, ich bin unbewaffnet.“ „Ich auch.“ Es würde ja auch keinen späteren Kampf zwischen ihnen geben, weil Jakob wechseln würde, aber das wusste Friesacher nicht, und wenn er es vorausahnen könnte, dann wäre er wirklich gut. „Heiß, was?“, sagte Jakob. Heute brannte die Sonne ganz besonders, als ob der Glutofen der Hölle offenstehen würde. „Ja wirklich, ich freue mich schon aufs kühle Oberösterreich“, pflichtete ihm Gerd bei. „Ich organisiere uns ein Taxi“, fuhr er fort und winkte. Es blieb aber keines stehen. Der Taxistand war weniger als hundert Meter weit. „Gehen wir ein paar Schritte, Gerd, da drüben stehen welche“, sagte Jakob. Gerd nickte, und beide setzten sich in Bewegung. Hielten sie die vorbeigefahrenen Taxilenker etwa für präpotente Westler? Gerd ganz besonders und auch Jakob wäre das herzlich gleichgültig. Nur fünf Leute waren vor ihnen in der Schlange. Sie bekamen das dritte Taxi. Gerd setzte sich nach vorn und wies den Lenker an, zur Seilbahnstation nach Sentosa Island zu fahren. „You know where we want to go?“, versicherte er sich. Der Taxilenker nickte und schluckte offensichtlich seinen kleinen Batzen Ärger. Die großen, erwarteten Ereignisse geschehen nicht, dafür passieren die unzähligen kleinen Missgeschicke ganz sicher, dachte Jakob, als das Taxi beschleunigte. Wer sagt denn, dass das Taxi fährt und die Stadt stillsteht?, überlegte Jakob. Es könnte doch genauso sein, dass die Stadt am stehenden Auto vorbeizieht. Kosmologie im Kleinen. Nein, natürlich nicht, ich weiß ja, wie es wirklich ist, beruhigte Jakobs vernünftiger Gedanke den verrückten, philosophischen. Diese Stadt war so seltsam, so starr wie ein Patient, der frisch gewaschen in der Narkose liegend das Skalpell des Chirurgen erwartet. Der immer gleiche Singapurer Tag. Geschäfte machen und sich geziemt vergnügen, dafür bietet die Löwenstadt den besten Boden. Sie waren da. Der Wagen hielt. Gerd zahlte. Kein Trinkgeld, dafür einen Beleg. Graue, flache aneinandergereihte Häuser vor der Station der Cable Car, nicht schön, aber dafür die Seilbahn, ein robustes österreichisches Produkt, von Doppelmayr. Gerd und Jakob holten sich bei einem Kiosk zwei Cokes zu null Komma fünf Liter in einer Kunststoffflasche, dann kaufte Gerd die Tickets, für sich selbst ein One-Way, für Jakob für hin und retour. Gerd und Jakob waren alleine in einer Kabine. Die Steigung war nur gering. Das Land, das Meer, wieder das Land. Das Land aus grau und etwas grün, ein dünner blauer Streifen Meer, das neue Land, viel grün, dazwischen viele bunte Farben, ein wenig nur grau, und dahinter dann das offene wasserfarbenblaue Meer, der Ozean. „Sentosa Island, wir kommen“, Jakobs schaumgebremster innerer Jubelschrei. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten und bot einen grandiosen Ausblick, ähnlich wie von einem Flugzeug im Tiefflug. Viele Vögel kreisten über dem Meer, auf der Suche nach Fischen. Verwunderlich, dachte Jakob, dass gerade sie die Nachfahren der Saurier sind, da hat die Natur aber schön abgebaut, sie sind ja nur so unscheinbar. Die wichtige Wahrheit, sann Jakob den Faden weiter, ist, dass der Mensch die Tiere immer mehr verdrängte und das noch heute tut, mit exponentiell steigender Geschwindigkeit. Schön, fand es Jakob von seiner erhöhten Warte aus, einfach schön, wie es ist. Die Gondel war angekommen. Gerd und Jakob stiegen aus. Unweit der Station war ein Bummelzug für Touristen auf Schienen. „Nehmen wir den“, schlug Gerd vor, „er fährt ganz langsam rund um die Insel.“ „Klar, gerne, ich bin dabei“, stimmte Jakob zu. Gerd löste zwei Karten. Er und Jakob stiegen ein. Hauptsächlich waren Mütter in den Waggons, mit grinsenden, begeisterten Kindern. Der Zug machte „Tüt“ und fuhr los. Sein Tempo entsprach in etwa dem eines Fußgängers. Er blieb alle ein wenig mehr als hundert Meter stehen. Leute stiegen aus oder stiegen zu. Jedes Mal, wenn er abfuhr, machte er „Tüt“. Da waren verschiedene Palmen, riesige Farne, Blumen in allen Farben und Größen wie der Fantasie entsprungen, sauber gestutzt, eingefasst, die Pflanzen konnten sich nicht ausbreiten, wie sie wollten. Es war die gezähmte Natur.

Singapur, Sentosa Island.von Bright Angel)Und sehr viele Mülleimer waren da. Merkwürdigerweise gab es hier recht wenige Insekten, dafür war ein leichter, eigenartiger Geruch in der Luft, als ob sie Insektizide versprüht hätten, damit die Touristen und Geschäftsleute nicht von den Insekten gepikst oder sonst wie belästigt werden. Also: dezimieren mit dem Ziel – möglichst ratzeputz weg. Eliminieren. Bei der „Underwater World“ machten sie Halt, die ein großes begehbares Salzwasseraquarium ist. Die Kinder tippten gegen das Glas und die Fische schwammen hin und glotzten. Da waren Mantarochen wie riesige Fledermäuse. Seeigel lagen am Grund. Autsch!, muss das wehtun auf sie draufzusteigen. Auch Delfine gab es, blaugrau und sympathisch, es bestand die Möglichkeit mit ihnen zu schwimmen. Die Könige waren wohl die Haie. Die verschiedenen Bereiche des Aquariums wurden durch Gläser getrennt. Was wäre, dachte Jakob, wenn wir Menschen in diesen Becken wären und Außerirdische schauten uns an, lachten uns an und lächelten? Und gäbe es die Trenngläser nicht, würde immer der höher Entwickelte oder Beherztere oder Brutalere übrigbleiben, bis es am Schluss Gerd Friesacher wäre. Jakob staunte die Fische an, und die Fische staunten Jakob an, in ihrer blauen Welt. Gerd sagte, er würde gerne beginnen zu tauchen. Er war sehr angetan von dem, was sich im Wasser abspielte. Jakob gefiel es auch, aber so sehr begeistert war er nicht, es wirkte sehr fremdartig, irgendwie waren ihm die Meeresbewohner zu weit weg vom Menschen, sie wirkten wie – schwimmende Möbel. Aber sie sollen möglichst erhalten bleiben, das fand Jakob als wichtig. Nur diese eine Erde taugt als Lebensraum, für den Menschen und alle anderen Wesen. Wir haben nur sie alleine, also sollten wir auf sie achtgeben wie auf eine kostbare Kristallvase. Schluss mit diesem Gesülze! Wieder klar denken!, forderte Jakob sich auf. Aber die Zerbrechlichkeit dieser Unterwasserwelt blieb. Gerd und Jakob tranken zwischendurch einen schnellen Kaffee, Gerd einen Verlängerten und Jakob einen Cappuccino, der sehr schwach war, und Mineralwasser, dann gingen sie wieder zum Zug. „Tüt“, er fuhr mit ihnen ab. Ein kleiner asiatischer Bub zeigte wohin, seine Mama sprach mit ihm, dann sah er zu Gerd und Jakob, lachte zuerst und drehte sich dann schüchtern weg. Was würden seine Mama und all der Anhang von Geschäftsleuten wohl sagen, wenn ich vor ihren Augen einer weiblichen Leiche an die Brüste griffe, zwischen ihre kalten Schenkel und ihre erstarrten Lippen küsste? Die Antwort kann man sich denken, die Folgerung hieße: caning, caning, caning.

„Wir sind da“, sagte jetzt Gerd, „den Weg da hinunter liegt mein Hotel“, und „aussteigen“, als Jakob gedankenverloren nicht gleich begriffen hatte. Es war ein Fünf-Sterne-Kasten mit riesiger Poollandschaft und Sonnenschirmen aus Stroh, wo einem auch Drinks serviert wurden. Jakob hatte vorsorglich statt einer Unter- eine Badehose angezogen. Sie nahmen an einem Tisch Platz und bestellten was ohne Alkohol. „Du, Jakob, dein Vorgänger war eine Zeitlang bei uns. Weißt du das?“ Nein, wusste Jakob nicht. Er kannte seinen Vorgänger für Asien, der war ein umgänglicher, schön älterer Mann, ein Spaßmacher, der einmal mit einem Tuk-Tuk, dem motorisierten Rikscha-Taxi, wie die Hölle durch eine indische Stadt gerast war. „Er hat aber nichts gebracht“, fuhr Gerd fort, und er erzählte, dass er nur auf Provisionsbasis gearbeitet hatte und ständig von zu erwartenden Aufträgen gefaselt habe, um eine Festanstellung zu erhalten, es gab aber keine Aufträge und folglich keine Provision, er hatte es praktisch, bis auf die Reisespesen, umsonst getan. Gerd geriet wirklich in Saft, als er von dem glücklosen Mann erzählte, der mit einer ältlichen Freundin zusammenlebte, nachdem ihn die Ehefrau verlassen hatte. Die Plakette für den Best-loved-of-all-Boss würde Gerd wohl niemals kriegen, dachte Jakob. Friesacher, der biologische Apparat. „Gehen wir ein bisschen schwimmen?“, fragte Jakob. „Wenn du möchtest, klar, das hier ist ja mehr als unser Sommerwetter. Warte ein wenig bitte, ich hole nur schnell meine Badesachen“, sagte Gerd. Er ging in das Hotelgebäude, während Jakob seinen Stuhl in Richtung zum Meer stellte. Wie wäre das wohl, eine Weltumseglung mit einem Katamaran, überlegte Jakob, ganz alleine, die Wellen, ihre Gischt, die Fische und ich, der Wassermensch? Jakob malte es sich aus, sah sich das Segel zusammenraffen, wenn ein Sturm drohte, hörte das Klatschen der Wellen an den Bug und die meckernden Delfine, war gerade an einem weißen Südseestrand, als ihm Gerd, in Badehose und mit Handtuch, auf die Schulter klopfte. „Hallo, ich bin wieder da.“ „Du Träumer“ anzufügen, verkniff er sich, aber „Mach dich fertig“ sagte er. Jakob zog sich bis auf die Badehose aus. Gerd war vorgegangen und hielt den rechten Fuß in die Poollandschaft. „Nein, nicht da“, sagte Jakob. „Wo denn dann?“, fragte Gerd. „Na dort“, Jakob zeigte auf das Meer. „Meinst du das wirklich?“ „Ja, unbedingt“. Jakob ging als Erster rein, dann Gerd. Gewaltige Containerschiffe schwammen vor ihren Augen, viele. Das Wasser war sehr weich, fast wie ölig. Jakob kraulte einige Runden. Gerd blieb am Ufer und hielt den Kopf über Wasser. „Ob das gesund ist?“, fragte er. „Weiß ich nicht, aber ich will es wissen“, gab Jakob zurück.

Danach gingen sie in einem kleineren rechteckigen Pool baden, der abseits stand, im Neunzehnhundertsiebziger-Jahre-Look mit Mosaiksteinchen an den Rändern. Jakob fing an, ein bisschen was von seinen Sport-Touren zu erzählen, worauf Gerd sagte, er trainiere fast täglich wettkampfmäßig. „Was denn?“, fragte Jakob. „Triathlon“, sagte Gerd. Er schwamm Brust, noch dazu wie ein Volksschüler, mit tief untertauchen und hoch auftauchen. Nun kamen viele Hotelgäste, das Buffet wurde im Freien aufgetragen. Jakobs Magen knurrte ohnehin ein wenig, und dabei all den Leuten beim Schlemmen zuzusehen, wäre reine Folter gewesen, also fragte er Gerd: „Kochen sie gut hier, Gerd?“ „Wirklich ausgezeichnet“, antwortete Gerd. „Gehen wir dann was hier essen?“ „Das ist eine ganz fabulöse Idee. Ja, das tun wir“, bejahte Gerd. Er bedeutete dem Kellner, welchen Tisch sie nähmen, dann gingen sie durchs Buffet und sagten an, was und wie viel sie gerne hätten. In einem Käfig waren Hummer mit gefesselten Scheren, auf den ganz unten sich befindenden, zwei andere standen auf ihm drauf, zeigte Gerd und sagte, dass er genau ihn wolle. Die Sachen wurden zu ihrem Tisch gebracht. Feinstes Seafood, in Massen. Es war eine Schlacht! So viel war es, dass sie ein Beistelltischchen bekamen. Es war köstlich, kultiviert unkultiviert, nett, Beim Bezahlen machten sie Fifty-fifty.

Mit einem Schraubstock-Händedruck, wobei Jakob das Fertigungsteil war, und klaren Augen verabschiedeten sich Gerd und Jakob voneinander. Als er wieder in der Gondel der Seilbahn saß, fiel Jakob auf, dass ihn Friesacher gar nicht nach seiner Nummer gefragt hatte. Es war auch gut so. Ihre paar Tage lose miteinander waren so wenig intensiv wie eine Zugbekanntschaft. Der eine steigt aus und man sieht sich nie wieder. Jakob empfand es als angenehm wieder alleine zu sein, sich niemandem verpflichtet zu fühlen, in niemandes Wort zu stehen. Er war der, der im Zug sitzenblieb und weiterreiste. Jakobs Bauch war ein ziemlich schwerer. Er fühlte sich richtig kugelig. Trotzdem würde die Gondel natürlich nicht aus dem Seil springen. Aus der Super-Kunstwelt Sentosa Island ging es nun wieder in die übliche Kunstwelt des übrigen Singapur. Die Gondel hielt. Jakob stieg aus. Die Sonne lag in ihren letzten Zügen, sie verging gerade, und das ging schnell. „Bring me to „Planet Hollywood“, please“, sagte Jakob zu dem Taxifahrer, und als er angekommen war, war es bereits völlig dunkel und der Mond hatte den Platz der Sonne eingenommen. Im „Planet Hollywood“ standen lebensgroße Figuren und Reliquien von Filmen von Sly Stallone, Bruce Willis und dem Governator. Es waren wenige Leute drinnen. Jakob bestellte einen Campari Orange, blieb an der Theke sitzen. Er kam ins Gespräch mit dem jungen Mann, der sichtlich angetrunken neben ihm saß. Er tue, was er wolle und schere sich nicht um Regeln, sagte der, adrett angezogen und mit Chinesen-Politbüro-Gel-Scheitel, er sei ein Freigeist. Er meinte damit wohl, er tränke heute mehr als er vertrage. Einerlei. Mädels waren fast keine da, also ging Jakob nach einem weiteren Drink. Auf die Straße. Er spazierte. Knochenmann und Knochenfrau kamen ihm entgegen, und dazwischen Knochenkind, ihre Herzen pulsierten, das kleine Herz des Kindes schneller, ihre Gehirne waren aus einer schwammartigen Masse. Alle waren sie hier ihres Fleisches beraubt. Nein, es waren keine Skelettmenschen da, Jakob stellte sie sich nur bildhaft vor. Er ging in eine andere Bar, trank Bacardi-Cola, irgendwie das Kindergetränk. Drei junge Frauen plauderten angeregt miteinander, sie taten, als nähmen sie ihn gar nicht wahr, sonst nur fade Gesichter. Jakob nahm ein Taxi zurück in sein Hotel. Er zog sich bis auf die Unterhose aus, machte seine Abendtoilette, hatte einen geheiligten Stuhlgang und legte sich aufs Bett. In dieser entspannten Haltung sah er bei gelöschtem Licht CNN, um auf dem Laufenden zu sein. Berichtet wurde wie immer nur über Unruhen und Katastrophen. Schlechte neue Welt. Nach zwanzig Minuten schaltete Jakob den Fernseher aus und legte die Fernbedienung auf das Nachtkästchen. Er drehte sich auf die Seite. Leichte Gewissensbisse stiegen in ihm auf, weil er heute nicht gearbeitet hatte, die ihn am Einschlafen hinderten. Er ließ Visionen in sich aufsteigen von einer möglichen Zukunft mit einer Frau neben ihm und zwischen ihnen noch einen kleinen Sohn hineingepresst, die verdrängten alles Negative. Und der Schlaf nahm ihn auf in seinen Federn.

Jakob war in einem Raum voller riesiger Messer und großer scharfer Scheren. Seine Oberschenkel waren verwachsene Stümpfe, sie reichten bis dahin, wo früher die Knie gewesen waren. Eine Frau besuchte ihn, schwarzhaarig und schön. Da kamen die Messer und eine Schere und trennten ihr die Oberschenkel entzwei. Sie schrie. Vor Schreck, nicht vor Schmerz, denn es tat nicht weh. In Sekundenschnelle heilten die Stümpfe. „Jetzt gehörst du mir“, sagte er. „Nein, ich will dir nicht gehören“, sagte sie, „ich will wieder weg.“ Das konnte sie aber nicht mehr. Sie weinte, sie blieb, sie fügte sich ihrem Schicksal und lernte den Jakob des Traumes zu lieben.

Jakob wachte auf, er musste Wasser lassen. Zurück vom Bad setzte er sich an den Tisch und spürte die Lebensgeister wieder in sich aufsteigen, wer sagt denn, dass sie im Schlaf weg seien?  Das Handy lag neben seiner rechten Hand. Jakob nahm es zur Hand. Er rief die gewählten Rufnummern auf. Den letzten Anruf hatte er am 08.01.2010 getätigt, am Abflugtag, an einen Freund. Wo waren die Anrufe an Nathalie? Natürlich hätte er sie aus der Liste löschen können, doch wieso hätte er das tun sollen? Merkwürdig, äußerst merkwürdig. Gespenstisch.

Was, zum Himmel und zur Hölle, war bloß mit ihm los?
Der Fernseher hatte sich verändert. Der Bildschirm war viel kleiner und gewölbt. Jakob ging zu ihm hin. Er reichte weit in die Tiefe. Er war eine Röhre. Und auch das Handy war viel dicker und sein Display war geschrumpft. Es hatte größere Tasten – und eine Stummelantenne. Jakob hob den Laptop auf. Er hatte gut eineinhalb Kilo mehr.

Was passiert mit mir? Was geschieht um mich herum?, dachte Jakob panisch.

Nichts geschieht mit mir, das ist nur ein Traum, sagte seine innere Stimme. Jakob ging im Traum wieder zu Bett, und sein Traum fuhr fort. Oder schlief er jetzt erst wieder ein und träumte diesen neuen Traum?

Jakobs Handy bimmelte, das mit der Stummelantenne. Er ging ran. „Jakob, komm mich doch wieder besuchen.“ Es war Mary, Maria, das Junkiemädchen, das sich vor vielen Jahren schon den goldenen Schuss gesetzt hatte. Die brünette Maria mit dem großen Busen und den weichen Formen, die so gut kochen hatte können und es einfach nicht mehr gepackt hatte auf dieser Welt. Ihre Stimme klang frisch, aber als ob sie in einer riesengroßen Halle gewesen wäre. „Aber Mary, da wo du bist, kann ich dich nicht besuchen.“ Die Stimme war weg. Jakob sah auf das Display des Handys, denn Maria konnte seine Nummer gar nicht haben. Da stand: „Neue Einstellungen laden.“ „Du musst auf „OK“ drücken, um zu bestätigen“, sagte sein Kollege Klaus Schertenleib, der plötzlich neben Jakob aufgetaucht war.

Jakob schlug die Augen auf. Und sah: Röhrenfernseher, dickes, altmodisches Handy, schweren tragbaren Computer. Er stand auf, ging zum Fernseher, zum tragbaren Computer, griff sie an, nahm das Handy in die Hand, an dem auch keine Kameralinse mehr war. Er spritzte sich im Bad kaltes Wasser ins Gesicht. Er war munter. Es bestand kein Zweifel. Es war, wie es war.

Das Licht schien von draußen herein. 07:52 Uhr, zeigten die nun sehr großen Ziffern des Handys. Jakobs Umgebung hatte sich verändert, doch er konnte nichts dagegen tun, er bewegte sich in ihr und konnte sie nur als gegeben akzeptieren. Er setzte sich auf, blieb ein wenig in dieser Position, dann ging er ins Bad und machte sich frisch, zog die gebrauchte schwarze Jeans an und ein T-Shirt, denn heute war er alleine. Er bediente sich am Buffet, trank Kaffee und überprüfte das Datum einer Tageszeitung mit dem seines Handys, Freitag, der 15.01.2010, korrekt, wenigstens das. Die Handys, die hier in Betrieb waren, waren allesamt ungefähr so alt wie Jakobs neues, altes mit der Stummelantenne. Er begab sich wieder auf sein Zimmer. Die getönten Fensterscheiben fingen das glühende Licht der Sonne ab, trotzdem war es zu hell zum Arbeiten, zum Nachdenken, um sich zu fassen. Jakob ging hin, um die Gardinen zuzuziehen. Er sah dabei ins Freie und nach unten. Fünfzig Meter geradeaus stand eine Telefonzelle, die gestern nicht dagewesen war, und das Mountainbike, das an einen Laternenpfahl gekettet war, hatte keine Federgabel. Jakob bemerkte es. Er nahm es hin. Er zog die Gardinen zu und schaltete das elektrische Licht ein. Den antiquierten Laptop stellte er auf den Tisch und fuhr ihn mühselig hoch. Er musste, wollte aus den Gesprächsprotokollen Messeberichte erstellen und sie an Lohmann und Nathalie mailen, um wenigstens ein bisschen Einsatz zu zeigen. Aus seiner Aktentasche nahm er die sechs Gesprächsprotokolle mit den angehefteten Visitenkarten. Jakob sah sie durch.

Sie waren alle vom selben Tag.

Alle datiert mit dem 11.01.2010, dem Montag. Das war doch nicht möglich, Montag war doch erst der Eröffnungstag und die Messe ging bis Mittwoch. Mittwochs hatte er doch erst mit dem Russen für Smerslak gesprochen, aber Jakob machte beim Arbeiten selten Fehler. Er ging ins Internet, um zu überprüfen, wann die Messe nun stattgefunden hatte. Es dauerte lange, bis eine Verbindung erstellt war. Google hatte keine Funktion für die Suche nach Bildern oder Videos oder die Anzeige von Nachrichten, nur das Durchforsten von Websites war möglich, und es waren dramatisch weniger Treffer, als wie er die Suchmasche das letzte Mal bedient hatte.

Doch diese waren eindeutig. Die Aseanplas hatte lediglich am Montag, dem 11.01.2010 stattgefunden, eine Ein-Tages-Messe.

Jakob rief Schertenleib an, um sich zu erkundigen, wie es allgemein in der Thermoform liefe. „Unter dieser Telefonnummer ist uns kein Teilnehmer bekannt“, tönte die weibliche Ansagestimme vom Band. Er suchte Nathalies Nummer, er suchte Lohmanns Nummer. Beide Namen waren nicht vergeben. Auch nicht „Thermoform“, die Nummer der Zentrale.

Aus. Jakob legte die Gesprächsprotokolle zurück in die Aktentasche, er fuhr den Laptop herunter und gab ihn in seine Tasche, die nun voluminöser war, er schaltete das Handy aus und spannte die Uhr ums Handgelenk. Er würde daheim?, zuhause?, nein, an seinem vorläufigen Stützpunkt sehen, was nun wirklich los war. Die Welt ist doch ein fortschrittlicher Ort, dachte Jakob, die Vereinigten Staaten von Amerika haben einen halb-schwarzen Präsidenten, das ist doch nichts Schlechtes. Nur, wo in ihr ist Platz für mich? Nein, ich will mich nicht belasten, ich will ausspannen, einen klaren Kopf kriegen, dann wird sich alles wieder einrenken. Jakob löschte das elektrische Licht und legte sich aufs Bett, dass er die Schuhe dabei anhatte, störte ihn nicht. Er wollte nur noch schlafen, und wenn das nicht ginge, dann wenigstens dösen. Sicherheitshalber gab er einen Wake-up-Call für sechzehn Uhr ins Zimmertelefon ein. Er dachte an Paulina mit den langen glatten schwarzen Haaren und den ruhigen braunen Augen, auf die er als Jugendlicher jahrelang scharf gewesen war, aber nie hatte sich etwas ergeben, bis sie sich doch nähergekommen waren, in der Nacht im Park, sie rauchten einen Joint und sie drehte ihr Gesicht zu ihm, brach aber vor dem Kuss ab. Sie trafen sich nicht wieder, denn am nächsten Tag lernte Jakob das Romy-Schneider-Mädchen kennen. Fünf Jahre später sahen sie sich dann in einer Diskothek wieder, sie rauchten auf dem Herrenklo wieder einen Joint, sie saß auf seinem Schoß, diesmal küssten sie sich, sie tat es sehr hingebungsvoll. Bevor der Joint aus war, verließ sie das Klo, und als Jakob rauskam, war sie aus der Diskothek verschwunden. Seitdem hatte er sie weder gesehen noch irgendetwas von ihr gehört. Paulina, rette mich!, dachte er, doch das ging nicht, denn es gab sie ja nicht mehr. Jakob ließ seinen Kopf tief in den Polster sinken. Er rollte sich in Embryonalstellung zusammen und machte die Augen zu, aber Schlaf wollte sich keiner einstellen, er war zu aufgewühlt, um Ruhe zu finden. Er drehte sich auf den Rücken. Käfer können wohl vom Rücken wieder auf ihre sechs Beine kommen, das hatte er einmal gesehen. Jakob hatte nur zwei, und auf die bewegte er sich nun. Er ließ die Sonne wieder rein, er war ja am Leben und nicht tot. Er nahm den Wake-up-Call aus dem Zimmertelefon. Jakob würde zum Pool gehen. Klar, warum nicht? Zeit hatte er noch genug. Die Badehose, die er gestern getragen hatte, war inwendig leicht schmutzig, aber trocken. Eine kleine Tube Sonnencreme hatte er mit. Er schnappte sich das größte Handtuch aus dem Bad.

Und barfuß, nur in Badehose und T-Shirt und mit Handtuch, Sonnencreme und Keycard für das Zimmer fuhr er mit dem Aufzug abwärts. Der Pool war gut besucht, zwei Liegen waren noch frei, auf eine legte Jakob Keycard und Handtuch. Er begann sich einzuschmieren, doch beim Rücken kam er nie vollständig dazu. Wer käme in Frage. Eine Asiatin in einem schwarzen Bikini lag alleine. Jakob fasste sich ein Herz und fragte sie, ob es möglich wäre, dass sie ihm den Rücken eincremte. Sie lächelte, stand auf und sagte: „Why not?“ Sie verteilte die Creme auf seinem Rücken. Kurz bevor sie fertig war, ihre Hand war angenehm auf seinem Rücken, fragte Jakob dann, was sie hier täte. Sie arbeite für eine Spedition in Taipeh, führe hier Verschiffungen durch. Eigentlich sei das Hotel ja zu teuer für sie, aber ihre Firma kaufe immer ein Jahreskontingent an Zimmern und so bekäme sie ihres um den halben Preis. „Wendy“ hieße sie, fügte sie hinzu. Auch Jakob stellte sich vor. Wie findest du Singapur so, Wendy?, fragte Jakob auf Englisch. Die Leute sind zuverlässig, sagte sie in sehr gutem Englisch, aber die Stadt ist langweilig, das Nightlife sei bis auf „The Clinic“ zu vergessen. Was sie an „The Clinic“ denn so Besonderes fände, wollte Jakob wissen. Na, der Raum mit den Rollstühlen um den Tisch drapiert sei gruselig, aber der mit den vielfärbigen Neonstreifen sei stark, da fühle man sich wie in einem Raumschiff. Jakob hatte all das nicht gesehen. Er war im Planet Hollywood, sagte er, das war nicht so toll. Hat dich da ein Museumswärter reingelassen?, erkundigte sie sich scherzhaft, das hat ja schon seit Jahren zu. Gewiss hielt sie ihn jetzt für einen Freak. Sie ging auch einen halben Schritt zurück. Danke für die Hilfe, Wendy, sagte Jakob. Ist schon in Ordnung, antwortete sie. Sag, Jakob, bist du bei einem sozialen Netzwerk, fragte Wendy. Soziales Netzwerk?, noch nie gehört. Nein, sagte er nur, nahm die Tube Sonnencreme wieder an sich, wandte ihr erneut den Rücken zu und ging zu seiner Liege. Ausgestreckt auf ihr betrachtete er die Lichtspiele auf dem hellblauen Wasser des Pools. Das des Wörthersees schien von weiter weg im Sommer grün, er wusste nicht, ob aufgrund von Algen oder als Reflexion der umliegenden Wälder. Er wusste überhaupt nichts, überhaupt nicht mehr, was richtig war und was falsch. Wo war die Grenze zwischen erlebt und bloß ausgedacht? Er plantschte ein wenig im Pool, legte sich wieder auf die Liege. Was er tat, war die Zeit mit einer Fliegenklatsche tot zu schlagen. Wendy ging und sagte kurz „Bye“. Jakob erwiderte den Gruß. Er stellte die Liege so, dass sie völlig im Schatten lag. Die Sonne war zu heiß. Er badete noch einmal, um sich abzukühlen. Es langte ihm. Er ließ sich an der Luft trocknen, was nur kurz dauerte, und ging wieder auf sein Zimmer. Die Fliege Zeit lebte noch. Jakob schlug sie weiter tot, indem er sich Zeichentrickfilme ansah. Dabei brauchte er auch nicht zu denken, es machte in schwindelig, wenn er in sich ging, er wollte das im Moment nicht. Die Zeit erholte sich aber wieder. Nach einigen Zeigerbewegungen von Jakobs Armbanduhr erhob sie sich wieder, flog im Zimmer herum und sagte: „Pack den Koffer, Jakob. Mach dich reisefertig.“ Jakob tat, was die Fliege Zeit ihm auftrug. Er trennte im Koffer nicht mehr zwischen frischer Wäsche und gebrauchter, es war ihm egal. Für das Zimmermädchen ließ er zwei Singapur Dollar liegen. Er verließ Room Number 1206, fuhr mit dem Lift hinunter, ließ sich die Rechnung erstellen, die Hoteleigner waren kulant, sie berechneten ihm nichts extra für Late-Check-out. Er bezahlte sie mit seiner Kreditkarte, gab wieder zwei Singapur Dollar Trinkgeld. Die Hotelangestellte wünschte ihm eine gute Reise. Jakob bedankte sich und ging. Sein Taxi wartete bereits.

 Jakob nahm hinten Platz. „You´re going home?“, fragte der Fahrer. „Yeah, I´m going to Austria“, sagte Jakob. Der Fahrer kannte „Austria“ nicht, worauf Jakob „Audili“ sagte, das chinesische Wort für Österreich, dann wusste er, welches Land gemeint war. Auf sein „I would like to go there“ reagierte Jakob nicht mehr. Die graue, teilweise von Palmen gesäumte Straße, führte zum Changi International Airport.

Einchecken, Koffer abgeben, auch gleich die Aktentasche, und nur mit dem Boarding Pass und dem Laptop in seiner Tasche zum Gate. Die Sonne verschwand hinter den Gläsern. Im Flugzeug, das gerade an Höhe gewann, saß Jakob am Fenster, rechts neben ihm ein deutscher Universitätsprofessor. „Wie sind Sie denn hierhergekommen?“, fragte der ihn jetzt. „Mit dem Flugzeug“, war Jakobs Antwort. „Nein, ich meinte zum Flughafen.“ „Mit dem Taxi“, sagte Jakob. „Ich habe den MRT genommen, sehr bequem kann ich nur sagen.“ Jakob fragte, was das sein, der MRT. Und der Deutsche erklärte ihm, dass es in Singapur zwei Eisenbahnsysteme gäbe, den „Mass Rapid Transit“ und den „Light Rail Transit“, die wurden neu eingeführt, und auf Sentosa Island fuhr nun der „Sentosa Express Monorail“. Jakob sah ihn ungläubig an. „Na, Sie haben wohl viel gearbeitet. Waren Sie wenigstens auf dem Flyer?“, fragte der Deutsche. „Welchem Flyer“ „Dem Riesenrad, es ist hundertfünfundsechzig Meter hoch, man sieht es von überall in der Stadt.“ Jakob wusste nicht, wovon der Mann sprach. „Schauen sie doch aus dem Fenster“, fuhr der fort, „dann sehen Sie es mit eigenen Augen.“ Und Jakob sah es. Es war gigantisch groß und violett und blau beleuchtet. „Bei Tag ist es weiß“, klärte ihn der Deutsche auf. „Mann, Sie sind ja zehn Jahre zurück“, schloss er, „wenn nicht noch mehr!“

Aus dem Flugzeug wurde jetzt ein stählernes Behältnis, aus dem alle Leute verschwanden, und das blieb es auch von Frankfurt weg, außer ihm selbst, seinem Vater und seiner Mutter auf den Sitzen 1A und 1B, Jakob sah sie nicht, aber er wusste, dass sie da waren, und seiner Schwester ganz rechts von ihm, auch am Fenster sitzend.

In Hörsching bei Linz angekommen, zog sich Jakob einen dicken Pullover über, bevor er mitsamt seinem Gepäck ins Parkhaus ging. Da stand sein Firmenwagen, ein schicker dunkelblauer Ford Mondeo, aber das vorvorherige Modell. Vor dem Schranken hielt er, schob das Parkticket in den Schlitz. Der Betrag auf dem Display war ungewöhnlich hoch. Er führte seine Kreditkarte ein, um ihn zu begleichen. Auf dem ausgeworfenen Beleg war hinter dem Zahlungsbetrag „österreichische Schillinge“ als Währung angegeben. Jakob lenkte das Auto durch den Flughafen und bog in die Landstraße ein. Schnee lag in der Dunkelheit hell an ihren Rändern.

„Er liegt seit sechzehn Jahren bei uns, und es ist keine Besserung eingetreten“, sagte der Arzt und zeigte auf Jakob, der in einem Krankenhausbett lag und an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen war. „Das ist tragisch“, entgegnete der zweite Arzt von einer anderen Klinik, „kümmert sich wer um ihn?“ „Seine Eltern sind bei dem Autounfall verstorben“, sprach der diensthabende Arzt, „er überlebte in diesem Zustand, seine Schwester ist seitdem querschnittsgelähmt und blind und hat schwere zerebrale Schäden, sie lebt in einem Pflegeheim. Vor fünf Jahren war sie zuletzt bei ihm, sie hat nicht auf ihn reagiert. Vor drei Jahren besuchte ihn eine Tante, danach erhielt er keinen weiteren Besuch von außen. Wir haben getan, was wir konnten und sind an unsere Grenzen gestoßen. Er ist hirntot, er kann keine Reize wahrnehmen oder verarbeiten. Wir werden die Maschinen, die ihn versorgen, morgen abstellen.“

Jakob fuhr und fuhr. Er wusste nicht wohin, alle Straßen waren anders. Es war Nacht und es wurde nicht mehr hell. Und er kam nie an.

Die Straße nach dem großen Schneefall von Bright Angel)
Zum Autor

Bright Angel (Pseudonym) wurde Mitte der 1960er Jahre in Kärnten geboren. Er ist ein unsteter Geist und ein rollender Stein. Er schreibt Lyrik, Prosa und Hörspiele und fotografiert. Er veröffentlichte Lyrik, Kurzprosa und Fotos in Zeitschriften und Anthologien und bei „Erozuna“, „Zukunftia“, „Gangway“ und „zugetextet.com“ im Internet.

Veröffentlichungen:

  • Gedichte in „Driesch“, Nr. 5  im Jahr 2011.
  • Kurzgeschichte in „Brückenschlag“, Band 27 im Jahr 2011.
  • Kurzgeschichte in „TrokkenPresse“, Nr. 5 im Jahr 2011.
  • Prosatext in „TrokkenPresse“, Nr. 2 im Jahr 2012.
  • Gedichte in und Gedicht auf „Brückenschlag“, Band 28 im Jahr 2012.
  • Miniaturen in „WORTSCHAU“, Nr. 17 im November des Jahres 2012.
  • Gedichte in „Spring ins Feld“, 13. Ausgabe, Dezember des Jahres 2012.
  • Kurzgeschichte in „Brückenschlag“, Band 29 im Jahr 2013.
  • Prosatext in „TrokkenPresse“, Nr. 3 im Jahr 2013.
  • Gedicht in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 59, 09/2013.
  • Kurzgeschichte in der Anthologie „Mein heimliches Auge, Das Jahrbuch der Erotik XXVIII“ vom konkursbuch Verlag
  • Claudia Gehrke im Jahr 2013.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 60, 12/2013.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 61, 04/2014.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 62, 08/2014.
  • Kurzgeschichte und Gedicht in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 63, 11/2014.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 64, 04/2015.
  • Kurzgeschichte und Gedicht in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 67, 04/2016.

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