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Kurt Luifs Werkausgabe - 12. Teil - Kommissar X 1644 - Heiße Scheiben

Kurt Luif WerkausgabeHeiße Scheiben

Im Mai 2017 wäre Kurt Luif 75 Jahre alt geworden und aus dem Grund habe ich mir die Mühe gemacht und diverse Romane von ihm eingescannt und präsentiere Euch im Laufe der nächsten Monaten einige seiner Werke in eine Art von Werkausgabe.

Es war 1990. Ich kann mich noch erinnern, dass mir damals Kurt erzählte, er würde mal gern wieder einen Krimi schreiben. „

Warum keinen KX?“, war meine Frage. „Dort hat gerade Horst Hoffman die Redaktion und den kennst du doch von PR her?“ Nun, Kurt schrieb ein Exposé und bekam den Auftrag, und als KX-Band 1644 mit dem Titel Heiße Scheiben erschien dann sein dritter KX-Roman. - Uwe Schnabel

Heiße Scheiben
Kommissar X – Nr. 1644

von Neal Davenport
Über verbotene Geschenkannahme von Plattenfirmen stand einiges in Randy Scotts Vertrag, doch nichts über Drohung und Nötigung.
Er war weiterhin Diskjockey bei der Radiostation WKTU in N. Y.C., doch vor ein paar Wochen war er außerdem zum Musikdirektor ernannt worden. Und mit sei¬nem neuen Amtsantritt hatten die Drohungen begonnen, die er anfangs nicht sonderlich ernst genommen hatte.
Randy hatte die Anrufe als die eines Verrückten betrachtet. Das hatte sich bald geändert, als die Pakete eingetroffen waren. Ein hübsch verschnürtes Päckchen, das Hundescheiße enthalten hatte, eine Blechbüchse, in der eine Ratte lag, der jemand mit einem Vorschlaghammer den Schädel zertrümmert hatte.
Und dazu die elektronisch verzerrte Stimme des Anrufers, die mit schrillem Echoklang aus einer anderen Welt zu kommen schien. Diese Stimme, die er in den vergangenen Tagen zu hassen und zu fürchten gelernt hatte.
Dreimal wurde seine Klappendurchwahl geändert, zweimal hatte er eine neue Geheimnummer zu Hause bekommen, doch das nützte alles nichts, der Unbekannte hatte sie herausgefunden.
Die Gespräche waren meist sehr einseitig verlaufen. Der unheimliche Anrufer hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen und Druck auf ihn ausüben wollen. Er hatte resolut gefordert, daß diverse Titel von der Playlist gestrichen werden sollten, dafür sollten andere ins Programm aufgenommen werden. Doch davon hatte sich Randy Scott bisher nicht beeinflussen lassen und war auf die Befehle nicht eingegangen, die meist auch recht widersprüchlich gewesen waren.
„Du wirst so enden wie die Ratte, die ich dir geschickt habe“, hatte der Unbekannte vor einer Woche ins Telefon gedonnert. „Man wird dich mit eingeschlagenem Schädel im Central Park finden, wenn du nicht meine Wünsche erfüllst.“
Randy hatte geschwiegen.
„Ab sofort spielst du keine Nummer mehr von Janet Jackson“, hatte der Verrückte weiter gefaucht. „Hast du mich verstanden?“
„Ich habe keinen Einfluß auf die Playlist“, hatte Randy sich drücken wollen, doch der Unbekannte wußte es besser, denn der Musikdirektor machte die Vorschläge, die dann vom Programmdirektor genehmigt wurden. Scott schlug auch die neuen Songs vor, die in die Playlist aufgenommen wurden. Bei WKTU umfaßte sie 50 Titel, die mehr oder minder rund um die Uhr gespielt wurden. An diese Vorschläge mußten sich die DJs halten, sie durften in ihren Sendungen keine anderen Songs spielen.
„Keine Songs von der Jackson“, hämmerte der Anrufer, „und du wirst Ebony Lynn interviewen. Ist das klar?“
Randy hatte einfach eingehängt, aber die Anrufe kamen weiter, die Drohungen wurden konkreter. Vor drei Tagen waren die Reifen seiner Harley-Davidson durchstochen worden, und der Anrufer hatte ihm diese Tat angekündigt.
Der unheimliche Anrufer bestand darauf, daß er einen Song von Ebony Lynn in die Playlist aufnehmen sollte, doch die Sängerin hatte bisher noch keinen Tophit gelandet. Ein paar Cover-Versions waren ganz erfolgreich gewesen, und ihre erste LP hatte sich in den Charts platzieren können, war allerdings nie höher als bis zur Nr. 15 aufgestiegen. In den nächsten Tagen sollte ihre zweite LP herauskommen, aber sie war nicht der Typ Super-Star, wie er sie normalerweise in seiner Spezialsendung interviewte.
Ziemlich unkonzentriert hörte er sich die neuesten Singles an und machte sich Notizen, blätterte im Billboard und studierte die Charts und die Playlists der anderen großen Radiostationen, die jeweils mehr als eine Million Zuhörer hatten. Zwischendurch telefonierte er mit einigen der größten Einzelhändler und ließ sich über den Verkauf einiger Scheiben informieren.
Unwillkürlich verkrampfte er sich immer mehr, je näher die Mittagsstunde kam, das war die bevorzugte Zeit, in der sich der Unbekannte meldete.
Und auch diesmal war es nicht anders, kurz vor 12 Uhr hob er den Hörer ab, und er wußte, wer sich melden würde.
Die schrille, verzerrte, so unkenntlich gemachte Stimme zischte ihm entgegen.
„Du spielst noch immer einen Song von dieser Nigger-Nutte“, schlug es ihm kreischend und heulend entgegen. „Ich habe dir mehrmals gesagt, daß du nicht mehr Janet Jackson spielen sollst, aber du hast dich nicht daran gehalten, Randy.“
„Ich lasse mich nicht einschüchtern“, sagte er entschieden.
„Ist das dein letztes Wort?“
„Ja, das ist es.“
„Du hängst doch sehr an deiner Katze, nicht wahr, mein lieber Randy?“
Der DJ hielt den Atem an. Natürlich hing er an Charly, seinem Tigerkater, den er vor fünf Jahren von seiner Mutter zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Charly war zu Hause in seiner Wohnung, deren Tür mit drei Schlössern gesichert war. Da kam niemand rein, das hatte ihm der Schlosser versichert.
Die Drohung des Anrufers war greifbar, er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, als der Kerl bösartig zu kichern begann.
„Ein schöner Kater“, sprach der Un¬bekannte weiter. „Und du hast auch eine sehr kostbare Single-Sammlung mit seltenen Aufnahmen von Presley, die ein kleines Vermögen wert sind. Ich werde sie an mich nehmen, Randy!“
„Zum Teufel mit Ihnen“, brüllte der DJ ungehalten. „Ich glaube Ihnen kein Wort.“
„Dann sieh mal nach, du Dummkopf“, kreischte der Fremde und legte den Hörer auf.
Ein paar Sekunden blieb Scott wie erstarrt sitzen; schließlich sprang er auf, rannte aus dem Büro und stürzte zu den Aufzügen.
In der Tiefgarage startete er sein schweres Motorrad und raste wie ein Verrückter los. Er fuhr auf die Madison Avenue, bog sofort in die 43. Straße ein, stoppte an der nächsten Kreuzung und raste die Fifth Avenue downtown. Rücksichtslos schlängelte er sich durch die wütend hupenden Autofahrer und erreichte nach wenigen Minuten den Washington Square, arbeitete sich durch einige verstopfte Seitenstraßen und drosselte das rasende Tempo, als er in die Prince Street schoß, bog nach rechts ab und blieb vor dem alten, fünfstöckigen Haus in der Sullivan Street in Soho stehen, wo er wohnte.
Das Haustor war abgeschlossen, wie er zufrieden feststellte. Er verzichtete auf den Aufzug, der im vierten Stock stand, rannte keuchend die Stufen hinauf in den 3. Stock und blieb schwer atmend vor seiner Wohnung stehen.
Wie er mit einem Blick feststellte, waren die drei Schlösser unbeschädigt. Seine Hände zitterten leicht, als er öffnete und die Tür aufzog.
Aus dem Wohnzimmer hörte er das wütende Fauchen seines Katers. Seine Augen wurden groß, als er Charly erblickte, der sich unweit der Ledersitzgruppe auf dem Boden wälzte und vergeblich versuchte, die Klebebänder abzubekommen, die um seine Vorder- und Hinterbeine geschlungen waren.
„Verdammt“, fluchte er wütend und entsetzt und stürmte in die Küche, holte ein scharfes Messer hervor und befreite den noch immer wild knurrenden und fauchenden Kater von den Fesseln. Charly war so empört, daß er sich mit zurückgelegten Ohren in einer Ecke verkroch.
Langsam richtete sich Randy Scott auf. Das große Stück Papier auf der Sitzbank war nicht zu übersehen.
BEI UNSEREM NÄCHSTEN BESUCH SCHNEIDEN WIR CHARLY DIE KEHLE DURCH, stand darauf.
Der Diskjockey stierte das Blatt Papier mit geweiteten Augen an und las mehrmals die eindeutige Botschaft. Mit hängenden Schultern ging er zur Regalwand an der Stirnseite des großen Zimmers.
Er preßte die Lippen zusammen, als er die Lücke erblickte. Dort hatte sich seine Sammlung mit Rock-Raritäten befunden, die nun der Unbekannte an sich genommen hatte.
Sein Mund war trocken. Und plötzlich hatte er Angst. Der Unbekannte schien tatsächlich Ernst zu machen. Ihm war es offenbar mühelos gelungen, in seine Wohnung zu gelangen. Zielstrebig waren die kostbarsten Singles entwendet und Charly gefesselt worden.
Seit zwei Jahren rauchte er nicht mehr, doch nun holte er aus dem Schreibtisch ein angebrochenes Päckchen Zigaretten hervor, das jemand vor ein paar Tagen vergessen hatte, steckte sich eine an und rauchte hastig.
Und mit jeder Sekunde wurde seine Angst größer...

* * *

Die dreißig Lagerschuppen zwischen der Desbrosses und der Hubert Street waren alle mehr als hundert Jahre alt. Die Piers, die sich in den Hudson erstreckten, waren schon vor Jahren stillgelegt worden. Die Kräne und Gleise rosteten vor sich hin, und die gewaltige Containerbrücke wurde seit vielen Jahren nicht mehr benutzt.
Üblicherweise war es hier recht ruhig während der Nachtstunden. Zwei Wachmänner der SECURITY SERVICES versahen ihren Dienst und ließen die wenigen angemeldeten LKWs aufs Gelände.
Doch in dieser Nacht war es anders. Das schwere Gittertor stand weit offen, der Schlagbaum war hochgezogen, neben dem Wächterhäuschen parkte ein Streifenwagen, drei Löschfahrzeuge der Feuerwehr waren im Einsatz.
Dicker, beißender Rauch zog sich über das ganze Gelände. Aus der Lagerhalle A 9, die von der Plattenfirma PANREC gemietet war, schossen immer wieder Flammenfontänen in den nachtschwarzen Himmel. Alle paar Sekunden ging ein Feuerregen über die Feuerwehrmänner nieder.
Der Brandmeister hatte nach wenigen Minuten erkannt, daß der Lagerschuppen nicht mehr zu retten war, daher beschränkten sich die Männer hauptsächlich darauf, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen und ein Ausbreiten des Brandes auf die anderen Gebäude zu verhindern.
Der Rauch war mit Rußflocken vermischt, und der Gestank nach verbranntem Kunststoff wurde immer durchdringender und penetranter. Mit einem lauten Krach donnerte ein Teil der Decke in das Inferno, und die Luft begann zu flirren. Ein paar der mit Schutzkleidung und Gasmasken ausgerüsteten Männer wichen zurück.
Zur weiteren Unterstützung war ein Feuerlöschboot eingetroffen, das nun mit der Wasserkanone einen dicken Strahl auf die Halle richtete, und zusätzlich waren zwei Luftschaumwerfer eingesetzt.
Fünfzehn Minuten später war der Brand unter Kontrolle. Die lodernden Flammen sackten in sich zusammen, doch noch immer gab es Glutnester, die bekämpft werden mußten. Ein paar Feuerwehrmänner wagten sich ins Innere der Halle vor.
Der Brandmeister folgte ihnen, blieb aber auf der Rampe stehen und sah sich aufmerksam um.
Zwei seiner Männer schleppten aus dem fast völlig ausgebrannten Schuppen eine halbverkohlte Leiche. Deutlich konnte man die Überreste der blauen Wachuniform erkennen. Mit der rechten Hand umklammerte der Tote noch immer einen Smith & Wesson-Hand-Ejector-Revolver. Dampf- und Rauchwolken stiegen von der Leiche hoch.
„Verflucht“, knurrte der Brandmeister, der beim Anblick eines Brandopfers noch immer Magendrücken bekam, obzwar er schon Hunderte in seiner langen Laufbahn gesehen hatte. Die Männer legten den Toten neben einen Löschwagen auf den Boden, und der Brandmeister lief zum Streifenwagen und nahm dabei die Gasmaske ab.
Hinter dem Patrol Car hielt ein grauer Chevrolet, aus dem zwei Detectives vom 9. Revier stiegen, die bereits die Erkennungsmarken an die Jacken geheftet hatten.
„Habt euch verdammt viel Zeit gelassen, Jungs“, sagte der Brandmeister, der die beiden Detective schon lange kannte. Bei jedem Brandalarm wurde das zuständige Revier verständigt, und diesmal hatte es eben Fred Fastow und Denny Leroux getroffen, die beide hofften, daß es sich nicht um Brandstiftung handeln würde.
Beide zuckten mißmutig die Schultern, und ihre schlechte Laune steigerte sich noch, als der Brandmeister sich umdrehte und auf den toten Wachmann zeigte.
„Scheiße“, sagte Leroux, schob die Hände in die Hosentaschen und ging langsam auf die Leiche zu, musterte sie kurz und kehrte zu seinem Kollegen zurück. Der beißende Gestank schlug sich auf seine Lungen, und er hustete gequält. „Ruf die Mord¬kommission an, Fred.“ Er preßte sich sein Taschentuch vor den Mund, betrat das Wachhäuschen und sah sich um.
Leroux studierte den Plan, der an der Wand hing. Die Halle A 9 diente PANREC, einer Schallplattenfirma, als Lagerraum, dort waren Tausende Singles, LPs, CDs für den Versand an die diversen Großhändler vorbereitet worden. Dem Dienstplan der Wachgesellschaft entnahm er, daß heute zwei Wachmänner Dienst getan hatten: Mario Ricci und Aaron Merjan. Auf einer Tafel waren die vorgesehenen Transportbewegungen aufgeschrieben. Um 22 Uhr war ein LKW der Firma PANREC erwartet worden.
Es war nun kurz vor 23 Uhr, aber auf dem Areal hatte er keinen LKW erblickt. Leroux blickte durch das Fenster über die Lagerhallen, die nun deutlich im Licht der Scheinwerfer zu sehen waren. Der dicke Rauch hatte sich verzogen.
Er unterhielt sich mit den uniformierten Cops, die als erste am Tatort eingetroffen waren. Es war um 22.15 Uhr gewesen, das Tor war offen gewesen und der Schlagbaum hochgezogen. Drei Minuten später war die Feuerwehr eingetroffen und hatte sofort mit den Löscharbeiten begonnen.
„Um 22 Uhr sollte ein LKW mit Schallplatten kommen, Fred“, sagte er nachdenklich. „Vermutlich ist er auch eingetroffen.“ Er zeigte auf das offene Tor, und sein Kollege nickte.
Zögernd gingen sie zum Toten. Fred Fastow hob es den Magen, als er die verbrannte Leiche betrachtete. Denny Leroux hatte da wesentlich weniger Probleme. Er ging in die Knie und sah die Leiche aufmerksam an, die weit weniger schlimm verbrannt war, als er zuerst vermutet hatte. Der Wachmann hatte eine Glatze gehabt, dies war deutlich zu erkennen, und das Namensschild auf seiner Brust wies ihn als Aaron Merjan aus. Nun studierte der hochgewachsene Leroux den Revolver.
„Merjan hat nicht geschossen“, stellte er fest. „Alle Patronen sind noch in der Trommel.“
„Na schön“, meinte Fastow. „Und wo steckt der zweite Wachmann?“
„Hoffentlich nicht in der Halle“, antwortete Leroux leise.

* * *

Die 22jährige Ebony Lynn trug ein rotes Minikleid, das ihre üppigen Formen richtig zur Geltung brachte. Ihr Gesicht mit den hohen Backenknochen und den großen, pechschwarzen Augen war ziemlich negroid, die Haut war fast so dunkel wie ihre ausdrucksvollen Augen. Sie lächelte oft und gern und war sich ihrer Wirkung auf Männer recht sicher. Einige Reporter hatten sie als Amerikas schwarze Antwort auf Sabrina und Samantha Fox bezeichnet. Und ihre Oberweite konnte sich durchaus mit den beiden messen. Ihre Stimme hingegen war weit tiefer, und einige ihrer neuen Songs klangen durchaus anrüchig und ein wenig ordinär.
Die junge Sängerin fühlte sich im eleganten Abendrestaurant Four Seasons äußerst wohl. Hier traf sich die Elite New Yorks, und seit ihrer ärmlichen Kindheit hatte sie davon geträumt, mal in solchen Lokalen verkehren zu dürfen.
Sie saß zusammen mit Hank Artano und Peter Hammarlund im Pool Room und ließ sich das hervorragende Essen gut schmecken. Hank Artano kannte sie seit sechs Jahren, er war Manager der Gruppe THE VOODOOS gewesen, bei der sie ihre Karriere als Leadsängerin begonnen hatte. Peter Hammarlund war der Besitzer der Plattenfirma PANREC, die er vor drei Jahren von seinem Vater übernommen hatte.
Normalerweise kamen die zwei so unterschiedlichen Männer nicht so gut miteinander aus. Ihre Ansichten waren so verschieden wie ihr Äußeres. Hank Artano war mittelgroß, eher schmächtig und sah ein wenig Frank Sinatra ähnlich, den er auch in seiner kurzen Karriere als Schnulzensänger zu imitieren versucht hatte, was sich aber als Fehlschlag erwiesen hatte. Peter Hammarlund konnte seine Abstammung nicht verleugnen. Er war breitschultrig, ein hochgewachsener Mann, das Gesicht braun gebrannt, und das weißblonde Haar trug er extrem lang.
„Ich hätte nie gedacht, daß für meine zweite LP so viele Vorbestellungen kommen werden“, sagte Ebony. Dieses Thema schnitt sie immer wieder an, sie konnte nicht genug davon hören.
Artano und Hammarlund lächelten.
„Hunderttausend Stück haben wir schon an die Großhändler im Mittleren Westen ausgeliefert“, sagte der Plattenproduzent. „Und morgen folgen weitere vierhunderttausend Einheiten - mehr als die Hälfte CDs und etwa gleichviel LPs und Musikkassetten.“
Ebony strahlte. „Da bekomme ich ja innerhalb von wenigen Tagen bereits eine goldene Schallplatte!“
„So ist es“, meinte Hank Artano. „Das bringt unsere Kassen zum Klingeln.“
Das waren rund 250.000 Dollar für sie, überlegte Ebony. Davon gingen aber noch die Prozente für den Manager ab und die Kosten für die Video-Clip-Produktionen, die sie selbst zu bezahlen hatte. Bei ihrer ersten LP hatte es über ein Jahr gedauert, bis fünfhunderttausend Stück verkauft worden waren, aber es wären mehr gewesen, wenn da nicht die Raubpressungen gewesen wären, die der ganzen Industrie schwer zusetzten. In Europa war es noch viel ärger, da wurden die Fälschungen im großen Ausmaß von Italien aus vertrieben.
Über Raubpressungen wollte Ebony nichts hören, obzwar dies ein Lieblingsthema von Peter Hammarlund war, der bei jedem längeren Gespräch darüber lamentierte, welche Milliardenverluste der Plattenindustrie durch diese Piraterie entstanden.
Ebonys Terminkalender für die nächsten Tage war voll, sie arbeitete an einem neuen Video-Clip und hatte täglich zumindest ein Interview mit Reportern der populären Pop-Presse oder so wie heute im Radio.
Ein wenig Angst hatte sie vor der Begegnung mit Randy Scott, der in seiner Spezial-Interview-Sendung einige Plattenstars ganz schön in die Zange genommen hatte.
„Ich kapiere es noch immer nicht“, sagte sie, „daß mich Randy zu einem Interview eingeladen hat. Wie habt ihr das geschafft?“
Ihr Manager zuckte die Schultern. „Ich habe nichts dazu getan, das muß ich gestehen, denn auf die Idee, daß Scott dich nehmen könnte, bin ich gar nicht gekommen.“
„Er hat mich angerufen“, sagte der Plattenproduzent. „Du kannst dir vorstellen, Ebony, daß ich sehr überrascht davon war und höchst erfreut darüber. Seine Sendung wird viel gehört, er wird auch ein paar deiner neuen Songs spielen, diese Reklame bringt uns sicherlich gleich einen Mehrverkauf von 50.000 Stück!“
„Davon bin ich nicht überzeugt“, meinte Ebony unsicher. „Der will mich doch nur fertigmachen. Ich weiß, daß er von mir nicht viel hält.“
„Woher willst du das wissen?“ fragte Hank Artano.
„Ich bin ihm zweimal auf Parties begegnet, beim ersten zufälligen Zusammentreffen hat er mir eher ungnädig zugenickt, und beim zweiten Mal hat er gesagt, daß meine Platte ein Haufen Scheiße ist. Ich wäre eine schlechte Kopie von Dionne Warwick, meine Cover-Version von THE LOOK OF LOVE sei entsetzlich, und ich solle lieber die Hände von Bacharach-David-Songs lassen.“
„Vielleicht hat er seine Meinung geändert“, meinte Hammarlund, aber ihm war es ziemlich egal, was Randy Scott von Ebonys Sangeskünsten hielt, für ihn war es wichtig, daß so die neueste LP zusätzliche Reklame bekam, die fast unbezahlbar war, auch wenn er tatsächlich Ebony fertigmachen wollte.
„Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen“, murmelte Ebony, die immer unsicherer wurde. „Ich habe vier weitere ehemalige Hits von Dionne aufgenommen. Das wird...“
„Die sind ausgezeichnet geworden“, unterbrach sie Artano. „WALK ON BY wird auch als Single ein Hit werden. Sogar Burt Bacharach hat zugegeben, daß er sehr froh ist, daß du einige seiner Songs wiederbelebst.“
„Na ja, der kassiert ja mit“, sagte Ebony.
„Ich kenne Burt gut genug, daß er keine Schmeicheleien von sich gibt, er meint es ehrlich“, sagte Artano entschieden.
„Kopf hoch, Ebony, laß dich nicht von dummen Kritikern verunsichern, du bist auf dem richtigen Weg“, versuchte sie ihr Plattenproduzent aufzumuntern.
Das hoffte Ebony auch, und nach einer halben Stunde, als die beiden weiter auf sie einredeten, war sie wieder einmal fest davon überzeugt, daß ihr mit ihrer zweiten LP nun der endgültige Durchbruch gelungen war. Sie wollten sie ins Studio begleiten, aber dagegen hatte Ebony einiges, wenn die beiden draußen sitzen würden, dann steigerte das nur ihre Nervosität. Nein, sie würde sich alleine Randy Scott stellen.
Peter Hammarlund setzte sie vor dem Hutchison Building in der Madison Avenue ab, lächelte ihr aufmunternd zu und streckte die Hand mit dem Victory-Zeichen aus dem Wagenfenster, als sich die Negerin noch einmal umblickte.
Sie meldete sich beim Nachtportier, der darauf bestand, daß sie sich auswies, erst dann durfte sie an den beiden uniformierten Wächtern vorbei in die Halle gehen.
In der Rundfunkstation wurde sie von Randy Scotts hübscher Sekretärin betreut. Für Ebony sah eine Radiostation wie die andere aus, ein wenig Angst lösten sie alle bei ihr aus. Sie war sehr nervös, und aus Erfahrung wußte sie, daß sich dies erst legen würde, sobald das Interview begann, dann wurde sie plötzlich cool und ganz gelassen.
Fünfzehn Minuten vor Sendebeginn kreuzte endlich Randy Scott auf, der Schrecken mancher Stars, und der Liebling seiner Fangemeinde, die ihn verehrte.
Der Diskjockey war eher unscheinbar, mittelgroß, ziemlich schlank, das Gesicht so durchschnittlich, daß man vergessen hatte, wie er aussah, wenn man sich abwandte. Er trug zu seinen Sendungen immer dieselben Jeans, das gleiche T-Shirt und die ausgelatschten Sandalen.
Sein Aussehen war nicht sein Erfolg, den verdankte er seiner Stimme und seiner Ausdrucksfähigkeit. Wenn er zu sprechen begann, da drehten sich viele nach ihm um, denn seine Stimme war ungewöhnlich weich und melodiös. Einigen Frauen liefen da Wonneschauer über den Rücken, wenn sie ihn plaudern hörten.
Und Ebony ging es nicht anders. Seit zehn Jahren moderierte Randy Scott Radiosendungen, begonnen hatte er, als er gerade 18 geworden war. Und seit dieser Zeit war Ebony ein Fan von ihm gewesen, und es hatte sie härter getroffen, als sie es ihre Umwelt wissen ließ, daß er ihre Aufnahmen für schlecht hielt.
Er gab ihr flüchtig die Hand, setzte sich neben sie und sagte ihr, welche Nummern er spielen würde. Seine Stimme klang kühl und reserviert, und sein Gesicht war so leer wie eine Maske.
Randy Scott haßte sich selbst, daß er den Wünschen des Unbekannten nachgekommen war und eine Platte von Ebony in die Playlist aufgenommen hatte. Aber das hatten auch andere Stationen getan, wie er überrascht bemerkt hatte. Und noch mehr haßte er sich, daß er sie nun interviewen würde.
Doch er mußte zugeben, daß sich Ebony unwahrscheinlich weiterentwickelt hatte. Als Leadsängerin bei der obskuren Gruppe THE VOODOOS war sie entsetzlich gewesen, ihre erste LP war annehmbar gewesen, und auf der neuesten fanden sich einige Songs, die sehr gut gelungen waren.
Er hatte sich bisher nie bestechen lassen, was andere DJs durchaus duldeten. Aber die täglichen Drohanrufe hatten ihn mürbe gemacht und seine Einstellung gegenüber Ebony noch kritischer werden lassen. Doch das neue Album war gut, vermutlich hätte er sie in ein paar Wochen sogar aus eigenen Stücken eingeladen. Heute war es unter Zwang gewesen - und das vertrug er nicht.
Randy Scott war noch immer abweisend und kühl, als sie das Studio betraten.

* * *

Nun beginnt meine Hinrichtung, dachte Ebony und nahm dem DJ gegenüber Platz, der seine Aufzeichnungen neben das Mikro legte.
Die Kennmelodie der Sendung ertönte: TAKE FIVE. In die ausklingende Melodie meldete sich Randy Scott, nun ganz der ausgekochte Profi, die Stimme samtweich.
„Heute begrüße ich Ebony Lynn bei mir“, fuhr er fort, „die, wie einige wissen, ihre Karriere als Fotomodell und Leadsängerin für eine unsagbar üble Gruppe begonnen hat.“
Im Hintergrund war nun der wohl schlechteste Song zu hören, den Ebony je aufgenommen hatte. Ihre Stimme klang wie das Quaken eines Frosches, und ihr blieb fast das Herz stehen, als sie recht brutal an die Sünden ihrer Teenie-Zeit erinnert wurde. Stellt diese verdammte Nummer ab, dachte sie voller Inbrunst.
„Aber auch auf Ebonys erster LP finden sich einige Songs, die mir und sicher auch euch Magenkrämpfe bereiten.“
Und wieder hatte er den miesesten Song der LP ausgesucht. THE LOOK OF A STRANGER, ein wahrhaft übles Werk, für das sich Ebony schon immer geniert hatte, aber Artano und Hammarlund hatten darauf bestanden, daß es aufgenommen wurde.
Ebony war dankbar, daß nach einer halben Minute das Lied ausgeblendet wurde. Verdammter Scheißer, dachte sie wütend und blickte in sein breit grinsendes Gesicht.
„Bevor ich mich nun mit Ebony unterhalten werde, spiele ich euch WALK ON BY in ihrer Version vor, Fans. Und ich kann euch versichern, daß diese wundervoll gelungen ist. Doch hört nun selbst.“
Nach den zwei vorangegangenen Songs war diese klassische Nummer ein Schock, denn da zeigte sie, was in ihr steckte. Ebony hatte diese Nummer an die fünfzigmal aufgenommen, erst dann war sie damit zufrieden gewesen.
„If you see me walking down the street and I start to czy“, füllte Ebonys Stimme das Studio, „each time we meet, walk on by, walk on by...“
In ihren dunklen Augen funkelten plötzlich Tränen, sie senkte den Kopf und krampfte die schlanken Hände ineinander. Randy Scott beobachtete sie aufmerksam, und ihm wurde immer stärker bewußt, daß sie ein ungewöhnlich hübsches Mädchen war, wahrscheinlich eine der aufregendsten Farbigen, denen er je begegnet war.
Die ausdrucksvolle Stimme verstummte, und der DJ wartete einige Sekunden, bis er sich an die Sängerin wandte.
„Was für eine Bedeutung hat dieser Song für dich, Ebony?“
Sie sah ihn an, der Blick noch immer tränenverhangen. „Als ich ihn erstmals hörte, da habe ich geweint. Und ich wollte irgendwann mal auch so singen, all meine Gefühle in ein Lied legen...“
„Und das ist dir wirklich hervorragend gelungen“, sagte Randy, „wie wir uns alle überzeugen konnten.“
Das wird doch keine Hinrichtung, dachte Ebony erleichtert, als sie der DJ weiter interviewte.

* * *

Die Mordkommission war in Gestalt des bulligen Captain Tom Rowland eingetroffen, der ständig mit seinen Gewichtsproblemen kämpfte und mehr als 30 Pfund Übergewicht mit sich herumschleppte.
Rowland sah sich aufmerksam um, dann ließ er sich von Detective Denny Leroux berichten. In der Zwischenzeit waren ein halbes Dutzend Wagen aus dem Revier und dem Police Center eingetroffen, darunter der Spurensicherungswagen und ein paar Beamte vom Branddezernat. Auch ein junger Staatsanwalt vom Büro des District Attorneys machte sich wichtig, und der Polizeiarzt untersuchte die Leiche.
„Es ist eindeutig Brandstiftung“, erklärte Leroux. „Da wurden einige Bomben gelegt. Schallplatten und Compact Disks schmelzen leicht, aber sie brennen nur sehr schwer.“
„Okay, das weiß ich auch“, brummelte Rowland. „Wo steckt der zweite Wächter? Ist der LKW der Plattenfirma gekommen?“
„Fastow versucht jemanden von PANREC zu erreichen, Sir“, antwortete Leroux.
Rowland nickte und stapfte auf die noch immer glosende Lagerhalle zu, in der einige Feuerwehrleute den Boden absuchten, aber bisher außer unförmigen Plattenklumpen nichts entdeckt hatten. Der Captain stellte einige Vermutungen an, behielt sie aber vorerst für sich.
Der Gerichtsmediziner hatte die Untersuchung beendet und wandte sich an den Captain.
„Merjan wurde erst nach seinem Tod verbrannt“, sagte er.
„Woran starb er?“
„Herzschuß“, antwortete der Arzt. „Tod durch Verbrennen scheidet eindeutig aus, die Brandblasen zeigen das deutlich.“
Und wie so viele der Polizeiärzte war er hartgesotten, er kniete nieder und stieß mit einer Nadel in eine der Brandblasen.
„Wäre er lebend verbrannt worden, dann müßte jetzt eine helle, strohfarbene Flüssigkeit austreten, ein Serum, das sich in den Zellen der oberen Hautschicht bildet. Aber Sie sehen ja selbst, daß die Flüssigkeit...“
„Hören Sie damit auf, Doc“, unterbrach ihn Rowland. „Ihre Diagnose reicht mir. Schicken Sie mir bitte eine Kopie des Obduktionsberichts ins Center.“
„Wird aber zwei Tage dauern“, meinte der Arzt, warf die Nadel in seine schwarze Tasche und klappte sie zu.
Er winkte den zwei Polizisten zu, stieg in seinen Dienstwagen und fuhr los.
Ein junger Laborant kniete nun neben dem Toten nieder und nahm ihm die Fingerabdrücke ab, das war eine der vielen Vorschriften, die es in New York gab. Es war zwingend vorgeschrieben, daß jedem Menschen, der Selbstmord verübt hatte oder Opfer eines Verbrechens wurde, die Abdrücke von allen Fingern und auch der Handflächen abgenommen wurden.
Fred Fastow kam auf sie zu. In der rechten Hand hielt er einen Zettel.
„Ich habe den Plattenbesitzer erreicht“, sagte Flatow, „der war ganz schön aufgeregt, ich glaube, der ist knapp an einem Herzanfall vorbeigegangen. Der Firmen-LKW ist ein knallroter Ford-Transporter, der mit 200.000 CDs beladen war, die er von der Herstellerfirma in Albany geholt hat. Ich habe eine Fahndung nach dem Wagen rausgelassen, nach den Angaben von Peter Hammarlund hätte der LKW auf jeden Fall gegen 22 Uhr eintreffen sollen.“
Rowland nickte und hörte schweigend zu, als der Brandmeister berichtete, daß seine Leute keine weitere Leiche entdeckt hatten.
„Na gut, dann überlegen wir mal“, sagte Rowland nachdenklich. „Gehen wir davon aus, daß der Ford-Lieferwagen mit den CDs eintraf. Einer der Wachmänner läßt ihn herein, dann schießt der Fahrer oder Beifahrer Aaron Merjan über den Haufen, und sie erledigen Mario Ricci, werfen den Toten in die Lagerhalle und veranstalten das Feuer, dann nehmen sie Ricci mit und hauen mit den 200.000 Compact Discs ab. Wie gefällt euch das?“
„Hört sich ziemlich idiotisch an, Sir“, brummte Leroux.
„Finde ich auch“, meinte Rowland und grinste. „Die zwei hatten keinerlei Veranlassung herzufahren, wenn sie die CDs stehlen wollten. Also können wir davon ausgehen, daß irgendjemand anderer auf die Ladung scharf war. Sie überfielen den Transport, nahmen den Wachmann, Fahrer und Beifahrer gefangen, wurden irgendwie von Aaron Merjan überrascht und schossen ihn nieder. Wie könnte es weitergegangen sein, Leroux?“
„Sie warfen den Toten in die Halle, das ist klar, aber was machten sie mit den drei Männern? Die werden sie doch kaum mitgenommen haben.“
„Richtig, demnach müssen sie hier irgendwo noch stecken. Seht mal in den anderen Hallen nach.“
Rowland unterhielt sich mit einigen der Beamten vom Branddezernat und der Spurensicherung. Ganz offensichtlich waren vier Brandbomben im Schuppen gelegt worden. Das dort gelagerte Verpackungsmaterial hatte sofort zu brennen begonnen und auf die Mauern übergegriffen, und dann erst waren die Platten, Kassetten und CDs erfaßte worden, die geschmolzen waren.
Und es war, wie es Tom Rowland vermutet hatte. In der Lagerhalle A 10 fanden sie die drei Männer, die geknebelt und deren Arme und Beine mit Klebebändern gefesselt waren. Obzwar das Lagerhaus geschlossen war, hatte sich genügend Rauch hineingezogen, und die Männer waren halb bewußtlos und nicht ansprechbar. Als sie von den Fesseln befreit wurden, blieben sie hocken und husteten minutenlang. Unter diesen Umständen hatten sie noch Glück gehabt, denn sie hätten auch ersticken können.
„Sie haben recht gehabt, Sir“, stellte Leroux fest.
„Darauf hätten Sie aber auch selbst kommen können, Leroux“, sagte Rowland grimmig und stolzierte auf das blaue Audi Coupe 2.3 E zu, neben dem ein hochgewachsener, blonder Mann stand, der von einem Streifenpolizisten zurückgehalten wurde.
„Sind Sie Peter Hammarlund?“ fragte der Captain.
Der Plattenproduzent nickte eifrig. Er sah ein wenig bleich aus, und sein Haar war zerrauft.
Rowland stellte sich vor und drückte Hammarlunds Hand, die sich ziemlich kalt anfühlte. In kurzen Worten erzählte Rowland, was hier seiner Meinung nach abgelaufen war, und es wurde später von den drei Männern bestätigt.
Als der LKW aufs Gelände fuhr, waren ihm drei maskierte Männer gefolgt, die den Fahrer, Beifahrer und Mario Ricci gefangengenommen hatten. Zwei der Gangster hatten die Männer ins Lagerhaus A 10 gebracht, und der dritte hatte sich in der Halle A 9 versteckt. Er wartete auf Aaron Merjan und forderte ihn auf, die Hände hochzunehmen, doch Merjan hatte den Helden spielen wollen und seinen Revolver gezogen, und da hatte ihn der Gangster mit einem Schuß getötet. Viel mehr konnten die drei nicht berichten, denn dann war das Tor zugeschlagen worden. Aber aus den eindeutigen Geräuschen hatten sie geschlossen, daß aus der Lagerhalle der Plattenfirma mit dem Gabelstapler einiges auf den LKW aufgeladen worden war.
„Worauf können die Gangster scharf gewesen sein?“ erkundigte sich Rowland.
„Das kann ich mir denken“, sagte Hammarlund empört und knirschte hörbar mit den Zähnen. „Die waren hinter der neuen LP von Ebony Lynn her. Wahrscheinlich haben diese Verbrecher an die 200.000 Stück LPs und Kassetten geklaut! Und dazu noch die 200.000 CDs auf dem LKW.“
Das ließ sich Rowland genau erklären. Morgen hätten all die Platten verpackt und an diverse Großhändler geschickt werden sollen, die sie dann rechtzeitig bis zum Freitag an die Einzelhändler ausliefern sollten, denn das war der Erstverkaufstag von Ebony Lynns neuer Platte.
„Und wieviel bekommen sie pro Einheit von den Händlern?“ fragte der Captain.
„Zwischen $ 2,50 — 3,00“, antwortete Hammarlund.
„Das ist ja über eine Million“, stellte Leroux fest, der sich zu den beiden gesellt hatte, und stieß einen Pfiff aus.
„Recht ordentlich“, meinte Rowland. „Und was befand sich sonst noch in der Halle?“
„Tausende andere Platten im Wert von etwa einer weiteren Million, die aber verbrannt sind.“
„Ich hoffe, daß Sie ausreichend versichert sind, Sir“, sagte Leroux hinterhältig.
„Ja, da habe ich Glück gehabt“, sagte Hammarlund und nickte zufrieden. „Vergangene Woche habe ich die Rahmenversicherung auf zwei Millionen aufstocken lassen.“
„Sehr klug“, stimmte Leroux zu, „und ich nehme an, daß sich auch einige Ladenhüter darunter befunden haben, Sir?“
„Was wollen Sie damit andeuten?“ fauchte Hammarlund ungehalten. „Natürlich waren da einige Scheiben dabei, die sich nicht gerade glänzend verkauften, aber im Lauf der Monate hätte ich sie alle angebracht. Wollen Sie mir vielleicht unterstellen, daß ich irgendetwas mit dem Verbrechen zu tun habe?“
Leroux hob die Schultern und ließ sie langsam sinken.
„Wir müssen jedem Verdacht nachgehen, Mr. Hammarlund“, verteidigte Rowland den Detective. „Entschuldigen Sie meine vielleicht ein wenig naiv klingende Frage, aber wie können die Täter die gestohlenen Platten verkaufen?“
Hammarlund schnaubte verächtlich. „Sie kennen sich nicht in der Branche aus. Das ist verdammt einfach, läuft so ab wie mit den Raubpressungen. Die gibt man an einen Großhändler weiter, der mit den Tätern zusammenarbeitet, und der schwindelt sie unter die reguläre Ware. Ich wette mit Ihnen um jeden Betrag, Captain, daß Sie am Freitag in allen Plattengeschäften die neueste Scheibe von Ebony Lynn bekommen werden, und Sie können nichts dagegen tun. Und wie im Fall der Raubpressungen wird die Polizei mal wieder völlig hilflos sein.“
„Die Raubpressungen fallen in den Bereich des FBI“, stellte Leroux fest.
„Das ist ja ein besonders unfähiger Haufen“, empörte sich der Plattenproduzent, „die FBI-Heinis schlafen alle, bis jetzt haben sie nur ein paar kleine Händler geschnappt, aber an die Hintermänner sind sie nie herangekommen. Die hocken jetzt vermutlich zusammen und lachen sich kaputt über den herrlichen Coup, der ihnen mit meinen Platten gelungen ist. Verdammte Bande, man sollte sie alle so¬fort...“ Hammarlund sog den Atem ein und preßte geräuschvoll die Lippen zusammen. Es war sinnlos, daß er sich aufregte, das brachte ihn nur einem Herzinfarkt näher.
Rowland wußte, daß der Plattenproduzent recht hatte, das FBI hatte sich bisher nicht sonderlich bei der Aufklärung der Raubpressungen ausgezeichnet.

* * *

Ebony war sehr zufrieden, denn ihrer Meinung nach hatte sie sich wacker geschlagen und die teilweise doch bösartigen Bemerkungen von Randy Scott tapfer geschluckt. Und sie war gegen Ende des Interviews immer besser geworden und hatte sich heftig gewehrt und den DJ nicht zu seiner gewohnten Form auflaufen lassen, die er nur erreichte, wenn sein Gesprächspartner richtig wütend wurde, doch Ebony hatte mit ihrem einnehmenden Lachen vieles entschärft.
Für die Zuhörer war es ein zahmer Randy Scott gewesen, doch sie waren nicht sonderlich darüber enttäuscht, jeden Tag konnte man eben nicht eine Spitzenleistung erbringen. Viele, die bis zu diesem Zeitpunkt Ebony für eine mittelklassige Sängerin und ein dummes Gänschen gehalten hatten, waren dank dieser Sendung zu einer anderen Meinung gekommen. Einige der Songs, die Randy gespielt hatte, konnten durchaus Tophits werden.
Ein wenig ermattet war die hübsche Negerin doch, als sie das Studio verließ, aber es war ein angenehmes Gefühl, und ihr war aufgefallen, wie sie der DJ gemustert hatte, und seine bewundernden Blicke waren ihr alles andere als unangenehm gewesen.
In der Branche galt Randy Scott als geiler Bock. Neben der Musik und der fast abgöttischen Liebe zu seinem Kater, hatte er nur ein Vergnügen - er wollte alle hübschen Sängerinnen aufs Kreuz legen. Und wenn man den Gerüchten glauben konnte, dann war er in dieser Richtung fast immer erfolgreich gewesen. Als Souvenir behielt er sich angeblich immer ein Kleidungsstück seiner neuesten Eroberung, und er sollte einen ganzen Schrank davon haben.
Beim Hinausgehen legte Randy seinen rechten Arm um Ebonys Hüften und lächelte ihr zu. Im Augenblick dachte er nicht daran, daß er noch vor weniger als einer Stunde höchst widerstreitende Gefühle für die schöne Sängerin, entwickelt hatte. Jetzt wollte er möglichst rasch die knackige Farbige in sein Bettchen bekommen, genußvoll stellte er sich bereits vor, wie er ihren üppigen Körper kosen würde und wie sie...
Lächelnd drückte Ebony seine Hand zur Seite, und Randy nahm das gelassen hin. Einige der Stars, die er durch den Fleischwolf gedreht hatte, waren nach dem Interview auf ihn losgegangen und hatten ihn wüst beschimpft. Und es war auch zu Handgreiflichkeiten gekommen. Nur zu gut erinnerte er sich an eine berühmte Rock-Lady, die ihm das Gesicht zerkratzt hatte, ein schon ein wenig in die Jahre gekommener Popstar hatte ihn mit einem wuchtigen Faustschlag ins Land der Träume geschickt. Doch davon hatte er sich nicht sehr beeindrucken lassen, das gehörte zum Berufsrisiko. Bei Ebony bestand keine diesbezügliche Gefahr.
Die Nachbehandlung nach einem Interview war für Randy Scott und Linda, seine Sekretärin, schon zur Routine geworden. In seinem Büro warteten eine Flasche Champagner und zwei Gläser. Da die meisten Stars sehr eingebildet waren, wollten sie alle nach dem Gespräch irgendwelche Leute anrufen, damit sie sich bestätigen lassen konnten, daß sie gut gewesen waren.
Und mit Ebony war es nicht anders. Während er die Flasche entkorkte und einschenkte, hockte sie vor dem Telefon und tippte Hank Artanos Nummer ein. Er wartete bereits auf ihren Anruf.
„Hallo, Hank“, grüßte Ebony.
„Du warst großartig, Baby“, sagte der Manager entzückt. „Du hast Randy glatt ausgestochen, das ist nicht vielen Mädchen so überzeugend gelungen.“
Ebony strahlte, die Lobpreisungen rannen wie Honig hinunter.
„Paß auf dich auf, Süße“, sagte Artano zum Abschied. „Hüte dich vor Randy.“
„Das werde ich tun“, meinte Ebony und kicherte. „Jetzt rufe ich noch Peter an.“
„Hammarlund wird strahlen, das Interview bringt tatsächlich zusätzliche 50.000 LPs ein.“
Sie drückte die Gabel nieder und wählte Hammarlunds Nummer, aber er meldete sich nicht, sondern seine Frau war am Apparat, die keine Ahnung hatte, wo ihr Mann steckte.
Ebony versuchte es nun mit Hammarlunds Autotelefon, und es läutete ein halbes dutzendmal, dann wurde endlich der Hörer abgenommen.
„Ja“, fauchte Hammarlund ihr entgegen.
„He, was ist denn mit dir los, Peter?“ wunderte sich die Sängerin. „Hat dir das Interview nicht gefallen?“
„Ich habe nur den Anfang gehört, Ebony, es ist etwas... Tja, ich weiß nicht recht, wie ich es dir sagen' soll. Hm, es ist einfach...“
„Stottere nicht herum, wenn es dir nicht gefallen hat, ich halte es aus, ich bin...“
„Es geht nicht um das Interview“, unterbrach er sie. „Irgendwelche Gangster haben im Lagerhaus eingebrochen und deine Schallplatten gestohlen!“
„Wie war das?“ fragte Ebony entsetzt, und ihre pechschwarze Haut wurde langsam grau. „Du machst einen schlechten Scherz, Peter.“
„Zu Scherzen bin ich nicht aufgelegt.“
Er erzählte ihr alles, was in den vergangenen zwei Stunden geschehen war, und Ebony hörte seufzend mit immer größer werdenden Augen zu. Ihre Hand verkrampfte sich um den Hörer.
Randy Scott bekam die Unterhaltung mit, denn Peter Hammarlund sprach laut und deutlich. Und ihm dämmerte, daß Ebony ein Opfer des Unbekannten geworden war, denn er war sicher, daß der unheimliche Anrufer die LPs gestohlen hatte.
„Was wird die Polizei unternehmen?“ fragte Ebony, und ihre Stimme klang überraschend fest.
„Sie werden sich bemühen, aber wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich nicht, daß sie bis zum Freitag die Platten zurückbekommen.“
„Da bin ich ganz deiner Meinung“, fauchte Ebony, die nun wütend würde. „Wirst du neue Platten pressen lassen?“
„Das ist nicht so einfach, denn die Herstellerfirmen haben andere Aufträge, aber ich werde mich bemühen.“
„So ein Mist“, ärgerte sie sich. „Die Verbrecher kassieren groß ab, und mir gehen meine Tantiemen flöten.“
Der Plattenproduzent versuchte sie zu trösten, aber viel Erfolg hatte er damit nicht.
„Du hast mitgehört“, stellte Ebony fest.
Randy nickte und reichte ihr ein Glas. Der Abend würde nun leider nicht so verlaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Ebony stieß aber trotzdem mit ihm an, trank das Glas leer, und er füllte nach.
„Auf die 250.000 Dollar“, sagte sie und hob das Glas. „Aber ich werde mir das nicht gefallen lassen. Ich suche mir einen Privatdetektiv. Jetzt kann ich mir ja einen leisten, vor fünf Jahren hatte ich das Geld nicht.“
„Was ist da geschehen?“
„Drei Kerle vergewaltigten mich“, sagte Ebony leise. „Einen der Strolche habe ich in der Verbrecherkartei gefunden, doch es kam nie zu einer Anklage. Er hatte ein Alibi, und wer glaubt schon einer 17jährigen Niggerin aus Harlem?“
„Sorry“, sagte Randy.
„Braucht dir nicht leid zu tun“, meinte Ebony und lächelte schwach. „Ich habe noch Glück gehabt, sie hätten mir auch die Kehle durchschneiden können.“
Da hast du vermutlich recht, dachte Randy.
„Jetzt brauche ich eine Zigarette, und dann werde ich mich richtig betrinken“, stellte Ebony fest.
Randy hatte sich wieder das Rauchen abgewöhnt, er gab Ebony eine Zigarette, die in tiefen Zügen inhalierte.
„Ich will den besten Privatdetektiv“, sprach sie weiter.
„Da kommt nur einer in Frage.“
Sie blickte Randy neugierig an und hob die rechte Augenbraue.
„Jo Walker“, sagte er. „Auch als Kommissar X bekannt.“
„An ihn habe ich auch gedacht. Ich rufe ihn gleich morgen früh an.“ Sie stand auf und strich sich das Kleid glatt. „Begleitest du mich auf meiner Sauftour, Randy?“
„Na klar“, sagte er und ergriff ihren rechten Arm.

* * *

Jo Walker war ein vielbeschäftigter Mann, wenn er nicht gerade mit der Aufklärung eines interessanten Falles beschäftigt war, widmete er sich der Verbrechensbekämpfung. Er verkaufte sein Wissen und seine Erfahrung teuer an große Konzerne. Nur deshalb konnte er es sich auch leisten, schuldlos in Bedrängnis geratenen Personen zu helfen, ohne dafür ein hohes Honorar zu verlangen.
Im Augenblick war er dabei, die Sicherheitsanlagen aller Filialen der MERCHANDISE NATIONAL BANK OF NEW YORK zu überprüfen. Und er war bereits fündig geworden und hatte einige Vorschläge zur Verbesserung an den Aufsichtsrat weitergeleitet, dafür würde er nach Abschluß ein sechsstelliges Honorar kassieren.
Bevor er mit der Arbeit begann, nahm er sich die Zeitungen vor, die ihm April Bondy auf den Schreibtisch gelegt hatte. Zu seiner täglichen Lektüre zählten die drei New Yorker Tageszeitungen: Times, Post und News. Zusätzlich blätterte er auch The Wall Street Journal durch und vertiefte sich in the nations's newspaper USA Today.
So lukrativ die Sicherheitsberatung war, so langweilig empfand sie Kommissar X. Es war nur wenig aufregend, mich durch dicke Packen von Karten zu wühlen und die Schaltsysteme von Alarmanlagen zu studieren.
Seufzend legte er die News zur Seite, trank einen Schluck Kaffee, steckte sich eine Zigarette an, griff nach einer der dicken Kartenmappen und schlug sie auf. Bald schon hatte er sich in die Materie vertieft und machte ein paar Notizen. Nach ein paar Minuten läutete das Telefon.
„Ebony Lynn will dich sprechen“, sagte April Bondy atemlos.
„Ebony Lynn“, meinte Jo nachdenklich. „Das ist doch diese kurvige Sängerin.“
Ebony meldete sich mit sinnlicher Stimme.
„Was kann ich für Sie tun, Miß Lynn?“ erkundigte sich Jo.
„Ich möchte, daß Sie die Gangster erwischen, die vergangene Nacht meine neue LP gestohlen haben!“
In den News hatte eine kurze Notiz über den Überfall auf das Lagerhaus gestanden, in der Post war ausführlicher darüber berichtet worden, und die Times hatte den Vorfall nicht einmal erwähnt.
„Gut“, antwortete Jo erfreut, denn ihm war jeder Fall recht, wenn er nur für einige Zeit eine Ausrede hatte, um von den faden Plänen fortzukommen.
„Dazu brauche ich aber mehr Informationen, als in der Post steht.“
„Das ist mir klar, Mr. Walker. Können Sie um zehn bei mir sein? Sutton Place South 24 A, das ist in der Nähe der Queensboro Bridge.“
„Okay, ich komme, Miß Lynn.“
Jo griff nach der N.Y.Post und las sich den Artikel nochmals durch.
April Bondy schwebte ins Zimmer. Und heute sah sie besonders hübsch aus, wie Jo lächelnd feststellte. Ihre blonde Mähne hatte sie aufgesteckt und mit bunten Bändchen verziert, die so strahlend blau wie ihre Augen waren. Die hautenge Bluse und der knappe Mini unterstrichen Ihre aufregende Figur. Wie üblich platzte sie vor Neugierde.
„Was hat Ebony gewollt?“ erkundigte sie sich gespannt und setzte sich ungeniert auf Jos Schreibtisch.
„Sie will meine Meinung zu ihrer neuen LP hören“, sagte Jo todernst. „Ebony hat ein Sektfrühstück vorbereitet, das von Balducci geliefert wird.“
„Ja, ja“, zischte April. „Und ich bin der Osterhase.“
Er reichte ihr die Zeitung, und April vertiefte sich in den Bericht. Jo blätterte sicherheitshalber nochmals die Times durch, aber auch diesmal fand er keine Erwähnung des Überfalls.
„Das ist ein genau geplantes Verbrechen“, stellte April fest. „Und weshalb bearbeitet nicht die Mordkommission weiter diesen Fall, sondern die Detectives vom 9. Revier sollen ihn aufklären?“
„Personalmangel“, stellte Jo fest. „Tom Rowland und seine Leute sind überlastet, ihnen bleiben nur die dicksten Brocken zur Aufklärung, und bei den anderen werden sie zwar eingeschaltet, aber die Ermittlungen werden vom zuständigen Revier durchgeführt. Das ist eine Anordnung vom neuen Polizeipräsidenten. Wie lange sich das halten wird, das ist höchst ungewiß. Jeder neue Police Commissioner hat da seine eigenen Ideen, und in Big Apple toben sie sich immer besonders aus.“
„Da hat sich wohl Tom bei dir ausgeweint?“
Jo lachte. „Geflucht und getobt hat er. In den meisten Fällen hat er nur mehr die Oberaufsicht, er bekommt zwar Durchschläge von allen Berichten, aber das genügt ihm nicht, denn unser guter Tom würde am liebsten jeden Mord in Manhattan höchstpersönlich aufklären.“
April nickte, sie kannte Tom Rowlands Arbeitswut nur zu gut. Jo entschied sich für ein Inside-Holster, das er am Gürtel befestigte und in das er seine Automatic schob.
Ganz in Gedanken verloren, fuhr er mit dem Expreßlift in die Tiefgarage und stieg in seinen funkelnden Mercedes 500 SL, den er sich von den Honoraren der Konzerne gekauft hatte, für die er als Sicherheitsberater tätig war.
Er kniff die Augen zusammen, als er auf die sonnendurchflutete Seventh Avenue fuhr. Der starke Morgenverkehr war vorüber, er kam rasch vorwärts, bog in die 52. Straße ein und zog am Sheraton Center vorbei in Richtung Osten bis zur First Avenue, die er zwei Häuserblocks hochfuhr.
Zehn Minuten vor zehn Uhr erreichte er den Sutton Place South, warf einen Blick auf den Franklin D. Roosevelt Drive, der hier zu einem Tunnel wurde, der erst bei der 59. Straße wieder die Oberfläche erreichte, sah kurz über den glänzenden West Channel zu Roosevelt Island und der eher unscheinbaren Queensboro Bridge, die 1909 dem Verkehr übergeben worden war. Er hatte Glück und fand nach kurzem Suchen einen Parkplatz ganz in der Nähe vom 30stöckigen Wohnblock, in dem die Sängerin wohnte.
Die Sicherheitsvorschriften wurden, so wie in den meisten besseren Wohnhäusern, rigoros beachtet. Dazu gehörte der Anruf bei der Sängerin, und als der Wachmann mit geübten Augen sofort merkte, daß Jo eine Waffe trug, mußte er sich noch ausweisen.
Eigentlich hatte Jo erwartet, daß die Sängerin in einem der Penthäuser wohnen würde, doch ihr großzügiges Fünf-Zimmer-Appartement lag im 5. Stock mit Blick über den East River.
Ebony öffnete die Tür und reichte ihm lächelnd die Hand, und er hatte nun Gelegenheit, sie zu betrachten, als sie ihn ins große Wohnzimmer führte. Sie trug einen roten Hausanzug aus Seide, der sich aufreizend um ihre üppigen Formen preßte, und er merkte, daß sie nichts darunter trug. Sie war kleiner, als er erwartet hatte, aber ihre Kleinheit schien sie nicht zu stören, denn sie lief barfüßig in der Wohnung herum.
Im Wohnzimmer blickte er sich aufmerksam um, es wurde von einer großen Samtgarnitur beherrscht, sonst war die Einrichtung eher spartanisch. An einer Wand hingen die goldenen Schallplatten, die sie für zwei Singles und ihre erste LP erhalten hatte.
„Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Walker“, sagte sie und deutete auf die Couch. „Eine Tasse Kaffee?“
„Gern“, sagte Jo und setzte sich. Auf einem Beistelltischchen lag ein Berg höchst unterschiedlicher Zeitschriften, die neuesten Ausgaben von MAD, National Geographit, Melody Maker, US, Time, und ganz oben eine ältere Nummer des Rolling Stone Magazines mit Janet Jackson auf dem Titelbild.
Die Sängerin hatte bereits Tassen vorbereitet und schenkte den Kaffee ein, dabei spannte sich das dünne Oberteil über ihren gewaltigen Brüsten, dann ließ sie sich fallen und lehnte sich zurück und musterte den Privatdetektiv aufmerksam.
Jo wäre nicht auf die Idee gekommen, daß Ebony nicht mal zwei Stunden geschlafen hatte. Vom Studio aus war sie mit Randy Scott zuerst ins Ritz gefahren, jenem Glitzer-Schuppen, der früher das Studio 54 gewesen war. Weitere Lokale waren gefolgt, und Randy hatte mit Ebony mithalten wollen, doch die Sängerin, die nichts von Rauschgift hielt, hatte den Bourbon wie Wasser getrunken. Als sie schließlich gegen 5 Uhr in der Danceteria in der 22. Straße gelandet waren, hatte der DJ nur mehr gelallt. Er war so voll gewesen, daß er sich an Ebony geklammert hatte, und ein hilfreicher Taxier hatte ihr geholfen, ihn in ihre Wohnung zu bringen. Als Betthupferl hatte sie ihm drei Alka Seltzer eingeflößt. Vor zehn Minuten war sie bei ihm gewesen, aber er schlief noch immer tief und fest.
Jo trank langsam den Kaffee, der extrem stark war, genau wie er ihn mochte, nicht die dünne Brühe, die man normalerweise überall in den Staaten serviert bekam, und hörte Ebony aufmerksam zu. Aber sie konnte ihm nur weitergeben, was sie von Peter Hammarlund gehört hatte, und das deckte sich großteils mit dem Bericht der Post.
Der Überfall auf das Lagerhaus war genau vorbereitet gewesen, der Tod des Wachmannes war sicherlich nicht beabsichtigt worden. Mit so einem Zwischenfall hatten die Gangster rechnen müssen und sich darauf eingestellt. Die Platten waren spurlos verschwunden, der LKW war in einer verlassenen Lagerhalle in der Bronx gefunden worden, leer natürlich. Das hatte sie vor einer halben Stunde vom Plattenproduzenten gehört, mit dem sie nach dem Anruf bei Jo telefoniert hatte. Hammarlund war eifrig dabei, ein paar Hersteller zu finden, die rasch ein paar tausend LPs pressen sollten, aber gut sahen seine Aussichten nicht aus.
„Hammarlund ist empört über die Polizei“, schloß Ebony, „er glaubt, daß sie ihn verdächtigen, den Diebstahl veranlaßt zu haben.“
„Der Verdacht drängt sich auch auf“, meinte Jo. „Wer hat vom Transport der CDs gewußt, Ebony?“
„Hammarlunds Angestellte“, antwortete sie. „Die Herstellerfirma, die Wachmänner im Lagerhaus. Ich natürlich auch und wahrscheinlich noch viele andere Leute.“
„Wer sind diese Leute?“
„Hammarlund machte kein Geheimnis daraus, ganz im Gegenteil, er wollte, daß die Platten erst möglichst spät an die Detailgeschäfte ausgeliefert werden, damit sie sich alle an den Erstverkaufstag halten. Da gab es früher ziemlichen Ärger, denn einige Händler fangen sofort die Platten zu verkaufen an, wenn sie sie bekommen, und da sind die anderen die Dummen, die sich an den vorgeschriebenen Termin halten.“
„Es kann alles wichtig sein, Ebony, auch was Sie als unwichtig einstufen, versuchen Sie sich zu erinnern, wann Hammarlund über den Transport gesprochen hat und wer dabei anwesend war. Wie lange kennen Sie den Plattenproduzenten?“
„Seit sechs Jahren, aber da war er noch für die Werbung bei PANREC zuständig. Vor drei Jahren wurde er der Boß, da hatte sich sein Vater aus der Firma zurückgezogen.“
„Kennen Sie die Angestellten?“
„Ja, natürlich. Ich war ja oft bei Besprechungen dort, er hat zwanzig Angestellte und eine Menge freier Mitarbeiter. Vermutlich wollen Sie, daß ich eine Aufstellung aller Personen mache, die ich dort kenne.“
„Richtig, kennen Sie vielleicht zufällig die Versicherung, mit der PANREC zusammenarbeitet?“
„Ja, die hat mir Peter empfohlen, bei der habe ich auch alle Verträge abgeschlossen. ALLSTATE INSURANCE COMPANIES heißt sie.“
Jo überlegte kurz. „Wer weiß noch, daß Sie mich verpflichtet haben?“
„Daß ich Sie engagieren wollte, das weiß nur Randy Scott, mit ihm habe ich mich darüber unterhalten.“ Sie kicherte. „Er liegt in meinem Bett und schläft seinen Rausch aus.“
Sie informierte Jo vom gestrigen Interview und ihren diversen Lokalbesuchen und daß ihr Randy etwas Interessantes berichtet hatte. Das war auch der Hauptgrund, weshalb sie ihn zu sich mitgenommen hatte, denn sie wollte, daß er das auch Jo erzählte.
„Was ist mit Hammarlund?“
„Ihm habe ich nichts gesagt, und auch nicht meinem Manager, die werden es schon noch erfahren.“
„Sehr gut“, sagte Jo. „Sie werden nicht erwähnen, daß ich für Sie arbeite, Ebony. Darf ich mal Ihr Telefon benutzen?“
Natürlich durfte er. In den vergangenen Jahren hatte er oft für Versicherungen gearbeitet, meist auf einer Erfolgsbasis, und den Direktor der ALLSTATE kannte er sehr gut.
Nach ein paar Begrüßungsfloskeln kam Jo gleich zur Sache und erwähnte PANREC, den Brand und den Raub. Und rasch hatte er sich mit dem Direktor geeinigt, die Versicherung mußte die verbrannten Platten zahlen, aber wenn es Jo gelang, die geraubten CDs zu beschaffen, würde er 10% vom Warenwert als Erfolgshonorar bekommen. Der Direktor würde ihn bei PANREC avisieren.
„Wenn jetzt jemand neugierig ist, wer mein Auftraggeber ist, dann sagen Sie, es sei die Versicherung“, sagte Jo. „Nun zu Ihnen, Ebony. Haben Sie irgendwelche Feinde? Es können auch ruhig Neider sein.“
„Richtige Feinde habe ich keine, aber Neider, oh, das wird eine lange Liste.“
Jo wußte, daß der Fall alles andere als leicht zu lösen sein würde, er hatte es mit erfahrenen Profis zu tun, aber aus Erfahrung wußte er, daß viele einen kleinen Fehler begingen, der meist recht harmlos war, aber für den Täter sich dann oft als äußerst gefährlich herausstellte.
Ebony brachte ein paar Fotoalben, und während Jo diese durchblätterte, anzählte sie von ihrer freudlosen Jugend in Harlem, von ihrer Mutter, an der sie sehr hing, von ihrem Vater, der die Familie verlassen hatte, als sie fünf Jahre alt gewesen war. Alle paar Monate war Ebony mit ihrer Mutter und ihren vier älteren Geschwister umgezogen. Den Kontakt mit ihren Brüdern und Schwestern hatte sie schon vor Jahren abgebrochen, ihre Mutter lebte nun in Florida, da sie die kalten Winter in N.Y. nicht vertrug, und Ebony kam für die Kosten auf. Schon früh hatte sie Sängerin werden wollen, aber Geld für Gesangsunterricht war nicht vorhanden gewesen, so hatte sie sich mit zwölf einer Amateurband angeschlossen, und als sie sechzehn gewesen war, hatte sie den um sechs Jahre älteren Alan Namery kennen- und liebengelernt, der eine Band namens THE VOODOOS gründete, für die er eine Leadsängerin benötigte. Das war dann Ebony geworden. Alan Namery hatte Demo-Bänder an alle Schallplattenfirmen und an diverse Manager und Agenten geschickt, und nur Hank Artano hatte ein mildes Interesse gezeigt, der sie unter Vertrag genommen und mit ein paar anderen Gruppen und Solisten auf Tournee durch kleinere Konzertsäle geschickt hatte, gelegentlich kamen auch Auftritte in Nachtlokalen dazu. Als sie achtzehn geworden war, konnte ihnen Artano einen Plattenvertrag mit PANREC verschaffen, und sie produzierten ein paar Singles, von denen eine sogar mal in die Charts kam, aber nie höher als Nr. 40.
„Ich habe mich mit Alan Namery immer häufiger gestritten“, meinte Ebony nachdenklich. „Das hatte angefangen, nachdem mich die drei Halunken vergewaltigt hatten. Alan war immer sehr eifersüchtig und überzeugt, daß ich sie provoziert hatte, aber das stimmte nicht. Ich hatte immer mehr genug von seiner Band, von der hysterischen Musik und den schwachsinnigen Texten, die er selbst schrieb und die er für einmalig hielt. Das waren sie auch, einmalig blöd. Die Trennung war ziemlich hart für ihn, immer wieder bestürmte er mich, doch ich war fest entschlossen, meinen eigenen Weg zu gehen. Aber das war nicht so einfach. Niemand schien an mich zu glauben, Hammarlund war skeptisch, aber auch Hank Artano. Ich arbeitete als Fotomodell, hauptsächlich Fotos für schwarze Männermagazine, nahm Gesangsunterricht, und schließlich brachte ich Hank Artano ein Demoband mit einigen alten Songs, die er schließlich Peter Hammarlund vorspielte, der begeistert war. Und so hat meine Solokarriere begonnen.“
Und da war das Heer der Neider und Ausnützer aufgetreten, alle hatten geglaubt, daß sie nur so das Geld scheffelte, was keinesfalls der Fall war. In den vergangenen Monaten hatte sie einen Großteil ihrer Schulden zurückgezahlt und vor einem halben Jahr diese Wohnung gemietet. All ihre Hoffnung hatte auf der neuen Platte gelegen, und wie es jetzt aussah, würde sie nicht viel davon haben. Die Früchte ihrer Arbeit würden andere ernten, darüber ärgerte sie sich besonders.
„Was ist aus Alan Namery geworden?“
„Die Band löste sich vor drei Jahren auf, er gibt natürlich mir die Schuld daran, alle paar Wochen hat er sich bei mir gemeldet, mir nach Auftritten aufgelauert, mich in meiner alten Wohnung unangemeldet besucht, und er ruft mich auch jetzt alle paar Tage an, obzwar ich ihm gesagt habe, daß er das lassen soll. Ich glaube, er liebt mich noch immer.“
„Vielleicht hat er Sie zu hassen begonnen, Ebony?“
„Hm, daran habe ich auch schon gedacht. Er ist gewalttätig, er war mal wegen Körperverletzung eingesperrt.“
„Hat er im Augenblick einen Job?“
„Artano hat mal erwähnt, daß er für ihn arbeitet, aber das ist schon lange her.“
„Nimmt er Rauschgift?“
Ebony schüttelte den Kopf. „Nein, er ist clean. Ich sehe mal nach Randy.“
Sie bewegte sich so geschmeidig wie eine Raubkatze, stellte Jo entzückt fest, als sie in ihrem Schlafzimmer verschwand. Er blätterte nochmals eines der Alben durch und sah sich ganz genau Alan Namery an. Er war ein recht hellhäutiger Neger, das Haar extrem kurz geschnitten, und er war groß und kräftig gebaut.
Randy Scott war in der Zwischenzeit aufgewacht. Er war ziemlich bleich und hatte dunkle Ringe unter den Augen. An die vergangene Nacht konnte er sich nur sehr bruchstückhaft erinnern, und wie er in Ebonys Wohnung gelangt war, davon hatte er keine Ahnung. Er schleppte sich ins Badezimmer, wo ihm Ebony eine frische Zahnbürste, einen Wegwerfrasierer und zwei Handtücher hingelegt hatte.
Jo machte weiterhin Notizen, während Ebony frischen Kaffee aufbrühte und eine dritte Tasse auf den Tisch stellte.
Der Diskjockey war noch immer leicht zerknittert, als er Jo begrüßte und sich seufzend setzte. Nach der ersten Tasse Kaffee ging es ihm schon wesentlich besser, doch seine Augen waren noch immer blutunterlaufen, und seine Stimme war rauh und hart.
„Berichte Jo von den Anrufen, Randy“, bat Ebony.
Der DJ sah sie rasch an. Verdammt, dachte er, ja, ich habe ihr davon erzählt. Sie war die erste und einzige gewesen, mit der er darüber gesprochen hatte. Ihm war es peinlich, diese Demütigungen zu berichten, doch er hoffte, daß ihm vielleicht Kommissar X helfen konnte.
Ein wenig zögernd begann er, doch dann brach es aus ihm heraus. Die aufgestaute Wut und sein Zorn auf den Unbekannten entluden sich. Er verschwieg nichts, schilderte auch, daß er zum Interview mit Ebony gezwungen worden war. Er wollte, daß die Anrufe des Kerls endlich aufhörten.
„Das ist ein ganz neuer Aspekt“, stellte Jo fest. „Ist Ihnen die Stimme irgendwie bekannt vorgekommen?“
„Nein, ich habe sie mir oft genug angehört, aber...“
„Sie haben die Telefonate mitgeschnitten?“
„Nicht alle, aber als sie sich häuften, da ließ ich ein Tonband mitlaufen. Tut mir leid, aber die Stimme ist so verzerrt, daß ich sie nicht erkenne. Und vielleicht kenne ich den Kerl auch gar nicht.“
„Ich möchte mir gerne das Band anhören, das sollte auch Ebony tun.“
Randy nickte zustimmend.
„Sie vermuten, daß auch andere aus der Branche bedroht werden?“
„Vermutlich“, brummte der DJ.
„Seit zwei Wochen taucht plötzlich wieder ein Titel von Ebony auf diversen Playlisten auf, obwohl es dafür keinen Grund gibt, da die Single schon lange nicht mehr verkauft wird. Und in den Plattengeschäften hält sich die Nachfrage nach Ebonys erster LP in Grenzen, das habe ich von einigen Plattengeschäften gehört.“
„Randy, Sie können Ebony und mir sehr helfen. Sind Sie dazu bereit?“
„Natürlich, aber wie könnte ich ihr nützen?“
„Sie haben doch gute Kontakte zu den Plattengeschäften in N.Y.?“
„Selbstverständlich, das gehört zu meinem Job, aber ich verstehe nicht...“
„Ganz einfach“, erklärte Jo. „Wir wissen, daß Hammarlund bisher keine Platten an einen Großhändler an der Ostküste geliefert hat. Aber die geraubten Platten müssen verkauft werden, und ich bin nun sehr interessiert, welche Firma das besorgen wird.“
Randy grinste. „Jetzt verstehe ich“, sagte er. „Das werde ich herausbekommen, Jo. Ich werde gleich ins Studio fahren und mein Glück versuchen.“
„Warten Sie lieber bis morgen mit den wichtigen Läden, Randy. Wann können wir das Band hören?“
„Wann Sie wollen, Jo.“
„Ich möchte Ebony dabeihaben“, meinte Jo.
„Ich habe um 14 Uhr ein Interview bei WYNY, und um 17 Uhr bin ich bei CNN, da stelle ich meine neue Platte in Showbiz Today vor. Ab 19 Uhr geht es bei mir.“
„Gut, am besten ist, wir treffen uns hier, und da bekomme ich gleich die diversen Namenslisten von Ihnen geliefert.“
„Einverstanden“, sagte Ebony, und Randy war das auch recht.
Der DJ trank noch eine weitere Tasse Kaffee, dann verabschiedete er sich und fuhr mit einem Taxi in die Radiostation. Jo blieb noch ein paar Minuten länger, dabei erkundigte er sich vor allem nach Alan Namery. Ebony hielt ihren Ex-Freund für durchaus intelligent, er war ein wenig primitiv, aber alles andere als dumm. Bis zu ihrer Trennung hatte er in Harlem gewohnt, doch vor zwei Jahren war er übersiedelt, da hatte er sie zu einer Party in seiner neuen Wohnung eingeladen. Sie war natürlich nicht hingegangen, aber es war eine Adresse auf der Eastside gewesen, daran konnte sie sich genau erinnern.

* * *

Das Großraumbüro von PANREC lag im Westvaco Building, Ecke Park Avenue/48. Straße im 28. Stockwerk.
Kommissar X mußte mehr als fünf Minuten warten, bis sich endlich Peter Hammarlunds Sekretärin bereit fand, ihn bei ihrem Boß anzumelden. Weitere zwanzig Minuten verbrachte Jo in einem Wartezimmer, die meiste Zeit stand er vor einem der hohen Fenster und starrte das Waldorf Astoria Hotel an. So schien es zumindest, doch aus den Augenwinkeln beobachtete er das Treiben im Büro, und es ging hektisch zu, immer wieder kamen Leute aus Hammarlunds Zimmer, und andere traten ein.
Dann war es endlich soweit, und er durfte zum Plattenboß gehen, der ihn nicht gerade überschwenglich begrüßte.
„Sie haben mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt, Mr. Walker“, brummte er. „Ihr Besuch wurde mir schon angekündigt. Was kann ich für Sie tun?“
„Ich soll die gestohlenen Platten und CDs suchen, Sir.“
„Dazu wünsche ich Ihnen viel Glück, aber die Polizei bemüht sich auch darum. Ich habe noch gestern Detective Leroux eine Aufstellung meiner Angestellten gegeben und auch eine Liste der Großhändler, an die wir Ebonys Scheibe bereits geliefert haben.“
„Genau diese zwei Aufstellungen möchte ich auch.“
„Das habe ich mir gedacht“, sagte Hammarlund und reichte Jo zwei Fotokopien. „Und jetzt bitte ich Sie, mich entschuldigen zu wollen, ich muß eine Firma finden, die mir rasch ein paar LPs preßt.“
„Das verstehe ich gut, Mr. Hammarlund, ich will Ihnen auch nur ein paar Fragen stellen. Aber vielleicht kann mir Ihre Sekretärin helfen.“
„Na gut, aber machen Sie es kurz und schmerzlos, wenn Sie glauben, daß ich jemanden meiner Angestellten verdächtige, dann kann ich das gleich verneinen.“
Jo schüttelte den Kopf. Fragen in dieser Richtung waren sinnlos, da kam nur unnötiges Geschwätz heraus. „Welche Großhändler im Raum New York und an der Westküste hatten sie beliefern wollen?“
„Den Großteil hätte EMI-COLUMBIA bekommen, einige der großen Schallplattenketten hätte ich direkt beliefert, und der Rest wäre dann an ein Dutzend anderer Großhändler gegangen.“
Hammarlund wollte zuerst diese Aufstellung nicht herausrücken, dann endlich bequemte er sich dazu. Auf der Liste war ganz genau angeführt, wie viele LPs, CDs, und Musikkassetten jeder Großhändler hätte bekommen sollen.
Und damit war er entlassen. Er ließ sich mit dem Verlassen des Büros Zeit, sah sich genau um und musterte einige der Angestellten, die meisten erkannte er von den Fotos wieder, die ihm Ebony gezeigt hatte. Sie waren bei der vergangenen Weihnachtsfeier geschossen worden, an der Ebony und einige andere Sänger und Gruppen teilgenommen hatten, die bei PANREC unter Vertrag standen.
Am Abend wollte er dann zusammen mit Ebony die Namen der Angestellten durchgehen, es war eine mühselige Angelegenheit, aber er wollte keine Chance vertun.
Er setzte sich in den 500 SL und überflog die drei Listen, die er von  Hammarlund erhalten hatte, steckte sie ein und startete.

* * *

Randy Scott mampfte geistesabwesend an einem Hero, einem der armlangen Riesensandwiches und trank dazu schwarzen Kaffee. Er starrte auf den Monitor des Computers und klopfte alle paar Sekunden auf die Cursor-Taste. Nach ein paar Minuten hatte er sich für einen Laden entschieden, den er anrufen wollte.
Jack Dunford von TOWER RECORDS war ideal. Jack hatte eine Zeitlang als DJ gearbeitet, und ihn kannte er sehr gut.
„Tower Records, Jack Dunford“, meldete sich der Manager.
„Hallo, Jack, wie geht es dir?“
„Oh, welch eine Überraschung, der geilste DJ von Big Apple gibt mir die Ehre. Dein Interview gestern mit Ebony war eine Zumutung für alle Hörer, du hast sie ja förmlich angebetet, mein Lieber. Hat es sich gelohnt? Hast du sie aufs Kreuz gelegt?“
Randy grinste. „He, ich mache mir nichts aus Negerinnen.“
Jack schnaubte verächtlich. „Dir ist die Hautfarbe scheißegal, das wissen doch alle. Hauptsache, das Girl hat große Brüste und einen knackigen Hintern. Du würdest sogar eine grünhäutige Außerirdische nehmen, wenn sie die richtigen Formen hat.“
„Jetzt übertreibst du aber mal maßlos. Sie ist nett, das streite ich nicht ab, und sie hat mich unter den Tisch getrunken. Mann, die verträgt unglaublich viel. Trinkt den Bourbon, als wäre es Limonade.“
„Oh, ich verstehe, der liebe Randy war zu betrunken.“ Er lachte schallend.
„Ich spendete ihr Trost, sie hatte nach der Sendung erfahren, daß ihre Platten gestohlen wurden.“
„Das ist eine verdammte Sauerei, Randy. Ein gewaltiger Schaden für Ebony, aber auch für uns. Ich hatte fünftausend Einheiten bestellt, und wenn ich Glück habe, bekomme ich dreitausend von Waldenstein Ltd.“
„Besser als gar nichts“, sagte Randy.
Jack schnaubte wieder. „Wir könnten jetzt sicherlich wesentlich mehr verkaufen, aber die anderen Großhändler haben nicht mal eine Scheibe zum Anbieten.“
Damit war für Randy dieses Thema beendet, er ließ sich von Jack Dunford durchgeben, welche Singles und Alben sich besonders gut verkauften, und welche in der Gunst des Publikums gesunken waren.
Er tippte die Angaben in den Computer, bedankte sich und legte den Hörer auf. Waldenstein Ltd. konnte Ebonys Platten liefern, und das war eine New Yorker Firma. Interessant, dachte Randy und brannte sich eine Zigarette an. Er zuckte zusammen, als das Telefon läutete, und stellte das Tonband an.
Ein irres Lachen schlug ihm entgegen. Randy preßte die Lippen zusammen, und seine Wut auf den unbekannten Anrufer steigerte sich weiter.
„Hallo, Randy-Baby“, heulte die elektronisch verzerrte Stimme. „Das Interview mit Ebony war goldrichtig. Ich bin sehr zufrieden mit dir.“
„Ich will endlich meine Plattensammlung zurück“, knurrte der DJ.
„Nicht so hastig, Randy. Ich habe weitere Aufträge für dich.“
„Ich lasse mir nichts mehr befehlen, es ist aus, haben Sie mich verstanden?“
„Das würde ich mir überlegen, Randy. Wie würde es dir gefallen, wenn zwei Maskierte deine Mutter besuchen würden? Glaubst du, daß sie es zu schätzen weiß, wenn sie deinen Vater verprügeln würden?“
„Sie Dreckskerl!“ brüllte der DJ.
Der Unbekannte lachte wieder. „Oh, ich höre, daß dir das nicht zusagt. Es hängt ganz von dir ab. Wenn du dich an meine Wünsche hältst, dann wird deinen Eltern nichts geschehen, und auch dein Kater bleibt am Leben.“
Der DJ atmete schwer. Die linke Hand ballte er zur Faust und schlug in ohnmächtigem Zorn auf die Tischplatte.
„Haben Sie Ebonys Platten geraubt?“
„Du erwartest doch nicht, daß ich dir auf diese dumme Frage antworte. Hör gut zu, Randy, Paula Abdul wird zu oft in eurer Station gespielt. Entferne sie einfach von der Playlist.“
„Das ist ausgeschlossen, sie ist unter den ersten 10 der Hitparade, ich kann...“
„Denk an deine Eltern, Sweety, stell dir vor, wie dein Vater mit einer gebrochenen Nase aussieht, und mal dir mal aus, wieviel Blut aus deinem Kater fließen wird, wenn ich ihm die Kehle durchschneide.“
Die Stimme war plötzlich ganz ruhig geworden und so noch wesentlich bedrohlicher. Es war still, nur das schwere Atmen des DJs war zu vernehmen.
„Da gibt es einen neuen, aufstrebenden Sänger“, sprach der Anrufer weiter. „Er heißt Michel Saxon, seine erste Single kam vergangene Woche auf den Markt. Diese Nummer wirst du demnächst in die Playlist aufnehmen.“
„Ausgeschlossen, diese Platte wird niemals ein Hit, sie ist einfach fürchterlich. Wenn ich sie spiele, dann werde ich gefeuert…“
„Denk an das Blut, Randy. Denk daran.“
Der Unbekannte hatte aufgelegt.
„So ein verdammter Hurenbock“, zischte Randy und warf den Hörer auf die Gabel. Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Hoffentlich ist dieser Alptraum bald vorüber, dachte er. Randy ballte die Fäuste und blickte über die Madison Avenue.
„Kommissar X wird es schaffen“, sagte er leise.

* * *

April Bondy hatte mal wieder hervorragend gearbeitet, stellte Jo Walker fest. Auf seinem Schreibtisch lagen bereits die Fotokopien der Verträge mit den Schallplattengroßhändlern aus New York, die seine Mitarbeiterin aus den Jahrbüchern diverser Organisationen gemacht hatte. Jene vom >The State Dept. of Commerce< und der >Commerce and Industry Association of N.Y.< listeten fast lückenlos alle entsprechenden Firmen im Raum N.Y. auf.
„Sehr schön“, sagte Jo und holte die Namenslisten hervor, die er von Hammarlund bekommen hatte.
„Diesen Alan Namery habe ich im Telefonbuch gefunden“, meinte die Blondine. „East 71. Straße, das ist ganz in der Nähe vom Asia House.“
„Versuche herauszubekommen, ob der Bursche einen Wagen besitzt.“
„Willst du mir nicht mal sagen, wer der Kerl eigentlich ist? Am Telefon warst du sehr knapp, Jo.“
Walker kannte die Neugierde seiner Sekretärin, so berichtete er ihr in Stichworten über seine Unterhaltung mit Ebony und Randy Scott.
„Und wie willst du nun die geraubten Platten finden?“
„Sieht ziemlich chancenlos aus“, nagte Jo und grinste. „Ist es aber nicht. Die Polizei, fürchte ich, wird allerdings nicht weit kommen. Die Einzelgeschäfte sind nicht sehr kooperativ, die hüllen sich in Schweigen, wenn es darum geht bekanntzugeben, woher sie ihre Ware bekommen haben. Durch Randy Scott haben wir da eine einmalige Chance.“
Das siehst du zu optimistisch, Boß.“
„Der Coup war sorgfältig vorbereitet, das steht fest. Die Gangster müssen in Hammarlunds Firma einen Helfer haben, oder der Plattenproduzent arbeitet mit ihnen zusammen. Über ihn wirst du auch Erkundigungen einziehen, April. Weiter im Text. Nur über einen Großhändler können sie die Platten unauffällig an die Geschäfte weitergeben. Sie können nicht von Laden zu Laden fahren und die Platten und CDs so verkaufen, das wäre viel zu auffallend.“
April nickte zustimmend.
„Bestens geeignet wäre ein Großhändler, der in anderen Staaten Filialen hat, da könnte man die Platten unauffällig hin und her senden, das würde sich auch prächtig zum Verteilen von Raubpressungen eignen. Die großen Firmen, die zu den Giganten der Plattenindustrie gehören, können wir gleich ausschließen.“
Zusammen gingen sie die Listen durch, und nach einer Stunde blieben noch sechs Großhändler übrig, die genau dem entsprachen, was sich Jo vorstellte. Jede dieser Firmen hatte Filialen an der Westküste und im Mittleren Westen, und drei der Großhändler hatten an die zehntausend Einheiten bekommen. Das waren die folgenden Firmen:
ALL RECORDS CO — N.Y. — St. Louis — Oakland.
MERCURY RECORDS — N.Y. — Wichita — San Francisco.
WALDENSTEIN LTD — N.Y. — Kansas City — Beverly Hills.
„Sehr schön“, freute sich Jo. „Diese drei sehe ich mir mal kurz an.“
„Bist du wirklich überzeugt, daß du da auf der richtigen Fährte bist, Jo?“
„Wenn nicht, April, dann werde ich wohl kaum die geraubten Platten bekommen. Aber du erkundigst dich noch sicherheitshalber, ob in den vergangenen Monaten eine neue Großhandelsfirma gegründet wurde.“
„Okay, das ist ja einfach, und vermutlich soll ich auch über die drei möglichst viel herausbekommen.“
„Richtig, und vergiß nicht PANREC und Alan Namery.

* * *

Die Firma All Records war in einem alten Backsteinhaus neben dem Postamt in der West 18. Straße untergebracht. Jo parkte vor dem Joyce Theater, überquerte die Eight Avenue und schlenderte langsam an der Firma vor-bei, die Lagerräume befanden sich im Hof, dort stand auch ein Lieferwagen. Er betrat das Postamt und kaufte ein paar Marken, dann kehrte er zu seinem Wagen zurück.
Weiter ging es zu Waldenstein Ltd. über die Williamsburg Bridge nach Brooklyn. Jo nahm die Abfahrt beim Washington Place und überquerte den B'klyn Queens Expwy, fuhr den Broadway entlang und drosselte das Tempo, als er in die Hooper Street einbog. Waldenstein Ltd. war leicht zu verfehlen, das Firmenschild war angerostet und kaum zu lesen, und vom vierstöckigen Haus blätterte der Verputz ab. Auch hier waren die Lagerräume im Hof untergebracht, wie Jo beim Vorbeifahren feststellen konnte.
Jo blieb nicht stehen, er hatte auch so genug gesehen, nun fuhr er in Richtung Norden weiter nach Queens. Wie er fluchend feststellte, waren in den vergangenen Tagen einige Einbahnstraßen umgedreht worden, und er brauchte wesentlich länger, als er erwartet hatte, bis er endlich die Review Avenue erreicht hatte. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich umzäunte Lagerhallen. Nach kurzem Suchen entdeckte er die Hinweistafel auf Mercury Records, die Zufahrt war von einem Schlagbaum blockiert, so fuhr er gleich weiter, denn seiner Meinung nach eignete sich dieser Großhändler für die Zwecke der Gangster nicht sonderlich, da waren die beiden Firmen, die er sich vorher angesehen hatte, wesentlich geeigneter.
Quälend langsam kroch er über Queensboro Bridge zurück nach Manhattan, bei den unfreiwilligen Stops suchte und fand er das Haus, in dem Ebony wohnte. Die Rush-Hour hatte voll eingesetzt, als er den Verteilerknoten bei der Second Avenue erreichte. Mühsam quälte er sich nach Süden hinunter zum Police Center.
„Was führt dich zu mir?“ fragte Tom Rowland mißmutig, als Jo Walker in sein Office stapfte und sich einen Stuhl angelte und setzte.
„April läßt dich schön grüßen“, meinte Jo lächelnd. Die Erwähnung seiner hübschen Sekretärin hob meist die Laune des Captains beträchtlich, doch heute war es zwecklos. Tom war richtig verbiestert, er knurrte nur unwillig.
„Was Neues vom Polizeipräsidenten?“
Rowland verdrehte die Augen. „Seit gestern hat die Mordkommission die gleiche Schicht wie in den Polizeirevieren. Das ist wohl die schwachsinnigste Idee, die der PC bisher gehabt hat. Diese Woche habe ich von 16 bis 24 Uhr Dienst, dann muß ich alles fallen lassen, Überstunden werden keine bezahlt. Wie soll man da vernünftig arbeiten können?“
Der Dienstplan war schon zu jener Zeit heftig umstritten und umkämpft gewesen, als Jo noch selbst bei der New Yorker Polizei gewesen war. Und es hatte sich nichts daran geändert, die drei Schichten von acht bis sechzehn Uhr, von vier bis Mitternacht, und dann die sogenannte Friedhofsschicht von Mitternacht bis acht Uhr morgens, die war besonders verhaßt. Dazu kamen die freien Tage und der Streit um die Wochenendschichten, die ständig Anlaß zu Unfrieden und Auseinandersetzungen gaben. In der Mordkommission hatten sie bisher die größten Freiheiten gehabt, der Dienstplan war vom Chief Inspector mit seinen leitenden Beamten erstellt worden.
Jo hörte geduldig seinem Freund zu, wie sich dieser den Kummer von der Seele redete.
„Ich soll die gestohlenen und geraubten Platten wiederfinden“, sagte Jo, als sich der Captain etwas beruhigt hatte und nur mehr vor sich hin köchelte.
„Viel Glück dazu“, brummte Rowland säuerlich. „Der Fall wird vom 9. Revier behandelt. Wende dich vertrauensvoll an die Detectives Fred Fastow und Denny Leroux.“
„Du hast die Oberaufsicht, Tom“, nagte Jo vorwurfsvoll.
„Was immer das auch bedeuten mag“, knurrte Rowland. „Ich bekomme Durchschläge der Berichte, das ist auch schon alles.“
„Die reichen mir völlig. Gibt es irgendetwas Neues?“
„Nicht viel“, bequemte sich Tom nun doch zu einer Antwort und griff nach einer dünnen Mappe. „Mario Ricci; der überlebende Wachmann, hat gegen die Vorschriften seiner Gesellschaft verstoßen, denn er hätte den LKW nur reinlassen dürfen, wenn sein Kollege bei ihm war, doch der war auf einem Rundgang. Die drei Gangster, es waren vermutlich zwei Neger und ein Weißer, nahmen Ricci, den Fahrer und Beifahrer fest, fesselten sie und steckten sie in die Halle A 10. In der Zwischenzeit hatte Aaron Merjan den Überfall bemerkt, und in diesem Fall hätte er sofort uns verständigen sollen, doch er entschloß sich auf eigene Faust zu handeln, und wurde dabei erschossen.“
„Immer das gleiche“, seufzte Jo. „Nach einiger Zeit läßt bei den meisten Wachmännern die Aufmerksamkeit nach. Wenn sie sich an die Vorschriften halten würden, dann könnten viele Überfälle verhindert werden. Dieser Aaron Merjan ist völlig sinnlos gestorben.“
„Du sagst es, Jo. Die Kerle luden die bereits für den Versand hergerichteten Kartons in den Ford-LKW und fuhren in die Bronx. In einer verlassenden Fabrikhalle luden sie die gestohlene Ware auf zwei Kleintransporter um, das hat die Spurensicherung festgestellt. Im Wagen fand man keinerlei Hinweise auf die Täter. Den Obduktionsbefund bekommen wir angeblich morgen. Viel Zeit bleibt dir nicht, wenn du die Platten finden willst. Heute ist Dienstag, und sie sollen bis zum Freitag ausgeliefert werden.“
„Ich weiß, habt ihr irgendetwas über Peter Hammarlund?“
„Keine Vorstrafen, angeblich hat er finanzielle Schwierigkeiten, an seine geschiedene Frau zahlt er hohe Alimente und seine derzeitige Frau soll sehr anspruchsvoll sein. Er könnte sich mit dem Raub sanieren.“
„Gibt es Hinweise auf zwielichtige Plattengroßhändler?“
Rowland schnaubte. „Da weiß das FBI besser Bescheid, die bearbeiten ja die Fälle mit den Raubpressungen, vor einem Jahr nahmen sie einen Großhändler hopp, aber da kam nichts heraus, denn wie üblich hatten sich der Besitzer und der Geschäftsführer rechtzeitig abgesetzt. Wahrscheinlich gehörte die Firma der Mafia.“
„Viel hilft mir das nicht weiter. Du solltest dir Durchsuchungsbefehle für alle Großhändler beschaffen, irgendeiner hat die gestohlenen Platten auf Lager.“
„Eine glänzende Idee“, winkte Rowland verächtlich ab. „Jeder Richter schmeißt mich hochkantig raus, wenn ich mit so einem Vorschlag anrücke.“

* * *

Auf der Fahrt zu Ebony telefonierte Jo mit April Bondy.
„Peter Hammarlund hat jede Menge Schulden“, berichtete seine Mitarbeiterin. „Vor zwei Jahren hat er ein Luxusweibchen geheiratet, für das ihm nichts zu teuer ist.“
„Er hat ein Motiv“, meinte Jo. „Was ist mit den Großhändlern?“
„Mercury Records ist eine dynamische, aufstrebende Firma, die haben auch einen Versandhandel, sie wurde vor 15 Jahren gegründet, scheint seriös zu sein. All Records ist ein alter Familienbetrieb, der langsam aber sicher in die roten Zahlen abrutscht. Waldenstein Ltd. war vor dem Krieg eine große Firma, sie wurde vor zehn Monaten an einen John Mooney verkauft.“
„Das könnte passen“, sagte Jo erfreut. „Morgen versuchst du was über John Mooney herauszubekommen. Und was ist mit Alan Namery?“
„Dem scheint es ganz gut zu gehen, denn vor vier Monaten hat er eine knallrote Corvette Z51 FX3 in Albany angemeldet. Der Flitzer kostet in die¬ser Ausstattung über 40 Riesen. Dazu noch das Appartement auf der Eastside, da zahlt er locker drei große Scheine im Monat.“
„Demnach dürfte er nicht gerade am Hungertuch nagen.“
„Du sagst es, Boß.“
„Womit verdient er seine Brötchen?“
„Daran arbeite ich noch. Morgen werde ich mehr wissen. Hast du noch Aufträge für mich?“
„Du hast hervorragend gearbeitet“, lobte Jo sie. „Du darfst dich ins Nachtleben von Fun City werfen.“
„Das werde ich auch tun“, versicherte sie ihm kichernd.

* * *

Jo Walker und Randy Scott trafen fast gleichzeitig bei Ebony ein, die diesmal hautenge Jeans und eine knallgelbe Bluse trug. Und wie am Vormittag lief sie barfuß in der Wohnung herum.
Randy entschied sich für einen Gin-Tonic, Jo nahm einen Scotch mit Eis, und Ebony trank den Bourbon pur.
Zwischen den Interviews, die eher nichtssagend gewesen waren, hatte die Sängerin an den diversen Aufstellungen gearbeitet, die Jo von ihr gewünscht hatte. Noch im Gebäude von CNN hatten zwei Polizisten zwanzig Minuten mit ihr gesprochen.
„Ich bin hungrig wie eine Löwin“, stellte Ebony fest. „Was haltet ihr von saftigen T-Bone-Steaks, Bratkartoffeln und einer Schüssel Salat?“
„Hört sich sehr gut an“, meinte Jo.
„Genau was ich brauche“, meinte Randy. „Meines halb durch.“
„Okay, dann deck mal den Tisch auf der Terrasse. Alles Notwendige findet ihr in diesem Schrank.“
Sie verschwand in der Küche, und Jo und Randy deckten den Tisch auf dem mit Grünpflanzen überwucherten Balkon. Es war ein herrlich warmer Spätsommerabend, der Himmel war wolkenlos und von einem fast kitschigen Blau.
Ebony war eine gute und flotte Köchin, die Steaks waren so groß wie die Teller, butterweich und saftig. Die Bartkartoffeln waren genau so, wie Jo sie mochte. Dazu tranken sie deutsches Bier aus großen Tonkrügen. Während des Essens wurde nicht über den Fall gesprochen, in den sie verwickelt waren.
Erst als Ebony den Kaffee servierte, legte sie ihre Notizen auf den Tisch. Randy hatte die Kassette mitgenommen, auf der ein halbes Dutzend der Anrufe des Unbekannten aufgezeichnet waren.
„Ich habe mit drei Läden telefoniert“, erzählte Randy. „Aber nur einer hat die Zusage für die Lieferung von Ebonys Platte. Tower Records, die bekommen von Waldenstein Ltd., das ist eine alte, gut eingeführte Firma, dreitausend Einheiten. Der alte Waldenstein starb vor etwa einem Jahr, da war im Billboard eine Todesanzeige. Die Firma wurde von seinen Erben verkauft, aber an den Käufer kann ich mich nicht erinnern.“
„Da kann ich dir helfen“, sagte Jo, sie waren dazu übergegangen, sich zu duzen. „Der Besitzer heißt John Mooney.“
„Sagt mir nichts“, meinte Randy.
„Aber mir“, sagte Ebony aufgeregt. „Der steht auf meiner Liste der Leute, die mich nicht sonderlich ins Herz geschlossen haben. Er war Schlagzeuger bei THE VOODOOS, meiner alten Gruppe, und er wünschte mir alles Böse, als ich die Band verließ.“
„Hast du noch später Kontakt mit ihm gehabt?“
„Na ja, das läßt sich wohl in unserer Branche nicht vermeiden. Er arbeitet als Begleitmusiker und wurde auch oft für Studioaufnahmen verpflichtet, in verschiedenen Lokalen ist er mir gelegentlich über den Weg gelaufen. Aber er hat mich ignoriert.“
„Hast du noch weitere Musiker auf deiner Liste, Ebony?“
„Einige, aber einer dürfte dich besonders interessieren, Jo. Mark Dwinson, er war Bassist und spielte Piano in unserer Band. Der haßt mich wirklich, er und Alan Namery sind seit ihrer frühesten Jugend die dicksten Freunde, und er verzieh es mir nie, daß ich die Band verlassen habe.“
„Hat er dich bedroht?“
„Allerdings, er ohrfeigte mich, als ich damals erklärte, daß meine Zeit bei THE VOODOOS abgelaufen sei. Alan Namery und John Mooney rissen ihn zurück, sonst hätte er mich vermutlich halbtot geprügelt. Aber er drohte mir an, daß er sich mal rächen würde. Sonderlich ernst habe ich die Drohungen nicht genommen, aber ich ging ihm aus dem Weg.“
„Noch etwas Interessantes über ihn?“
Ebony nickte. „Bei Hammarlund arbeitet seit ein paar Jahren eine Blondine namens Angela Bester, die macht jetzt die Werbung und alle andere PR. Sie kokst, und sie ist verrückt nach Schwarzen, am liebsten treibt sie es gleichzeitig mit zweien. Ich habe sie zweimal zusammen mit Mark Dwinson gesehen, einmal tanzten sie eng umschlungen, und das zweite Mal, das war vor wenigen Wochen, hockten sie an einer Bar, und sie beschmuste ihn, daß es schon fast jugendgefährdend war.“
„Das alles ist recht aufschlußreich“, freute sich Jo. „Da hätten wir mal durch John Mooney eine Verbindung zu einer Großhandelsfirma. Mark Dwinson scheint offenbar eine ziemlich intime Beziehung zu Angela Bester zu haben, die ihm alle Informationen über deine Platte geliefert haben könnte. Zwei aus deiner Band, und was ist mit Alan Namery? Womit verdient er sich sein Geld?“
Ebony zögerte, sie knabberte an ihren Lippen, dann straffte sie sich plötzlich. „Es kommt ja doch irgendwann mal raus“, sagte sie entschieden. „Alan war schon unmittelbar nach der Gründung der Band fürs Besorgen von Stoff zuständig. Er kannte die Gefahren des Rauschgifts, und er hielt sich und mich davon fort. Er machte mir eine fürchterliche Szene, als ich mal einen Joint rauchte, seither habe ich das Zeug nie mehr angerührt.“
„Namery beliefert noch immer diverse Musiker mit Stoff“, sagte Randy. „Haschisch, Opium, Heroin, Kokain, Crack, alles was das Herz der Musiker und Sänger erfreut, Namery kann alles in jeder Menge und zu bester Qualität liefern.“
„Hängst du vielleicht an der Nadel?“ fragte Ebony.
Der DJ grinste breit. „Nein, und darüber bin ich auch sehr froh. Probiert habe ich natürlich alles mögliche, aber von Hasch bekomme ich Kopfweh, und auf andere Drogen spreche ich nicht so an, wie das normal ist. Bei einer Koks-Party wurde mir mal so übel, daß ich alle paar Minuten auf die Toilette wankte. Damit war für mich das Kapitel Drogen beendet, ich habe mir sogar das Rauchen abgewöhnt, aber durch die Anrufe des Erpressers wurde ich nervös und habe es mir wieder angewöhnt.“
„Kennst du Namery näher, Randy?“
„Nein, er wurde mir zwar mal vorgestellt, und es läßt sich nicht vermeiden, daß man auf Partys Leute wieder trifft, die man eigentlich nicht sehen möchte. Aber das wird Ebony nicht anders ergehen. In dieser Hinsicht ist Big Apple auch nur ein Dorf.“
„So, jetzt werden wir uns mal das Band mit den Drohanrufen anhören“, sagte Jo und erhob sich.
Randy hatte das Tonband auf eine Kassette überspielt und steckte sie im Wohnzimmer in den Recorder. Erwartungsvoll hörten Ebony und Jo zu. Die Stimme des Anrufers war extrem stark verzerrt, aber es gab ganze Sätze, da funktionierte die Tarnung nicht richtig. Jo war sicher, daß er die Stimme nie zuvor gehört hatte. Ebony beugte sich vor und runzelte die Stirn. Als erstmals das bösartige Lachen des Erpressers erklang, zuckte sie zusammen und begann hastig zu atmen.
„Erkennst du den Kerl, Ebony?“ fragte Randy.
„Das Lachen“, flüsterte sie. „Es ist unverkennbar. Ich bin ziemlich sicher, daß der Anrufer Alan Namery ist!“
„Das ist vielleicht ein Ding“, knurrte der DJ. Er ließ die Kassette zurücklaufen und spielte sie nochmals Ebony vor, und sie war völlig überzeugt, daß es ihr früher Freund und ehemaliger Bandleader von THE VOODOOS war, der Randy bedrohte.
„Alles scheint zusammenzupassen“, sagte Jo. „Alan Namery hat vermutlich mit seinen Drogendeals genug Geld verdient, daß er für John Mooney Waldenstein Ltd. kaufen konnte, von Angela Bester erfuhren sie über Ebonys neue Platte, und wahrscheinlich waren sie es auch, die den Überfall auf das Lagerhaus verübten. Es waren angeblich zwei Schwarze und ein Weißer.“
„John Mooney ist weiß“, stellte Ebony fest, während sie wieder hinaus auf die Terrasse gingen und sich setzten. „Sie haben ihre Drohung wahr gemacht. Sie wollten sich rächen, aber sie taten es nicht so, wie ich es erwartet habe. Mit dieser Art von Rache treffen sie mich härter, und sie lachen sich vermutlich jetzt über mich kaputt.“
„Ich werde mir diesen verdammten Alan Namery vornehmen“, sagte der DJ grimmig. „Der Kerl wird mich nicht mehr mit Anrufen quälen.“
„Das wirst du schön bleibenlassen, Randy! Für unsere Vermutungen haben wir keinerlei Beweise, die Aufnahmen von den Anrufen gelten bei Gericht nicht.“
„Für mich gelten sie als Beweis, Jo.“
Jo hing seinen Gedanken nach, und Randy erging sich in Phantasien, was er alles mit Alan Namery tun wollte. Jo war sich nicht sicher, ob das wirklich etwas mit einer Rache an Ebony zu tun hatte, für die Gangster ging es um viel Geld, da war wahrscheinlich der Rachegedanke nur zweitrangig, es hatte sich eben ergeben, daß Ebony gerade das Opfer des Coups wurde, und daß sie es war, stimmte die drei Halunken alles andere als traurig.
Randys Wut legte sich langsam, er begann nun einzusehen, daß er tatsächlich nicht viel gegen Alan Namery unternehmen konnte, in einer direkten Konfrontation hätte ihn der kräftige Neger in Stücke zerlegt.
„Ihr zwei unternehmt gar nichts“, sagte Jo befehlend. „Das ist meine Aufgabe, verstanden? Wenn ihr euch einmischt, könnt ihr vielleicht noch alles verderben.“
Widerstrebend nickten Randy und Ebony. „Und was hast du jetzt vor, Jo?“
„Zuerst mal will ich deine Platten wiederbeschaffen, dann werde ich weitersehen.“
Das Telefon läutete. Es war Peter Hammarlund, der ziemlich müde und erschöpft klang. Er hatte keine Firma gefunden, die noch diese Woche Ebonys Platten einschieben konnte, vor nächster Woche lief in dieser Richtung gar nichts.
„Die Versicherung hat einen Privatdetektiv eingeschaltet“, sagte er. „Jo Walker, einen recht fähigen Mann. Hat er dich vielleicht angerufen?“
Ebony blickte Jo fragend an, der zustimmend nickte. Es war logisch, daß er sich mit Ebony in Verbindung setzen würde, war sie doch die Hauptbetroffene.
„Ja, er wollte mit mir sprechen, obwohl ich sicher bin, daß ich ihm nicht weiterhelfen kann.“
„Ein paar Reporter haben mich belästigt“, sprach Hammarlund weiter. „Einer wollte wissen, ob du nicht selber die Platten gestohlen hast. Auf Ideen kommen manche Leute.“
„Das ist ein Witz“, meinte Ebony. „Da kommst du wohl eher in Frage.“
„Verschone mich mit diesen Scherzen, Ebony. Die Polizei scheint davon überzeugt zu sein, daß ich irgendetwas mit dem Überfall zu tun habe. Zwei Detectives haben mich mehr als eine Stunde verhört, und sie waren alles andere als freundlich. Ich werde mich über sie beschweren.“
„Verfolgen sie noch eine andere Spur?“
„Keine Ahnung, sie taten so, als wäre ich der Hauptverdächtige. Bei Hank Artano waren sie auch, sie löcherten ihn mit Fragen nach dir. Sie werden dich ebenfalls vernehmen.“
„Ich habe nichts zu verbergen“, meinte Ebony. „Außerdem haben mich schon die Detectives Fastow und Leroux verhört, doch zu mir waren sie freundlich. Viel konnte ich ihnen ja auch nicht sagen, sie sind sicher, daß du die Platten gestohlen hast.“
„Ich habe nichts damit zu tun“, brüllte der Plattenproduzent mit überschnappender Stimme.
„Ist schon gut, Peter, ich glaube dir ja. Aber für die Polizei scheinst du der ideale Täter zu sein.“
„Da befinden sie sich auf der falschen Spur, mir können sie nichts anhängen, da ich absolut nichts damit zu tun habe. Lassen wir das, ich muß an meinen Blutdruck denken.“
Der Plattenproduzent legte auf, und Ebony grinste hinterhältig. Bevor sie noch etwas sagen konnte, klingelte das Telefon wieder. Diesmal war Hank Artano, ihr Manager, dran, der sich besorgt erkundigte, wie es ihr ginge.
Jo hielt seine rechte Hand über die Muschel. „Ich möchte mit ihm sprechen, sag ihm ruhig, daß ich da bin, Ebony.“
Die Sängerin nickte. „Hank, Jo Walker, ein Privatdetektiv, ist gerade bei mir, er möchte auch mit dir sprechen.“
„Hallo“, sagte Jo und stellte sich vor. „Ich weiß, daß es schon spät ist, aber ich möchte Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, Sir.“
„Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß ich Ihnen sonderlich viel helfen kann, Mr. Walker, aber ich bin gerne zu einem Gespräch mit Ihnen bereit. Allerdings heute geht es nicht mehr. Kommen Sie doch morgen um 10 Uhr in mein Büro.“
„Danke, ich werde pünktlich sein.“
„Weshalb willst du mit Artano sprechen?“ fragte Ebony, als er den Hörer aufgelegt hatte.
„Vielleicht bekomme ich etwas über Alan Namery heraus. Ich möchte wissen, ob die drei noch zur Tarnung gelegentlich als Musiker arbeiten.“
„Das läßt sich leicht feststellen“, meinte Randy. „Hast du das neueste Musiker-Verzeichnis der Gewerkschaft?“
Ebony nickte, stand auf und holte die weiße Broschüre, auf der in grüner Schrift gedruckt war:
Associated
Musicians
of
Greater New York DIREKTORY
1989-90
 
Hier waren Dwinson, Mooney und Namery verzeichnet, mit ihren Adressen und Telefonnummern, und im Anhang war aufgelistet, welche Instrumente sie spielten. Jo notierte sich alle Angaben.

* * *

Ebony hatte keine Ahnung, daß sie seit fast 24 Stunden beschattet wurde.
Seit sie das Nobelrestaurant Four Season in der 52. Straße, das genau zwischen der Park und der Lexington Avenue lag, verlassen hatte, war jeder ihrer Schritte beobachtet worden.
Der unsichtbare Begleiter war ihr zum Hutchinson Building in der Madison Avenue gefolgt, hatte sich das Interview im Radio angehört, und er war nicht sonderlich überrascht gewesen, als Randy Scott mit seinem schweren Motorrad an ihm vorbeigefahren war, und er Ebony erblickt hatte, die sich an den DJ geschmiegt hatte.
Erst nach dem dritten Lokalbesuch hatte Randy seine Maschine stehen gelassen, und die anderen Lokale hatten sie zu Fuß besucht. Der Beschatter war ihnen ins Ritz gefolgt, da war Randy noch nüchtern gewesen. Er hatte einen Teil ihrer Unterhaltung aufgeschnappt, die sich zu Beginn noch sehr um den Raub der Platten gedreht hatten, und dabei war auch Jo Walker erwähnt worden, den Ebony verpflichten wollte.
Ebonys Schatten war erst mittags abgelöst worden, aber er hatte Walker ins Haus gehen sehen. Sein Nachfolger hatte Randy und dann später Jo Walker aus dem Haus kommen sehen, doch er hatte sich auf Ebonys Spur gesetzt und war ihr gefolgt, als sie zu den zwei Interviews gefahren war, und er saß nun in seinem unauffälligen Chevy und beobachtete mit einem Fernglas die drei, die auf der Terrasse saßen. Jede halbe Stunde gab er über das Autotelefon seine Beobachtungen weiter.
Er hatte nicht gemerkt, daß vor einer halben Stunde ein knallroter Flitzer vorgefahren war, in dem ein hünenhafter Neger saß, der nun auch den Balkon nicht aus den Augen ließ.

* * *

Kommissar X trat kurz nach 21 Uhr auf den Parkplatz und schlenderte gemächlich zu seinem Wagen. Er hatte es nicht eilig. Auch ohne den Hinweis von Randy Scott hätte er die Großhändler Waldenstein Ltd. und All Records besucht. Nun wollte er mit der ersten Firma beginnen, aber vor Mitternacht hatte es nicht viel Sinn.
In der Zwischenzeit wollte er die Nightingale Bar in der 13. Straße besuchen. Das war das Stammlokal von Angela Bester, der giftblonden PR-Managerin von PANREC, die so sehr an Mark Dwinson und Kokain interessiert war. Ebony hatte ihm einige Fotos der Blondine gezeigt, und er wie sicher, daß er sie nicht bei seinem Besuch in der Plattenfirma gesehen hat¬te. Aber es war anzunehmen, den alle bei PANREC davon informiert waren, daß er an der Beschaffung der Platten arbeitete.
Obwohl er angestrengt nachdachte, paßte er automatisch auf, ohne daß ihm dies richtig zu Bewußtsein kam, ob er verfolgt wurde. Ohne darüber nachzudenken, wechselte er mehrfach die Fahrspur. Während er die breite Second Avenue downtown fuhr, verlangsamte und beschleunigte Jo immer wieder. Als er an der Ford Foundation kurz vor der 43. Straße vorbeiglitt, war er sicher, daß er verfolgt wurde. Nun ließ er den Rückspiegel nicht aus den Augen, huschte auf die innere Fahrspur und stieg aufs Gas. Er riß den SL nach rechts in die 34. Straße und suchte nach einem Parkplatz. Endlich entdeckte er einen, bremste ab und blieb halb auf dem Bürgersteig stehen.
Er lachte, als der knallrote Chevrolet Z51 FX3 an ihm vorbeifuhr, und der Fahrer hart auf die Bremse stieg, aber gleich wieder durchstartete und die Third Avenue überquerte. Jo hatte das Nummernschild deutlich lesen kön-nen. Der Wagen war auf Alan Namery zugelassen, das hatte April Bondy für ihn herausbekommen.
Jo blieb ruhig sitzen, steckte sich eine Zigarette an und überlegte. Er war sicher, daß ihm tagsüber niemand gefolgt war. Also konnte Namery nur seine Spur vom Haus am Sutton Place South aufgenommen haben.
Er rief bei Ebony an, doch sie meldete sich nicht. Ihr Manager hatte ihr erklärt, daß die Aufnahmen für ihr neuestes Video auf nächste Woche verschoben worden waren. So hatte sie in den nächsten Tagen nichts zu tun, außer ein paar Interviews zu geben und bei der am Donnerstagabend stattfindenden Plattenpräsentation dabei zu sein. Vermutlich war sie mit Randy Scott wieder von einem Lokal zum nächsten unterwegs. Jo war nicht entgangen, daß die beiden sehr voneinander angetan waren.
Es wollte ihm überhaupt nicht gefallen, daß Alan Namery so überraschend aufgetaucht war. Jo war ziemlich sicher, daß er und seine beiden Freunde den Überfall unternommen hatten, und sein Erscheinen konnte nichts Gutes bedeuten. Aber vielleicht hatte er nur Ebony besuchen wollen und ihn dabei entdeckt und ganz einfach verfolgt. Sein Foto war ja oft genug in den diversen Boulevardzeitungen gewesen, und auch im Fernsehen hatte er sich im Lauf der letzten Jahre öfter bewundern können, sehr zu seinem Ärger, denn es war für einen Privatdetektiv besser, wenn sein Aussehen nicht zu bekannt war.
Ein paar Minuten wartete er noch, kurvte dann ein paarmal um einen Häuserblock herum, nun verfolgte ihn niemand mehr, und er setzte seinen Weg in die 13. Straße fort.
Die Nightingale Bar war nicht ein Lokal nach seinem Geschmack, hier gab es zu viele ausgeflippte Typen, und die Musik jagte ihm Schauder über den Rücken.
Es stank, als hätte jemand einen Sack gemischt mit Haschisch und Marihuana angezündet. Normale Zigaretten schien hier keiner zu rauchen. Trotz der frühen Stunde war das Lokal schon recht voll, mit Mühe ergatterte er an der Bar einen Platz, bestellte ein Bier und blickte sich unauffällig um. Live-Musik gab es erst ab 23 Uhr, in der Zwischenzeit wurden Platten gespielt. Ein paar Blondinen entdeckte er, aber keine von ihnen war Angela Bester, und Neger gab es in jeder Menge, doch keiner sah wie Mark Dwinson aus.
Das Glas hatte Jo fast geleert, und er überlegte gerade, ob er noch eines bestellen sollte, da erblickte er Mark Dwinson, an den sich Angela Bester schmiegte. Der Musiker hatte den Kopf kahl geschoren, und auf der rechten Wange lief eine Narbe von der Augenbraue bis zum Mundwinkel. Angela kicherte unentwegt, ihre Augen waren glasig, und sie achtete nicht darauf, daß ihre Bluse halb offen war und ein Stück aus dem Rock hing. Die beiden steuerten auf einen Tisch unweit der kleinen Bühne zu und wurden herzlich von drei Negerpaaren begrüßt.
Ebony hatte recht gehabt, ganz offensichtlich war Angela Bester die Geliebte von Mark Dwinson. Alles schien zusammenzupassen. Die Blondine war sicherlich die Informantin der drei Gangster, und vermutlich war sie auch für einige Raubpressungen verantwortlich, denn ihr konnte es keine Schwierigkeiten bereiten, an das Masterband einer Platte zu gelangen, und auch die Filme für das Cover konnte sie kopieren.

* * *

Wie am Nachmittag kroch Jo Walker langsam durch die schmale Hooper Street in Brooklyn, die meisten der niedrigen Häuser waren dunkel, so auch das Gebäude, in dessen Erdgeschoß sich die Firma Waldenstein Ltd. befand.
Jo parkte in der Grand Street und traf seine Vorbereitungen für den Besuch bei der Plattengroßhandlung. Er klappte das Staufach hinter dem Beifahrersitz auf und öffnete eine Tasche, aus der er eine Stablampe hervorholte, eine fünfzellige Megalite, die man auch als Schlagstock verwenden konnte. Sie war so stark, daß man mit ihr sogar durch geschlossene Scheiben einen Raum ausleuchten konnte.
Ein Spezialeinbruchsbesteck schob er in eine Jackentasche, in die zweite steckte er ein Schweizer Armeemesser. Am Gürtel befestigte er ein Survivalmesser Gerber BMF.
Lange hatte er überlegt, ob er sich an Captain Rowland wenden sollte, aber auch ihm wäre es kaum gelungen, einen Richter auf den vagen Verdacht hin zu überzeugen, daß eine Durchsuchung der Firma Waldenstein notwendig war. Ihm blieb keine andere Wahl, er mußte das Risiko eingehen und ins Lagerhaus der Firma eindringen.
Schließlich schloß er die Tasche und das Staufach, und er wählte die Nummer von Waldenstein Ltd. und ließ es zwanzigmal klingeln, dann legte er auf und wartete geduldig, das hatte er in seiner langen Laufbahn gelernt.
Nach 35 Minuten startete er und reihte sich in den schwachen Verkehr ein, gemächlich bog er die Union Avenue ein, zuckelte kurz danach den Broadway entlang und erreichte wieder die Hooper Street. Hier gab es jede Menge Parkplätze, und er stellte den Wagen schräg gegenüber vom Gittertor ab. Aufmerksam beobachtete er das Haus und vor allem das Eingangstor. Im Hof war es dunkel, nirgends im Haus entdeckte er ein Licht. Die schmale Straße war völlig verlassen, kein Fußgänger ließ sich blicken, und kein Auto fuhr in den nächsten zwanzig Minuten vorbei.
Entschlossen schob er die Stablampe in die Jacke, öffnete die Wagentür, stieg aus und drückte sie leise auf. Jo ging um den Mercedes herum und überquerte die Straße.

* * *

Ebony fand es irre geil, mit einem Motorrad zu fahren, das hatte sie sich immer von Alan Namery gewünscht, doch der machte sich nichts aus schweren Maschinen.
Randy Scott mußte um halb elf Uhr im Studio sein. In seiner Sendung bevorzugte er Sänger als Interviewpartner, aber er akzeptierte auch Schauspieler, Sportler, Maler, Bildhauer und Schriftsteller. Heute war der 19jährige Schauspieler Kirk Carmon an der Reihe, der in der erfolgreichen TV-Serie >Growing Plains< eine Hauptrolle spielte.
Den Ritt von ihrem Haus zum Mars in der Tenth Avenue, diesem verrückten Club, der derzeit besonders in war, hatte sie sehr genossen. Jedes Stockwerk war in einem anderen Stil eingerichtet, und sie hatte nichts dagegen, daß Randy seinen rechten Arm um ihre Hüften legte, ganz im Gegenteil, sie lächelte ihm aufmunternd zu. Im Western Saloon im 3. Stockwerk setzten sie sich an die Bar, und er bestellte die Drinks und blieb vor ihrem Hocker stehen, umarmte Ebony und küßte sie sanft auf den Mund. Diesmal würde er sich nicht betrinken, das nahm er sich fest vor. Er spürte ihren weichen Körper mit den vollen Rundungen und bedauerte es sehr, daß er sie bald verlassen mußte. Nach ein paar Minuten hörte er mit dem Schmusen auf, sehr zur Enttäuschung der Sängerin, aber er wollte sich nicht jetzt schon in Hitze bringen.
„Wartest du hier auf mich?“ fragte Randy.
Ebony zögerte. Sie blieb nicht gerne lange in einem Lokal. „Gibt es nicht bei dir in der Nähe einen Schuppen, wo wir uns treffen können.“
„Natürlich“, sagte Randy eifrig. „Little Indian in der Spring Street, kennst du das?“
„Ja, ich war schon mal dort. Ich werde auf dich warten. Laß dir nicht zu viel Zeit, Randy.“
Der Abschiedskuß fiel länger und vielversprechender aus, als es der DJ erwartet hatte. Ebony winkte ihm lächelnd nach, trank ihren Drink aus und schlenderte dann ziellos im riesigen Lokal auf und ab, verweilte nur wenige Minuten in jedem Stockwerk. Sie traf einige Bekannte, die sie zu einer Party einladen wollten, aber sie hatte kein Interesse, sie freute sich schon sehr auf das Zusammensein mit Randy Scott. Bereits vergangene Nacht hätte sie nichts gegen ein näheres Kennenlernen gehabt, aber da war er zu betrunken gewesen.
Ein paar Minuten vor Mitternacht verließ sie das pompöse Lokal, blieb auf dem Gehsteig stehen und musterte die erst jetzt so richtig heranströmenden Besucher.
Ein Teeniepaar erkannte sie.
„Gibst du mir ein Autogramm?“ fragte das Mädchen.
„Gern“, sagte Ebony, die es noch genoß, wenn sie erkannt wurde, öffnete ihre Umhängetasche und holte ein Foto hervor. „Willst du eine Widmung?“
„Ja, das wäre dufte. Ich bin Jenny Gibson.“
Lächelnd widmete sie Jenny das Autogrammfoto und reichte es ihr. Nun wünschten auch ein paar andere Fans signierte Bilder von Ebony, die mehr als ein Dutzend verteilte. Sie blickte downtown und wollte auf ein Taxi zulaufen, aus dem zwei junge Männer ausstiegen.
„Hallo, Ebony“, hörte sie eine Stimme, die sie nur zu gut kannte. Vor ein paar Stunden hatte sie diese Stimme auf der Kassette gehört, da hatte sie wilde Drohungen gegen Randy Scott ausgestoßen. Langsam wandte sie den Kopf. Vor Überraschung war sie wie gelähmt, sie merkte nur undeutlich, daß Alan Namery ihren rechten Ellbogen umspannte.
„Laß mich sofort los“, zischte sie, als sie den ersten Schrecken überwunden hatte. Mit seinem plötzlichen Auftauchen hatte sie nicht gerechnet.
„Ich muß mit dir sprechen, Ebony“, sagte er drängend.
„Dazu habe ich keine Lust und keine Veranlassung“, sagte sie mit eisiger Stimme. „Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“
„Vielleicht doch. Oder bist du nicht daran interessiert, deine Platten wiederzubekommen?“

* * *

Auf das Interview mit Kirk Cameron hatte er sich kaum vorbereitet, er begrüßte den jungen Schönling freundlich und zog sich in sein Zimmer zurück. Er wollte die Unterlagen über den Schauspieler durchblättern, viel Ruhm konnte er mit diesem Gespräch nicht ernten, denn es war schier unmöglich, den kommenden Star allzu hart anzufassen.
Der DJ konnte sich kaum konzentrieren, zu sehr beschäftigten ihn andere Dinge. Da war mal Ebony, die er einfach hinreißend und sehr sexy fand. Er mochte keine Sängerinnen, die sich als Stars aufspielten. Und dann war da die Entdeckung, daß Alan Namery der lästige Anrufer war.
Er schloß die Mappe, alle paar Minuten wurde das Gespräch unterbrochen, da wurden die neuesten Hits aus der Playlist gespielt. Währenddessen konnte er sich die Fragen ausdenken. WKTU war eigentlich ein reiner Musiksender, die Interviews waren vor zwei Jahren versuchsweise ins Programm aufgenommen worden, und sie waren innerhalb weniger Wochen für viele Fans zu einem Pflichttermin geworden. WKTU um 23 Uhr war eben >RANDY SCOTT LIVE<.
Das Telefon läutete. Randy zögerte, ob er den Hörer abheben sollte, er konnte sich nicht vorstellen, daß das Gespräch wichtig sein könnte. Um diese Zeit hatte sich Alan Namery nie gemeldet. Es war jedoch vorgekommen, daß ihn der Programmdirektor noch mit letzten Anweisungen ins Interview geschickt hatte. Tagsüber kamen oft Anrufe von Fans, die darum baten, daß er ganz bestimmte Fragen an einen Star stellen sollte, deren Antworten sie besonders interessierten.
„Hallo“, meldete sich Randy.
Ein bösartiges Knurren schlug Ihm entgegen. Ich hätte wohl besser nicht abgehoben, dachte der Diskjockey. Er erinnerte sich an die Warnung von Kommissar X: Keinesfalls durfte er sein Wissen um den nicht mehr unbekannten Anrufer verraten.
„Wie schön, daß ich dich noch erreiche, Randy-Boy.“
„Ich habe keine Zeit“, sagte er rasch.
„Leg nicht auf, Randy“, befahl Alan Namery mit dröhnender Stimme. „Laß die Finger von Ebony Lynn.“
„Scheren Sie sich zum Teufel“, brüllte der DJ. „Ich habe endgültig genug von Ihren Anrufen, ich werde...“
„Hör mir zu, du elender, geiler Bastard. Ebony ist für dich tabu, suche dir für deine Sexspiele ein anderes Opfer. Ab sofort wirst du sie nicht mehr besuchen, sie nicht mehr anrufen! Ebony Lynn hat für dich zu existieren aufgehört, verstanden?“
Randy leckte sich über die Lippen. Woher wußte Alan Namery, daß er bei Ebony gewesen war?
„Wie kommen Sie denn auf die absurde Idee, daß ich mich für Ebony interessiere?“
„Ich kenne dich gut genug, du Hurenbock. Wenn du dich noch mal Ebony näherst, dann schneide ich dir eigenhändig etwas ab. Ist das deutlich genug?“
„Allerdings“, flüsterte Randy, dessen gute Laune schlagartig verschwunden war. Gedankenverloren stierte er den Hörer an.
„Komm schon, Randy“, forderte ihn seine Sekretärin auf. „In fünf Minuten bist du auf Sendung.“
„Okay, ich komme“, sagte er, griff nach der Mappe und ging ins Studio, wo bereits Kirk Cameron jungenhaft lächelnd auf ihn wartete. Randy unterdrückte ein Seufzen. Die nächsten 60 Minuten würden für ihn nicht leicht werden, er mußte die Gedanken an Ebony und Alan Namery verdrängen. Vor dem Mikro wurde er sofort zum Profi, und niemand konnte ahnen, welche Empfindungen in ihm vorgingen, als er die erste Frage an den jungen Schauspieler richtete.

* * *

Vor dem Gittertor blieb er stehen. Jo blickte zur gegenüberliegenden Häuserfront. Ein Fenster stand offen, und er konnte den bläulichen Schein eines Fernsehers wahrnehmen. Ganz leise vernahm er Stimmen. Die anderen Wohnungen waren stockfinster, es war eine Arbeitergegend, in der die meisten Bewohner zeitig schlafen gingen.
Er preßte sich gegen die Gitterstäbe, verschmolz mit der Dunkelheit und ging langsam in die Knie. Es war ein einfaches Einsteckschloß, mit dem er es zu tun hatte. Das bekam jeder ungeübte Einbrecher in einer Minute auf. Er benötigte nicht einmal zwanzig Sekunden, dann war das Schloß geknackt. Vorsichtig drückte er das Tor auf, gerade weit genug, daß er sich vorbeiwinden konnte. Es knirschte nur leise, aber ihm kam es wie ein Donnerschlag vor.
Er wartete eine Minute völlig bewegungslos, drückte von innen das Tor zu und lehnte sich an die Wand. Jo blickte sich um. Der Hinterhof war klein und überdacht, so konnte er die Fenster auf der Rückseite des Hauses leider nicht sehen. Zur rechten Seite erstreckte sich das schäbige Lager, es umfaßte eine Glastür und sechs verdreckte Fenster, die alle mit Gittern gesichert waren. Links war die Feuermauer des Nebenhauses zu sehen, die über und über mit Graffitis beschmiert war.
Ein Auto fuhr vorüber, und er verschmolz mit der Wand, wurde praktisch unsichtbar. Eine Wagentür wurde geöffnet und lautstark zugedroschen. Er vernahm die schweren Schritte, die an ihm vorbeidröhnten und rasch leiser wurden. Knarrend öffnete sich ein Haustor, dann war es wieder still, nur die lispelnden Stimmen aus dem Fenster waren noch zu hören.
Fünf Minuten wartete er noch. Er öffnete die Jacke, holte die Stablampe hervor und ging auf die Lagerhallentür zu, die sich am Ende des Hofes befand. Er duckte sich und knipste für einen Augenblick die Lampe an. Die schmutzige Tür war mit einem Sicherheitsschloß gesichert, und es mußte vor zwanzig Jahren angebracht worden sein. Das Schloß bot ihm auch keine Schwierigkeit, aber er befürchtete, daß sich im Lager eine Warnanlage befand, dagegen konnte er nichts unternehmen, die hätte er möglicherweise bei Tageslicht ausschalten können. Dieses Risiko ging er ganz bewußt ein. Wenn alles gut ging, würde er sich auch nur wenige Minuten im Lager aufhalten.
Nun sah er sich das Schloß genau an, er war ziemlich sicher, daß es nicht mit einem elektronischen Bewegungsmelder gekoppelt war, aber schon hinter der Tür konnte sich eine Alarmanlage befinden, die auf Infrarot oder Ultraschall reagierte. So rasch wie mit dem Gittertor ging es diesmal nicht, aber das Schloß war ausgeleiert, und nach drei Minuten griff der Dietrich, und Jo drehte langsam den Türknauf und zog die Tür auf.
Jetzt war Schnelligkeit angesagt. Er lief in den Lagerraum, schaltete nach ein paar Schritten die Stablampe ein, leuchtete den Raum aus, der vollgefüllt mit Plattenkartons der verschiedensten Firmen war. Neben der Tür stand eine große Waage, und daneben waren riesige Kartons aufgeschichtet, die zum Versand vorbereitet waren.
Auf den Adreßaufklebern las er:
WALDENSTEIN, INC.
9191 Wilshire Boulevard
Beverly Hills, CA 90210
Jo dehte sich um und blieb vor dem massiven Packtisch stehen, auf dem Berge von Langspielplatten, CDs und Kassetten lagen. Und auf allen Umschlägen lächelte ihm Ebony entgegen, deren Name in Großbuchstaben in der linken Ecke zu lesen war.
Erleichtert atmete Jo auf, seine Vermutung war richtig gewesen, hier befanden sich die gestern gestohlenen und geraubten Platten.
Auf der links liegenden Seite waren auch einige große Kartons gestapelt. Der Schein der Lampe glitt über die mit einem schwarzen Filzstift hingeschriebenen Firmennamen und Adressen.
CDGB Record & Tape Center, 1619 Broadway.
Tower Records, 692 Broadway.
The Golden Disc, 239 Bleecker Street.
Es waren Lieferungen für mehr als hundert Plattenläden in New York vorbereitet. Jo steckte die Dietriche ein, holte das scharfe Survivalmesser hervor und schlitzte einen der Kartons auf, die vermutlich mit Luftfracht nach L.A. gehen sollten. Er durchtrennte das dicke Klebeband, griff hinein und zog eine der rot-schwarz-weiß schillernden Plattenhüllen mit Ebonys Gesicht hervor.
Als er das leise knarrende Geräusch hörte, erstarrte er und schaltete die Lampe aus.
Irgendjemand betrat den Lagerraum...

* * *

Ebony wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie hatte sich zwar mit Jo und Randy darüber unterhalten, was sie tun sollte, wenn er sich telefonisch bei ihr melden würde, da hätte sie so wie immer abweisend und eisig reagieren sollen. Aber nun stand er neben ihr, hatte weiterhin ihren Ellbogen gepackt und lächelte sie spöttisch an. Dieses überlegene Lächeln hatte sie in der Zeit ihres Zusammenseins zu hassen gelernt, und am liebsten hätte sie sein hübsches Gesicht zerkratzt.
„Was hast du mit meinen Platten zu tun?“ fragte sie empört.
„Nicht hier“, sagte er. „Ich erzähle dir alles im Wagen. Das müssen nicht alle hören.“
Sie überlegte kurz, ein Gespräch mit ihm konnte nichts schaden, obzwar sie ein wenig Angst vor ihm hatte. Wütend über sein überraschendes Auftauchen schüttelte sie seine Hand ab und rieb sich den Ellbogen.
„Ich warne dich, Alan, faß mich nie mehr an. Wenn du es nochmals tust, dann knalle ich dir eine.“
„Ist schon gut, beruhige dich. Hier sind wir.“
Der rote Chevrolet war nicht abgesperrt. Namery öffnete die Beifahrertür, und ein wenig zögernd setzte sich Ebony in den Wagen, ihre Neugierde hatte gesiegt.
Noch immer lächelnd ließ sich Alan hinter dem Lenkrad nieder.
„Wie gefällt dir mein neues Auto?“
„Ganz niedlich“, sagte sie abweisend. „Was willst du von mir?“
„Wohin wolltest du fahren? Nach Hause? Ich bringe dich hin.“
„Du fährst mich nirgends hin, Alan.“
Er beachtete sie nicht, startete und legte einen Kavaliersstart hin, der sie in den Sitz drückte.
„Schnall dich an und sagte mir endlich, wohin du willst.“
„Ich will raus. Bleib sofort stehen.“
„Ich kann vielleicht deine gestohlenen Platten beschaffen, Ebony.“
Er raste an den hohen Blöcken der Elliott Houses vorbei und erreichte kurz danach den Chelsea Park. Genau die falsche Richtung, denn Alan fuhr nach Norden und sie wollte eigentlich nach Soho, was im Süden lag. Widerstrebend legte sie den Sicherheitsgurt an.
„Wohin darf ich dich bringen, Ebony?“ fragte er und stellte das Radio an.
„...das war es für heute, Fans“, erfüllte Randy Scotts Stimme das Wageninnere, und im Hintergrund war bereits die Kennmelodie seiner Sendung zu vernehmen. „Vergeßt nicht morgen um die gleiche Zeit einzuschalten. Randy Scott live, WKTU auf 92,3. Auf Wiederhören, Fans.“ Die Kennmelodie wurde lauter.
„Wolltest du deinen neuen Freund nach der Sendung abholen?“
„Wer soll denn mein neuer Freund sein?“
„Stell dich nicht so dumm, du weißt schon, gerade hast du seine Stimme gehört. Randy Scott!“
Ebony warf ihm einen grimmigen Blick zu. „Ich will sofort aussteigen, deine blöden Bemerkungen kannst du dir sparen. Halte augenblicklich an.“
„Oder willst du Randy woanders treffen, Baby?“
„Wenn es so wäre, dann ginge es dich überhaupt nichts an.“
Er lachte durchdringend. Vor dem verwirrenden Verteilerkreuz zwischen der 38. und 40. Straße mußte er vor einer Ampel anhalten. Ebony griff nach dem Türgriff.
„Du steigst erst aus, wenn ich es dir erlaube“, sagte er grimmig, zog einen rasiermesserscharfen Dolch unter dem Sitz hervor und drückte die Spitze gegen ihre volle Brust.
Und plötzlich hielt sie es für eine der dümmsten Ideen, die sie je gehabt hatte, in Alan Namerys Auto zu steigen...

* * *

John Mooney war mit sich und der Welt zufrieden. Er hockte vor dem Fernseher und sah sich die Wiederholung einer Folge von L.A. LAW an, die zu seinen absoluten Lieblingssendungen zählte. Das war endlich mal eine Serie, die den Alltag von Anwälten realistisch zeigte.
Genußvoll nahm er alle paar Minuten einen kräftigen Schluck Bier und sog an der dünnen Zigarre.
Der Überfall auf den Transporter von PANREC und der Diebstahl der Platten war lange vorbereitet und exakt geplant worden. Es hatte auch alles prächtig geklappt, der einzige Schönheitsfehler war gewesen, daß sich der zweite Wachmann auf einem Rundgang befunden hatte. Aber sein Tod berührte den Gangster nicht. Der Dummkopf hatte es sich selbst zuzuschreiben, hätte der Trottel doch nicht den Helden spielen müssen.
Morgen ging die Hälfte der Platten, CDs und Kassetten an die Filiale nach Beverly Hills, und der Rest würde dann am Donnerstag an die Händler in N.Y.C. und den umliegenden Bundesstaaten geliefert.
Das war ein Coup ganz nach seinem Geschmack, er würde ihnen rund zwei Millionen Dollar einbringen — und das steuerfrei. Nach Eingang der Zahlungen würde Waldenstein Ltd. aufgelöst werden, und alle Belege und Hinweise, die auf ihre Spur führen konnten, wären dann vernichtet. Danach würden sie eine neue Großhandelsfirma kaufen und weiterhin dem lukrativen Geschäft mit den Raubpressungen nachgehen.
Besonders reizvoll war es, daß Ebony Lynn zum Handkuß dabei kam, darüber hatten sie sich besonders amüsiert. Die Sängerin war der Anstoß zu ihrer Verbrecherlaufbahn gewesen, denn nach Auflösung der Band hatten sie sich in langen Beratungen dafür entschieden. Eigentlich sollte ich ihr dafür dankbar sein, dachte der Gangster.
Ich werde eine Weltreise machen, überlegte er. Kreuz und quer durch Europa, nach Thailand und in die Südsee, vielleicht auch nach Kenia.
Er wurde unsanft aus seinen Wunschgedanken gerissen. Die zwei Lichter der Warnanlage blinkten auf, und dann war ein schriller Summton zu hören.
„Verdammter Mist“, fluchte er.
Irgendjemand hatte den Lagerraum im Hof betreten. Namery hatte es als Geldverschwendung betrachtet, als er darauf bestanden hatte, daß eine moderne Alarmanlage installiert wurde. Wer würde schon einen so erbärmlichen Laden wie Waldenstein ausrauben? Aber in N.Y. wurden Leute wegen einer Handvoll Dollar umgebracht.
Mooney drückte die Zigarre aus, griff nach der Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer und schob sie in den Gürtel. Er schnappte einen bereitliegenden Baseballschläger und rannte aus der Wohnung im 4. Stock und verzichtete darauf, das Ganglicht anzudrehen.
Er hastete die Stufen hinunter ins Erdgeschoß und suchte den Schlüssel für die Ladentür, vor der er lauschend stehenblieb. Doch in den Büroräumen schien sich niemand aufzuhalten. Vorsichtig sperrte er die Tür auf und trat ein. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das düstere Licht. Hinter der Glastür zum Lagerraum sah er den hin und her huschenden Lichtkegel einer starken Stablampe.
Den Schlüsselbund schob er in die Hosentasche und nahm den Baseballschläger in die rechte Hand. Geräuschlos und geduckt schlich er auf die Glastür zu, die halb offenstand.
Offenbar war nur ein Kerl im Lager, aber er mußte davon ausgehen, daß draußen ein zweiter Schmiere stand. Er mußte den oder die Einbrecher möglichst lautlos erledigen, eine Schießerei war so ziemlich das letzte, was er wollte. Das würde die Polizei anlocken, und darauf konnte er liebend gerne verzichten. Die Bullen würden vielleicht herumschnüffeln und feststellen, daß hier Unmengen von gestohlenen Platten und Raubpressungen lagerten.
Der Kerl mit der Stablampe schlitzte gerade einen Karton auf und holte eine Platte heraus, und er wandte ihm den Rücken zu. Das war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Sofort lief er los, seine Turnschuhe verursachten kein Geräusch, doch ein Brett im Boden knirschte leicht.
Und da war er schon hinter dem Kerl, hob den Baseballschläger hoch über den Kopf und ließ ihn niedersausen.
Kommissar X hatte das knarrende Brett gehört, und seine angespannten Sinne registrierten, daß sich jemand von hinten näherte. Er handelte ohne zu denken, sprang einfach vorwärts, stieß dabei den Karton um, drehte sich im Sprung herum, landete auf der Seite und wälzte sich nach rechts.
Der wuchtige Hieb, der ihm gegolten hatte, konnte von John Mooney nicht mehr gestoppt werden. Der Baseballschläger schlug auf dem offenen Karton auf und zertrümmerte die Schallplatten. Das berstende Geräusch der splitternden Scheiben klang in der Halle wie ein Donnerschlag.
Sofort knipste Jo die Lampe an. Geblendet schloß Mooney die Augen, duckte sich und hechtete nach links, um dem scharfen Lichtstrahl zu entgehen.
Für wenige Augenblicke hatte Jo das Gesicht gesehen, doch es sofort erkannt. Das lange, in der Mitte gescheitelte pechschwarze Haar, die leicht schräg gestellten Augen und die kräftige, leicht gebogene Nase, die hatte er bei Ebony auf einigen Fotos gesehen. Sein Gegner war John Mooney, früheres Bandmitglied der THE VOODOOS, und seit einem knappen Jahr der Besitzer von Waldenstein Ltd. Seine Vermutung war richtig gewesen, hier befand sich eine Alarmanlage, die Mooney aufgescheucht hatte.
Geschmeidig sprang Jo hoch und ging hinter dem Packtisch in Deckung. Mooney war ein dunkler Schatten, der um den Tisch herumlief.
Der Kerl wird sicherlich eine Pistole mit Schalldämpfer bei sich haben, überlegte Jo rasch, und es gab für ihn keinen Zweifel, daß ihn Mooney töten wollte. Und das möglichst rasch, denn er fürchtete die Polizei weit mehr, als dies auf Jo zutraf, der im schlimmsten Fall eine Anklage wegen Hausfriedensbruch riskierte. Na ja, wenn ein Staatsanwalt pingelig war, dann konnte er auch auf versuchten Diebstahl pochen.
Jo stieß das große Messer in den Holzfußboden und griff nach seiner Automatic. Grimmig grinsend hob er die Waffe und wollte einfach ein paar Schüsse abgeben, die jemanden veranlassen sollten, die Polizei zu rufen.
Bevor er noch abdrücken konnte, flammte die Deckenbeleuchtung auf, die Mooney angeknipst hatte. Und in diesem Augenblick flog der Baseballschläger auf ihn zu, knallte auf die Tischplatte und schleuderte ein paar CDs auf den Boden, dann rutschte das Sportgerät weiter auf Jo zu, der zwei Schritte zur Seite sprang.
Nun war keine Zeit mehr für irgendwelche Warnschüsse. Mooney war kalt entschlossen, ihn zu töten. Er stand in Combat-Stellung am rechten Ende des Tisches und drückte ab. Plop, machte es, und Rauch stieg aus der Pistole Marke MAB, Modell D auf. Die Kugel verfehlte Jo nur um wenige Zentimeter und bohrte sich surrend in die Wand. Mörtel und Ziegelstücke rieselten zu Boden.
Jo wollte den Gangster nicht töten, er wollte ihn lebend. Er zielte auf die rechte Schulter, drückte ab und sprang wieder zwei Schritte zur Seite.
Mooney stöhnte auf, die Kugel hatte ihn getroffen, und sein Hemd färbt sich rot, aber der fast zwei Meter große Verbrecher war noch lange nicht gestoppt. Er schoß wieder, doch auch diesmal verfehlte er Jo.
„Gib auf, Mooney“, brüllte Jo.
Der Gangster dachte nicht daran. Er stöhnte gequält auf, aber die Pistole folgte Jo Walker, der nun geduckt zum anderen Ende des Tisches lief. Ein weiteres >Plop< hörte er, und die Kugel knallte in die Tischplatte, durch ein paar Kassetten hindurch.
Jo zielte nun auf die linke Schulter, drückte ab, doch in diesem Augenblick wich Mooney zur Seite, und die Kugel durchschlug eine der Scheiben, die klirrend zu Bruch ging. Und nochmals schoß Jo.
Mooney heulte auf. MIt der rechten Hand umklammerte er weiterhin die französische Pistole, und die linke drückte er sich gegen den Bauch, wo er blutete.
„Ich bring dich um, Kommissar X“, keuchte Mooney, dessen Gesicht nun schweißbedeckt war. Nur mit äußerster Anstrengung hielt er sich nun aufrecht. Sein Gesicht war unmenschlich verzerrt, aber trotz seiner schweren Verwundung konnte er sich noch immer auf den Beinen halten. Seine Hand zitterte immer stärker, und daher ging der Schuß weit daneben.
Mit einem gewaltigen Satz hechtete Jo über den Tisch, schlug einen Haken, als Mooney wieder abdrückte. Diesmal traf er ein Tischbein.
Jo, der noch immer die schwere Stablampe in der linken Hand hielt, hieb damit auf Mooneys Handgelenk ein. Die Pistole fiel zu Boden und schlitterte zur Waage hin.
Mooneys Augen waren blutunterlaufen, er riß den Mund weit auf und stieß einen tierischen Schrei aus. Seine Augen wurden trübe, und er preßte sich nun beide Hände auf den Bauch, dann sackte er wie in Zeitlupe bewußtlos zusammen.
Jo blickte kurz den Bewußtlosen an, stieß die Automatic in das Holster und sah sich nach einem Telefon um. Im Lagerraum fand er keines, doch zwei Apparate standen im Büro. Sein Atem hatte sich beruhigt, und er tippte 911 ein.
„Eine Schießerei in der Lagerhalle der Firma Waldenstein in der Hooper Street in Brooklyn.“
„Ihr Name, Sir?“ fragte die Beamtin.
„Jo Walker“, antwortete er und gab seine Adresse durch.
„Schicken Sie auch einen Krankenwagen, es hat einen Verletzten gegeben.“
Jo legte sich bereits eine Story bereit, die er der Polizei erzählen wollte, aber es war möglich, daß ihn ein übereifriger Detective durchsuchen würde, und die Dietriche machten sich nicht sonderlich gut für seine Story. Er wischte das Einbruchsbesteck ab und schob es in Mooneys linke Hosentasche.
Der Gangster lag auf der Seite, noch immer floß Blut aus seinen Wunden, und sein Atem ging rasselnd.
Jo schob das Messer in die Scheide und wartete auf das Eintreffen der Polizei. Wie üblich war ein Streifenwagen als erster am Tatort.
Zwei Cops stürmten mit gezogenen Revolvern in die Lagerhalle, darauf war Jo vorbereitet gewesen. Er empfing die beiden Polizisten mit im Nacken verschränkten Händen, denn er hatte keine Lust, von einem übereifrigen Streifenpolizisten über den Haufen geschossen zu werden.

* * *

Richtige Angst hatte Ebony noch immer nicht, sie fühlte sich unbehaglich und abgestoßen von ihrem Ex-Freund.
Sie wartete auf eine Gelegenheit, daß sie fliehen konnte, bei einer der nächsten Ampeln, wo er stehen bleiben mußte, wollte wie rasch den Sicherheitsgurt mit der linken Hand öffnen und gleichzeitig mit der rechten Hand die Tür aufstoßen und sich einfach aus dem Wagen fallen lassen. Fasziniert sah sie zu, wie er mit der rechten Hand schaltete, die weiterhin den Dolch umklammerte, und sie fragte sich, wann er sich mal dabei selbst ins Bein stechen würde.
„Laß uns vernünftig miteinander reden, Alan.“
„Okay, vorerst legst du mal die Hände auf deine Knie und verschränkst die Finger.“
Er hat meine Absicht erraten, dachte sie verärgert, und als sie nicht gleich seinem Befehl nachkam, drückte er die Dolchspitze gegen ihren Bauch. so folgte sie schließlich widerstrebend seiner Anordnung.
„Das ist schon klüger, Baby, du mußt nur immer schön tun, was ich von dir will, verstanden?“
Sie blickte ihn verächtlich an, dann nickte sie langsam.
„Hast du mit Jo Walker über mich gesprochen?“
„Weshalb hätte ich das tun sollen.“ Sie wunderte sich, das er von Jo wußte, aber langsam dämmerte ihr, daß sie wahrscheinlich beobachtet worden war, anders war es auch nicht zu erklären, daß er sie gefunden hatte, denn ihr Entschluß ins Mars zu fahren, war spontan gekommen. Nur Randy Scott hatte es gewußt. Daher hatte es wenig Sinn, den Besuch des Privatdetektives zu verheimlichen.
„Worüber habt ihr euch unterhalten?“
„Über die gestohlenen Platten, die er im Auftrag einer Versicherung finden soll.“
„Und da hast du am Vormittag zwei Stunden mit ihm geplaudert und am Abend wieder zwei Stunden?“
„Jo Walker ist eben ein hartnäckiger Bursche.“
„Deshalb hast du ihn und Randy Scott wohl zum Abendessen eingeladen?“
„Verdammt, ich habe genug von deiner blöden Fragerei. Erzähl mir lieber, was du von den geraubten Platten weißt!“
„Die Fragen stelle ich, Süße. Du hältst mich wohl für sehr dumm, meine Liebe, natürlich habt ihr auch über mich gesprochen, Kommissar X wird sicherlich nach Leuten gefragt haben, die dir deinen Erfolg nicht gönnen. Und ich wette, daß ich da ganz oben auf deiner Liste stehe.“
„Na schön, wir haben auch über dich gesprochen.“
Namery bog in die 57. Straße ein und er fuhr genau so schnell, daß er bei jeder Kreuzung freie Fahrt hatte. Aus dem Radio dröhnte der neueste Hit von Madonna.
Randy ist sicherlich gerade unterwegs ins Little Indian, überlegte Ebony, und was hat Alan mit mir vor?
„Laß mich aussteigen, Alan“, bettelte sie.
Er lachte und warf ihr einen Blick zu, den sie nicht ergründen konnte.
„Die Nacht ist jung, Baby, wir werden viel Spaß miteinander haben.“
Wieder lachte er, und plötzlich hatte sie Angst. Ich muß raus aus dem Auto, dachte sie und blickte über die Straße. Vor ihnen war ein Taxi mit einem BMW zusammengestoßen, und Alan mußte herunterschalten. Das ist die Gelegenheit, dachte sie, als er um die zwei ineinander verkeilten Wagen fuhr.
Sie griff gleichzeitig nach dem Gurtverschluß und dem Türgriff. Alan ließ den Dolch fallen und verkrallte seine rechte Hand in ihrem Haar, riß den Kopf zu sich herum, drückte das linke Knie gegen das Lenkrad, der Wagen brach ein wenig aus, und dann krachte seine linke Faust gegen ihr Kinn. Ohnmächtig sackte sie zusammen.

* * *

Ebony hatte recht, denn Randy Scott war mit seiner Harley-Davidson unterwegs zum Little Indian. Er traf dort ein, als in Brooklyn Jo Walker mit im Nacken verschränkten Händen die Polizisten erwartete, und als auf der 57. Straße Ebony von einem Kinnhaken ins Land der Träume befördert wurde und Namery im letzten Augenblick einem Zusammenstoß mit einem VW-Transporter entging.
Das Lokal hatte erst vor ein paar Wochen geöffnet, aber es war bereits eines von Randys Stammlokalen geworden. Es sah wie ein riesiges Tipi aus, in der Mitte stand ein gewaltiger Totempfahl, an den Wänden hingen Tomahawks, Lassos, ein paar falsche Skalps und jede Menge Bilder von berühmten Indianerhäuptlingen.
Randy blickte sich rasch um, doch Ebony sah er nicht, so ging er zur langen Theke und fragte den Barkeeper, ob er die Sängerin gesehen hatte, was natürlich nicht der Fall war.
Mit jeder Minute, die er wartete, wurde Randy nervöser, der Anruf von Alan Namery hatte ihn sehr beunruhigt. Er war ganz sicher, daß ihn Ebony nicht versetzen würde, und sie hätte schon längst da sein sollen. Zwanzig Minuten wartete er, dann hielt er es nicht mehr aus, er instruierte den Barkeeper, daß er anrufen würde, Ebony sollte auf ihn warten, wenn sie tatsächlich noch kommen sollte.
Der Verkehr war schwach, und er benötigte nicht mal zehn Minuten, dann stand er vor dem pompösen Mars und unterhielt sich mit den zwei Türstehern, die darauf achteten, daß keine Betrunkenen und Minderjährigen ins Lokal kamen, die beiden kannten Randy Scott.
„Könnt ihr euch an die Farbige erinnern, mit der ich vor drei Stunden hergekommen bin?“ fragte er.
„Na klar“, meinte der eine. „Das ist Ebony, eine Sängerin, deren Platten verschwunden sind.“
„Richtig. Habt ihr sie rauskommen sehen?“
„Na klar“, sagte der Bursche wieder. „Ein paar Leutchen wollten Autogramme von ihr.“
„Wann war das?“
„Ist noch nicht lange her, nicht mal eine Stunde.“
„Stieg sie in ein Taxi?“
„Das habe ich nicht gesehen. Vielleicht weiß Joe etwas. He, komm mal her, Joe!“
Sein Kollege kam näher.
„In ein Taxi stieg sie nicht“, sagte Joe. „Sie sprach mit einem Neger.“
„Wie hat der ausgesehen?“
„Ich sah ihn nur von hinten, keine Ahnung. Er führte sie zu einem knallroten Sportwagen, und sie stieg ein. Mehr kann ich dir nicht sagen, Randy.“
„Was war es für ein Sportwagen?“
Joe überlegte kurz. „Hm, Porsche war es keiner. Warte mal, sah wie ein Nissan Turbo aus, nein, hm, ja, jetzt weiß ich es. Chevrolet Corvette, knallrot.“
„Danke, Joe“, sagte Randy leise.
Alan Namery hatte ihr aufgelauert, und sie war zu ihm in den Wagen gestiegen. Sofort ging er zur nächsten Telefonzelle und versuchte Jo im Büro zu erreichen, doch da meldete sich niemand, und auch mit dem Autotelefon hatte er kein Glück. Instinktiv wußte er, daß sich Ebony in Gefahr befand...

* * *

Die Streifenpolizisten hatten Kommissar X erkannt, aber er mußte weiterhin mit im Nacken verschränkten Händen stehen bleiben. Einer der Cops ging zum Streifenwagen und verständigte die Detectives vom zuständigen Revier.
Der Krankenwagen aus dem Greenpoint Hospital traf ein, zwei Sanitäter folgten mit einer Bahre einem indischen Arzt, der einen gewaltigen Vollbart trug. Der Inder kniete neben dem noch immer bewußtlosen John Mooney nieder und untersuchte ihn kurz, und die Sanitäter hoben den schweren Mann auf die Tragbahre.
Draußen liefen sie den Detectives Bernhard Petrovic und Samuel Tucker über den Weg. Tucker folgte der Bahre, und Petrovic betrat den Lagerraum, sah sich flüchtig um und fixierte dann Jo Walker.
Der war schon ein paarmal mit Petrovic zusammengetroffen, der ein paar Wochen Mitglied der Mordkommission unter Tom Rowland gewesen war, aber der Captain war von Petrovic nur wenig angetan gewesen, und seither war der Detective mehrfach versetzt worden und nun in Brooklyn gelandet.
„Lange nicht gesehen, Walker“, sagte Petrovic grinsend.
„Darf ich die Hände runternehmen?“
„Nicht so hastig, Walker. Erzählen Sie mal Ihre Lügengeschichte.“
Jo ließ sich auf keine Debatten ein, denn er wußte, daß ihn Petrovic nicht leiden konnte. Er erzählte die Story, wie er sie sich zurechtgelegt hatte. Seine Absicht war die Beobachtung von einigen Großhändlern gewesen. Das Gittertor hatte offen gestanden, so war er einfach in den Hinterhof gegangen und hatte sich umgesehen. Und angeblich war die Lagerhalle hell erleuchtet gewesen. Er hatte angeklopft, und als sich niemand gemeldet hatte, war er eingetreten und hatte sich umgesehen, und in diesem Augenblick war John Mooney mit einem Baseballschläger auf ihn losgegangen. Er hatte den Angriff abwehren können, und dann war es zur Schießerei gekommen.
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, Walker, daß ich Ihnen diesen Schmus abkaufe“, knurrte Petrovic empört.
Sein Partner, ein junger Farbiger, war dazugestoßen und hatte interessiert Jos Erzählung gelauscht.
„Es ist aber so, Petrovic“, meinte Jo und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er nahm nun die Hände herunter, ohne auf Petrovics Einwilligung zu warten. „Sie sollten raschest eine Fahndung nach Alan Namery und Mark Dwinson rausgeben, das sind die Komplizen von John Mooney. Die drei haben vergangene Nacht das Lagerhaus überfallen, einen Wachmann erschossen und die Platten gestohlen.“
„Davon weiß ich nichts“, sagte Petrovic, der es für verschwendete Zeit hielt, eine Zeitung zu lesen.
„In der Abendausgabe der Post stand einiges darüber“, meinte Tucker. „Für den Fall ist das 9. Revier zuständig.“
„Die Detectives Fastow und Leroux führen die Ermittlungen“, sagte Jo.
Während zwei Leute vom Spurensicherungsteam den Lagerraum untersuchten, mußte Jo alles erzählen, was er vom gestrigen Überfall wußte und wie er John Mooney auf die Spur gekommen war, und diesmal erzählte er die Wahrheit.
Mißmutig telefonierte Petrovic mit dem 9. Revier, aber die zuständigen Detectives waren bereits nach Hause gegangen. Und das war schon seit jeher ein Problem der New Yorker Polizei gewesen: Wenn sich Fälle überschnitten, da gab es immer Streitereien, wer nun zuständig war und sie weiter bearbeiten sollte.
Tucker sah sich in der Zwischenzeit in der Halle um. Auch er glaubte nur teilweise Jo Walker, aber es gab wohl keine Zweifel, daß hier die in der vergangenen Nacht gestohlenen Platten gelagert worden waren.
Petrovics Laune hatte den absoluten Tiefpunkt erreicht, als er mit der Mordkommission im Police Center sprach. Er unterhielt sich mit Lieutenant Ron Myers, der die Friedhofsschicht übernommen hatte. Und Myers bestand darauf, daß die Mordkommission in die Ermittlungen eingeschaltet wurde, was Petrovic überhaupt nicht paßte. Er nahm Jo die Automatic ab, bestätigte den Empfang und gab die Waffe an die Leute der Spurensicherung weiter.
Die beiden Detectives nahmen Jo auf das 45. Revier in der Lorime Street mit, und er gab seine Aussage zu Protokoll.

* * *

Ebony stöhnte leise. Ihre Arme waren mit Handschellen auf den Rücken gefesselt, und ihr Kinn schmerzte und war angeschwollen.
Nun war ihre Angst stärker geworden.
„Auf diesen Tag habe ich lange gewartet, Ebony“, sagte Namery und kicherte leise.
Sie fuhren über die Queensboro Bridge, und Ebony starrte angespannt geradeaus, sie wollte Alan Namery nicht ansehen. Sie feuchtete sich die Lippen an und wand sich im Sitz hin und her. Und sie war fest entschlossen, nichts mehr zu sagen.
„Ich habe einiges mit dir vor“, sprach Namery nach ein paar Minuten weiter. „Endlich kann ich dir heimzahlen, was du mir alles angetan hast.“
Er summte vergnügt vor sich hin, und gelegentlich kicherte und lachte er. Er ist verrückt geworden, dachte Ebony.
Die Fahrt ging nun über den breiten Queens Boulevard weiter, vorbei an Woodside, Elmhurst und Rego Park. Als links die schmucken Häuschen von Forest Hills auftauchten, bremste Namery ab und blieb auf einem Parkplatz stehen.
„Jetzt werde ich dir die Augen verbinden“, sagte er und zog ein schwarzes Tuch aus der Jacke.
Ebony fauchte ihn wütend an, als er das Tuch ziemlich brutal um ihren Kopf schlang und zusammenknotete.
„Paßt dir hervorragend“, stellte er bösartig kichernd fest.
Ebony schwieg weiter, und er fuhr langsam los und reihte sich in den schwachen Verkehr ein.
Wohin bringt er mich? fragte sich Ebony. Und was hat er mit mir vor?
Nur das sanfte Surren des Motors war zu hören, Namery drehte das Radio ab, und er war nun still, nur sein regelmäßiger Atem war zu hören. Ebonys Herz klopfte überlaut, wie es ihr vorkam. Alle paar Minuten bewegte sie sich, zog an den Handschellen und seufzte leise.
Irgendwann hielt dann der Wagen, Namery stieg kurz aus, und nach den Geräuschen zu schließen, hatte er vermutlich ein Garagentor geöffnet. Er ließ sich hinter das Steuer fallen, fuhr in die Garage, sperrte ab und zerrte sie aus dem Wagen.
Brutal trieb er sie Stufen hoch, und häufig stieß sie mit den Beinen oder der Schulter gegen irgendwelche harten Gegenstände und stöhnte laut auf. Aber darauf achtete er nicht. Er packte nun ihr rechts Handgelenk, drückte ihren Körper gegen den seinen, führte sie weiter ins Haus hinein.
Er wird mich nicht töten, versuchte sich Ebony zu beruhigen. Dafür sprach, daß er ihr die Augen verbunden hatte. Wollte er sie töten, dann hätte er darauf verzichten können. So wollte er nur verhindern, daß sie erkannte, wohin er sie gebracht hatte. Aber diese Selbstberuhigung half ihr auch nicht viel, denn ihre Angst wur¬de immer größer. Sie war seine Gefan¬gene, war ihm hilflos ausgeliefert und fürchtete seine Rache.
Immer wieder blieben sie stehen, wenn er Türen öffnete und Lichtschalter anknipste, durch das dunkle Tuch konnte sie verschiedenfarbiges Licht erkennen, meist war es gelblich gewesen, aber in zwei Räumen hatte sie es rötlich schimmern gesehen.
Es ging Stufen hinunter. Stickige Luft schlug ihr entgegen, und ein leichter Modergeruch brachte sie zum Husten. Knirschend klappte eine Eisentür zurück, und dann roch es nach verbranntem Holz und Wachs.
Er schlug ihr über das Hinterteil und lachte.
Sie hörte Kettengerassel. Er band ihr ein kaltes Lederband um den Hals und befestigte daran eine Kette. Wieder lachte er, und zwar so gemein wie bei seinen Anrufen bei Randy.
Namery nahm ihr die Binde ab.
Ebony blickte sich um. Es war stockfinster.
Dann flammte das Licht auf, ihre Augen weiteten sich, und sie stieß einen schrillen Schrei aus.
Vor ihr baumelte ein Skelett hin und her.

* * *

Während Jo seine Aussagen Tucker diktierte, traf Ron Myers ein. Ein paar Minuten später folgte ihm Robert Summer aus dem Büro des Staatsanwalts, der sich als sturer Paragraphenheini entpuppte. Sofort begann der Hickhack um die Zuständigkeit, und Summer wollte unbedingt, daß das FBI eingeschaltet wurde, da es sich offenbar um ein Bandenverbrechen handelte, das sich über mehrere Bundesstaaten erstreckte.
Jo war der Kompetenzenstreit herzlich egal, er hatte die gestohlenen Platten gefunden, die Hinweise auf Alan Namery und Mark Dwinson gegeben, und auch die Verbindung zu Angela Bester deutlich hervorgehoben. Mehr konnte er im Augenblick nicht unternehmen, aber er fand diese Streiterei unter den Beamten höchst widerwärtig und unnötig. Das alles behinderte nur die Arbeit, da sollte der neue Polizeipräsident endlich klar verständliche Vorschriften herausgeben, aber wie üblich war ein politischer Günstling des Bürgermeisters ernannt worden, der von der Polizeiarbeit keine Ahnung hatte.
Jo las das Protokoll durch und unterschrieb es schließlich. John Mooney war operiert worden und schwebte noch immer in Lebensgefahr. Ein paar Polizisten waren weiterhin bei Waldenstein damit beschäftigt, Beweise zu sichern, sie durchsuchten auch Mooneys Wohnung im Haus, die im 4. Stockwerk lag.
Erst um drei Uhr verließ Jo zusammen mit Myers das Revier in der Lorime Street. Myers brachte ihn zu seinem Wagen in der Hooper Street, er fuhr weiter in die Center Street zum einzigen Richter, der Nachtdienst hatte und für die Ausstellung von Haft- und Durchsuchungsbefehlen zuständig war.
Jo war müde, aber auch sehr zufrieden. Er nahm in seinem Wagen Platz, steckte sich eine Zigarette an und tippte Ebonys Nummer ein, doch sie meldete sich nicht. Wird wohl bei Randy sein, dachte er grinsend. Aber er war sicher, daß sie sich über die Störung nicht beklagen würde.
„Hallo“, meldete sich der DJ, er mußte neben dem Telefon gesessen haben, so rasch war er rangekommen.
„Hallo, Randy“, sagte Jo. „Es tut mir leid, daß ich...“
„Ich versuche dich schon seit zwei Stunden zu erreichen, Jo“, unterbrach ihn der DJ. „Ebony ist verschwunden.“
„Bist du ganz sicher?“
Aufmerksam hörte Jo zu. Was ihm Randy zu erzählen hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Wütend schlug Jo mit der Hand aufs Lenkrad, er ärgerte sich, daß er Ebony nicht gesagt hatte, sie solle zu Hause bleiben.
Er versprach, daß er Randy verständigen würde, wenn er etwas erfuhr, dann legte er den Hörer auf und dachte nach. Ebony befand sich in Gefahr, das war klar. Irgendetwas hatte Alan Namery mit ihr vor, aber was?
Viel konnte Jo nicht unternehmen, er startete und wollte nach Hause fahren. Unterwegs rief er im Präsidium an und bat, daß Myers ihn anrufen sollte.
Ron rief zwanzig Minuten später an, da war Jo schon dabei, sich einen dreifachen Scotch zu genehmigen. Jo erzählte Myers, was er von Randy Scott über Ebony Lynn erfahren hatte.

* * *

Namery zündete ein paar armdicke Kerzen an und löschte die Deckenbeleuchtung.
Das Skelett bewegte sich noch immer, eine Kette war um die Handgelenke geschlungen, die zur Decke führte, an der sich Haken und Flaschenzüge befanden.
Ebony riß die Augen weit auf und blickte sich entsetzt um. Sie befand sich in einer mittelalterlichen Folterkammer. Irgendjemand hatte die fürchterlichsten Marterinstrumente zusammengetragen und in diesem rauchgeschwärzten Gewölbe untergebracht. An einer Wand hingen Peitschen, angsteinjagende Zangen und Halseisen, neben ihr erkannte sie ein Streckbrett, dahinter ein Fußbrett und einen Folterblock. Den größten Schrecken jagte ihr ein gewaltiger Folterstuhl ein, der mit unzähligen Nadelspitzen gespickt war.
„Eine wirklich hübsche Folterkammer“, sagte Namory und blieb vor ihr stehen. „Alle Geräte sind noch voll funktionsfähig, meine Liebe. Und sie warten nur darauf, daß ich sie an dir erprobe!“
„Du bist verrückt“, keuchte sie. „Vollkommen übergeschnappt.“
„Das bin ich nicht, Baby. Auf diesen Moment habe ich mich schon lange gefreut. Ich werde dich ein wenig quälen, Ebony. Aber vorerst worden wir uns unterhalten. Was weiß Jo Walker von mir?“
„Nichts, was sollte er auch wissen.“
„Hm, du willst also nicht sprechen, na gut, ich kann auch anders, Süße.“
Er öffnete ihren Gürtel, und sie trat mit ihrem rechten Bein zwischen seine Beine, traf ihn allerdings nur schlecht, da er rasch zur Seite sprang.
„Damit machst du alles nur schlimmer für dich“, sagte er und blieb hinter ihr stehen, bückte sich und zog ihr die Schuhe aus, die er zur Seite warf. Sie strampelte weiterhin mit den Beinen, konnte ihn jedoch nicht erwischen. Namery riß ihr die Jeans herunter und schleuderte sie zu den Schuhen.
Ängstlich folgte sie ihm mit den Blicken, als er zur linken Wand ging und eine armlange, geflochtene Peitsche in die rechte Hand nahm und da¬mit ein paar Probeschläge durch die Luft machte.
„Ja, die ist richtig“, kicherte er und blieb schräg hinter ihr stehen.
„Bitte nicht, Alan“, schluchzte sie. „Schlag mich nicht, bitte, tu es nicht.“
Namery achtete nicht auf ihr Flehen, er hieb ihr zweimal über den Rücken und einmal über das pralle Hinterteil. Die Schläge waren nicht sehr heftig gewesen, der körperliche Schmerz hielt sich in Grenzen, aber die Demütigung zählte viel stärker, das Wissen, daß sie Namery völlig hilflos ausgeliefert war. Tränen liefen über ihre Wangen, und sie begann haltlos zu schluchzen.

* * *

Jo erschien gegen sieben Uhr bei Myers im Center. Er hatte kurz und tief geschlafen, das hatte ihm gereicht, denn er benötigte nur wenige Schlaf.
„Was gibt es Neues, Ron?“ erkundigte er sich und nahm auf einem der unbequemen Stühle Platz.
„Zuerst mal die schlechte Nachricht, Jo. Alan Namery ist die ganze Nacht nicht in seine Wohnung gekommen. Eine Fahndung nach ihm läuft, die aber bisher erfolglos war. Vermutlich hat er noch einen zweiten Wohnsitz, wo er Ebony hingebracht hat.“
Jo nickte grimmig.
„In Namerys Wohnung wurde Rauschgift im Wert von einer halben Million entdeckt, deine Vermutung war richtig, er ist ein Rauschgifthändler.“
Jo nickte wieder.
„Nun zu Mark Dwinson und Angela Bester, beide ließen sich widerstandslos festnehmen. Sie schweigen sich aus, auf keine Frage geben sie eine Antwort. Vorerst können wir sie aber wegen Rauschgiftbesitzes festhalten.“
„Was ist mit John Mooney?“
„Er ist noch immer bewußtlos, und es sieht gar nicht gut für ihn aus, der Blutverlust ist hoch und er hat schwere innere Verletzungen erlitten. Die Ballistiker haben diesmal Blitzarbeit geleistet. Sie haben festgestellt, daß aus seiner Pistole die Kugel kam, die den Wachmann getötet hat.“
„Fanden die Beamten irgendwelche Papiere, die sie belasten?“
„Leider nein“, sagte Myers bedauernd. „Die gestohlenen Platten wurden sichergestellt, und es wurden auch Tausende von Raubpressungen beschlagnahmt, aber nirgends wurden irgendwelche schriftliche Aufzeichnungen gefunden. Wir haben die Polizei in Kansas City und L.A. benachrichtigt, die sind gerade dabei, die Zweigstellen von Waldenstein hochgehen zu lassen.“
„Dabei wird auch nicht viel herauskommen“, meinte Jo. „Ich bin sicher, daß die Angestellten keinerlei Ahnung haben. John Mooney war da sicherlich sehr vorsichtig. Das alles war äußerst geschickt eingefädelt. Wichtig ist nun, daß wir Namery und Ebony finden.“
„Das wird schwierig sein, Jo, das weißt du. Irgendwo hat sich der Kerl mit der Sängerin versteckt, und wenn er erfährt, daß Mooney angeschossen ist und Mark Dwinson und Angela Bester verhaftet wurden, dann wird er...“
„...sich nicht so bald sehen lassen“, meinte Jo verbittert. „Verdammt noch mal, wir müssen herausfinden, wo er sich versteckt.“
Myers hob resignierend die Schultern. Da waren sie auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, doch in dieser verdammten Stadt kümmerten sich die Bewohner nicht mal um ihren Nachbarn.
Eine kleine Chance habe ich noch, überlegte Jo. Um zehn traf er sich mit Hank Artano, dem Manager von Ebony, und der vertrat auch noch Alan Namery, Mark Dwinson und John Mooney. Agenten wußten in der Regel recht viel über ihre Klienten, und Artano war da sicherlich keine Ausnahme. Er wußte sicher, mit wem die drei noch befreundet waren, das konnte den entscheidenden Hinweis bringen, wo sich Namery versteckt hielt, vielleicht hatte er sich bei einem Freund einquartiert.
„Du hast bald Dienstschluß, Ron.“
„Ja, aber ich bleibe noch hier. Ich werde mir jetzt mal diesen Mark Dwinson ordentlich vornehmen, wäre doch gelacht, wenn ich ihn nicht zum hingen bringen könnte.“
„Viel Glück. Wenn du etwas erfährst, dann verständige mich bitte. April weiß immer, wo ich zu finden bin.“

* * *

Im Büro servierte ihm April einen starken Kaffee, er blätterte die Zeitungen durch und berichtete dabei seiner Mitarbeiterin, was vergangene Nacht alles geschehen war.
In der Post und der News fand er jeweils kurze Notizen über die Schießerei bei Waldenstein, doch Ebonys Platte wurde nicht erwähnt, die Reporter hatten offenbar noch keinen Zusammenhang zwischen dem Überfall und der Schießerei hergestellt.
Jo hatte Randy Scott versprochen, daß er ihn über den neuesten Stand der Erhebungen auf dem Laufenden halten wollte. So rief er den DJ an, der sehr bedrückt wirkte und helfen wollte.
„Versuche rauszufinden, mit wem die drei Bandmitglieder noch befreundet waren. Vor allem Hinweise auf Wohnungen, und Häuser, die sind wichtig.“
„Verstanden, Jo, ich werde mich umhören.“
Walkers Automatic war von der Polizei beschlagnahmt worden, er würde nie vermutlich erst in ein paar Tagen wiederbekommen, also wählte er aus dem Waffenschrank eine Browning FN 111 Power M 35., deren Magazin 13 Patronen enthielt. Er befestigte am Gürtel ein Alessi-Inside-Holster und schob die schwere Pistole hinein, die zwar wesentlich wirkungsvoller als seine normale Automatic war, aber auch dementsprechend schwerer. Geladen wog sie über 2 Pfund, und damit stapfte er eben nur ungern Tag und Nacht herum.
Nun kamen die ersten Anrufe von neugierigen Reporter, die ihn unbedingt sprechen wollten, und die von April auf später vertröstet wurden. In den Abendausgaben würde bereits der Zusammenhang zwischen den zwei Ereignissen hergestellt sein. Spätestens dann würde Alan Namery Bescheid wissen, aber vielleicht erfuhr er es schon früher, einige der auf Sensationen spezialisierten Radio- und TV-Stationen würden sicherlich in den nächsten Stunden den Vorfall aufgreifen und ihn übergebührend ausschlachten.

* * *

Jo hatte Glück und fand zu seinem größten Erstaunen in der 52. Straße einen Parkplatz, das kam nur alle paar Wochen zu dieser Tageszeit vor.
Er überquerte die Fifth Avenue und betrat den Olympic Tower, einen eleganten, ganz in Braun gehaltenen und 51 Stockwerke hohen Wolkenkratzer. Im Erdgeschoß befand sich der Olympic Place mit dem reflektierenden Wasserfall, der von Bäumen umgeben war.
Artano muß gut verdienen, dachte Jo, als er mit dem Aufzug ins 15. Stockwerk fuhr, hier kostete ein Büro monatlich ein kleines Vermögen. Und die Räumlichkeiten, in denen Hank Artano residierte, waren groß und modern eingerichtet.
Eine bildschöne rothaarige Sekretärin empfing ihn mit einem strahlenden Lächeln.
„Mr. Artano erwartet sie bereits, Mr. Walker“, sagte sie und führte ihn einen breiten Gang entlang, klopfte kurz an einer Mahagonitür und öffnete sie. Jo nickte ihr zu und trat ein.
Hank Artano kam freundlich lächelnd hinter seinem Schreibtisch hervor, schüttelte Jos Hand und deutete auf eine Ledersitzgarnitur. Jo musterte den erfolgreichen Manager aufmerksam. Die Ähnlichkeit mit Frank Sinatra war tatsächlich verblüffend, und auch seine Stimme glich ein wenig der des bekannten Sängers.
„Was kann ich für Sie tun, Mr. Walker?“
„Ebonys Platten habe ich gefunden“, sagte Jo langsam.
„Oh, das ist eine gute Nachricht, darüber hat sich Ebony sicherlich sehr gefreut.“
„Sie weiß noch nichts davon.“
Artano blickte ihn überrascht an. „Haben Sie denn...“
„Ebony ist verschwunden, Mr. Artano.“
„Verschwunden? Was meinen Sie damit?“
„Zuletzt wurde sie vergangene Nacht gesehen, da stieg sie in Alan Namerys Corvette. Und seither ist sie verschwunden.“
Artano lächelte. „Das ist ja nicht weiter schlimm, die beiden werden sich wahrscheinlich versöhnt haben, sie waren ja über drei Jahre zusammen. Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Walker.“
„Ich mache mir aber Sorgen. Wie gut kennen Sie Alan Namery?“
„Ich vertrete ihn seit sechs Jahren, Mr. Walker, er ist ein gewissenhafter, verläßlicher Musiker, und seit der Auflösung von THE VOODOOS ist er als Begleitmusiker sehr gefragt. Er kann praktisch bei jeder Band als Gitarrist einspringen.“
„Wie es im Augenblick aussieht, hat der verläßliche Musiker zusammen mit seinen Freunden Mark Dwinson und John Mooney den Coup mit Ebonys Platten gelandet.“
Artano schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen, Mr. Walker.“
„Wußten Sie, daß John Mooney die Firma Waldenstein Ltd. vor etwas 10 Monaten gekauft hat?“
„Natürlich weiß ich das, er hat mich um Rat gefragt, und ich habe ihm zum Kauf geraten; eine gut eingeführte Firma, das ist eine gute Geldanlage.“
„Na ja, aber Mooney wollte mit der Großhandelsfirma Raubpressungen an die Händler weitergeben, und sie sollte auch die gestohlenen Platten vertreiben.“
Artanos Lächeln erstarb. „Das sind schwere Vorwürfe, aber ich nehme an, daß Sie dafür Beweise haben.“
„Allerdings, Mr. Artano. Und Sie können mir vielleicht helfen. Hat einer der drei Musiker noch einen zweiten Wohnsitz?“
Er nickte. „Alan Namery hat vor ein paar Wochen eine große Villa im Tudor-Stil in Kew Gardens gemietet. Vor zwei Monaten hat er mich und einen Freund eingeladen.“
„Das ist es“, sagte Jo erleichtert. „Sagen Sie mir bitte die Adesse, Mr. Artano.“
„Tja, die weiß ich leider nicht.“ Er hob die Hände. „Morty Shulman hat mich hingefahren. Warten Sie mal, ich rufe ihn an.“
Er stand auf und wählte eine Nummer, dann verlangte er Mr. Shulman zu sprechen, hörte dann kurz zu. „Wann kommt er zurück?“ Wieder eine Pause. „Ja, er soll mich anrufen.“
Er nahm wieder auf dem Sofa Platz.
Tut mir leid, aber Morty kommt erst am Abend aus Boston zurück.“
„Verdammt“, ärgerte sich Jo. „Wer könnte sonst noch die Adresse haben?“
„Vielleicht hat sie meine Sekretärin.“
Doch die hatte sie nicht, und Hank Artano wußte auch nicht, wem Alan Namery vom Haus erzählt hatte.
„Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag, Mr. Walker: Wir fahren hin, und ich zeige Ihnen das Haus.“
„Eine hervorragende Idee“, sagte Jo lächelnd.

* * *

Jo wählte die Route durch den Queens Midtown Tunnel direkt zum Long Island Expressway, auf der Stadtautobahn Nr. 495 kam er am schnellsten nach Kew Gardens. Bei Flushing Meadow verließ er den Highway und nahm die Zufahrt Grand Central Parkway, erreichte diese und zischte am Meadow Lake vorbei.
Die ständigen Fragen von Hank Artano gingen ihm bald auf die Nerven, er wollte in Ruhe überlegen, denn einiges - stimmte ihn nachdenklich, und er überlegte, wie er vergehen sollte, wenn sie das Haus erreicht hatten.
Beim Verteilerkreuz auf der Höhe von Forest Hills, wo der Central Parkway in den Van Wyck Expressway mündete, der direkt zum J.K.Airport führte, nahm er die Abfahrt Kew Gardens. Das war eine noble Gegend, überaus ländlich, mit baumgesäumten Straßen und großen, meist im Tudor-Stil erbauten Villen, dis wie kleine Schlösser aussahen. Keines der Häuser war unter eine Million zubekommen. Vor dem zweiten Weltkrieg hatten hier deutsche Juden gewohnt, die vor dem Nazi-Regime geflüchtet waren, und jetzt war die Hälfte der Grundstücke im Besitz von Ölscheichs.
Jo fuhr langsam durch den Lefferts Boulevard, das war die Haupteinkaufsstraße des Viertels. Boulevard war leicht übertrieben, es war eine schmale Straße.
„Wie geht es jetzt weiter, Mr. Arano?“
„Beim Friedhof nach rechts.“
Jo gehorchte und fuhr den Friedhof entlang. Frank Artano sah sich aufmerksam um.
„Ja, das ist es“, sagte er zufrieden. „Am Ende der 129. Straße.“
„Sind Sie da sicher?“
„Ganz sicher.“
Langsam bog Jo in die 129. Straße ein, zu beiden Seiten erstreckten sich gewaltige Gärten, und hinter hohen Bäumen verborgen waren die großen Villen zu erkennen, deren spätgotische Formen charakteristisch für den Tudorstil waren. Jo glaubte sich nach England versetzt.
Vor der Villa blieb Jo stehen. Sie war etwas kleiner als jene, an denen sie vorbeigekommen waren, aber das Grundstück war dafür größer.
„Und dieses Schlößchen hat Alan Namery gemietet?“
„Ja, das ist die Villa. Ich bin ganz sicher.“
„Da würde ich auch gerne wohnen“, meinte Jo, „vermutlich kostet das 20 Riesen im Monat.“
„Wahrscheinlich mehr“, meinte Artano.
„Und Sie haben sich nicht gewundert, wie ein einfacher Musiker sich so ein Haus leisten kann?“
„Natürlich war ich etwas überrascht, aber ich...“
„Ich glaube Ihnen kein Wort, Mr. Artano.“
„Wollen Sie mir vielleicht unterstellen, daß ich Sie belogen habe?“
Langsam zog Jo die Browning, lud durch und richtete sie auf den Manager, der ihn entsetzt anblickte.
„Was soll das, Mr. Walker?“
„Sie und ich wissen genau, daß in der Villa Alan Namery ist, der Ebony Lynn gefangenhält.“
„Da bin ich mir nicht ganz sicher.“
„Wie sollen wir nun vorgehen? Was schlagen Sie vor, Mr. Artano? Sollen wir das Haus stürmen?“
„Na ja, ich dachte, daß Sie...“
„Sie hofften, daß ich eindringen würde, und Sie wollten mich begleiten. Haben Sie eine Waffe bei sich?“
„Nein, ich verabscheue Waffen.“
Jo griff nach dem Telefon und ließ dabei Artano nicht aus den Augen.
„Hör mir gut zu, April“, sagte Jo in die Muschel. „Ich bin zusammen mit Hank Artano in Queens, in Kew Gardens am Ende der 129. Straße vor einem Haus, das angeblich Alan Namery gemietet hat. Wenn ich dich nicht in einer halben Stunde anrufe, dann verständigst du Ron Myers, und er soll ein paar Streifenwagen vorbeischicken. Alles klar, April?“
Breit grinsend befestigte Jo das Telefon in der Verankerung.
„Wie meinen Sie das, daß Namery die Villa >angeblich< gemietet hat?“ fragte Artano unsicher.
„Als Sie in Ihrem Büro Kew Gardens erwähnten, fingen bei mir ein paar Glocken zu läuten an, Artano. Gestern zeigte mir Ebony einige ihrer Fotos, und auf mehr als hundert war diese hübsche Tudorstil-Villa drauf, ganz in Braun und Gelb gehalten. Sehr beeindruckend, nicht wahr?“
Artano wurde nervös, er fing zu schwitzen an.
„Und im Vordergrund der Villa waren Sie zu sehen, Hank Artano, umringt von bekannten Popstars und Musikern, denn Sie waren der Gastgeber. Ihnen gehört dieses Grundstück mit dem Haus. Und Sie haben es Alan Namery zur Verfügung gestellt.“
„Er hat mich dazu gezwungen, ich habe...“
„Halten Sie den Mund und steigen Sie aus. Und kommen Sie nicht auf die Idee zu fliehen, ich schieße Sie über den Haufen.“
Zitternd gehorchte Artano, er war feige, und er hatte panische Angst davor, daß ihn Jo tatsächlich niederschießen würde. Er wehrte sich auch nicht, als Jo ihm Handschellen anlegte.
„Wo haben Sie die Schlüssel, Artano?“
„In der rechten Rocktasche“, flüsterte er.
Jo holte den Schlüsselbund hervor. „Haben Sie Alan Namery von unserem Besuch verständigt?“
„Nein, das wollte ich, aber Sie wichen mir ja nicht von der Seite.“
„Und was ist mit Ihrer Sekretärin, der können Sie ja einen Zettel zugesteckt haben?“
„Nein, das habe ich nicht getan. Namery weiß nicht, daß ich herkommen will.“
„Okay, dann wollen wir mal.“

* * *

Ebony zitterte vor Angst.
Vor ein paar Stunden hatte sie Alan Namery alles gestanden, was sie wußte, von seinen Drohanrufen bei Randy Scott, und von Jos Vermutungen, daß Waldenstein zu dunklen Geschäften mißbraucht wurde.
Und er hatte ihr erzählt, daß er sie von zwei Privatdetektiven hatte überwachen lassen, so war er immer informiert gewesen, wo sie sich gerade aufhielt. Jo Walker hatte er auch verfolgt, doch dieser hatte ihn abgeschüttelt, und so hatte er sie dann vor dem Mars erwartet.
Alan hatte ihr Handmanschetten angelegt und durch die daran befestigten Ringe eine dünne Kette gezogen, die er mit einem Flaschenzug dirigieren konnte. Er hatte sie brutal hochgezogen, und sie schwebte nun zwei Handbreit über dem Fußboden.
„Du wirst vor Schmerzen brüllen, du verfluchtes Miststück“, sagte er, als er nach ein paar Stunden zurückkam, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekom-men waren. „John Mooney hat es erwischt. Das haben sie gerade im Radio durchgesagt. Jo Walker, dieser Hurensohn, hat ihn erschossen, und bei Waldenstein hat sich die Polizei eingenistet. Das verdanke ich nur dir. Und dafür wirst du jetzt büßen.“
Im offenen Kamin brannte ein Feuer, das er noch ordentlich anfachte, und er schob drei Eisenstäbe in die hochlodernden Flammen. Die Spitzen begannen bereits zu glühen.
„Vorerst werde ich dich mal richtig auspeitschen“, schrie er mit überschnappender Stimme und packte eine Geißel, deren Schnüre mit scharfen Zacken versehen waren. Unheilvoll lachend blieb er vor ihr stehen. Die Bluse und das Höschen hatte er ihr schon früher ausgezogen.
„Nicht, bitte nicht“, schrie Ebony.
„Du hast es nicht anders verdient, später werde ich dich mit den glühenden Eisenstücken zeichnen. Sieh dir die Geißel gut an, Baby. Bald wird sie rot von deinem Blut sein. Ich werde dich jetzt...“
„Lassen Sie die Geißel fallen, Namery!“ schrie Kommissar X.
Der großgewachsene Neger wirbelte herum und stierte Jo Walker verblüfft an.
„Das Spiel ist aus, Namery.“
„Dich bringe ich um, verfluchter Hund“, brüllte Namery, rannte auf Jo zu und schwang die Geißel über dem Kopf.
Jo ging kein unnötiges Risiko ein. Er riß die Pistole hoch, zielte und drückte ab. Namery stieß einen Schrei aus und ließ die Geißel fallen. Jo hatte ihm die Hand durchschossen.
„Stehenbleiben, die nächste Kugel bekommst du in den Bauch.“
Namery war rasend vor Wut, er ließ sich nicht aufhalten, stürzte wie besessen auf Jo zu, der den Angriff nun ruhig erwartete und Namery mit einem gezielten Karateschlag erledigte. Jo schnappte die Handschellen, mit denen bis vor wenigen Stunden noch Ebony gefesselt gewesen war, schob die Pistole in das Holster und fesselte Namery die Hände auf den Rücken.
Er löste Ebony von den Ketten, und sie klammerte sich weinend an ihn. Sie war so fertig, daß sie nur schluchzen konnte. Nach ein paar Minuten führte Jo sie aus der Folterkammer, und er achtete nicht auf Namerys wilde Beschimpfungen, sah nach Artano, den er an einen Radiator gebunden hatte, verständigte die Polizei und rief April an. Verständnislos starrte die Sängerin ihren Manager an, und Jo hatte einiges zu erklären.

* * *

Ebony umarmte Jo dankbar, als er in Begleitung von April Bondy ihre Wohnung betrat, und küßte ihn sanft auf den Mund.
„Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast, Jo“, sagte sie und küßte ihn wieder.
„Ist schon gut, Ebony“, meinte Jo und lächelte sie an. „Ich habe viel Glück gehabt.“
„Nicht nur Glück, Jo.“ Sie drehte sich zu Jos hübscher Sekretärin um. „Du bist April Bondy, ich freue mich, dich kennenzulernen.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, sagte April.
Randy Scott, der sich im Hintergrund aufgehalten hatte, kam langsam näher und schüttelte Jo lange die Hand. „Du hast uns alle von einem Alptraum befreit, Jo.“ Er begrüßte April herzlich.
Ebony hat sich vom Schock rasch erholt, dachte Jo, sie sah in ihrem weißen Kleid einfach hinreißend sexy aus.
Sie nahmen draußen auf der Terrasse Platz, und Ebony servierte die gewünschten Drinks und setzte sich zu Randy, der ihr glücklich zulächelte und einen Arm um sie legte.
Jo war im Police Center bei Tom Rowland und Ron Myers gewesen, die noch immer mit den Verhören beschäftigt waren, aber Teilgeständnisse hatten sie bereits bekommen. Und dann war Jo von den Zeitungsreportern und TV-Teams ausgequetscht worden.
„Angela Bester hat als erste gestanden“, sagte Jo. „Alan Namery hat sie vor drei Jahren mit Heroin zu versorgen begonnen, und vor zwei Jahren wurde sie die Geliebte von Mark Dwinson. Für ihn stahl sie dann einige Masterbänder, und so wurden die Raubpressungen hergestellt.“
„Wessen Idee war das?“ erkundigte sich Randy Scott.
„Das alles hat sich Hank Artano ausgedacht“, sprach Jo weiter. „Artano war ein gescheiterter Sänger, und er gründete vor zwanzig Jahren eine Konzertagentur, und etwas später wurde er auch Manager von einigen unbedeutenden Gruppen und Sängerinnen, aber sein Ehrgeiz war größer. Er hatte einen Traum, er wollte die Musikbranche völlig beherrschen, er wollte der größte und einflußreichste Manager werden. Dazu war ihm fast jedes Mittel recht. Erpressung, Drohungen und Nötigung waren seine Methoden. Und er kam damit durch, seine Agentur wuchs, und er vertrat nun auch einige bekannte Sänger.“
„Und wahrscheinlich wußte er auch, daß Alan Namery als Rauschgiftdealer arbeitete“, warf Randy Scott ein.
„Richtig. Artano hatte schon lange einen Mann wie Namery für seine verbrecherischen Ideen gesucht, er setzte sich mit ihm zusammen, und seit fast drei Jahren planten sie miteinander diverse Coups. Artano wollte noch weiter gehen, deshalb bedrohte Namery in seinem Auftrag diverse Diskjockeys, Musikdirektoren und so weiter. Er wollte darüber bestimmen, welches Lied ein Hit würde und welches durchfiel.“
„Damit wäre er auf die Dauer nicht durchgekommen“, meinte Ebony.
„Namery begann Ebony immer mehr zu hassen, er mißgönnte ihr den Erfolg und wollte sich rächen, angeblich wollte er dich schon vor einem halben Jahr schnappen, aber Artano konnte es ihm ausreden, doch nach dem Coup mit den geraubten Platten war Namery nicht mehr zu bremsen. Er wußte von der Folterkammer in der Villa, die der frühere Besitzer eingerichtet hatte, der ein Sadist gewesen war und in der Kammer seine perversen Orgien gefeiert hatte.“
„Weshalb hat Artano dir gegenüber behauptet, daß Namery die Villa in Queens gemietet hat?“
„Kurz bevor ich bei ihm eintraf, hat er aus der Zeitung von der Schießerei bei Waldenstein erfahren. Er rief in der Villa an, aber Namery hörte das Telefon nicht, da er sich in der Folterkammer aufhielt. Als er von mir erfuhr, daß ich dich und Namery suchte, schaltete er schnell. Er wollte mich zur Villa locken und dort ausschalten, doch er konnte mich nicht täuschen, da ich von Ebonys Foto wußte, daß er der Besitzer des Hauses war.“
„Dies war vermutlich der entscheidende Fehler, den er beging, nicht wahr?“
Jo nickte. Das war er tatsächlich gewesen, sonst wäre er vermutlich erst viel später darauf gekommen. Und vielleicht wäre es dann schon zu spät für Ebony gewesen...

E N D E


© by Kurt Luif 1990 + 2018

Mit diesem Roman endet meine Kurt Luif Werkausgabe. Ihr hattet das Vergnügen zwölf Romane aus der Feder von Kurt Luif aus dem Jahren 1967 - 1990 zu lesen. Ich hoffe, Euch hat meine Auswahl gefallen. Hier noch die Auflistung der Romane:

Menschheit in Ketten - 1967
Das Spürauge - 1972
Planet der falschen Hoffnung - 1973
Die Nacht der Affen - 1973
Ehevertrag mit dem Tod - 1973
Der rote Affe - 1974
Sie sind perfekt gestorben, Mr. Fisher - 1974
Die Mörderpranke - 1976
Voodoo-Zauber im Rockpalast - 1982
Würgekralle aus dem Moor - 1983
Die Totenkopf-Bande - 1984
Heiße Scheiben - 1990

 

 

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