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Edgar Wallace - Multimedial und in HD: Die toten Augen von London

Edgar Wallace Multimedial und in HDMultimedial und in HD:
Die toten Augen von London

Die Edgar-Wallace-Filme und den Epigonen der 60er-Jahre, deren Siegeszug vom 1959 bis 1971 reichte, erfreuen sich noch immer großer Beliebtheit. Und das obwohl sie in der Tat angestaubt wirken. Die Komik wirkt heute betrachtet, aufgesetzt, die Handlung hanebüchen und zum Teil löchrig. Und dennoch: Obwohl man diese Filme (es waren 32 ›echte‹ Wallace in der Rialto-Reihe) schon x-mal gesehen hat -  das Geschäft mit diesen Filmen scheint noch immer zu blühen.

Jetzt erscheinen nach und nach sogar erstmalig Bluray-Boxen. Die Filme sind gemastert. Hohe HD- Auflösung und ein brillantes Bild lassen die alten (zum Großteil in schwarzweiß gedrehten) Klassiker in neuem Glanz erstrahlen. Die Filme kommen in einem neuen, nie gesehenen Detailreichtum daher. Und das alles obwohl schon etliche Boxen auf DVD und Gesamteditionen erschienen sind. Jetzt lockt man die Fans erneut.

Leider haben die Bluray-Boxen einen entscheidenden Nachteil. Genauer gesagt sogar zwei. Die Boxen bieten kein Zusatzmaterial, also Bonus. Und das obwohl genug davon in den Archiven der Rialto und den UFA-Wochenschauen lagert. Auch unzählige Interviews mit den damals Beteiligten dürften noch auffindbar sein. Doch die Boxen bieten nur die Original-Kinotrailer an. Die findet man mit etwas Mühe aber auch auf Portalen bekannter Netzdienste. Bleibt als einziges Highlight also wirklich die Bildqualität. Aber der hohe Preis von etwa 35 Euro für drei Filme rechtfertigt das nicht. Da der Schreiber dieser Zeilen aber höchst neugierig ist und etwas von dem neuen Seherlebnis erfahren wollte, griff er zu einer Alternative. Dem HD-Streaming. Gleiche Qualität wie auf Bluray, nur eben wesentlich günstiger, wenn auch nicht physisch tastbar.

Ich nutze die günstige Gelegenheit um hier in einer Art Werkschau die einzelnen Beiträge  multimedial zu betrachten. Wallace-Geschichten als Film, als Buch, als Hörspiel. Dabei beschränke ich mich jedoch auf ausgewählte deutsche Krimis dieser Zeit aus den deutschen Kinos.

Die toten Augen von LondonFilm "Die toten Augen von London" (1961)
Den Anfang machen die "toten Augen von London". Eines der besseren Streifen, der ansonsten eher durchgewachsenen Gesamtserie von Rialto-Film. Das hat seine Gründe. Dies liegen nicht auf der Hand, deswegen werde ich das erläutern. Dieser insgesamt 5. Film der Reihe war in gewisser Hinsicht eigentlich der Erste. Denn erstmalig entledigte man sich des engen Korsetts der Vorlagen. Waren der "rote Kreis" und der "Frosch mit der Maske" noch sehr dicht an der Romanhandlung, so gönnte man sich hier einige kleinere Freiheiten. Das ist sicher Alfred Vohrer geschuldet, der hier zum ersten Mal in der Reihe Regie führte und diese auf eine ganz neue Art und Weise prägte. Drehbuchautor war Egon Eis unter dem Pseudonym Trygve Larsen. Er behielt die Figuren und die große Handlung der Romane bei. Man baute aber eine verruchte Bar mit ein, indem Glücksspiele stattfanden. Aus Diana Ward, der weiblichen Hauptfigur wurde Nora Ward. Ihr gab man sogar noch den unehelichen Geburtsnamen Finlay. Das stiftete etwas Verwirrung. Im Roman war der uneheliche Geburtsname Steward. Das war dem Autoren Egon Eis wohl zu unlogisch. Denn Stuart hieß der Vater. Und wenn sie unehelich geboren war, müsste sie den Namen der Mutter tragen. Deswegen die Änderung. Es gab noch weitere. Dennoch waren die Änderungen, die das Drehbuch von Egon Eis betrafen minimal. Für den Film "Das Geheimnis der gelben Narzissen", der eigentlich anstelle von die "toten Augen von London" entstehen sollte, waren umfangreiche Drehbuchänderungen von Nöten, weswegen man den Film verschob.

Eine Änderung zum Roman war auch, dass am Ende Nora Ward ertränkt werden soll, statt Larry Holt. Da die hübsche Nora aber vom smarten Larry Holt gerettet werden sollte, war die Änderung logisch.

Einige Worte sind über die Besetzung zu verlieren: Klaus Kinski spiet zum ersten Mal in einem Rialto-Wallace-Film mit. Er war aber bereits ein Jahr zuvor in der Kurt Ulrich-Produktion "Der Rächer" als Wallace-Bösewicht aufgetreten. Hier liefert er gleichzeitig seine zweitbeste Wallace-Performance ab. In späteren Filmen wie "Der schwarze Abt", "Der Zinker" und auch "Das Geheimnis der gelben Narzissen" bleibt er sehr wortkarg. Zwar reicht sein Minenspiel völlig aus um einen Film dieser Art zu bereichern - aber es geht auch was verloren, wenn man auf andere Qualitäten allzu sehr verzichtet. Deswegen sind gerade "Die blaue Hand" und eben die "toten Augen von London" die besseren Arbeiten von Kinski innerhalb der Reihe.

Auch Karin Baal debütierte. Man setzte auch hier auf die Kassen-Attraktivität der Darstellerin aus "Die Halbstarken" (1956). Sie bleibt aber sehr blass - wie in den anderen Wallace-Krimis mit ihr auch ("Der Hund von Blackwood-Castle", "Das Geheimnis der grünen Stecknadel"). Ihre Stärken hatte sie eher in Fernsehrollen.

Joachim Fuchsberger überzeugt souverän als Ermittler Larry Holt. Es ist sein dritter Wallace-Einsatz. Eddi Arent ist natürlich auch wieder mit dabei. Diesmal als Co-Ermittler Sunny. Das komische an der Figur kommt auch im Roman vor, weswegen sie hier nicht mal aufgesetzt wirkt. Tatsächlich werden die komischen Momente hier aber verstärkt.

In der kommerziellen Bewertung ist der Film der dritt-erfolgreichste der Reihe. In meiner persönlichen Bewertung ist er neben vielen Vertretern der Frühphase dieser Reihe durchaus auch heute noch ansehnlich. Leider kann man das für viele Filme ab 1963 nicht behaupten. Eine angenehme Ausnahme bilden da lediglich noch "Der Hexer" (1964), "Das Geheimnis der weißen Nonne" (1966), "Die Tote aus der Themse" (1970) und die beiden Abschlussfilme "Das Rätsel des silbernen Halbmondes" sowie "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" (beide 1971). Diese beiden Giallo jedoch, bedürfen sowieso einer gesonderten Betrachtung.
Störend wirkt bei allen Filmen, das Gut und Böse schon von Beginn an feststehen. Der stets dynamisch ermittelnde Kommissar oder Detektiv ist umgeben von einer Schönen mit Schutzbedürftigkeit und wird unterstützt von einem Komiker. Aber auch von einem hohen Beamten namens Sir John. Der wurde in den ersten Filmen von Ernst F. Fürbringer gespielt. Hier nun übernimmt diesen Part aus Krankheitsgründen Fürbringers Franz Schaftheitlin. Er heißt allerdings Sir Archibald. Später in der Reihe wird es wieder einen Sir Archibald geben.

Im Roman gab es einen Diener für den Inspektor der Patrick Sunny hieß. Sein Assistent hieß Sergeant Harvey. Den Diener strich man und aus Sergeant Harvey machte man Sunny Harvey im Film. Man nahm aber das sonnige Gemüt des Dieners und versah damit den Assistenten.

1939 gab es in England mit Bela Lugosi eine weitere Verfilmung des Stoffes, der in Deutschland u.a. unter dem Titel "Der Würger" erschien. Damals nutzte man jedoch nicht gezielt den Namen Wallace als Marke, wie hierzulande.

Die Kritiker von "Die toten Augen von London" sahen in dem Film geradezu etwas Mystisches. Ein Film, der nur im Nebel spielt. Und somit wirkt dieser, als sei er auf einem anderen Planeten gedreht. Das stimmt natürlich nicht. Aber die Atmosphäre ist schon etwas unnatürlich, aber auch sehr gruselig. Wenn dann der blinde Jake aus dem Nebel auftaucht, ist das Grauen perfekt. Wie die drei ersten Wallace-Krimis der Rialto ist auch dieser ein reiner Atelierfilm. Die wenigen Außenaufnahmen wurden in Hamburg gedreht. In der Speicherstadt und auf dem Sandberg in Altona, wo die stimmungsvolle Eingangsszene entstand. Für London-Aufnahmen bediente man sich der Konserve.

Die farbigen Credits des Vorspanns waren eine Neuerung, die fortan die meisten Filme der schwarzweiß-Ära verpasst bekamen. In den Fernsehausstrahlungen hat man anfangs auf die farbigen Credits verzichtet und sie dennoch in schwarzweiß gesendet. Erst viel später, als es VHS und DVD gab und die Zuschauer ungeschnitten in den Genuss der Wallace-Filme kamen, war das Publikum nicht mehr zu täuschen. Fortan kamen auch im TV die Originale zum Einsatz.

Leider verschweigt der Film, wer der Chef ist, der alle umgebracht hat. Suggeriert wird dem Zuschauer, dass es Dr. Judd war. Doch wer den Roman kennt, der weiß dass es sein Bruder, der angeblich blinde Reverend Daerborn war.

Theater
Der Stoff von "The dark eyes of London" (so der Original-Titel) wurde auch für das Theater x-Mal verwendet. Mal ernsthafter, mal weniger ernsthafter. Für unfreiwilliges Schmunzeln sorgte 2013 eine Aufführung in Bonn mit Martin Semmelrogge als Inspektor Larry Holt. Der Express schrieb seinerzeit, das dieses Stück noch zu ertragen war, nicht aber so wörtlich: "...dass Semmelrogge 100 Minuten lang immer in der gleichen plärrenden Tonlage spricht, immer wieder falsch betont und dabei ein Dauergrinsen im Gesicht hat, dass sich selbst ein Haifisch erschrecken würde." Weiter heißt es " „Die toten Augen von London“ haben es gut: Sie müssen sich das alles nicht ansehen…" (1)

Die toten Augen von LondonHörspiele
Zwei Mal wagten sich Hörspielproduzenten an den Stoff. EUROPA vertonte den Stoff trotz einiger Kürzungen recht getreu der Vorlage und änderte nichts wesentliches. Die Atmosphäre und die Düsternis des Romans wird gut übertragen. Bei Maritim gab es eine auf Jugendliche zugeschnittene Version mit einigen Veränderungen zur Vorlage. Beide Vertonungen wiesen jedoch prominente Sprecher auf: Wolfgang Völz, Günther Ungeheuer und Manfred Krug. Da in der Maritim-Version eigentlich nur das Blindenheim und dessen düsterer Herr von der Vorlage übrig blieb, kann man die Betrachtung dieses Werkes im Vergleich zum Film und Buch schon fast ad-acta legen.

Die toten Augen von LondonDie EUROPA-Variante hat jedenfalls einiges für sich, da sie auch Handlungsebenen aufgreift, die sich im Film nicht wiederfinden. Zum Beispiel die Tatsache, dass Flimmer-Fred den aalglatten Dr. Judd erpresst, weil er um einen Mord weiß, den er begannen hat. Dieses kleine, sehr wichtige Detail fehlt im Film. Es zeigt nämlich viel logischer, welche Motive die beiden Verbrecher haben. Dr. Judd und sein Bruder kassieren große Versicherungssummen von Rückversichern, wenn sie eine Lebensversicherung auszahlen müssen. Dafür töten sie auch, denn ohne Tote wird so eine Versicherung nicht fällig. Das einer der Brüder ein Theater besitzt, kommt im Film nicht zum Tragen.

Die Eheanbahnung zwischen Inspektor Holt und seiner neuen Assistentin wird im Hörspiel und im Roman geradezu katholisch vollzogen. Holt hält um die Hand seiner Holden an, ohne vorher auch nur einmal mir ihr per Du geworden zu sein. Im Film wird dies sehr viel moderner und plausibler erklärt. Kein Wunder. der Roman aus den 20er Jahren hat eine andere Aura als der Film, der 1961 gedreht wurde.

Karin BaalWeitere Darsteller des Films
Von heute aus betrachtet (Sept. 2018) sind bereits fast alle Akteure des Films verstorben. Die einzigen "Überlebenden" dürften die beiden weiblichen Darstellerinnen Karin Baal und Ann Savo sein. Ann Savo ist eine finnische Schauspielerin, die noch ein weiteres Mal bei Wallace mitwirkte ("Der Hexer" 1964). Dieter Borsche war ebenfalls ein gern gesehener Krimigast in den 60er-Jahren. Leider wirkt nur in diesem Wallace-Einsatz überzeugend. In "Der schwarze Abt" erscheint er mir zu blass.

HD - ganz brilliant
Es stimmt. Man nimmt den Film ganz detailreich war und entdeckt ganz neue Akzente.

Und noch was
Auf dem Cover der illustren Filmbühne von 1961 ist eine Einstellung des Films zu sehen, in der Karin Baal dem blinden Jake in die behaarte Hand beißt. Dieses Cover wurde auch für den Silber-Krimi 771 des Zauberkreis-Verlages verwendet. Ein Heftroman aud der Subserie um den Agenten Larry Brent mit dem Untertitel "Der Dämon mit den Totenaugen" (Erschienen im Februar 1969).

Mehr zum Thema:

(1) = Express - Online-Ausgabe

Kommentare  

#1 Falk 2018-10-05 10:34
Interessante Zusammenfassung und schön geschrieben. Doch die verschiedenen Sirs, die Leiter von Scotland Yard, sind wohl etwas durcheinander gekommen. Zunächst spielte Ernst Fritz Fürbringer dreimal Sir Archibald, ehe Franz Schafheitlin als Sir John-Archibald in „Die toten Augen von London” agierte. In „Das Geheimnis der gelben Narzissen” übernahm noch einmal Sir Archibald (in Gestalt von Campbell Singer) das Zepter. Danach kam Sir John, der im „Rätsel der roten Orchidee” eher unauffällig von Hans Zesch-Ballot dargestellt wurde. Ab der „Tür mit den sieben Schlössern” schlüpfte der unvergessene Siegfried Schürenberg in die Rolle, die er insgesamt dreizehnmal spielte. Ihm folgte Hubert von Meyerinck als Sir Arthur, der die Figur in „Im Banne des Unheimlichen”, „Der Gorilla von Soho” und „Der Mörder mit dem Glasauge” allerdings endgültig zur lüsternen Knallcharge degradierte. Danach wurde auf eine vergleichbare Rolle verzichtet, sieht man davon ab, dass Schürenbergs dreizehnter Sir John erst 1971 in „Die Tote aus der Themse” erfolgte.

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