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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Benjamin Rush?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Benjamin Rush?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 4. Januar 1746 wurde in Pennsylvania ein Mann geboren, den man – auch unter Berücksichtigung seiner Zeit – als absoluten Exzentriker bezeichnen konnte. Dennoch hatte er zu seinen Lebzeiten erheblichen Einfluss auf die frühe amerikanische Gesellschaft und hat bis heute Spuren hinterlassen.

BENJAMIN RUSH, ein guter Freunt von Präsident Thomas Jefferson, gehörte zu den „Gründervätern“ der Vereinigten Staaten und war ein Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Er war Arzt, Wissenschaftler, Sozialreformer und Politiker. Er war Abgeordneter im ersten Parlament der Amerikaner, dem Continental Congress. Er leitete Kliniken und war Professor der Chemie an der Universität von Pennsylvania.

Er trat entschieden für Bildungschancen für Frauen, sowie für eine saubere Umwelt ein, vertrat andererseits einige bizarre medizinische und soziale Theorien, die bereits zu seiner Zeit umstritten waren.

Seiner Meinung nach entstanden Krankheiten im Allgemeinen aus einer Störung zwischen Körper und Geist. Er konzentrierte sich auf die Untersuchung von Geisteskrankheiten und gilt bis heute als der „Vater der amerikanischen Psychatrie“.

Seine Familie stammte ursprünglich aus England, betrieb eine Farm und einen Hofladen bei Philadelphia. Ab dem 14. Lebensjahr besuchte er das College of New Jersey (heute Princeton University). Danach ging er bei einem Arzt in die Lehre, auf dessen Rat er schließlich nach Europa reiste und an der Universität von Edinburgh (Schottland) Medizin studierte. Er kehrte 1769 in die Kolonien zurück, um eine Arztpraxis in Philadelphia zu eröffnen. Er übernahm führende Ämter in wissenschaftlichen Institutionen, war bis 1801 Vizepräsident der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft. Er publizierte eine Reihe von medizinischen Schriften und schrieb politische Artikel, in denen er für die Unabhängigkeit Amerikas eintrat.

Während des Unabhängigkeitskrieges stieg er sehr schnell zum Generalarzt in der Continental-Armee auf und schrieb die „Directions for Preserving the Health of Soldiers“, die Grundlage für amerikanische Militärmedizin, Das Werk wurde bis ca. 1908 immer wieder gedruckt. In den hier niedergelegten Thesen trat Rush für gesunde Ernährung der Soldaten und sorgfältige Hygiene und Pflege in den Feldhospitälern ein.

In einem anonymen Brief vom Oktober 1778 beklagte Rush die schlechte Führung der Armee durch Washington und schlug als neuen Oberkommandierenden Horatio Gates vor. Der Brief gelangte in Washingtons Hände, der die Handschrift sofort erkannte. Seitens des Kongresses wurde Rush zum Rücktritt aufgefordert. Er legte sein Amt nieder und erklärte Jahre später sein Bedauern über seine Äußerungen. Noch 1812 schrieb er an John Adams, dass er Washingtons Beitrag zur Unabhängigkeit der USA nicht hoch genug preisen könne.

1783 trat Rush in die Leitung des „Pennsylvania Hospital“ ein, geichzeitig amtierte er als Leiter der US-Münze bis 1813.

Er wurde einer der führenden medizinischen Advokaten des Aderlasses, den er faktisch als Allheilmittel pries. Er gründete das Dickinson College in Carlisle, Pennsylvania, wurde in die schwedische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und fand noch Zeit für gesellschaftlich-politische Aktivitäten. Er war einer der ersten, die vorwiegend aus christlichen Gründen gegen die Sklaverei Stellung bezogen.

Als das Gelbe Fieber Philadelphia in eine Krise stürzte, behandelte er Tausende von Patienten – wobei heute angenommen wird, dass seine Methoden vielen das Leben kosteten – und verfasste gleichzeitig wissenschaftliche Protokolle, die für folgende Generationen einigen Wert hatten.

Als 1803 die Lewis-&Clark-Expedition auszog, den Westen zu erkunden und einen Weg zum Pacific zu finden, rüstete Rush sie mit Medizin gegen sogenannte „Frontier-Krankheiten“ aus. In der “Apotheke” der Expedition befanden sich “Türkisches Opium” gegen nervöse Störungen, Brechmittel, medizinischer Alkohol und Hunderte von „Dr. Rush’s Billious“-Pillen, eine Art Patentmedizin gegen Durchfallerkrankungen. Diese Pillen enthielten u. a. Quecksilber (neben Kamille, Chlor und anderen Stoffen). Ihre Wirkung wurde schon damals in Zweifel gezogen, aber diese Pillen legten eine Spur für Archäologen, die anhand der Quecksilberfunde die exakte Route der Expedition feststellen konnten.

Obwohl Benjamin Rush öffentlich gegen die Sklaverei kämpfte, hatte er keine hohe Meinung von farbigen Menschen. Er hielt die Farbe von Schwarzen, Indianern u. a. für eine „Hautkrankheit“ und war der Meinung, dass diese Menschen weiß werden würden, wenn man sie „heilen“ könnte. Wegen dieser „Hautkrankheit“ seien farbige Menschen den Weißen unterlegen. Gleichzeitig erwarb er selbst einen schwarzen Sklaven.

Wegen seiner aggressiven Propagierung von Aderlassen als Heilmittel gegen alle Krankheiten, wurde er schon zu Lebzeiten beschuldigt, am Tod von George Washington und Thomas Jefferson Anteil zu haben.

Unbeeindruckt veröffentlichte Rush zahllose medizinische Pamphlete über die Behandlung verschiedener epidemischer Krankheiten seiner Zeit. Er zeigte Interesse an indianischen Heilkräutern, obwohl er Indianer ansonsten für „primitive Menschen“ hielt. In den letzten Jahren seines Lebens konzentrierte er sich auf geistige Erkrankungen. Er war überzeugt, dass sich diese auf Kreislaufstörungen und mangelhafte Durchblutung des Gehirns gründeten. Auch hier setzte er auf Aderlasse, sowie Behandlungen mit Quecksilber und Chlor. Er empfahl auch Brot, dass mit puren Kamilletropfen getränkt und mit Butter bestrichen werden sollte. Ferner empfahl er „moralische Therapien“ bei psychischen Leiden, Gartenarbeit und die strikte Unterbindung von sexuellen Beziehungen.

Andererseits war Rush einer der ersten Mediziner seiner Zeit, der Alkoholismus als ernste Krankheit erkannte und Drogensucht feststellte. Die „American Psychiatric Association“ sieht ihn als einen ihrer Pioniere an. Man muss ihm zugutehalten, dass er vermutlich der erste amerikanische Arzt war, der mentale Erkrankungen systematisch erforschte.

Rush war nicht nur ein hingebungsvoller Christ, er predigte auch absolute Toleranz zwischen den Religionen. Es war unwichtig für ihn, was ein Mensch glaubte und wie er seinen Gott nannte, das wichtigste war, dass er einen Glauben hatte, weil Rush die Bedeutung eines moralischen Kompasses hervorhob. Er unterstützte zahlreiche Kirchengründungen und verglich sich häufig mit dem Propheten Jeremias. Seine Frau bezeichnete ihn manchmal als eine Wiedergeburt von Martin Luther.

Rush hatte im Januar 1776 geheiratet. Seine Frau war die Tochter von Richard Stockton, einem weiteren Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Das Paar hatte 13 Kinder. Einer seiner Söhne, Richard Rush, wurde Minister unter mehreren US-Präsidenten, wie James Madison, John Quincy Adams, Andrew Jackson, James Polk.

Rush starb am 7. Juli 1848 an Typhus. Auch wenn er heute unter Medizinern stark umstritten ist, tragen viele wissenschaftliche Institutionen seinen Namen, und er gab zu Lebzeiten entscheidende Anstöße, bestimmte medizinische Probleme überhaupt als solche zu erkennen und aufzugreifen.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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