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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit John Wesley Hardin?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit John Wesley Hardin?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 19. August 1895 starb im Acme Saloon von El Paso ein Mann, der seither zu einer texanischen Legende verklärt ist. Tatsächlich war er einfach nur ein gefährlicher, rücksichtsloser und auch ziemlich skrupelloser Gesetzloser, der allerdings durchaus als typisches Produkt der amerikanischen Pionierzeit angesehen werden kann: JOHN WESLEY HARDIN.

Um Hardin ranken sich zahlreiche Mythen. Manche hat er selbst erfunden, manche enthalten ein Körnchen Wahrheit, manche sind maßlos übertrieben. Auf die reinen Fakten reduziert, ist vieles allerdings brutal wahr. Er gilt heute als einer der gefährlichsten Revolvermänner des Westens mit überr 40 Kerben in seinem Revolver. Richtig ist zweifellos, dass er ein hemmungsloser Choleriker war, der nie zögerte, selbst bei kleineren Auseinandersetzungen seine Waffe zu ziehen. Richtig ist auch, dass er sein Leben lang im Konflikt mit dem Gesetz lag. Geboren am 26. Mai 1853 in Bonham (Texas) als eines von 10 Kindern eines Lehrers und Predigers, lief er mit 9 Jahren davon, um sich zur Konföderierten Armee zu melden – was nicht gelang. Bei einer Rauferei in der Schule stach er einen Klassenkameraden nieder. Im November 1868, mit 15 Jahren, erschoss er einen ehemaligen Sklaven. Auf der Flucht vor dem Gesetz tötete er nach eigenen Aussagen weitere drei Männer.

Seither war er auf der Flucht. Er schloss sich einem anderen Outlaw an und war in mehrere Schießereien verwickelt, die in Saloons und Spielhallen stattfanden, oder von Aufgeboten auf seiner Spur ausgelöst wurden. Hardin behauptete immer, er habe nur in „Notwehr“ gehandelt.

Im Januar 1871 wurde er in Waco (Texas) vom City Marshal verhaftet. Auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung gelang es ihm, zu entkommen. Er tötete dabei einen Texas Ranger, wurde erneut verhaftet und brachte nach eigenen Angaben bei seiner abermaligen Flucht drei Gesetzeshüter mit ihren eigenen Waffen um.

Um der Bestrafung in Texas zu entgehen, heuerte er als Cowboy auf einer Ranch an und begleitete ein Rindertreiben nach Kansas. Nach Hardins eigenen Erzählungen fragte der texanische Revolvermann Ben Thompson ihn, ob er den Town Marshal von Abilene, „Wild Bill“ Hickok, erschießen würde. Hardin erwiderte: „Wenn du Hickok umbringen willst, warum tust du es nicht selbst?“ Hardin trat in Abilene unter dem Namen „Wesley Clemmons“ auf, da er steckbrieflich gesucht wurde. Er wurde von Hickok verwarnt, weil er entgegen der Stadtgesetze seine Revolver in Abilene trug. Hickok wusste nicht, dass er einen gesuchten Mann vor sich hatte. Obwohl Hardin behauptete, er habe den Marshal mit seinem Revolver ausgetrickst, war er offenbar beeindruckt von Hickok. Er äußerte sich später respektvoll über ihn. Angeblich war Hardin in Abilene in eine Schießerei verwickelt, bei der er einen Mann in den Mund schoss. Danach flüchtete er aus der Stadt.

Es gibt eine Geschichte, dass Hardin am 6. August 1871 mit einem Cousin nach einem schweren Trinkgelage ein Zimmer im „American House Hotel“ mietete. Einer der anderen Gäste schnarchte so laut, dass Hardin sich gestört fühlte. Er feuerte seinen Revolver ab, wobei der schnarchende Mann durch einen Schuss ins Herz getötet wurde. Zusammen mit seinem Cousin flüchtete Hardin durch ein Fenster im ersten Stock. Er sah Marshal Hickok kommen und schrieb später. „Wenn Wild Bill mich in einer hilflosen Situation angetroffen hätte, hätte er mich erschossen.“ In der Zeitung von Abilene hieß es: „Letzte Nacht wurde ein Mann in seinem Bett in einem Hotel in Abilene erschossen. Der Mörder war ein Mann namens ‚Arkansas‘. Er konnte flüchten.“ „Arkansas“ war einer von Hardins Spitznamen.

Er und sein Cousin stahlen Pferde und entkamen. Zwei Deputy Marshals folgten ihnen. Hardin überwältigte sie und ließ sie zu Fuß nach Abilene zurücklaufen. Hardin entkam nach Texas und kehrte nie wieder nach Kansas zurück.

Nach zeitgenössischen Berichten tötete Hardin im September 1871 zwei Texas Rangers. Ferner wurde er im selben Monat von einem schwarzen Aufgebot verfolgt und tötete 3 der Männer. Im Mai 1872 tötete er zwei Mexikaner in der Nähe von Corpus Christi. Im Juli 1872 verwundete er einen Ranger mit einer Derringer-Pistole in Hemphil.

Im August 1872 wurde Hardin in einer Schießerei mit einem Spieler in einem Saloon in Trinity verwundet. Als er genesen war, sollte er im Cherokee County verhaftet werden. Dabei kam es zu einem Schusswechsel, bei dem Hardin eine Kniewunde davontrug. Er landete im Gefängnis des Gonzales County, aus dem er im November entkommrn konnte.

In den folgenden Monaten war Hardin in die sogenannte „Sutton-Taylor-Fehde“ verwickelt, einen Familienkrieg, der über Jahre tobte und zahlreiche Todesopfer forderte. Hardin war mit den Taylors familiär verbunden und tötete im Mai 1873 angeblich den Deputy Sheriff J. B. Morgan und den County Sheriff Jack Helm, die aufseiten der Suttons standen. Die Sutton-Taylor-Fehde ging auch 1874 weiter und gipfelte in mehreren Schießereien. Am 26. Mai 1874 tötete Hardin den Deputy Sheriff Charles Webb und behauptete, in Notwehr gehandelt zu haben. Webb hatte versucht, ihn zu verhaften. Webb war ein sehr beliebter Mann im County. Ein Mobb rottete sich zusammen, um Hardin zu lynchen. Er entkam.

Am 20. Januar 1875 schrieb der Gouverneur von Texas, Richard B. Hubbard, 4.000 Dollar Belohnung auf Hardins Ergreifung aus. Hardin wechselte in dieser Zeit mehrfach zwischen Texas und Florida hin und her und benutzte verschiedene falsche Namen. Am 24. August 1877 wurde er von Texas Rangers unter Führung von John B. Armstrong in einem Zug in Pensacola Florida, festgenommen.

Er wurde für den Mord an Sheriff Webb angeklagt und am 5. Juni 1878 zu 25 Jahren Haft im Zuchthaus von Huntsville verurteilt. Hier war er an einer Gefängnisrevolte und mehreren Ausbruchsversuchen beteiligt. Im Übrigen schrieb er seine Autobiografie im Gefängnis und begann ein Jura-Studium. Seine Lebensbeschreibung strotzt von Übertreibungen.

Im Januar 1895 wieder auf freiem Fuß, heiratete Hardin ein 15jähriges Mädchen. Die Ehe wurde kurz darauf für ungültig erklärt. Hardin zog danach nach El Paso und ließ sich als Anwalt nieder.

In El Paso war er mit einer Prostituierten namens M’Rose liiert, die wegen illegaler Benutzung einer Feuerwaffe von dem Deputy Sheriff John Selman Jr. verhaftet wurde. Hardin stellte den Beamten zur Rede. Dessen Vater, John Selman Sr., mischte sich ein. Es kam zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung.

Am Abend des 19. August 1895 ging Hardin in den Acme Saloon der Stadt und nahm an einem Spieltisch Platz. Kurz vor Mtternacht trat John Selmann Senior ein, sah Hardin am Spieltisch sitzen, zog seinen Revolver und schoß ihn von hinten in den Kopf. Als Hardin am Boden lag, feuerte Selman drei weitere Schüsse auf ihn ab. Hardin war sofort tot. Er wurde am nächsten Tag beerdigt.

Selman wurde verhaftet, plädierte auf „Notwehr“, wurde auf Kaution entlassen und noch vor seinem endgültigen Prozeß von US Marshal George Scarborough am 6. April 1895 am Spieltisch erschossen.

John Wesley Hardins Leben ist so komplex, dass es in dieser kurzen Skizze nur unzureichend beschrieben werden kann. Viele Schießereien, die ihm zugeschrieben werden, sind unbestätigt und vermutlich nur Gerüchte. Dokumentiert sind 16 Beteiligungen an Schusswechseln. Zwischen 14 und 16 Tote könnten tatsächlich auf sein Konto gehen, nicht gerechnet, die Verwundeten. Sicher ist, dass Hardin an vielen nicht eindeutig geklärten Todesfällen zumindest beteiligt gewesen sein könnte. Er stand auf den Fahndungslisten mehrerer Polizeibehörden in Texas und der Pinkerton-Detektiv-Agentur


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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