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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit John Colter?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit John Colter?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 22. November 1813 starb in der Nähe von St. Louis ein Mann, dessen Erlebnisse mehrere Menschenleben hätten füllen können. Bei seinen Zeitgenossen war er fast vergessen, aber er war längst in die Geschichtsbücher eingegangen: JOHN COLTER. Vermutlich zwischen 1770-1775 geboren – genau wusste er es selbst nicht – war er Mitglied der legendären LEWIS & CLARK EXPEDITION. Nach der Heimkehr dieser Gruppe, ging er sofort in den Fernen Westen zurück und wurde Pelzjäger. Im Winter 1807-08 war er der erste weiße Amerikaner, der das Gebiet des heutigen Yellowstone Nationalparks betrat. Als er später von den vulkanischen Phänomenen erzählte, wurde er verlacht und verspottet, und die Region hieß seither „Colters Hölle“ – bis der hochrespektierte Trapper Jim Bridger Colters Erzählungen bestätigte.

John Colter gilt als „der erste Mountain Man“ der Geschichte. Colter liebte die unverfälschte Natur. Er war einer der wenigen Männer ohne größere militärische Erfahrung, die von Meriwether Lewis und William Clark für ihre Expedition angeheuert wurden, weil er sie mit seinen Fähigkeiten, in der Wildnis mit geringsten Mitteln zu überleben, tief beeindruckte.

Die Expedition schlug im Winter 1803 – vor 217 Jahren – ihr Lager nördlich von St. Louis auf. Beinahe wäre Colter zurückgeblieben. Er hatte in einem Streit gedroht, Sergeant John Ordway zu erschießen. Nach einer Entschuldigung und dem Versprechen, sich zu bessern, blieb er bei der Truppe. Während des Unternehmens galt er als einer der besten Jäger. Seine Naturkenntnisse waren entscheidend bei der Überwindung von Bergpässen und der Kontaktaufnahme mit Indianern. Seine Fähigkeiten im Spurenlesen waren unübertroffen.

Als die Expedition 1806 wieder in den Mandan-Dörfern am Oberen Missouri eintraf, bat Colter um seine vorzeitige Entlassung. Er wollte nicht nach St.Louis zurück, sondern sich zwei Pelzjägern anschließen, die sich bei den Mandan aufhielten. Lewis und Clark stimmten zu. Ihm hätten rund 180 Dollar zugestanden, aber die beiden Captains beschlossen, ihm den vollen Sold auch für die zwei letzten Monate auszuzahlen, weil er vorzügliche Dienste geleistet hatte. Sein Name tauchte später sogar in den Belobigungen durch Präsident Thomas Jefferson auf. Ein Kongressbeschluss verdoppelte schließlich den Sold der Expeditionsteilnehmer. John Colter erhielt zudem einen Landanspruch von 320 Acres, um dessen Sicherung sich Meriwether Lewis persönlich kümmerte.

Colters erste Pelzjagd war bescheiden erfolgreich. Er und seine Begleiter hatten nur unzureichende Ausrüstungen. Colter kehrte allein um und traf 1807 an der Mündung des Platte River den Gründer der „Missouri Fur Company“, Manuel Lisa. In dessen Begleitung befanden sich weitere ehemalige Mitglieder der Lewis & Clark Expedition. Colter schloss sich ihnen an und wurde von Lisa ins Land der Crow geschickt, um Handelsbeziehungen zu diesem Volk aufzubauen. Colter streifte zu Fuss, mit seiner Ausrüstung auf dem Rücken, über 500 Meilen durch die Wildnis, sah die heißen Quellen und Schlammvulkane des Yellowstone, überlebte einen extrem kalten Winter und erreichte 1808 Fort Raymond, wo man seine Geschichten nicht glaubte. Heute sind seine Erzählungen als erste Berichte eines weißen Mannes über den Norden Wyomings anerkannt. Man nimmt an, dass die 1814 veröffentlichte Landkarte von William Clark über den Nordwesten Amerikas durch Colters Beschreibungen, evtl. sogar eigene Kartenskizzen, ergänzt wurde. Erste detaillierte Skizzen über Colters Wanderungen lagen schon 1810 vor. Manche Angaben hier, etwa über die Big Horn Mountains, waren nicht ganz richtig, aber das ist nur natürlich – Colter war kein Geograf. Er war ein Trapper, der Gebiete durchstreifte, die vor ihm noch nie ein weißer Mann gesehen hatte.

1808 führte Colter eine Gruppe von 800 Flathead und Crow nach Fort Raymond. Sie wurden von etwa 1.500 Blackfoot angegriffen. Es gelang den Flathead, die Blackfoot in die Flucht zu schlagen. Colter wurde am Bein verwundet. 1809 war er bereits wieder in den nordwestlichen Rockies unterwegs und stellte Fallen. Erneut wurde er von Blackfoot-Kriegern angegriffen. Sein Partner John Potts wurde erschlagen. Colter geriet in Gefangenschaft. Aufgrund seines Muts, gaben die Blackfoot ihm die Chance, sein Leben zu retten. Er musste sich entkleiden und durfte davonlaufen. Aber eine Gruppe junger Krieger nahm die Jagd auf. Was jetzt begann ging als „Colter’s Run“ in die Geschichte ein. Colter, aus kleineren Wunden blutend, nackt und unbewaffnet, lief um sein Leben. Als die Verfolger immer näherkamen, blieb er stehen und griff seinerseits einen Krieger an. Er tötete ihn mit dessen eigenem Speer, nahm ihm die Waffen und die Decke ab und flüchtete weiter. Nach fünf Meilen stürzte er sich in den eisigen Madison River und kroch in eine Biberhöhle. Seine Verfolger fanden ihn nicht mehr, hielten ihn für tot und kehrten um. Colter wanderte 11 Tage durch die Wildnis bis zu einem Handelsposten am Little Bighorn.

1810 half er mit, einen neuen Handelsposten in der Nähe des heutigen Three Forks in Montana zu errichten. Nachdem zwei seiner Partner von Blackfoot getötet worden waren, entschloss er sich, die Wildnis endgültig zu verlassen. Ende 1810 traf er in St. Louis ein. Hier heiratete er und ließ sich auf einer Farm in New Haven nieder. Er besuchte seinen alten Kommandeur William Clark, der jetzt Indianeragent war, und berichtete ihm seine Erlebnisse in den zurückliegenden Jahren. 1812 meldete er sich im Krieg gegen England zu Nathan Boones Rangers. Danach verlieren sich die Aufzeichnungen über ihn. Es gibt Quellen, nach denen er an Gelbsucht erkrankte und im Mai 1812 starb. Die meisten Berichte aber besagen, dass sein Leben am 22. November 1813 auf seiner Farm endete.

Colter wird als einer der bemerkenswertesten Männer der Lewis-&-Clark-Expedition in zahlreichen zeitgenössischen Aufzeichnungen erwähnt. Seine Erlebnisse als Mountain Man sind von mehreren Autoren, etwa auch Washington Irving, in Büchern des 19. Jahrhunderts als herausragend beschrieben. Fraglos war er einer jener frühen Abenteurer, die in den Westen zogen, weil sie die Freiheit der Wildnis liebten. Er suchte keinen Profit, er wollte das Land nicht verändern. Er akzeptierte die Menschen und die Natur und versuchte, Teil davon zu werden – mit allen Vor- und Nachteilen. Er wollte das Abenteuer, er wollte die Herausforderung, seine eigenen Grenzen zu entdecken. Und er wurde – obwohl er ein einfacher, schlicht gebildeter Mann war – von der unbändigen Neugier auf das Unbekannte getrieben. Damit öffnete er – ohne dass das seine eigentliche Absicht war – die Tür für jene, die im Westen nicht die Schönheit der unverfälschten Wildnis, sondern ihren Vorteil suchten. Er wurde zum Wegweiser und Pfadfinder für Menschen, die er nicht verstand und die seine Art des Lebens nicht verstanden. Aber er empfand zweifellos ein Glück, dass denen, die ihm folgten, versagt blieb.

Um 1931 (vielleicht auch 1933) wurde auf einem Feld bei Tetonia im Staat Idaho ein behauener Stein entdeckt, der die Form eines Männerkopfes hatte. In die rechte Gesichtsseite ist der Name „John Colter“ gekratzt, sowie die Jahreszahl 1808. Ob dieser „Colter-Stein“ tatsächlich aus der Zeit Colters stammt und von einem anderen Mountain Man angefertigt wurde, ist nie bewiesen worden. Gelegentliche Vermutungen, dass er 1877 von einem Mitglied der Hayden-Expedition bei Landvermessungen rings um den heutigen Yellowstone Park modelliert wurde, sind auch unbestätigt. Der Fundort allerdings korrespondiert durchaus mit dem „Colter Trail“.

In den 1880er Jahren entdeckten Forscher im Gebiet des Nationalparks am Coulter Creek die Initialen „J. C.“ in einer Felswand. Zweifellos war Colter bei seinen Wanderungen durch die Wildnis hier gewesen.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

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