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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Joe McCoy?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Joe McCoy?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Man nannte ihn den “König des texanischen Rinderhandels“ (King of Texas Cattle Trade) oder einfach nur Joe „Cowboy“ McCoy. Während die Namen der großen Rinderzüchter, Richard King, Charles Goodnight, John Chisum, u. a. unvergessen sind, ist er bei weitem nicht so bekannt – obwohl er zweifellos einer der entscheidenden „Geburtshelfer“ der Cowboylegende und der Rinderkönigreiche war: JOSEPH McCOY. Er starb am 19. Oktober 1915 – vor 105 Jahren.

Er war der Gründer des ersten großen Rindermarktes in Kansas, der Initiator der großen Cattle Trails, der Trecks von Millionen von Longhornherden von Texas zu den Bahnstationen im Norden. Sein Name bereicherte zudem die englische Sprache mit einem Sprichwort, was kaum noch jemand weiß – davon später…

Joseph Getting McCoy wurde am 21. Dezember 1837 als eines von elf Kindern einer Farmerfamilie in Illinois geboren. Die Eltern legten Wert darauf, dass er eine gute Bildung erhielt und schickten ihn nicht nur regelmäßig zur Schule – keine Selbstverständlichkeit im Farmland –, sondern auch für ein Jahr auf ein College. Schon früh interessierte er sich für Viehzucht und Viehhandel. Er konzentrierte sich zunächst auf den Handel mit Maultieren, die als genügsame Zugtiere äußerst beliebt waren. Da die Tiere in der Regel über weite Strecken zu den Abnehmern transportiert werden mussten, entwickelte McCoy Talent für Logistik. Er wurde zum Experten für Viehtransporte mit der Eisenbahn, die sich in den Staaten des Nordens und des Mittelwestens ausbreitete. Noch vor Ausbruch des Bürgerkrieges stieg er zu einem der großen Viehhändler Nordamerikas auf.

1865, nach Ende des Krieges, waren die Viehzüchter von Texas faktisch ruiniert. Auf den dürren Weiden im Süden und Westen des Staates standen Millionen von Rindern, die so gut wie nichts wert waren, weil der Absatzmarkt fehlte. Währenddessen herrschte in den nördlichen Staaten erheblicher Mangel an Rindfleisch. Zwar gab es einige wenige Rancher, die Rinder zum Hafen von New Orleans trieben, von wo aus sie in den Norden verschifft wurden, aber das war kaum mehr als ein Tropfer auf den heißen Stein.

McCoy hatte gelernt, dass Viehtransporte mit der Eisenbahn weitaus effektiver waren – nur gab es in den ehemaligen konföderierten Staaten kaum Bahnlinien; und die wenigen Gleise, die es dort einmal gegeben hatte, waren im Krieg zerstört worden.

Wenn es gelang, die Rinder zu den großen Schienenwegen im Norden zu schaffen, ließe sich das Problem lösen. McCoy stieß bei seinen Überlegungen auf den Postkutschenstop ABILENE von Tim Hersey, benannt nach einem Bibeltext mit der Bedeutung „Stadt der Ebenen“. Der Ort lag fast am Ende des „Chisholm Trails“ – einem Handelsweg, der von einem Cherokee-Trader quer durch das Indianerterritorium Oklahoma angelegt worden war. Diese Route wies Gras und Wasserstellen auf und war damit geeignet für den Zug großer Rinderherden. Anfangs wurde der Weg „Kansas Trail“ genannt, dann „Abilene Trail“ und sogar „McCoy Trail“. Aber für die Cowboys war er immer der „CHISHOLM TRAIL“ im Gedenken an den alten Indianerhändler.

McCoy verhandelte mit Eisenbahngesellschaften, ihre Gleise nach Abilene zu legen. Er schickte Werber nach Texas, die die Viehzüchter aufsuchten und ihnen die Möglichkeiten dieses Geschäfts vor Augen führten. In Texas brachte ein Longhornrind vielleicht 3 bis 5 Dollar, in Kansas waren es 40 bis 45 Dollar.

Am Anfang war diese Idee eine reine Spekulation. Alles hing davon ab, ob die Texaner McCoy Glauben schenken würden. Als die KANSAS PACIFIC RAILWAY ihre Gleise nach Abilene baute, errichtete McCoy in Abilene Verladecorrals, ein großes Hotel, ein Handelsbüro und eine Bank. Andere Investoren folgten ihm.

Ende August 1867 standen die Bewohner von Abilene auf den Dächern und beobachteten eine gewaltige Staubwolke, die sich von Süden über der Prärie näherte: Die erste Rinderherde kam. O. W. Wheeler ritt an der Spitze von 2.400-2.700 Longhorns und einer rauen Cowboy-Mannschaft in die Stadt. Die Menschen tanzten vor Begeisterung auf den Straßen, als Tausende von knochigen Longhorns durch die Stadt zur Bahnstation getrieben wurden. Am 5. September 1867 verließ der erste Zug mit Viehwaggons Abilene. Schon im ersten Jahr trafen 35.000 Longhorns ein. 1868 waren es bereits 75.000, 1871 erreichten über 700.000 texanische Rinder die kleine Stadt – die höchste Zahl von Longhorns, die jemals in einem Jahr nach Kansas getrieben wurde.

Das winzige Prärienest Abilene war plötzlich ein bedeutender Platz auf der Landkarte, die erste „Cattle Town“ in Kansas; es wurde zur Wiege der amerikanischen Cowboy-Legende, zur wirtschaftlichen Rettung von Texas. Der Ort wurde zu einem Wirtschaftszentrum. Innerhalb von nur 4 Jahren transportierte McCoy 4 Millionen Texas-Rinder von Abilene nach Osten. Auf diesem durchschlagenden Erfolg basiert ein Sprichwort in der amerikanisch-englischen Sprache: „THE REAL McCOY“. Damit beschreibt man eine überaus erfolgreiche Entscheidung.

Innerhalb weniger Jahre änderten sich jedoch die Verhältnisse. Die freundliche Stimmung der Bürger Abilenes war einer herzlichen Abneigung gegen die texanischen Cowboys gewichen. Die Bevölkerung der Stadt hatte sich gespalten. Der „Rotlichtbezirk“ machte gigantische Umsätze – 1871 tummelten sich über 5.000 Cowboys in der Stadt und verjubelten ihre Löhne. Die bürgerliche Bevölkerung aber traute sich kaum noch auf die Straßen. Frauen wurden belästigt. Nachts ritten Betrunkene durch den Ort und schossen auf Straßenlaternen und beleuchtete Fenster. Auch ein Polizeichef wie „Wild Bill“ Hickok war nur zeitweise imstande, Ruhe und Ordnung herzustellen. Alte Ressentiments zwischen den südstaatlichen Cowboys und den „Yankee“-Bürgern kochten wieder hoch. Die Stadt wollte die wilden Texaner nur noch loswerden.

Inzwischen hatten verschiedene Eisenbahngesellschaften ihre Schienenstränge weiter durch Kansas gebaut. Wichita blühte als Rindermarkt auf, Ellsworth und Caldwell folgten, und schließlich Dodge City am Ende des „Western Trails“.

In den Ebenen von Kansas ließen sich mehr und mehr Heimstättensiedler nieder, die grenzenlosen Hass auf die Texaner entwickelten, deren Herden Felder zertrampelten. Die Longhorns trugen zudem eine von Zecken übertragene Krankheit mit sich, das „Texas Fieber“. Die Longhorns waren dagegen immun, nicht aber andere Rinderrassen. In einigen Gebieten von Kansas verloren kleine Farmer ihren gesamten Rinderbestand.

Große Gebiete des Staates wurden schließlich für die Texas-Rinder gesperrt. Scharfe Quarantäne-Gesetze gegen Viehseuchen und gesetzliche Einschränkungen von Alkoholausschank machten den Rindertrails den Garaus. Auch Dodge City verlor seinen Rang als „Queen of Cowtowns”.

Abilene wurde zur Stadt der Weizenfarmer. Bis heute. McCoy verließ die Stadt, wo er sein enormes Vermögen gemacht hatte, und schrieb 1874 ein bedeutendes Buch, „Historic Sketches of the Cattle Trade of the West and Southwest“. Mit 77 Jahren starb er am 19. Oktober 1915 in Kansas City. Er wurde in Wichita beerdigt. Seine Enkeltochter, Margot Sarah McCoy Gayle, starb im September 2008 im Alter von 100 Jahren in Manhattan (New York).


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

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