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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Grey Owl?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Grey Owl?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 18. September 1888 wurde in Hastings (England) ein Mann geboren, der ganz zweifellos maßgeblich zur allgemeinen Indianerbegeisterung in Europa beigetragen hat. Bekannt wurde er in Deutschland vor allem durch seine Bücher, die unter dem Namen WÄSCHA-KWONNESIN (oder auch Graueule/GREY OWL) erschienen. Bis zu seinem Tod hielt man ihn weltweit für einen Indianer aus dem kanadischen Waldland. Tatsächlich war GREY OWL ein gebürtiger Engländer mit dem Namen Archibald Stansfeld Belaney.

Die Ehe der Eltern war zerrüttet; Belaney wuchs bei zwei Tanten auf. Von Kindheit an fand er Glück und Frieden in der Natur. Mit großer Begeisterung las er jede Form von Literatur über amerikanische Indianer. Einem bürgerlichen Leben widersetzte er sich hartnäckig, brach mehrere Lehrstellen ab und durfte schließlich 1906 nach Kanada reisen.

In Toronto arbeitete er zunächst als Verkäufer. In Nord-Ontario lernte er den Trapper Bill Guppy kennen, der den jungen Mann mit in die Wälder nahm und ihn in das Leben einführte, von dem er immer geträumt hatte. Er wurde zum Pelzjäger und exzellentem Kanufahrer auf den Strömen in der Wildnis. Bei Ojibwa-Indianern lernte deren Sprache, wurde von ihnen adoptiert und erhielt den Namen „Grey Owl“. Im August 1910 heiratete er die Ojibwa-Frau Angele Egwuna. In dieser Zeit entstand seine „indianische Legende“. Er behauptete, Sohn eines schottischen Vaters und einer Apachenfrau zu sein. Zunehmend passte er sich den indianischen Lebensweisen an, die damals noch sehr traditionell waren, und empfand das Vordringen weißer Siedler in die Wälder Ontarios als Bedrohung.

Im 1. Weltkrieg meldete er sich freiwillig zur Armee, wurde schwer verletzt, gelangte in ein Lazarett in Hastings. Hier stellten ihm seine Tanten die Baletttänzerin Ivy Holmes vor, die er 1917 heiratete, obwohl er noch mit Egwuna verheiratet war. Belaney ließ die Holmes-Ehe wenig später annullieren und kehrte nach Kanada zurück.

Der große Krieg änderte die sozialen Lebensverhältnisse überall auf der Welt. Die Kriegserfahrungen und das Schrumpfen des natürlichen Lebensraums lösten bei Belaney Depressionen aus. Er hatte jahrelang ein schweres Alkoholproblem. Zunehmend lehnte er das Töten von Tieren ab. Das Trapperleben kollidierte mit seinen Lebensprinzipien. 1925 traf er eine Mohawk-Frau namens Gertrude Bernard, in die er sich spontan verliebte. Er verließ Egwuna nun endgültig, zog mit Gertrude in die Wildnis und gab ihr den Namen ANAHAREO. Beide wurden in einer indianischen Zeremonie getraut. 1932 wurde ihre Tochter Shirley Dawn geboren. Auch Anahareo hasste die Arbeit des Fallenstellens. Mit der Aufziehung von zwei verwaisten Biberbabies begann die Wende im Leben der beiden Menschen. Sie entschieden, die Jagd aufzugeben und eine Biberkolonie einzurichten. Aber von was sollten sie leben? Belaney schrieb eine erste Erzählung vom Leben in der Natur, die in einer englischen Zeitschrift gedruckt wurde. Erstmals trat er jetzt als „Halbindianer“ Grey Owl in Erscheinung, wurde gut bezahlt und aufgefordert, ein Buch über sein Leben in den kanadischen Wäldern zu schreiben.

1931 erschien seine Autobiographie „The Men of the Last Frontier“. Es wurde ein Bestseller. Es folgte eine Flut von Artikeln und Geschichten, die in englischen, kanadischen und amerikanischen Zeitschriften gedruckt wurden und dem Ehepaar nicht nur den Lebensunterhalt sicherten, sondern auch die geplante Biberkolonie finanzierten.

Der kanadische Nationalparkservice bot ihm eine Stellung als Ranger an. Grey Owl, Anahareo und ihre Biber siedelten in den „Prince Albert Nationalpark“ in Saskatchewan um. 1934 erschien sein Buch „Pilgrims of the Wild“, 1937 folgte „Tales of an Empty Cabin“. Grey Owl wurde berühmt und zu Vortragstourneen nach Europa eingeladen, bei denen er vom Leben in der Wildnis und von der Kultur der Indianervölker Kanadas erzählte und zum eloquenten Verkünder und Anwalt des Naturschutzgedankens wurde. Seine Auftritte waren enorm erfolgreich. Er wurde zu einem Pionier des Umweltschutzes und der Bewahrung kultureller Überlieferungen der indianischen Völker des Waldlandes.

Sein Alkoholismus holte ihn allerdings immer wieder ein. 1936 verließ Anahareo ihn. Seither lebte er allein, nur von zwei kurzzeitigen Affären unterbrochen.

Am 13. April 1938 starb Grey Owl, gerade einmal 50 Jahre alt, in seiner Hütte am Ajawaan Lake an einer Lungenentzündung. Erst nach seinem Tod wurde bekannt, dass er kein „Halbindianer“ war – nicht einmal seine letzte Frau Anahareo hatte das gewusst. Die „Enthüllung“ seiner wahren Identität machte Schlagzeilen rund um die Welt. Obwohl eine kanadische Zeitung schrieb: „Der Wert seiner Arbeit wird nicht verringert.“, fühlte sich die gesamte frühe Naturschutzbewegung getäuscht. Viele Verlage stellten für längere Zeit die Produktion von Belaneys Büchern ein. Erst ab den 1970er Jahren setzte eine „Rehabilitierung“ ein, und die Publikationen Grey Owls wurden wiederentdeckt. Sein ungewöhnliches Leben wurde 1999 mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle verfilmt. Gedenktafeln, nach ihm benannte Gebäude und Plätze erinnern an den „weißen Indianer“. Grey Owls Leichnam wurde neben seiner Hütte beigesetzt. Einige seiner Bücher erschienen mit großem Erfolg auf Deutsch: „MÄNNER DER GRENZE“, „IHRE MOKASSINS HINTERLIESSEN KEINE SPUREN“, „DIE BIBERBURG“, „IM LAND DER NORDWINDE“, „GRAU-EULE ERZÄHLT“, „PFADE IN DER WILDNIS“, u.a.

Gertrude Bernard (Anahareo) blieb auch nach ihrer Trennung von Belaney dem Kampf für Tier- und Naturschutz verbunden. 1979 wurde sie prominentes Mitglied der „International League of Animal Rights“. 1972 waren ihre Memoiren erschienen: „Devil in Deerskins: My Life with Grey Owl“. Sie starb am 17. Juni 1986 in British Columbia.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

 

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