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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Conrad Kohrs?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Conrad Kohrs?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 23. Juli 1920 starb in Deer Lodge (Montana) einer der bedeutendsten Pioniere dieses Staates: CONRAD KOHRS. Er war am 5. August 1835 in Wewelsfleth in Holstein geboren worden und hatte sich im Laufe seines Lebens zu einem der größten „Rinderbarone“ Amerikas hochgearbeitet. Man nannte ihn den „Cattle King of Montana“. Er hatte zu seinen besten Zeiten ebensoviel Land besessen wie die gesamte Schweiz umfasste. Auf seinen Weiden hatten Zehntausende von Rindern gestanden.

Kohrs hatte eine Karriere gemacht, wie sie nur in den USA möglich war. Mit 15 Jahren war er von daheim ausgerissen und hatte als Schiffsjunge angeheuert. Mehrere Jahre lang fuhr er zur See, war in Afrika, Brasilien, Kuba und lernte dann in New York das Fleischerhandwerk. 1857 wurde er amerikanischer Staatsbürger.

Kohrs hörte von großen Goldfunden im amerikanischen Westen und machte sich auf den Weg. Zwischendurch arbeitete er als Vertreter, als Fleischverkäufer in New Orleans, als Flößer auf dem Mississippi und als Whiskeybrenner.

Nach einem Abstecher nach Kanada erreichte er 1862 schließlich die Goldfelder von Montana. Er begriff sehr schnell, dass man als Goldsucher nur selten reich wurde. Aber die vielen Menschen, die in den Camps entlang des Grasshopper Creeks und in der Alder Gulch lebten, mussten jeden Tag essen, und die Gewinne, die mit Lebensmitteln erzielt wurden, waren weitaus höher als die Resultate der Claims. Kohrs eröffnete einen Metzgerladen und verkaufte Fleisch, stellte eigene Wurst her. Die Rinder kaufte er von Johnny Grant, einem kanadischen Métis (Halbindianer), der lange im Pelzhandel tätig gewesen war und sich in einem Tal im Westen Montanas niedergelassen hatte. Hier hatte er mit großem Geschick eine erfolgreiche Rinderzucht aufgebaut. In der Zeit des Pelzhandels war es von Vorteil gewesen, dass er indianischer Herkunft war und indianische Frauen und Kinder hatte. Die Goldsucher aber sahen den amerikanischen Westen mit anderen Augen. Grant fühlte sich zunehmend als Außenseiter angefeindet und fürchtete um die Sicherheit seiner Familie. Mit Conrad Kohrs war er befreundet und pflegte gute Geschäftsbeziehungen. Er bot ihm an, seine Ranch zu kaufen. 1866 wurde der Handel geschlossen. Conrad Kohrs zahlte um die 20.000 Dollar – das wären nach heutigem Wert wohl 700.000 bis 800.000 Dollar.

Kohrs nannte die Ranch zu Ehren von Grant „Grant-Kohrs Ranch“. Zunächst züchtete er Rinder nur für seine eigenen Metzgergeschäfte in Bannack, Virginia City und Helena. Bald aber wurde die Viehzucht sein Kerngeschäft, und er gab die Läden in den Minenstädten auf.

Johnny Grants Trading Post, die spätere Ranch, war die erste Niederlassung in diesem Tal. Daneben entstand ab etwa 1860 die kleine Siedlung Deer Lodge, die 1888 als Stadt eingetragen wurde. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs hatte Kohrs mehr als 50.000 Rinder auf seinen Weiden stehen und verfügte über einen Landbesitz von weit mehr als 40.000 Quadratkilometern der sich über 4 US-Bundesstaaten und 2 kanadische Provinzen ausdehnte. Er transportierte jährlich 10.000 Rinder zu den Schlachthöfen von Chicago. Die Ranch hatte einen eigenen Eisenbahnanschluss.

1868 hatte Conrad Kohrs, die damals 19jährige Augusta, eine gebürtige Hamburgerin, die 1866 als Hauslehrerin nach Amerika gekommen war und in Davenport (Iowa) arbeitete, geheiratet. Conrad Kohrs unterhielt in diesem Ort, in dem es eine starke deutsche Gemeinde gab, mit seinem Bruder Henry ein Lagerhaus für Fleisch.

Augusta Kohrs hatte keine Ahnung von den Lebensverhältnissen im Fernen Westen. Als sie nach 48tägiger Reise in Deer Lodge ankam, erlebte sie einen regelrechten Kulturschock. Das Ranchhaus war eine große Holzhütte mit Lehmfussboden, in dem Conrad Kohrs mit seinen Cowboys hauste. Augusta zeigte von Anfang an, dass sie aus dem festen Holz einer Ranchersfrau geschnitzt war. Sie warf die Cowboys aus dem Haus, sorgte für den Bau von separaten Bunkhäusern und begann mit der Errichtung eines komfortablen Ranchhauses, das dem Rang und Vermögen ihres Mannes angemessen war. Es war nach Fertigstellung das beste Haus in ganz Montana.

1886-87 kam es im Westen zu einem katastrophalen Winter, bei dem das Vieh auf den Weiden erfror. Viele Rancher gingen bankrott. Auch Conrad Kohrs geriet in Schwierigkeiten. Aber er schaffte es, sich einen großen Kredit zu besorgen und baute neu auf. Innerhalb weniger Jahre hatte er die Schulden bezahlt und die Ranch war größer denn je. Er zog seine Konsequenzen aus der Krise. Die Zeit der „offenen Weiden“ war vorbei. Er begann wetterhärtere Rassen zu züchten, zäunte seine Weiden ein und begann eine intensive Vorratshaltung für Heu und anders Tierfutter.

Teilhaber der Ranch war sein Stiefbruder John Bielenberg, der der „Cowboy“ der Familie war. Während Konrad Kohrs die Geschäfte führte, war Bielenberg der Kopf der Mannschaft. Und er war ein leidenschaftlicher Pferdeliebhaber und gilt heute als einer der ersten Quarterhorse-Züchter in den USA.

Conrad Kohrs begriff auch früh, dass man öffentlichen Einfluss brauchte, um seine Interessen durchzusetzen. Er amtierte von 1869-1871 als County Commissioner (etwa „Landrat“) und wurde 1885 in die verfassungsgebende Versammlung des Territoriums gewählt, als Montana zum Bundesstaat der USA wurde. Er war auch zeitweise Präsident der Viehzüchtervereinigung Montanas und Direktor der „Union Bank“, deren Teilhaber er war.

Conrad Kohrs starb im Alter von 84 Jahren auf seiner Ranch in Deer Lodge. Seine Frau Augusta überlebte ihn bis 1945. Die Kohrs spendeten viel Geld für öffentliche Einrichtungen. Sie bauten u.a. eine Bibliothek in Deer Lodge und stifteten ein Krankenhaus.

Ab etwa 1901 begann Kohrs seine Ranch zu verkleinern. 1918 waren alle frei weidenden Herden verkauft. Die Ranch konzentrierte sich nur noch auf kleinere Herden von Herefords und Shorthorns.

Der Enkel, Conrad Warren, übergab den Kern des Besitzes 1972 dem Staat. Seither ist die Grant-Kohrs Ranch als Monument der großen Viehzuchtbetriebe im Westen unter Verwaltung des Nationalpark-Service.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

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