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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Conrad Heyer?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Conrad Heyer?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Im Zusammenhang mit dem Independence Day der USA am 4. Juli tauchte im Internet auf diversen Seiten mal wieder die Geschichte von CONRAD HEYER auf, angeblich der älteste Überlebende von George Washingtons Continental-Armee, der 1852 als der am frühesten geborene Mensch fotografiert und damit der einzige fotografisch dokumentierte Mann war, der nicht nur zur Unabhängigkeitsarmee gehört hatte, sondern der mit George Washington persönlich am 25. Dezember 1776 die legendäre Überquerung des Delaware River mitgemacht hatte, um die hessischen Truppen am Weihnachtsabend in ihrem Lager in Trenton zu überraschen.

Nun sind frei erfundene Nachrichten nichts Neues und keine Spezialität des Internets. Es hat sie zu allen Zeiten gegeben. Der Hauch des Sensationellen garantierte ihnen schon früher Aufmerksamkeit.

CONRAD HEYER war NICHT der älteste Überlebende von Washingtons Armee, der fotografiert wurde. Die Fotogeschichte ist nur teilweise richtig. Alles andere aber ist frei erfunden. Es wird jedoch ständig elektronisch weiterverbreitet, obwohl die Möglichkeiten, solche Behauptungen zu prüfen, heute groß sind.

Hier also einige knappe Fakten und Märchen über Conrad Heyer.

Geboren am 10. April 1749 war er 103 Jahre alt, als er 1852 in ein Fotostudio ging und sein Portrait aufgenommen wurde. Damit war Heyer tatsächlich einer der am frühesten geborenen Menschen, die fotografiert wurden. Aber er war nicht der einzige. Inzwischen sind die Namen von einem halben Dutzend Männern verifiziert, die vielleicht sogar älter waren als er – aber deren Geburtsdaten sind nicht immer zweifelsfrei dokumentiert, wie das bei Heyer der Fall ist. Er war auch NICHT der einzige noch lebende Soldat, der im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte und von dem eine Daguerreotypie-Platte aufgenommen wurde. Und er hatte erst recht NICHT mit George Washington den Delaware überquert.

Als der amerikanische Historiker Don N. Hagist ein Buch über die letzten lebenden Soldaten der Continental-Armee im 19. Jahrhundert schrieb – „The Revolution’s Last Men: The Soldiers Behind the Photographs” – recherchierte er die Quellen über diese Männer, die wie Heyer in biblischem Alter vor eine Plattenkamera traten. Und er war überrascht, dass fast alle Biografien entweder noch zu ihren Lebzeiten oder kurz nach ihrem Tod massiv geschönt – um es klar zu sagen: gefälscht – waren. Heyers Leben war am besten dokumentarisch nachzuweisen.

Die Fototechnik begann sich in den frühen 1840er Jahren zu verbreiten. In dieser Zeit lebten noch vielleicht 100 von Washingtons Soldaten. Als Heyers Portrait entstand, war er 103 Jahre alt. 1852 waren noch ein halbes Dutzend Veteranen aus dem Unabhängigkeitskrieg übrig.

Schon damals tauchte in der Öffentlichkeit der Satz auf: „Er diente in der Continental Army unter George Washington während der Revolution, kreuzte mit ihm den Delaware und kämpfte in wichtigen Schlachten.“

Seither wurde diese Behauptung wieder und wieder abgeschrieben und verbreitet, ohne dass der Gehalt je überprüft wurde. Heyer selbst hatte niemals etwas Derartiges von sich behauptet. Er hatte 2 oder 3 Jahre in der Continental Army gedient und beantragte 1819 eine Pension. In seinem Antrag schrieb er:

“Ich, Conrad Heyer, aus Waldoboro in Lincoln County und im Staat Massachusetts bezeuge und erkläre, dass ich Mitte Dezember im Jahre des Herrn 1775 als einfacher Soldat in die Armee der amerikanischen Revolution eingetreten bin. …Ich diente unter Capt. Fuller in Colonel Bonds Regiment und wurde danach zu Captain Smiths Kompanie im besagten Regiment abgeordnet.“

Don Hagist schrieb: „1864 erschien das Buch „Last Men of the Revolution“, in dem bereits Fotos gedruckt waren. Vorgestellt wurden die letzten 6 Veteranen des Krieges. … Als ich meine Nachforschungen begann, stellte ich fest, dass die Dokumente über diese 6 Männer absolut nichts mit deren tatsächlichem Leben zu tun hatten. Heyer erwähnt die Delaware-Überquerung mit keinem Wort. Seine Angaben sind exakt und lassen sich mit den vorhandenen Akten in Übereinstimmung bringen. Es ist lediglich möglich, dass er sich beim Jahr seiner Entlassung irrte und er tatsächlich 1778 den Militärdienst verließ.“

George Washington stand während Heyers Dienstzeit in Pennsylvania. Als er den Delaware überquerte, war Conrad Heyer also nicht einmal in seiner Nähe.

Gleichwohl ist Heyers Biografie durchaus beachtenswert. Seine Eltern waren aus Deutschland eingewandert und gehörten wahrscheinlich zu den Gründern des Fleckens Waldoboro im damaligen Massachusetts. Dieser Teil des Landes wurde später abgetrennt und dem Gebiet des Bundesstaates Maine zugeschlagen. Abgesehen von seinem Militärdienst, verließ Conrad Heyer den Ort seiner Geburt sein ganzes Leben lang nicht.

In seinem Nachruf in den Eintragungen der Gemeinde hieß es nach seinem Tod am 19. Februar 1856: „Conrad Heyer hatte das stattliche Alter von 106 Jahren, 10 Monaten und 9 Tagen erreicht. Seine Eltern kamen aus Deutschland, und er war das erste weiße Kind, das in dieser Siedlung geboren wurde, in der er auch ständig wohnte. Obwohl von sehr schlanker Statur, entwickelte Mr. Heyer große physische Energie und Kraft für ausdauernde Arbeit und Pflichterfüllung. Er verfügte über eine bemerkenswerte Gesundheit. Bis zu diesem Winter, war er nicht einen Tag krank. Drei Jahre lang diente er im Revolutionskrieg und bezog eine Pension.“

Die Gerüchte über seine Geschichte tauchten ab etwa 1925 auf und wurden seither nie mehr hinterfragt. Die Delaware-Überquerung wird in einem mit Schreibmaschine getippten Totenschein erwähnt. 1856 gab es bereits einige schreibmaschinenähnliche Geräte, aber sie waren in so kleinen Gemeinden wie Waldoboro nicht üblich. Dabei war es doch bemerkenswert genug, dass 1852 ein 103 Jahre alter Veteran des Unabhängigkeitskrieges fotografisch dokumentiert wurde. Das allein hätte ausgereicht, Conrad Heyer eine Fußnote in den Geschichtsbüchern zu sichern. Die von ihm angefertigte Daguerreotypie befindet sich heute im Archiv der „Maine Historical Society“.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

 

 

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