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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Cole Younger?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Cole Younger?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 10. Juli 1901 öffneten sich in Stillwater (Minnesota) die wuchtigen Gittertore des staatlichen Zuchthauses. Heraus trat ein unscheinbarer Mann mit Halbglatze in einem schlechtsitzenden Anzug. 25 Jahre hatte er hinter den dicken Mauern dieser Strafanstalt verbracht. Dieser Mann war einst einer der gefürchtetsten Outlaws Amerikas gewesen. Sein Name war COLE YOUNGER. 10 Jahre lang war er mit seinen Brüdern Jim, Bob und John mit Jesse James geritten und hatte Teile der Südstaaten und des Mittelwesterns terrorisiert. (John Younger war bereits 1874 in einer Schießerei mit Pinkerton-Detektiven getötet worden.)

Thomas Coleman Younger war am 15. Januar 1844 in Missouri geboren worden. Er war das 7. von 14 Kindern einer wohlhabenden Farmerfamilie. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges schloss sich Cole Younger den konföderierten Guerillas unter William C. Quantrill an, obwohl sein Vater Anhänger der Nordstaatenunion gewesen war.

Als Unionstruppen aus Kansas in Missouri einrückten, wurde der Vater der Younger-Brüder versehentlich von einem US-Soldaten erschossen. Danach schworen die Youngers Rache.

Cole Younger war am 21. August 1863 dabei, als Quantrills Freischärler die Stadt Lawrence in Kansas niederbrannten und mehr als 200 Bürger ermordeten.

Cole Younger behauptete später, danach in die reguläre Konföderierte Armee eingetreten zu sein. Er sei als Rekrutierungsoffizier eingesetzt gewesen und erst nach Ende des Krieges nach Missouri zurückgekehrt. Die Rekonstruktionsgesetze der Nordstaaten, die Befreiung aller schwarzer Sklaven und andere Maßnahmen hätten ihn und seine Brüder dazu gebracht, sich den Brüdern Jesse und Frank James anzuschließen.

Am 13. Februar 1866 überfielen die Banditen die Clay County Savings Bank. Es war der erste bei Tageslicht ausgeführte Bankraub in den USA. Es gibt allerdings bis heute Zweifel daran, dass Jesse James diesen Raub anführte, weil er zu dieser Zeit noch eine schwere Lungenverletzung auskurierte, die ihm für den Rest seines Lebens Schwierigkeiten bereitete. Vermutlich war Frank James an jenem Tag der Anführer. Weitere Banküberfälle folgten in schneller Folge, wobei rasch deutlich wurde, dass die James-Younger Gang nicht nur des Geldes wegen raubte, sondern einer politischen Linie folgte. Überfallen wurden in erster Linie Banken, die sich im Besitz von nordstaatlichen Kapitalgebern befanden. Irgendwann tauchten nach jedem Überfall Bekenner-Briefe auf, in denen Jesse James – Chronisten glauben, dass diese Briefe meistens von seinem Bruder Frank geschrieben wurden – die nordstaatlichen Behörden angriff. Wir würden heute bei kriminellen Taten mit politischer Motivation von „Terrorismus“ sprechen. Tatsächlich wurde Jesse James zeitweise zum „Most Wanted Man“ der USA, zur Nr. 1 auf der Fahndungsliste der amerikanischen Polizei.

Anfangs war nicht völlig klar, wer zur James-Gang gehörte. Die Youngers wurden ab 1868 bei einem Überfall auf die Bank in Russelville (Kentucky) einwandfrei von Augenzeugen identifiziert. Ab 1873 begannen die James-Youngers auch Eisenbahnen auszurauben. Sie brachten Züge zum Entgleisen, brachen in die Transportwaggons ein. Es gab Tote und Verletzte.

In den ersten Jahren hatten die Banditen immer behauptet, das geraubte Geld unter verarmten Südstaatenfarmern zu verteilen. Zwei, drei Fälle sind bekannt, bei denen sie tatsächlich Teile ihrer Beute an bedürftige Kriegerwitwen abgaben. Aber im Allgemeinen handelte es sich um eine reine Schutzbehauptung. Die „Robin-Hood“-Legende, die sie um sich aufbauten, wonach sie als „Rächer der Enterbten“ von den Reichen nahmen, um den Armen zu geben, stimmte nie. Die James-Youngers überfielen Banken und Eisenbahnen in Missouri, Kentucky, Kansas und West-Virginia.

Einige Verwandte der Youngers änderten ihre Namen in „Junger“, um nicht mit ihren kriminellen Angehörigen verwechselt zu werden.

Die Strategie der Bande war fast militärisch: Sorgfältige Erkundung der Lokalität. Überraschend und blitzschnell zuschlagen mit äußerster Härte, um Widerstand im Keim zu ersticken. Eine „Nachhut“ sicherte die Flucht. Das funktionierte jahrelang.

Am 7. September 1876 erlebte die James-Younger-Bande ein Desaster. Die Banditen versuchten die „First National Bank“ der wohlhabenden Kleinstadt Northfield in Minnesota auszurauben. Diese Bank war im Besitz von zwei ehemaligen Nordstaatengenerälen, Adelbert Ames und Benjamin Butler. Ein klassisches James-Younger-Ziel also. Alles war bestens vorbereitet – aber die Bürger von Northfield versteckten sich nicht, gingen nicht in Deckung, sondern leisteten von der ersten Minute an heftigen Widerstand. Es kam zur „letzten Schlacht des Bürgerkrieges“, wie Chronisten später schrieben. Die Bande wurde auf der Hauptstraße förmlich in Stücke geschossen.

In der Bank weigerte sich der Kassierer, den Safe zu öffnen. Er wurde kaltblütig ermordet. Heute ist man ganz sicher, dass Frank James die tödlichen Schüsse abgab.

Zwei der Banditen, Clell Miller und William Chadwell, starben auf der Straße. Die anderen Banditen entkamen ohne Beute, aber alle waren verletzt. Als Jesse James nach seiner Ermordung obduziert wurde, fand man eine Kugel aus einem Gewehr aus Northfield in seinem Bein.

Ein Aufgebot von fast 1.000 Mann durchkämmte ganz Minnesota. Frank und Jesse James setzten sich rechtzeitig ab, tauchten in Tennessee unter und lebten eine Weile versteckt in Nashville. Die Youngers und Charlie Pitts wurden in einem Waldstück bei Madelia gestellt und niedergekämpft. Pitts wurde getötet.

Cole, Bob und Jim Younger wurden vor Gericht gestellt. Sie entgingen dem Galgen, weil sie sich schuldig bekannten. Sie erhielten eine lebenslange Strafe. Mehrfach wurde Cole Younger aufgefordert, den Mörder des Kassierers Heywood in Northfield zu nennen, um eher begnadigt zu werden. Er schwieg und schrieb: „I’m faithful unto death.“ (Ich bin treu bis in den Tod) Auch das war ein Indiz dafür, das Frank James der Mörder war; denn beide Männer waren eng befreundet. Cole Younger trug auf diese Weise dazu bei, dass Frank James nach der Ermordung von Jesse vollständig begnadigt wurde und ein Leben in Freiheit führen konnte.

Bob Younger starb nach 15 Jahren im Zuchthaus an Tuberkulose. Jim und Cole wurden am 10. Juli 1901 begnadigt. Im Oktober 1902 beging Jim Younger in einem Hotelzimmer in St. Paul Selbstmord, weil die Behörden ihm die Heirat verweigerten.

Cole Younger schrieb seine Memoiren und stellte sich als letzter konföderierter Kämpfer dar, nicht als Bandit. Er schrieb, nur der Northfield-Überfall sei ein Fehler gewesen. 1903 gründete er mit Frank James zusammen eine Wild-West-Show. Sie tourten durch die Südstaaten. In öffentlichen Vorträgen predigte er ein gesetzestreues, gottgefälliges Leben.

Am 21. März 1916 starb Cole Younger in Lee’s Summit (Missouri). Bis zu seinem Ende hatte er über die Vorgänge in Northfield geschwiegen. Ein Jahr vor ihm, Anfang 1915, war Frank James gestorben.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

 

 

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