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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit White Bull?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit White Bull?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 21. Juni 1947 starb einer der letzten Lakota-Häuptlinge, der noch am Little Bighorn gegen die 7. Kavallerie gekämpft hatte.

Sein Name war WHITE BULL (auf Lakota „Tȟatȟáŋka Ská“). Wie bei den meisten indianischen Führern, ist sein Leben nur schwer zu rekonstruieren, da es so gut wie keine geschriebenen Quellen gibt. In der Literatur taucht er auch als „Pte San-Hunka = Buffalo White Leader = Englisch „Chief White Bull“ auf.

Vermutlich wurde White Bull im April 1849 geboren. Er war 98 Jahre alt, als er starb. Er war ein Neffe des großen Hunkpapa-Führers Sitting Bull. Geboren in den Black Hills als Sohn des Minniconjou-Häuptlings Makes Room (ein Bruder des ebenfalls bekannten Kriegers One Bull), wuchs er zum Krieger heran und war schon in seinen zwanziger Jahren Führer von Kriegsparties. Nach verfügbaren Berichten hatte er eine beeindruckende Bilanz als Krieger, der in Stammeskonflikten viele Coups geschlagen und Gegner getötet oder verletzt hatte. Er hatte mindestens eine Assiniboine-Frau entführt und viele Pferde von anderen Stämmen geraubt, war zweimal verwundet worden und hatte sich zweimal der Sonnentanzzeremonie unterzogen.

Nach der großen Schlacht am Little Bighorn, schloss sich White Bull seinem Onkel One Bull an und gehörte mit diesem zu den engsten Gefolgsleuten von Sitting Bull, die sich nach Kanada in Sicherheit brachten.

Danach kam die Geschichte auf, dass es White Bull war, der George A. Custer getötet habe. Er hat sich in dieser Klarheit allerdings selbst niemals so geäußert und immer nur gesagt, dass er an der Schlacht teilgenommen und mehrere Nahkämpfe ausgefochten hatte. Diese immer wieder in verschiedenen Schriften aufgestellte Behauptung geht u.a. auf eine Piktographie zurück, auf der White Bull anhand bestimmter Details identifiziert wurde. In dieser Skizze kämpft er gegen einen Soldaten. Er schlägt Coup an ihm mit einer Reitpeitsche. Es wurde behauptet, dass es sich um Custer gehandelt habe. Aber dieser Soldat unterschied sich in der Piktographie nicht von den anderen Soldaten, während bekannt ist, dass Custer in dieser Schlacht keine Uniform getragen hatte. White Bull bemerkte zu dieser Zeichnung immer nur: Kici-ecamu-Welo (Ich habe mit ihm gekämpft.) Er fügte hinzu, dass der Krieger Hawk-Stays-Up den zweiten Coup an dem Mann geschlagen habe. Niemals wurde seitens der indianischen Interpreten ein Name für den getöteten Soldaten genannt.

White Bull erklärte zu der erwähnten Piktographie: “Ich stürmte in den Kampf. Ein großer, gutgebauter Soldat mit blondem Haar und Schnurrbart sah mir entgegen und versuchte, mich zu täuschen. Er richtete sein Gewehr auf mich. Aber als ich weiter rannte, warf er mir das Gewehr entgegen, ohne einen Schuss abzufeuern. Ich wich aus. Wir packten uns gegenseitig und rangen im Staub und Pulverrauch. Es war wie ein Kampf im Nebel. Der Soldat war sehr stark und tapfer. Er versuchte, mir mein Gewehr wegzunehmen. Ich schlug ihm mit meiner Reitpeitsche ins Gesicht und gewann einen Coup. Er wich zurück und griff dann mit beiden Händen nach meinem Gewehr. Ich schlug ihn abermals.“ Und weiter: „Er zog seinen Revolver. Ich wand ihm die Waffe aus der Hand und schlug ihm damit drei- oder viermal auf den Kopf. Er stürzte und ich schoss ihm in den Kopf und feuerte auf sein Herz. … Hawk-Stays-Up schlug den zweiten Coup an seiner Leiche.”

1926 fand das 50jährige Gedenken an die Schlacht am Little Bighorn statt. Die indianischen Häuptlinge und Krieger, die noch am Leben waren, wurden zu der Feier eingeladen. Manche zögerten; sie befürchteten Sanktionen der Armee. Aber White Bull erklärte: „Ich habe keine Angst.“ Er traf auf dem Last Stand Hill mit General Edward S. Godfrey zusammen, der als Lieutenant zu den Reno-Kompanien gehört hatte. White Bull überreichte ihm eine Decke, Godfrey gab eine Ehrenbezeugung mit seinem Säbel und überreichte ihm eine große amerikanische Flagge.

Etwa 80 Sioux und Cheyenne ritten mit Adlerkopfschmuck und Kriegshemden über das alte Schlachtfeld.

Da White Bull mit an der Spitze der Parade ritt, wurde von den teilnehmenden Offizieren vermutet, dass er der Mann war, der Custer erschlagen hatte. Eine Spekulation, die dadurch Nahrung erhielt, dass Major Alson B. Ostrander von der 18. Infanterie White Bull auf die Stelle hinwies, an der die Leiche Custers gelegen hatte und White Bull die Angabe bestätigte. Vestal schrieb: „Der Major fragte White Bull: ‚Bist du der Mann, der Custer getötet hat?‘ White Bull antwortete: ‚Vielleicht.‘“

Diese vage Antwort war korrekt, denn während des Kampfgeschehens dürfte es kaum einen Indianer gegeben haben, der seine Gegner eindeutig identifizieren konnte, und es wird im Allgemeinen angenommen, dass die Krieger erst viel später erfuhren, wer der Kommandant des Regiments gewesen war, das sie geschlagen hatten.

Jahre danach behaupteten einige der Krieger in Interviews, sie hätten Custer erkannt, da sie ihn in Fort Abraham Lincoln gesehen hatten. Sie brachten die Geschichte auf, das White Bull ihn getötet habe. White Bull selbst erklärte gegenüber Vestal: “Manche sagen, ich hätte Long Hair getötet. Aber ich hatte ihn niemals vorher gesehen, also kannte ich ihn nicht.”

White Bull kehrte noch im Jahr 1876 aus Kanada zurück und ergab sich der Armee. Er konvertierte zum Katholizismus und wurde auf den Vornamen „Joseph“ getauft. In der Reservation übernahm er, als sein Vater „Makes Room“ starb, dessen Stellung als Häuptling. Später amtierte er als Stammesrichter am Reservationsgericht. Bis zu seinem Tod verlangte er die Rückgabe der Black Hills an sein Volk. Er gehörte zu den wichtigsten Informanten für den Autor Stanley Vestal, als dieser die Biographie Sitting Bulls verfasste. Stanley Vestal gab auch ein Werk über das Leben von White Bull heraus: “Warpath: The True Story of the Fighting Sioux Told in a Biography of Chief White Bull”.

Joseph White Bull starb in South Dakota.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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