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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Clara Barton?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Clara Barton?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 21. Mai 1881 wurde das Amerikanische Rote Kreuz gegründet. Die Gründerin war CLARA BARTON, die zu jener Zeit bereits den Ruf eines „Engels der Schlachtfelder“ hatte. Ihr Ansehen als Frau, die selbstlos und unter Einsatz ihres Lebens inmitten blutiger Kämpfe verwundeten und sterbenden Soldaten Hilfe leistete, hatte sie im Amerikanischen Bürgerkrieg gewonnen, wo sie die erste Hilfe und den Abtransport von verletzten Teilnehmern an der ersten Schlacht von Bull Run organisierte. Schon am 19. April 1861 hatte sie sich um verletzte Freiwillige gekümmert, die in Baltimore (Maryland) von einem mit den Südstaaten sympathisierenden Mob angegriffen wurden, weil sie sich in einem Rekrutierungsbüro in die Unionsarmee einschreiben lassen wollten.

Clarissa “Clara” Harlowe Barton stammte aus North Oxford (Massachusetts), wo sie am 25. Dezember 1821 geboren wurde. Sie war die jüngste von 5 Geschwistern. Mit 11 Jahren wurde sie Zeuge, wie ihr älterer Bruder beim Bau einer Scheune vom Dach stürzte. In den folgenden zwei Jahren pflegte sie ihn. Dieses Erlebnis hinterließ einen tiefen Eindruck bei ihr.

1854 zog sie in die Hauptstadt Washington DC und wurde als Buchhalterin im US-Patentamt angestellt, wo sie die einzige Frau war, die die genauso bezahlt wurde wie ihre männlichen Kollegen. Sie war überhaupt eine der ersten Frauen, die von der amerikanischen Bundesregierung angestellt wurden.

Am 21. Juli 1861 fand die erste Schlacht von Bull Run statt, die mit einer katastrophalen Niederlage der Unionstruppen endete. Clara Barton war, wie viele Bürger aus Washington, zum Schlachtfeld hinausgefahren. Aber nicht aus Sensationslust oder als „Schlachtfeldtourist“, sondern um bei der Versorgung der Verwundeten zu helfen. Danach begann sie unermüdlich bei den Regierungsbehörden in Washington dafür zu werben, dass Freiwillige als Helfer zugelassen wurden, weil das Hospital-System und die Ambulahzversorgung der Armee unterentwickelt und unzureichend war. 1862 erhielt sie einen Sonderpass, der es ihr erlaubte, militärische Grenzen zu überschreiten.

Nach der Schlacht von Cedar Mountains organisierte sie einen Nottransport mit medizinischen Versorgungsmitteln und führte ihn in die Armeelager. Die anfängliche Skepsis, ja Ablehnung durch die Militärärzte wandelte sich sehr rasch in Bewunderung und Dankbarkeit. Es waren die Armeeärzte, die sie öffentlich als „Engel“ bezeichneten – das wurde ihr Spitzname.

Clara Barton wagte sich im schwersten Feuer mitten auf die Schlachtfelder. Sie versorgte die im Dreck und Elend liegenden Verwundeten und hielt die Hand von Sterbenden in ihren letzten Minuten, während um sie herum ein Hagel von Musketenkugeln niederging und Artilleriegeschosse den Boden aufpflügten.

Legendär wurde ihr Einsatz in der Schlacht von Antietam, dem „blutigsten Tag“ des Bürgerkrieges, wo sie während des mörderischen „Maisfeld-Kampfes“ beobachtete, dass den Feldärzten das Verbandsmaterial ausging, so dass die Wunden der Soldaten mit frischen Maisblättern abgedeckt werden mussten. Die Materialtransporte waren so weit von den kämpfenden Truppen entfernt, dass die Ärzte faktisch ohne die notwendigsten Versorgungsmittel dastanden. Clara Barton organisierte in den umliegenden Farmen eine Wagenladung mit Stoffen als Verbandsmaterial und brachte Medikamente, die sie und ihre Helfer auf Vorrat gesammelt hatten, in die Lazarettzelte.

Danach begab sie sich mutig auf das Schlachtfeld und verband die Wunden von Verletzten. Inzwischen war sie eine bekannte Gestalt in den Militärlagern – eine kleine Frau mit roter Haube, roter Schleife und dunklem Kleid. Sie sorgte dafür, dass die leidenden Männer in die Scheunen der Farmhäuser am Rande des Schlachtfelds transportiert wurden. Eine Geschichte berichtet, wie sie neben einem verwundeten Soldaten niederkniete, um ihn mit Wasser zu versorgen, und einen harten Ruck an ihrem Ärmel spürte. Eine Musketenkugel hatte den Stoff ihrer Jacke zerrissen – und den Soldaten neben ihr getötet.

Clara Barton ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie blieb bis Einbruch der Dunkelheit mitten im Kampfgeschehen, assistierte den Ärzten und sprach den Verwundeten und Sterbenden Trost und Mut zu. Sie sorgte für ausreichend Lampen, um in den Ambulanzzelten Licht für die Ärzte zu schaffen.

Kurz nach der Schlacht erlitt Barton einen körperlichen Zusammenbruch. Sie hatte tagelang weder ausreichend gegessen noch geschlafen, und sie erkrankte an Typhus. Sie wurde nach Washington transportiert, erholte sich aber schnell und kehrte auf die Schlachtfelder zurück.

Die Geschichten über ihre Leistungen sind Legion und Legende. Sie organisierte auch Essen für die Verwundeten in den Lazaretten, die während der großen Bewegungen der Armeen oft vernachlässigt wurden. Über den sogenannten „Morris Island Feldzug“ in South Carolina 1863 schrieb sie selbst: „Wir hatten Fort Gregg eingenommen und auf Morris Island einen Friedhof angelegt. Hier markierten Tausende von kleinen Sandhügeln Tausende von Gräbern, und die ruhelosen Wellen des Ozeans, die an den weißen Strand spülten, singen nun ein ewiges Requiem für die tapferen Toten, die hier Seite an Seite schlafen.“

1864 ernannte Generalmajor James Butler sie zur Chefin der Hospitäler der “Army of the James”. Nach Ende des Krieges baute Clara Barton das “Office of Correspondence” auf, dessen Mission es war, das Schicksal der Vermissten des Bürgerkrieges zu klären. Ferner leitete sie Unternehmen, bei denen nach anonym bestatteten Unionssoldaten geforscht und deren Gräber gekennzeichnet wurden, so dass die Angehörigen erfuhren, was aus ihren Verwandten geworden war. Sie sorgte für die Markierung der Gräber von verstorbenen Kriegsgefangenen.

Im Mai 1881 gründete sie mit anderen Helfern das Amerikanische Rote Kreuz. Sie wurde dessen erste Leiterin und blieb es für 23 Jahre. Unter ihrer Führung begann das Rote Kreuz sich nicht nur um Kriegsopfer, sondern auch um die Opfer von Naturkatastrophen zu kümmern – eine Initiative, die schließlich vom Internationalen Roten Kreuz übernommen wurde. Damit leitete Clara Barton eine Entwicklung ein, die die Einsätze des Roten Kreuzes bis zum heutigen Tag weltweit veränderte.

Im Alter von 90 Jahren erkrankte Clara Barton in ihrem Haus in Glen Echo an Lungenentzündung. Monatelang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Dann versagte ihr geschwächter Körper am 12. April 1912 den Dienst. Ihr Hausarzt Julian Hubbell, der an ihrem Totenbett saß, berichtete später, dass sie in ihren letzten Stunden immer wieder von ihren Erlebnissen auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges gesprochen hatte.

Was bei ihren bemerkenswerten Leistungen häufig vergessen wird: Durch ihre Arbeit und ihr Beispiel wurde Clara Barton auch eine bedeutende Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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