Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Henrietta King?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Henrietta King?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 31. März  starb eine der bemerkenswertesten Frauen der amerikanischen Pionierzeit: HENRIETTA KING.

Sie war zu diesem Zeitpunkt Inhaberin der KING-RANCH, der bis heute mit Abstand größten Rinderranch in Texas. Im 19. Jahrhundert ein wahres "Königreich der Cowboys".

Sie war am 21. Juli 1832 als Henrietta Maria Morse Chamberlain in Boonville (Missouri) geboren worden. Ihr Vater war der Prediger Hiram Bingham Chamberlain. Ihre Ausbildung erhielt sie auf der Mädchenschule in Holly Springs (Mississippi). Als sie 15 war, zog ihr Vater mit der Familie nach Brownsville in Texas und baute dort die erste presbyterianische Mission auf. Henrietta fand eine Anstellung als Lehrerin. Es war in jenen Tagen nichts Ungewöhnliches, dass so blutjunge Mädchen als Lehrerinnen angestellt wurden. Sie erhielten sehr wenig bezahlt und hatten keine Kinder, die ihre Arbeit einschränkten. Lehrerinnen zwischen 14 und 17 Jahren waren in den Pioniergebieten fast die Regel.

In Brownsville lernte sie 1847 Captain Richard King kennen, einen ehemaligen Flußdampferkapitän, der am Santa Gertrudis Creek, 40 Meilen von Corpus Christi entfernt, Land gekauft hatte und mit einer gewaltigen Rinderzucht begann. Die beiden heirateten im Dezember 1854. Aus der Ehe gingen 5 Kinder hervor.

Während der ersten Ehejahre lebten die Kings unter den bescheidensten Verhältnissen in einem winzigen Holzhaus, in dem nicht einmal Platz für Schränke für das Geschirr war. Mit unglaublicher Energie baute Richard King seine Ranch aus. Der Betrieb wurde mit jedem Jahr größer. King wurde zu einem der legendären „Rinderbarone“ der Pionierzeit. Das Reich der Kings erstreckte sich entlang des Golf von Mexico vom Nueces River bis zum Rio Grande über mehr als 150 Meilen. Hier standen fast 100.000 Rinder, meist zähe Longhorns. Es war, bedingt durch die mexikanische Grenze, ein gefährlicher Landstrich. Fast täglich kamen Viehdiebe über den Rio Grande und stahlen Rinder. Richard King führte einen erbitterten Krieg gegen Grenzbanditen.

Während des Bürgerkrieges wurde die Ranch 1863 von Unionstruppen angegriffen. Henrietta und ihre Kinder brachten sich in San Antonio in Sicherheit, während Richard King mit texanischer Miliz den Besitz verteidigte. Er gehörte bei Kriegsende zu den wenigen Viehzüchtern, die ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahrt hatten. In den Jahren nach dem Krieg trieb er mit seinen Cowboys Zehntausende von Longhorns über die Cattletrails nach Norden zu den Bahnstationen in Kansas. Er kaufte weiteres Land hinzu. Sein Traum war ein gewaltiges wirtschaftliches Imperium – während Henrietta, die nach strengen puritanischen Regeln erzogen worden war – Reichtum immer zuerst als moralische Verpflichtung ansah.

Als Richard King im April 1885 an Magenkrebs starb, hinterließ er seiner Frau eine Ranch mit 500.000 Acres Land – und 500.000 Dollar Schulden. (Das entspräche einem heutigen Wert von mehr als 15 Millionen!)

Freunde rieten Henrietta, den Besitz zu verkaufen. Die energische Frau dachte gar nicht daran. Sie übernahm die Leitung der Ranch mit Dutzenden von Cowboys und heuerte den Anwalt ihres verstorbenen Mannes, Robert Kleberg, als Geschäftsführer an. Kleberg heiratete 1886 eine der Töchter, Alice King. Die Familien King-Kleberg begründeten eine Dynastie, die zu einem bis heute aktiven Eckpfeiler der texanischen Viehzucht wurde.

Henrietta King und Robert Kleberg trafen grundsätzlich alle Entscheidungen gemeinsam. Anfangs verkauften sie einige große Landparzellen, um die größten Gläubiger abzufinden. Danach begannen sie erneut zu expandieren.

Henrietta residierte mit ihrer Familie in einem geradezu fürstlichen Anwesen. Aus der Zucht der Ranch gingen die berühmten Santa-Gertrudis-Rinder hervor. 1904 bauten Henrietta King und Robert Kleberg die „St. Louis, Brownsville & Mexico Railway“, um einen Eisenbahnanschluss für die Ranch zu bekommen. Sie gründeten mehrere Städte, darunter Kingsville, als Bahnstationen.

Entsprechend ihrer christlichen Erziehung, spendete Henrietta King große Summen des wachsenden Vermögens für soziale und öffentliche Einrichtungen. Sie gründete eine Zeitung. Sie baute die erste öffentliche Schule der Region. Sie richtete ein texanisch-mexikanisches Institut ein, in dem junge Mexikaner die englische Sprache lernten. Sie unterstützte die kommunalen Kirchen.

Neben der Ranch entstanden ein Mühlenbetrieb und eine Fabrik zur Baumwollverarbeitung – und der Landbesitz der Ranch wuchs wieder.

Was es in Kingsville niemals gab, war ein Saloon – sicherlich zum Bedauern der Cowboys. Aber Henrietta gehörte zu den aktiven Unterstützern der Temperenz-Bewegung, die jegliche Form von Alkohol verabscheute. Alkohol war auf der King Ranch strikt verboten.

Als sie 1925 starb, hinterließ sie einen Besitz, der fast doppelt so groß war wie die von ihrem Mann aufgebaute Ranch: alle Schulden waren bezahlt. Der Besitz wurde auf einen Wert von damals 5,4 Millionen Dollar geschätzt. Heute geht man von einem Wert der Ranch von 1,1 Milliarden Dollar aus.

Mit über 900.000 Acres (=über 3.600 Quadratkilometer) ist diese Ranch heute größer als der ganze US-Bundesstaat Rhode Island. Die King-Ranch wird seither von der Familie Kleberg weitergeführt, trägt aber noch immer den großen Namen des Gründers und ist heute ein gigantisches Agrarunternehmen mit Rinderzucht, Feldbau verschiedenster Art, Ranchausstattergeschäften und Tourismusprojekten. Die Santa-Gertrudis- und Santa-Cruz-Rinderrassen sind ebenso ein lebendiges Erbe der Familie King wie eine gigantische Quarterhorse-Zucht. Zum Landbau der King-Ranch gehören Zitrusfrüchte, Baumwolle, Getreide und Zuckerrohr. Das Brandzeichen – genannt „Running W“ – ist im ganzen amerikanischen Westen bekannt.

Öl- und Gasfunde auf dem Ranchgebiet führten zur weiteren Ausweitung der Geschäfte. Heute unterhält die King-Ranch zudem Betriebe in Kentucky, Pennsylvania, Mississippi, Florida und West-Texas. Ferner besitzt sie Anteile an Ranchbetrieben in Argentinien, Kuba, Brasilien, Australien, Venezuela, Spanien und Marokko.

Aus der süd-texanischen Ranch in der wilden Pionierzeit ist ein multinationaler, globaler landwirtschaftlicher Konzern geworden, dessen Grundlage im Wesentlichen von Henrietta King gelegt wurde, einer visionären und starken Frau.

Die King Ranch ist heute – im Gegensatz zu den meisten großen Viehzuchtbetrieben der USA – noch immer überwiegend im Besitz der Familie King-Kleberg. Es gibt etwa 60 direkte Nachfahren von Richard und Henrietta King, die sich dem Erbe der Gründer verpflichtet fühlen.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.