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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Lorenzo Hubbell?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Lorenzo Hubbell?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 27. November 1853 wurde in New Mexico ein Mann geboren, der in der Geschichte der Navajo-Indianer eine Schlüsselfunktion einnehmen sollte. Am 12. November 1930 – vor 89 Jahren, verließ er diese Welt wieder. Sein Name war LORENZO HUBBELL. Er war ein Händler – aber ihn nur als Geschäftsmann zu beschreiben, wäre ungerecht und eine Unterbewertung.

1878 eröffnete er mit gerade einmal 25 Jahren einen Handelsposten nahe der kleinen Siedlung Ganado in Arizona auf der Reservation der Navajo-Indianer.

Es war eine der ärmsten Ecken des amerikanischen Südwestens. Die Navajo, einst ein sehr wohlhabendes und sowohl ackerbauendes als auch kriegerisches Volk, das mit allen anderen Indianervölkern der Region in Feindschaft lebte, waren kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg von der US-Armee und verbündeten Pueblo-Indianern militärisch geschlagen und aus ihren Heimatgebieten in eine Reservation bei Fort Sumter (New Mexico) vertrieben worden. Nach etwa zehnjährigen Verhandlungen durften sie in ihre Heimat im Nordosten Arizonas zurückkehren. Ihre Felder waren versandet, ihre Bewässerungssysteme zusammengebrochen. Ein Leben als Jäger und Krieger war nicht mehr möglich. Was sie noch zusammenhielt, war ihre starke, uralte Kultur.

Die Regierungsbehörden erlaubten die Errichtung von Handelsposten, um die amtlichen Lebensmittelzuteilungen an die Navajo zu organisieren. So entstand neben anderen der HUBBELL TRADING POST. Er sollte rasch zum wichtigsten Bindeglied dieses geschlagenen Volkes mit der Welt werden.
Lorenzo Hubbell war in einer amerikanisch-mexikanischen Familie aufgewachsen, die sowohl Handel als auch ein Frachtgeschäft betrieben hatte. Er vollendete seine Ausbildung auf katholischen Missionsschulen rings um Santa Fe und arbeitete schließlich als Buchhalter im Postamt von Albuquerque. Er sprach Englisch, Spanisch und bald auch die Navajo-Sprache. Zeitweise verdiente er sein Geld auch als Dolmetscher für die US-Armee.

Während einer gewalttätigen Auseinandersetzung in Utah, wurde Hubbell verletzt, flüchtete über den Colorado River und verbrachte einige Zeit bei den Hopi-Indianern. Vermutlich war er der erste weiße Mann, der Zeuge der Schlangen-Zeremonie der Hopi wurde.

In den folgenden Jahren arbeitete er unter anderem für die Navajo-Indianeragentur, paßte sich zunehmend der Lebensart der Navajo an und gewann deren Vertrauen. Als er seinen Handelsposten bei Ganado eröffnete, wurde er sofort zum bedeutendsten Anlaufpunkt für die Indianer dieser Region, die wußten, dass er sie mit Respekt und Ehrlichkeit behandelte.

Es gab so gut wie kein Bargeld auf der Reservation. Also gab Hubbell den Navajo die gewünschten Waren im Tausch gegen handwerkliche Erzeugnisse. Die Navajo brachten ihm Silberarbeiten, Korbflechtereien, Töpfer- und Webarbeiten und erhielten von ihm Lebensmittel, Werkzeuge, Ackergeräte und Material für ihr Kunsthandwerk.

Hubbell verkaufte die Tauschwaren in die großen Städte im Osten und Westen der USA. Er öffnete damit den Navajo ein Fenster zur Welt, und er lenkte das Interesse der amerikanischen Bevölkerung auf dieses fast vergessene Volk. Bald tauschte er nicht nur Handwerk gegen Lebensmittel, sondern wurde zum Vermittler besonders begabter Künstler, deren Werke er gegen Kommission in ganz Nordamerika vertrieb. Das brachte einen gewissen Wohlstand in die Reservation, und Hubbell selbst konnte nach und nach 24 weitere Handelsposten eröffnen.

In den rund 50 Jahren, die Hubbell als Händler im Navajo-Gebiet arbeitete, gelang es ihm mitzuhelfen, dieses Volk wirtschaftlich wieder aufzurichten, und die Navajo sahen in ihm einen ehrlichen Makler, der ihre Interessen auch gegenüber den Regierungsbehörden vertrat.

Hubbell wurde zweimal zum Sheriff des Bezirks gewählt, wobei er sich nicht nur für die Navajo, sondern auch für die mexikanische Bevölkerung der Region einsetzte. Für zwei Legislaturperioden saß er als Abgeordneter im Parlament von Arizona. In seinen Erininerungen schrieb er später: „Ich ging als einer der wenigen Männer in die Politik dieses Territoriums, die den Mut hatten, bestimmten Politikern offen ins Geischt zu sagen, dass sie verdammte Gauner seien.“

Nachdem Arizona zum Staat wurde, zog er noch einmal ins Parlament ein, scheiterte jedoch bei der Bewerbung um einen Senatorensitz in Washington 1914.

Seine bedeutendste Leistung aber war und blieb die Popularisierung der Navajo-Kunst: 1902 brachte er den ersten Versandkatalog für Navajo-Silberarbeiten heraus. Er holte besonders begabte Silberschmiede in seinen Handelsposten und ließ sie Concha, Gürtelschnallen, Ringe, Ketten und Armbänder herstellen. Da er den Geschmack seiner Kunden inzwischen kannte, konnte er die Künstler in Bezug auf das Design ihrer Arbeiten beraten und machte ihre Namen zu Markenzeichen. Hubbell arbeitete auch mit Navajo-Webern zusammen und kreierte mit ihnen die noch heute berühmten „Ganado-Decken“, die traditionelle Muster mit modernerem Design vereinigten und die sich qualitativ erheblich von den damals schon existierenden Touristendecken unterschieden; statt mit modernen Farben, wurden sie mit traditionellen Erdfarben hergestellt.

Dank seiner Bemühungen, fanden Navajo-Arbeiten ein immer größeres Publikum. Sie wurden bald in den Geschäften der Nationalparks – etwa im Grand Canyon – ausgestellt. Hubbell wurde zum hochgeachteten Partner für Häuptlinge wie Manuelito, Many Horses und Ganado Mucho. In seinen Erinnerungen schrieb er: „Die erste Verpflichtung eines Indianerhändlers ist meiner Meinung nach, sich um das materielle Wohlergehen seiner Nachbarn zu kümmern, ihnen mit Rat beizustehen, damit sie entsprechend ihrem Talent und ihren Neigungen die bestmöglichen Werke schaffen können, sie ehrlich zu behandeln … und einen Markt für ihre Produkte zu finden und hier den besten Preis für sie herauszuholen.“

Noch 1960, als junge Navajo-Künstler sich gegen die Ausbeutung von Zwischenhändlern wehrten, verwiesen sie auf Lorenzo Hubbell als Beispiel für einen ehrlichen und fairen Händler.

Zu seinem Ansehen trug auch bei, dass er sich in vielfacher Hinsicht der Lebensart der Navajo und deren Weltsicht anpaßte. Er wurde einer der ihren. Sie nannten ihn „Don“ Hubbell oder – meistens - Nak’eznilih = Double Glasses (zwei Gläser) wegen der Brille, die er trug. Später, als alter Mann, hieß er bei ihnen „Naakaii Saani“ = Old Mexican.

Hubbells Trading Post wurde zum Anlaufpunkt für viele Reisende Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich über die Kunst und Kultur der Navajo informieren wollten. Dazu gehörten Völkerkundler wie Adolph Bandelier und Walter Fewkes, Generäle wie Lew Wallace und Nelson Miles und US-Präsidenten wie Grover Cleveland und Theodore Roosevelt.

Als Hubbell 1930 starb, wurde er nach Navajo-Sitte mit den entsprechenden Zeremonien bestattet. Seine Söhne Lorenzo Jr. und Roman führten sein Erbe fort.

1967 übergaben Hubbells Nachkommen die Trading Post an den amerikanischen Nationalpark-Service mit der Bedingung, das Geschäft im Sinne von Lorenzo Hubbell zu erhalten. So geschieht es.

Hubbell Trading Post ist bis heute ein aktiver Handelposten im Land der Navajo, in dem viele alte Traditionen noch lebendig sind. Man findet hier eine überwältigende Fülle hochklassiger Navajo-Handarbeiten, und häufig gibt es auch Internet-Auktionen, die von Sammlern der ganzen Welt genutzt werden. Damit wird Hubbells Mission, wirtschaftliche Wohlfahrt in die Reservation zu bringen, fortgesetzt, und heutigen Besuchern öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit, in die frühe Reservationszeit. Wenn man den alten Handelsraum betritt, dessen Mittelpunkt noch immer ein mächtiger Kanonenofen bildet, dessen Regale mit Waren des 19. Jh. gefüllt sind, in dessen Nebenräumen sich Navajo-Teppiche und -Decken stapeln, befindet man sich in einer anderen Welt.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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