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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Kampf von Beecher Island?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Kampf von Beecher Island?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 21. September 1868, vor etwas mehr als 149 Jahren, erreichte Fort Wallace in Kansas die Nachricht, daß sich ca. 70 Meilen nordwestlich an einem Seitenarm des Republican River ein Drama abspielte.

Eine kleine Gruppe von Scouts unter dem Kommando von Major George A. Forsyth war auf einer winzigen Flußinsel von mehreren Hundert Cheyenne-Kriegern eingeschlossen und kämpfte verzweifelt ums Überleben.

Der Kampf von Beecher Island sollte zu einem Symbol in der Geschichte der Indianerkriege werden.

Beecher Island war militärisch gesehen eher wenig bedeutend, aber es erlangte ungeheure psychologische Wirkung, wie David Dixon es in seinem Vorwort zu Forsyths Memoiren formulierte:

„Dieser Kampf in der entlegenen Weite des östlichen Colorado beinhaltete alle Elemente eines klassischen populären Epos der westlichen Kulturtradition. … Ein wilder, unbarmherziger Feind stürzte sich in überwältigender Zahl auf eine kleine, tapfere Gruppe unter einem edlen Anführer, dessen Furchtlosigkeit nur seiner Entschlossenheit gleichkam. Und die Rettung in letzter Minute demonstrierte letztlich den Triumph der Zivilisation über die Barbarei.“

Soweit der Mythos. Die Realität war beachtlich, aber weniger glanzvoll. Schon der Begriff „Schlacht“ benötigt im Zusammenhang mit den Indianerkriegen eine eigene militärische Interpretation. Ein „Indianerkrieg“ konnte eine groß angelegte Kampagne in eine ausgedehnte, fast menschenleere Region sein mit dem Ziel, hier vermutete nomadische Dörfer aufzuspüren und zu vernichten. Es konnte sich aber auch um eine schwer im Voraus zu kalkulierende monatelange Kette von kleineren Scharmützeln und Gefechten mit wenig eindeutigen Resultaten handeln, bei denen der Gegner hochmobil aus der Weite des Landes auftauchte, kämpfte und ebenso schnell und beinahe spurlos wieder verschwand.

Im Frühjahr 1867 hatte General Winfield Scott Hancock mit 1.400 Mann eine Art „Machtdemonstration“ im westlichen Kansas durchgeführt, mit der er die Indianer in dieser Region eher provoziert statt eingeschüchtert hatte. Wie im Powder River Land, wo Red Cloud sich erfolgreich zur Wehr setzte, wuchsen jetzt auch die Konflikte im westlichen Kansas und östlichen Colorado. 1867 kamen allein in Kansas 128 weiße Siedler und Soldaten ums Leben. Im Juni 1868 zogen ca. 300 Cheyenne Dog Soldiers – ohne einen Bewohner direkt zu bedrohen – durch die Hauptstraße der kleinen Siedlung Council Grove und demonstrierten damit ihrerseits, daß sie nach wie vor die Herren des Landes waren. Die Folge war ein hysterischer Aufschrei. Die Siedler fühlten sich den Indianern hilflos ausgeliefert. Tatsächlich waren von etwa 6.000 dienstfähigen Soldaten im militärischen Department von Missouri nur etwa 1.600 in den zentralen Plains stationiert. Sie leisteten kaum mehr als eine Art „Polizeidienst“, und die meisten Patrouillen bekamen niemals einen Indianer zu Gesicht.

Im August 1868 erhielt Major George A. Forsyth den Befehl, mit 50 Scouts ins Gebiet der Cheyenne zu reiten. Der Gedanke dahinter war, der indianischen Guerillataktik des schnellen Auftauchens, Zuschlagens und wieder Zurückziehens ähnlich zu begegnen. Stellvertreter im Kommando wurde der junge Lieutenant Frederick H. Beecher, der bereits Erfahrungen mit Scout-Expeditionen hatte.

Am 10. September erhielt Forsyth Kenntnis von einem Überfall der Cheyenne auf einen Wagenzug. Sein Kommando nahm die Fährte auf. Die Männer näherten sich unzweifelhaft einem größeren Indianerdorf. Einer der erfahrenen Scouts warnte und empfahl den Rückzug. Forsyth lehnte ab. Er war überzeugt, mit seiner Truppe stark genug zu sein, einen Angriff zu riskieren.

Am Republican River stießen die Scouts erneut auf Spuren, die zum Arickaree Creek führten, einem Nebenarm. Zum Schrecken einiger Männer, wurde die Fährte immer breiter, aber Forsyth war überzeugt, daß eine Umkehr jetzt gefährlicher sein würde als ein weiteres Vorrücken.

Am 17. September 1868 rastete das Kommando am Ufer des Arickaree. Als die Wachen im Morgengrauen des 18. September plötzlich 3 indianische Reiter entdeckten, waren die Cheyenne schon fast im Lager der Scouts. Sie hatten sich im Dunkeln angeschlichen.

Die Krieger tauchten fast geisterhaft aus Bodensenken, dem Buschwerk am Fluß und auf den umliegenden Hügeln auf und griffen sofort an.

Die Scouts brachten sich auf einer kleinen Insel – wohl eher eine Art Sandbank – in dem fast ausgetrockneten Bach in Sicherheit und versuchten mit Messern und Kochgeschirr Schützenlöcher in den Boden zu kratzen.

Major Forsyth behielt die Nerven. Er schaffte es, eine geordnete Verteidigung zu organisieren, wobei er sich selbst exponierte. Eine Kugel traf ihn im rechten Oberschenkel, dann folgte ein Schuß ins linke Bein.

Nach der ersten Angriffswelle waren alle Pferde der Scouts tot. Als die Sonne aufging sahen die Männer, daß sie wohl von 500 bis 700 Kriegern attackiert wurden.

Bei der nächsten Angriffswelle verletzte eine Kugel den Major am Kopf. Er war minutenlang bewußtlos. Trotz großer Schmerzen, führte er weiter das Kommando.

Auf den Hügeln, die heute als „Roman Nose Ridge“ bekannt sind, tauchten Frauen auf, die die Krieger anfeuerten.

Zu den hervorragenden Führern der Cheyenne gehörte Roman Nose, ein hochgewachsener, athletischer Mann aus der Kriegergesellschaft der „Crooked Lances“. Immer wieder ritt er provokativ in die Salven der Scouts hinein, ohne verletzt zu werden, was für Forsyths Männer äußerst demoralisierend war.

Wie später bekannt wurde, befanden sich auch Lakota unter den Angreifern, und zu den anwesenden Häuptlingen gehörten so prominente Gestalten wie Pawnee Killer, Tall Bull, Bull Bear und White Bull.

In der Nacht zum 19. September starb der schwerverletzte Lieutenant Beecher, nachdem die kleine Flußinsel später benannt werden sollte.

Am 19. September waren noch 28 Scouts in relativ guter Verfassung. Aber fast die Hälfte von Forsyths Kommando war verwundet oder tot. Auch der Armeearzt. Es gab kaum noch Proviant. Die Männer begannen, das rohe Fleisch ihrer toten Pferde zu verzehren.

Eine Wende kam, als es den Scouts gelang, Roman Nose bei einer Attacke aus dem Sattel zu schießen. Die Heftigkeit der Angriffe flaute merklich ab, aber die Belagerung hielt an.

In der Nacht zum 20. September meldeten sich die Scouts Jack Stillwell und Pierre Trudeau freiwillig, um zu versuchen, bis Fort Wallace zu gelangen. Sie krochen im Schutz der Dunkelheit durch die Linien der Cheyenne.

In den folgenden Tagen blieben offene Attacken aus. Nach 5 Tagen schienen die Indianer abzuziehen. Am 25. September trauten sich einige Scouts aus der Deckung und suchten nach Beeren und Kräutern, da das Fleisch der toten Pferde zu faulen begann. Hoffnung auf Hilfe hatten sie längst aufgegeben, als sie plötzlich eine Reiterkolonne auftauchen sahen. Kompanie H der 10. US-Kavallerie (schwarze „Büffelsoldaten“). Es war Stillwell und Trudeau gelungen, bis Fort Wallace zu gelangen.

Major Forsyth lag fiebergeschüttelt in seinem Schützenloch. Seine Kopfverletzung sollte ihm für den Rest seines Lebens Probleme bereiten. 6 Männer waren tot, 20 teilweise sehr schwer verletzt. Fast alle Überlebenden waren traumatisiert. Der Historiker Thomas Goodrich schrieb:

„Das gesamte Kommando war physisch und mental verkrüppelt.“

Zwar beanspruchte die US-Armee den Sieg für sich, aber das ist für heutige Militärhistoriker reine Legendenbildung. Forsyth hatte alle Pferde und die Hälfte seiner Männer verloren. Ohne die Hilfe der 10. Kavallerie, wären alle anderen vermutlich verhungert oder an ihren Wunden gestorben. Das war gewiß kein „Sieg“. Der Auftrag, mit dem er ausgezogen war, war vollständig gescheitert. David Dixon resümierte:

„Dieses Ereignis … führte dazu, daß (General) Sheridan den Einsatz mobiler Rangereinheiten gegen Indianer verwarf.“

Die Cheyenne räumten selbst 9 Gefallene ein. Tatsächlich hatten sie wohl etwa 30 Krieger verloren. Auch ihr Erfolg war nur begrenzt; die Vernichtung des weißen Kommandos war ihnen nicht gelungen.

Die Mystifizierung der „Schlacht von Beecher Island“ wirft eher ein Schlaglicht auf den Zustand der Frontier-Armee in jenen Jahren, auf deren frustrierenden Dienst und den geringen Stellenwert im öffentlichen Ansehen. Die Namen der meisten beteiligten Scouts waren schon damals schnell vergessen.

Später aufkommende Vorwürfe über Forsyths „Leichtsinn“ sind allerdings im Kontext des damaligen militärischen Konzepts nicht haltbar. Der Historiker Gregory Michno schrieb:

„Kein Kommandeur, vom Leutnant bis zum General, vergeudete Zeit und Energie, eine indianische Fährte zu verfolgen, um sein Unternehmen im entscheidenden Moment abzubrechen, weil die Bedingungen ungünstig waren. Bei 179 Verfolgungskampagnen zwischen 1850 und 1890 geriet die Armee in 119 Fällen unvorbereitet in einen Kampf."

Die Fotos zeigen Major G. A. Forsyth und ein Gemälde des Kampfes von F. Remington. Ferner 3 Aufnahmen, die ich bei Beecher Island gemacht habe – ein noch heute verlassener, weit abgelegener Platz. Die Flußínsel existiert durch Verlagerung des Arickaree nicht mehr. Sowie ein Foto von Roman Nose (rechts).

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Dezember 2017
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