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Die kopflosen Mädchen

StoryDie kopflosen Mädchen

Das Mädchen lag auf dem Rücken, war vollkommen nackt und hatte keinen Kopf. Kommissar Werner Heiner schloß die Augen und wandte sich angeekelt ab.

Obwohl es bereits die vierte Frauenleiche war, die so entsetzlich zugerichtet aufgefunden wurde, machte der Anblick Kommissar Heiner immer noch zu schaffen.

„Lassen Sie sie fortbringen“, sagte er gepresst und trat einen Schritt zur Seite.

 

Ausrissa us der Freizeit-RevueDie Tote lag hinter einem Gebüsch verborgen, gleich neben dem Kinderspielplatz im Elisabethpark. Ein Junge, der seinen Ball gesucht hatte, hatte sie gefunden.

Unwillkürlich ballte Heiner die Hände zur Faust. Die vierte Leiche ohne Kopf. Jeden Monat eine. Und keine Spur, die zum Täter führte, der zweifelsohne ein Wahnsinniger sein musste.

Stets wurden die Mädchen in einem Park gefunden, stets handelte sich bei den Opfern um Animierdamen und stets geschahen die Morde am ersten Wochenende des Monats.

Peter Danner, sein Assistent, trat auf ihn zu.

„Das fanden wir in der Hand der Toten“, sagte er und reichte Heiner einen Ausweis  und ein Stück Papier.

„Der Mörder ist sehr entgegenkommend“;  stellte Heiner  sarkastisch fest. „Immer lässt er uns den Ausweis zukommen und dann ein Blatt mit einigen Bemerkungen.“

Er schlug den Ausweis auf. Die Tote hieß Susan Hirschmann, fünfundzwanzig Jahre alt. Das Foto zeigte ein schwarzhaariges Mädchen mit schönen, großen Augen und vollem Mund.

Dann warf er einen Blick auf dem Zettel. In Blockschrift stand darauf: "ANIMIERDAME IN DER ORCHIDEE".

„Haben Sie etwas feststellen können?“ wandte sich der Kommissar an den Polizeiarzt.

„Die Todesursache lässt sich nicht eindeutig bestimmen.“,  sagte der Arzt. „Ich nehme aber an, sie ist wie ihre Vorgängerinnen erdrosselt wurden. Zeichen von Gewaltanwendung sind nicht zu bemerken. Sexualverbrechen scheint es keines zu sein. Mehr kann ich ihnen einstweilen nicht sagen.“

Heiner nickte müde ab. Mehr hatte er nicht erwartet.

„Wahrscheinlich hätte dieser Mord verhindert werden können“, sagte Danner, „wenn der Polizeipräsident unserem Plan zugestimmt hätte.“

Heiner nickte. Aber was nützen die besten Vorschläge, wenn sie nicht angewandt werden, dachte er bitter. Jetzt würde man aber auf ihn hören müssen,  das wusste er.

Eigentlich sollte ich zufrieden sein, dachte Heiner erschöpft.  Der Innenminister war dem Polizeipräsidenten gehörig auf die Zehen gestiegen, und nun hatte Heiner freie Hand und die Zusicherung der vollsten Unterstützung für seine Arbeit.

„Haben Sie alles in die Wege geleitet, Danner?“ fragte er.

„Ja, ich bin überzeugt, dass wir alles unternommen haben, um weitere Morde zu verhindern.  Jeder Park wird beobachtet und in jedem Nachtlokal machen einige Polizeibeamtinnen Dienst. Eigentlich müßte es jetzt klappen, wenn wir ein bisschen Glück haben, geht uns der Täter in die Falle.“

Heiner war nicht so optimistisch. Der Zufall spielte nicht immer der Polizei in die Hände. Die Lokalbesitzer und Animierdamen waren eingeweiht worden. Eine Notwendigkeit, aber zugleich der größte Unsicherheitsfaktor. Wie leicht konnte der Täter durch eine achtlose Bemerkung von ihren geplanten Maßnahmen erfahren!
* * *

Der Mörder konnte sich aber auch in eine andere Stadt abgesetzt haben. Möglicherweise legte er eine Pause ein, um erst in einigen Monaten wieder zuzuschlagen.

Jetzt war es natürlich sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen. Aber er konnte nichts anders, immer wieder fragte er sich, ob das Wild in die Falle gehen würde.

Herta Inhauser  war seit drei Jahren bei der Polizei. Sie war ein hübsches Mädchen mit schulterlangen Haar und einer aufregenden Figur.

Und die Kollegen im Präsidium waren wie der Teufel hinter ihr her.

Es war nun schon der dritte Abend, den sie im Grünen Kakadu verbrachte.

Bis jetzt hatte sie allen Angriffen der Männer widerstehen können.

Anfangs hatte sie sich in ihrem tiefausgeschnittenen Kleid und den Schuhen mit den altmodischen, extrem hohen Bleistiftabsätzen nicht ausstehen können. Es hatte auch einige Zeit gedauert, bis sie sich an klebrig süße Limonade gewöhnt hatte, die sie als Cocktail serviert bekam.

Der Mann neben ihr, ein kleiner, dicker Kerl Mitte Fünfzig, beschäftigte sich angeregt mit ihren Schenkel. Sie hatte gute Lust, dem Kerl eine zu kleben, aber das ging nicht, dazu war sie ja da.

Als seine Hände immer höher krabbelten, wurde es ihr doch zu viel, sie nahm seine Hand und zog sie zurück.

„Puppe, hab dich doch nicht so!“ empörte sich der Kleine. „Wir sind doch nicht im Mädchenpensionat, oder?“

„Das nicht, Süßer“, sagte Herta. „Aber auch nicht im Bordell!“

Soweit die Polizei feststellen konnte, war jedes der Opfer für kurze Zeit mit einem Mann zusammen gewesen, der klein und schlank war, ein unauffälliger Typ mit kurzgeschnittenem, kastanienbraunen Haar.

Und so sah der Lustknabe neben ihr nicht aus. Daher wollte ihn Herta so rasch wie möglich loswerden.

„Bei dir werde ich nicht warm“, sagte er. „Du hast so viel Temperament wie ein Weihnachtskarpfen, hehehe.“

Der Dicke stand auf und steuerte auf die Bar zu.  Erleichert lehnte sich Herta zurück.

* * *

Sie sah auf, als die Tür aufging. Ein kleiner Mann in einem eleganten, braunen  Anzug trat ein. Er blieb kurz stehen und sah sich um. Herta machte große Augen und hauchte ihm einen Kuß entgegen. Der Mann sah sie aufmerksam an, dann kam er näher.

Herta spürte, wie ihr Puls rascher schlug. Das konnte er sein.

Sein kastanienbraunes Haar war streng nach hinten gekämmt, sein Gesicht sah so durchschnittlich aus, dass man es nach einigen Sekunden vergessen hatte.

„Darf ich mich setzen?“, fragte er leise.

„Gerne.“

Er schob den Stuhl zurecht und musterte sie aufmerksam.

„Sie gefallen mir“, sagte er. „Sie sind eigentlich zu schade für so ein Bumslokal.“

„Wollen Sie mich bekehren?“, fragte Herta ironisch.

„Nein, aber Sie passen da so her, wie eine Orchidee in einen Kakteengarten.“

Sie lachte. Das könnte er sein, dachte sie wieder.

„Wann machen Sie da Schluss?“ fragte er.

„Um vier Uhr.“

„Wollen Sie sich tausend Mark verdienen?“

„Klar!“

„Ich hole Sie um Viertel nach vier ab. Ich warte in der Seitengasse vor dem Hinterausgang. Sie kommen?“

„Ja, aber, wie wäre es mit einer Anzahlung?“

Der Mann sah Herta forschend an. Dann zog er seine Brieftasche und holte einen Tausendmarkschein hervor. Er zerriss ihn und reichte ihr eine Hälfte.

„Die zweite bekommen Sie dann später.“

Er stand auf und verließ langsam das Lokal.

Herta lehnte sich zurück. Er konnte es gewesen sein, dachte sie. Vieles an ihm sprach dafür, dass er das Wild war, für das sie als Köder bestimmt war.

* * *

Kurz nach vier verließ Herta den Grünen Kakadu. Es hatte zu regnen begonnen, und sie schlug den Kragen ihres Mantels hoch und band sich ein Tuch um die Haare.

Entschlossen trat sie die drei Stufen hinunter auf den Bürgersteig.

Als sie an einem weißen Mercedes vorbeiging, öffnete sich plötzlich die Tür.

„Steigen Sie ein.“, sagte die Stimme von vorhin.

Sie saß kaum, als der Wagen bereits davon schloss. Der Mann schwieg.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie schließlich.

„Zu mir.“

Es regnete stärker, als sie endlich vor einer einsamen Villa stehenblieben.

Herta fühlte sich unbehaglich. Hoffentlich hatten ihre Kollegen den Wagen nicht aus den Augen verloren.

Der Mann benahm sich vorbildlich und zuvorkommend, als er sie durch den Garten ins Haus führte.

Das Wohnzimmer war riesig, die antiken Möbel und kostbaren Teppiche verrieten einen außergewöhnlich guten Geschmack.

„Mein Name ist Franz Hauser“, stellte sich der Mann schließlich vor und verbeugte sich leicht. „Sie trinken doch Sekt, oder?“

Herta nickte.

„Sie werden sich wahrscheinlich wundern, warum ich Ihnen tausend Mark geboten habe“, sagte er, als er den Sekt eingeschenkt hatte.

„Ja.“, meinte Herta.

„Ich liebe Frauen“, sagte er lächelnd. „Ich liebe sie sehr. Und ich will sie immer bei mir haben. Immer.“

Herta schluckte.

Der Mann drückte auf einen Knopf am Tisch. Das Mädchen sah interessiert zu. Plötzlich schoben sich aus den Lehnen des Stuhls blitzschnell Eisenbänder, die sie um Hüften und Beine umschlossen und gefangen hielten.

„Was soll das?“, schrie sie erregt. „Lassen Sie mich sofort los!“

Hauser lächelte spöttisch. „Nein, meine Liebe, ich denke nicht daran. Auf Ihr Wohl!“

Er prostete ihr zu und trank gemächlich das Glas leer.

„Sie werden mir nun einige Zeit Gesellschaft leisten. Ich rede gern mit schönen Frauen. Und sie können mir nicht entkommen. Möchten Sie noch ein Glas?“

Ausrissa us der WieWo „Nein.“

„Schade. Sie werden sich sicher wundern, was ich mit Ihnen vorhabe. Nun, was denken Sie?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ich werde es Ihnen sagen, aber wir haben noch viel Zeit. Einige Stunden, oder auch Tage. Es kommt ganz auf Sie an.“

Herr im Himmel, dachte Herta entsetzt, ja kommt denn niemand, haben sie meine Spur verloren, kommt niemand um mich zu befreien? Wo bleiben sie denn?

Franz Hauser stand auf. „Ich werde Ihnen nun etwas Hübsches zeigen.“

Langsam ging er aus dem Zimmer. Verzweifelt versuchte Herta, sich aus den stählernen Fesseln zu befreien, doch es gelang ihr nicht. Der Stuhl war am Boden festgeschraubt.

Ohnmächtig vor Wut begann sie zu schluchzen.

Hauser kam lächelnd zurück. In der Hand trug er ein kleines Kästchen aus kostbarem Holz, das mit Schnitzereien und Einlegearbeiten verziert war.

„Das ist mein Schmuckstück“, sagte er und stellte das Kästchen auf dem Tisch.

Er setzte sich und zündete genießerisch eine Zigarre an.

„Sie müssen wissen“, fuhr er weiter fort. „Ich bin erst seit einigen Monaten wieder in Deutschland. Und es gefällt mir sehr gut. In meiner alten Heimat konnte ich meinem Hobby leichter nachgehen, doch die Frauen gefielen mir nicht so gut wie hier in Deutschland. Und daher werde ich auch hier bleiben. Interessiert Sie gar nicht, was sich in dem Kästchen befindet?“

„Nein“, stöhnte Herta. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Sie sah hoffnungsvoll auf.

Die Tür öffnete sich, und Kommissar Heiner  trat ein. Sein Mantel war klatschnass, neben ihm stand Peter Danner.

„Bleiben Sie sitzen, Hauser“, sagte Heiner.

Franz Hauser schien in sich zusammenzusinken.

„Ihr Spiel ist aus.“, sagte der Kommissar hart. „Sie sind festgenommen.“

„Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, Herta“, meinte Peter Danner. „Aber wir verloren den Wagen einige Zeit aus den Augen und es dauerte eine Weile, bis wir ihn wiederfanden. Aber wir sind noch rechtzeitig gekommen.“

Er trat auf den Tisch zu und starrte das hölzerne Kästchen neugierig an.

„Was befindet sich da drinnen?“ fragte er. Hauser gab keine Antwort.

Danner drehte den Schlüssel herum und öffnete die Türen des Kästchen, die leicht aufsprangen.

Herta schrie entsetzt auf, ihre Augen weiteten sich, dann fiel sie in Ohnmacht.

Zwanzig Schrumpfköpfe hingen an seidenen Fäden in drei Reihen übereinander. Zweimal sieben, darunter sechs.

Ein Platz war noch frei: der Platz für Herta
Copyright © by Kurt Luif 1972 & 2011
 
 
 
Nachtrag: Diese Krimi-Story ist erstmals erschienen am 10.05.1972 in der Freizeit-Revue Nr. 21 in der Reihe "Der packende Kurzkrimi ausgewählt von Kommissar Erik Ode" und erschien als Nachdruck am 25.08.1972 im Wiener Magazin WieWo.

Kommentare  

#1 Thomas Backus 2011-06-27 12:43
Da war der daraus entstandene Dämonenkiller um Klassen besser! Aber wirklich schlecht, finde ich die Geschichte auch nicht ... danke dass wir sie hier lesen durften!

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