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Schiff des Schweigens (Ship of Silence) - Teil 1

StorySchiff des Schweigens
(Ship of Silence) Teil 1 von Albert R. Wetjen

Weil diese Geschichte wahr ist, hat sie kein Ende...

Es war spätabends und sehr heiß, die klebrige tropische Luft erdrückte uns fast und schien auch die Lichter der Küstenstadt zu dämpfen. Das Wasser des Hafens wirkte wie weicher Samt, der die Ankerkette umschmeichelte und sich am Rumpf des kleinen Kaffeefrachters dahinzog, der mich nach Santos, Brasilien gebracht hatte.

Wir tranken Tonicas, eiskalte Gin-Longdrinks, und plauderten über das Meer im Allgemeinen und über Schiffe, die in seiner mysteriösen Unendlichkeit verschwunden waren, im Besonderen. Old Billings, das muss vorausgeschickt werden, war alles andere als ein Romantiker. Der würdevolle Greis, rotgesichtig mit weißem Haar, stand im achtzigsten Jahr und arbeitete immer noch als Seekartograf bei einer Firma in Santos. Er war dem Ruf der See vierzig Jahre lang gefolgt, bevor er sich mit seiner gegenwärtigen Position hier fest niedergelassen hatte, und wenn er sprach, dann war er mit allen Fasern ein erfahrener Seebär.

Das alles ist (begann er) vielleicht nicht ganz so mysteriös, wie es scheint, wenn man die Möglichkeit einrechnet, dass die meisten verschwundenen Schiffe aus sehr profanen Gründen gesunken sind. Sie geraten in schweres Wetter, ihre Lade-Luken werden eingedrückt, oder die Ladung wurde falsch gestapelt, und sie kentern. Das kommt gar nicht mal so selten vor. Nicht so einfach zu klären ist Frage, wie Schiffe einfach von der Bildfläche verschwinden können, ohne jede Spur, besonders in diesen Tagen, wo es den Schiffsfunk gibt und alle großen Seelinien massiv befahren werden. Doch solche Dinge passieren. Wir wissen, wie unwahrscheinlich es ist, dass ein Schiff sinkt, ohne dass Dinge an die Oberfläche treiben – ein Beiboot, Rettungsringe, Ladeklappen, Ruder, was auch immer. Natürlich, die See ist riesig, und man kann sich leicht vorstellen, dass Rettungsschiffe kleine Gegenstände übersehen. Sie haben bei bestem Wetter von einem Schiffsdeck eine Sichtweite von maximal 15-20 Kilometern. Ladeluken, Rettungsringe, Leichen sind auf einer Ebene mit dem Wasser und können vom Seegang leicht verborgen werden.

Doch selbst das eingerechnet ist es merkwürdig, dass manchmal eben gar nichts ans Licht kommt.

Nehmen Sie die WATARAH. Vielleicht erinnern Sie sich – für die damalige Zeit ein moderner Liner von von über 15.000 Tonnen, ganz neu aus der Werft gekommen, und auf seiner zweiten Fahrt. An Bord über 200 Menschen, Passagiere und Besatzung zusammengezählt,  unterwegs auf einer regulären Route, runter die Küste von Durban nach Kapstadt in Südafrika. Natürlich kein Funk an Bord. Das war noch vor der Zeit, als es Pflicht für alle Passagierschiffe wurde, Funk an Bord zu haben. Er war noch nicht im allgemeinen Gebrauch.

Doch zumindest war die WATARAH auf einer extrem befahrenen Strecke unterwegs. Kurz nach dem Auslaufen in Durban begegnet sie noch dem Frachter CLAN MCINTYRE, flaggt Signale und gerät bald außer Sichtweite des schnelleren Schiffs. Und dann – verschwindet sie einfach! Natürlich, später wurde ein schwerer Sturm gemeldet, und es war nur logisch anzunehmen, dass sie in ihm gesunken ist. Aber – spurlos? Absolut verschwunden? Klar, sie haben Rettungsschiffe ausgesandt, als sie überfällig war. Monatelang sind Regierungs- und Privatboote an der Küste entlangpatrouilliert. Ein Schiff suchte über 90 Tage lang das Wasser ab und legte in dieser Zeit zwanzigtausend Seemeilen zurück, und es gab ein anderes, dass sogar der natürlichen Meeresströmung bis weit in den Süden folgte. Aber nichts wurde je gefunden. Keine Leiche, keine Luke, nicht eine Planke!

Dann war da das amerikanische Transportschiff CYCLOPS, das einfach verschwand, und die hatten Funk! Aber Sie brauchen gar nicht so weit zurückgehen – dies Jahr hat es die KOPENHAVEN erwischt, ein dänisches Trainingsschiff, unterwegs von Buenos Aires nach Australien. War seit Monaten überfällig. Nichts wurde gefunden; sie muß gesunken sein, und mit ihr die Blüte der dänischen Jugend, Söhne aus den besten Familien. Meine persönliche Meinung ist, dass sie zu weit nach Süden geraten ist, ins antarktische Eis. Sie wissen schon, Eisberge, und zack – zerquetscht wie eine Eierschale.

Aber das war es eigentlich nicht, was ich Ihnen erzählen wollte. Man kann immer eine Menge guter Grunde anhäufen, wenn es darum geht, das Verschwinden versunkener Schiffe zu erklären. Das wahre Geheimnis sind die andern Schiffe – die Schiffe, die eben nicht verschwinden. Die Geisterschiffe. Schiffe, die völlig in Ordnung sind, über und unter dem Wasser, mit keiner Seele an Bord. 1823 oder 24, ich weiß nicht mehr genau, gabs einen Schoner, den man nördlich am Kap Hatteras gesichtet hat. Segel gesetzt, Rettungsboote alle da, nicht das winzigste Leck im Bug. Aber kein menschliches Lebenszeichen. Niemand an Bord. Warum? Waren sie geflohen? Hatten sie Angst vorm Sinken? Unwahrscheinlich – da schwimmt das Schiff doch, unversehrt!

Irgendwo in den Akten gibt’s auch diese bemerkenswerte Geschichte von dem japanischen Dampfer, den sie im Südatlantik treibend gefunden haben. Registriert waren ein paarundvierzig Besatzungsmitglieder, und alles, was sie fanden, waren acht tote Männer auf dem Hauptdeck – und kein Hinweis drauf, wie sie gestorben sind. Auch da alle Beiboote an Ort und Stelle. Kein Anzeichen von schwerem Wetter. Kein Anzeichen für Feuer oder eine Epidemie... Schon sonderbar, nicht? Und, dann natürlich, die MARIE CELESTE in den 1870ern, ich denke mal, das ist der Klassiker, die Essenz des Geisterschiffs schlechthin.   

Sie wurde im Mittelatlantik entdeckt bei ruhigem Wetter, wie Sie sich erinnern werden, mit all den üblichen Ingredienzien eines großen Rätsels. Alles in Ordnung. Rumpf und Masten unversehrt. Die Schönwetter-Segel gesetzt, nicht ein Rettungsboot fehlte. Alles so, wie es sein sollte, ausgenommen, dass es keine Besatzung gab. Was sie aber zum Klassiker macht, ist die große Anzahl merkwürdigen Begleitumstände, die man an Bord fand.

Die Kleidungsstücke der Männer hingen an der Leine zum Trocknen. Das Frühstück, halb gegessen, stand auf den Tischen der Hauptkabinen auf dem Vorderdeck, das Essen war immer noch unverdorben, ein sicherer Beweis dafür, dass die Mannschaft noch nicht lange fort sein konnte. Unter der Nadel der Nähmasche in der Kapitänskajüte lag ein Kinderkleidchen, halbfertig, so wie es die Kapitänsfrau anscheinend in großer Hast verlassen hatte. Dann fanden sie ein Entermesser, in der Scheide steckend, mit Flecken frischen Bluts an der Klinge, und an der Reeling der Steuerbord-Bug-Seite war ein tiefer Einschnitt im Holz, ebenfalls blutverkrustet. Am Bug selbst, etwas über der Wasserlinie, entdeckte man zwei tiefe Furchen, wie ausgemeißelt, ganz frisch. Aber wissen Sie, was das Kurioseste war? Nichts fehlte an Bord, ausgenommen der Schiffschronometer. Warum? Weshalb?

Wo waren sie alle hin? Es gab kein Zeichen von Meuterei oder Spuren eines Überfalls von, sagen wir mal, Piraten oder so. Wie haben die Männer das Schiff verlassen – und warum haben sie es verlassen, offensichtlich in größter Hast, während sie frühstückten? Wir wissen es nicht. Ja, es gab einen Haufen wilder Theorien, aber aus dem einen oder dem anderen Grund können fast alle ausgeschlossen werden. Und wenn es nur die MARIE CELESTE wäre, ginge das ja auch noch an, seltsamer Einzelfall, vergessen wirs. Aber da sind all die andern Schiffe, nicht nur die, die spurlos verschwinden, sondern die, die gefunden werden; verlassen aus keinem erdenklichen Grund. Solche Fälle gibt es bis heute, jede Dekade hat ihre Klassiker – tja, was denken Sie? Machen Sie was draus...

Ich denke, ich bin ein ziemlich hartgesottener Typ. Ich hab ne Menge Erfahrung hier und da gesammelt, ich mach mir nicht viel aus Geistergeschichten, und ich glaube, alles hat eine vernünftige Erklärung, wenn wir nur rauskriegen würden, was es ist. Und doch...manchmal...tja, ich weiß nicht. Die See ist verdammt riesig und wir wissen immer noch ziemlich wenig über sie und über das, was drin ist – vergessen Sie nicht, das Land bedeckt nur ein Fünftel der Erde – oder wars ein Viertel? - und wir haben noch nicht mal alles Land erforscht. Und was die See angeht, wir sind ein paar hundert Fuß weit runtergekommen, ein paar Hundert Fuß bei fünf Seemeilen Tiefe! Und dann bedenken Sie auch, dass Schiffe in der Regel sehr eng auf ihren Routen fahren. Es gibt da gewaltige Gebiete, in die sich Schiffe nur alle paar 50 Jahre mal hineinverirren. Vielleicht  existieren sogar Regionen, in denen noch nie ein Schiff war und wo auch nie eins hinkommen wird.

Ist da etwas in der See, das herauskommt und diese Schiffe und ihre Besatzungen – plündert? Sie wissen und ich weiß – es hausen wirklich seltsame Wesen im Meer. Es gibt gigantische Tintenfische, die von den Pottwalen gefressen werden, ich habe gehört, sie sollen manchmal eine Spanne von 30 Metern haben – vom Ende eines Tentakels zum andern. Dann wäre da noch die Seeschlange. Jaja, ich weiß, Landratten lachen darüber, dass wir an sowas glauben. Aber warum sollten wir's nicht glauben? Die Dinger sind seit der Antike immer wieder gesehen worden. Und gar nicht mal so selten. Selbst wenn wir die Seetang-Knäuel, muschelbewachsenen Hölzer und Tümmler-Schwärme abziehen, die manchmal für Seeschlangen gehalten werden, bleiben noch eine Menge Berichte übrig, die einen nachdenklich stimmen können.        

Wie zum Beispiel können Sie den Bericht der DEADALUS ernsthaft anzweifeln?

Sie war ein britisches Kriegsschiff, sicher unter dem Kommando eines verläßlichen Kapitäns, und genauso sicher besetzt mit guten Offizieren, deren Integrität man kaum in Frage stellen kann. Sie sichteten ein langes schlangenähnliches Tier, und das über eine geraume Zeit; sie waren sogar in der Lage, es zu zeichnen. Die Wissenschaft und die Öffentlichkeit mag darüber lachen, aber sie kann sich nicht über das Zeugnis einer ganzen Schiffcrew hinwegsetzen.

Und es ist nicht nur das Zeugnis des DEADALUS, mit dem Sie rechnen müssen. Kapitän Hope von einem anderen britischen Kriegsschiff, der FLY, sah ein großes Lebewesen mit dem Körper eines Krokodils, einem langen Hals und vier schaufelähnlichen Gliedmaßen, im Golf von Kalifornien. Ein Leutnant Hayne, Kommandant der Yacht OSBORNE, sichtete etwas ähnlich Schauerliches, ich hab vergessen, wo. Dann gabs da diese beiden Männer, die einen Bericht über ein Seeungeheuer verfassten, und die Mitglied einer wissenschaftlichen zoologischen Gesellschaft waren, und die in einer Yacht vor der Küste Brasiliens kreuzten. Sie sahen eine Kreatur, deren Hals allein drei oder vier Meter lang war – und so dick wie ein Menschenrumpf. Ich sag Ihnen, Sie können das nicht alles weglachen, und mit ein bißchen Recherche können Sie all diese Berichte selbst nachlesen, falls Sie an meinem Wort zweifeln.

Ich habe dieses ganze Thema jetzt so gründlich beackert, weil – aber Sie werden bald wissen, warum.

Verstehen Sie mich nicht falsch – ich sage nicht, dass Viecher wie die Seeschlange und der Riesenkrake für alle verwaisten Schiffe verantwortlich sind, geschweige denn für alle versunkenen. Ich weiß nicht, warum sie verwaist sind oder sanken. Niemand weiß das, und wir können nur Mutmaßungen anstellen. Ich habe gehört, das manche Wissenschaftler glauben, dass einige der Giganten, die vor Jahrmillionen die Erde bevölkerten, in den unendlich tiefen Abgründen der See überlebt haben könnten. Keine ganz unwahrscheinliche Theorie, wenn Sie mich fragen.

Aber vergessen Sie's. Was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte, habe ich selbst erlebt. Ich werd's nie vergessen. Niemand würde das. Es ist eins dieser alptraumhaften Dinge, die einen Menschen sein ganzes Leben lang begleiten. Und ich glaube, jede Wasserratte durchlebt zumindest einmal etwas wirklich Grauenhaftes auf See, bevor sie stirbt. Ja, danke, ich nehme noch so einen Drink.

Das, was ich Ihnen nun erzählen werde, ist lange her. Ich war damals noch ein junger Dritter Maat, so um die Zwanzig, auf meiner ersten Seereise als Schiffsoffizier auf dem Dreimaster DOYON, unterwegs von Sydney nach Callao. Ich erinnere mich, dass wir prächtiges Segelwetter hatten, und wir näherten uns der Südamerikanischen Küste nach einigen Wochen auf offener See, als wir plötzlich eins dieser Schiffe sichteten, von denen wir grade gesprochen haben.   

Ich will die Ereignisse nach all diesen Jahren nicht übertreiben oder ausschmücken, aber ich schwöre Ihnen, da war schon etwas Unheimliches an diesem Kahn, als wir ihn zum erstenmal erblickten. Ich weiß noch, es war ganz früh am Morgen, und ich kam nach dem Frühstück grade an Deck, um den diensthabenden Maat abzulösen – sehr anständiger Kerl namens Mathews, groß und gut gebaut, nicht viel älter als ich selbst, aber ein bißchen übernervös, wie ich bald merken sollte.

„Da ist ein Ding, sieht komisch aus - dort drüben“, meinte er, als ich mich zu ihm gesellte. Er starrte durchs Fernglas und reichte es mir nach einer Weile. „Scheint so, als wär es nicht unter Kontrolle“ sagte er. Ich starrte selbst durch die Gläser und sah eine kleine Barkentine in einiger Entfernung von uns, die  unseren Kurs offensichtlich bald nahe am Bug kreuzen würde. Sie war unter vollen Segeln, und die hinteren Ausleger  schlenkerten abenteuerlich hin und her, augenscheinlich gierte das Schiff im Zickzack durch die See. Ich konnte kein Lebenszeichen an Bord bemerken, auch am Steuer war niemand zu sehen. Ich riet Mathews, besser den Käpt'n zu rufen.    

„Hab ihn schon benachrichtigen lassen“, meinte er, und so fuhren wir beide fort, das seltsame Schiff zu beobachten, bis der Kapitän an Deck kam. Die morgendliche See war ruhig, mit leichtem Wind von Süden her. Kein Seegang, nur ölige flache Wellen von fast flaschengrüner Farbe, der Himmel klar und blau mit ein paar Wolken am Horizont. Außerdem wars warm, aber ich erinnere mich, dass mich unwohl fühlte, leicht fröstelte, fast so, als hätte ich eine Vorahnung von dem, was kommen sollte. Der Käpt'n kam an Deck, sich seine Augen reibend, denn er hatte lange geschlafen, und er riß dem Maat das Fernglas mit barscher Ungeduld aus der Hand.

„Was gibt’s jetzt wieder?“ schnaubte er schlechtgelaunt und starrte eine geraume Zeit lang durch die Gläser. Dann meinte er: „Dunnerlittchen, sieht aus, als wär es verlassen...!“ und ich erkannte am Klang seiner Stimme, dass es ziemlich begeistert war in Erwartung des fetten Bergungsgeldes.

Naja, um es kurz zu machen, wir drehten bei, und der Käpten sandte den Maat und mich im Boot aus, zusammen mit vier unserer Männer. Wir ruderten unter dem Heck des Schiffs entlang und lasen dessen Namen, gemalt in weißen Lettern: ROBERT SUTTER – SAN FRANCISCO. Und es brauchte keinen zweiten Blick um zu sehen, dass das es wirklich und wahrhaftig verlassen war.

Einer unserer Männer kletterte mitschiffs über die Reeling, als sie in unsere Richtung gierte, und warf uns eine Leine zu, damit der Rest von uns sich hochziehen konnte. Wir ließen zwei Mann im Boot und fingen an, unseren Fang zu inspizieren. Die restlichen vier von uns teilten sich auf: zwei sollten das Vorderdeck durchsuchen, während Mathews und ich uns den hinteren Teil vornahmen.

Das war ziemlich merkwürdig – ich schwöre, ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut, und zwar vom ersten Moment an, als ich einen Fuß auf das Deck der ROBERT SUTTER setzte. Da war etwas so – Einsames um sie, so etwas – sie soll ichs nur beschreiben? - Unheimliches ...

Sie konnten es es an ihren Bewegungen spüren – sie hatte keinen Wasserschaden. Die erste oberflächliche Untersuchung lieferte kein Anzeichen für ein Feuer. Sie war blitzsauber und anscheinend erst vor kurzem neu gestrichen worden. Jedes Tau, jedes Seil war an seinem Platz und ihre zwei Beiboote lagen sicher verkeilt vor dem Kombüsenhaus. Wir durchsuchten das Schiff von oben bis unten und entdeckten nicht das kleinste Anzeichen von Leben, außer, in einem Eisenkäfig, der außen an der Kombüse hing, einen Papagei.

Der Vogel war in einem elenden Zustand. Er kauerte auf dem Käfigboden, halb auf der Seite liegend und heftig zitternd, seine Augen verschleiert und fast geschlossen. Bei näherem Hinsehen schien es ein sehr altes Tier zu sein – es war fast kahl. Er reagierte nicht auf uns, als wir uns näherten.  „Der braucht Wasser“ meinte Mathews, und er hatte recht. Denn nachdem wir ihm welches gebracht hatten, schlürfte er es gierig auf, und wir setzten unsere Suche fort.

Nahe der Brücke, an der Steuerbordseite, entdeckten wir einen Kadaver, der einmal eine Katze gewesen sein mußte. Das Vieh war plattgequetscht – platt wie ein Pfannkuchen, sage ich Ihnen! Es war nur noch eine dünne Schicht Fell und getrocknetes Fleisch übrig, und all das klebte buchstäblich an den Planken. Aber nichts deutete darauf hin, wie das Biest getötet worden war, und zu diesem Zeitpunkt hielten wir uns auch nicht weiter damit auf, es herauszufinden. Wir hatten ja den Auftrag, rasch alles abzusuchen und dann zur DOYON zurückzukehren, um unseren Bericht abzustatten, Sie erinnern sich.

Tja – im Speigatt rechts gegenüber der Backbord-Kombüsentür fanden wir noch einen Revolver, ein glänzendes Nickel-Ding, etwas angerostet, alle Patronen abgefeuert. Und das war alles, ausgenommen der Gestank, der über dem ganzen Schiff hing. Eine sonderbare Art Gestank – irgendwie... vertrocknet. Sie kennen das vielleicht, dieser fischige Grasgeruch am Ufer, der vom Schlamm aufsteigt, wenn die Flut zurückgeht. Aber selbst das nahmen wir in diesem Moment nur oberflächlich wahr.

Na jedenfalls, das wars auch schon, wie gesagt. Die Schiffsladung bestand aus geschnittenem Bauholz, wie wir beim Öffnen der Luken feststellten, und als wir nach Lecks suchten, fanden wir nur das übliche wenige Brack-Wasser, das bei jedem normalen Schiff durch die Fugen sickert. Das war alles ziemlich mysteriös, und wenn Sie sich ausmalen, wie wir da über das schwankende Deck stapften mit den über uns knarrenden Masten, den donnernden und knatternden Segeln, Steuer und Ruder leise knirschend, jedes Teil, jedes Seil ächzend auf eigene Weise... nicht eine Seele an Bord... dann verstehen Sie vielleicht, wie uns zumute war.          

Mathews wurde ziemlich hippelig, bevor wir mit unserer Inspektion fertig waren, und ich bemerkte, dass er sich öfter den Schweiß vom Gesicht wischte.

Schließlich ruderten wir wieder rüber zur DOYON und machten unsern Bericht, aber der Käpt'n nahm uns nicht besonders für voll. „Es muß ein drittes Beiboot gegeben haben“, meinte er sorglos. „Sie dachten wahrscheinlich, sie sinken oder sowas in der Art und sind runter vom Kahn. Ich hab schon ganze Schifftscrews in Panik erlebt. Kein Zeichen für Krankheit, keine Leichen? Na seht ihr, da ist nichts, wovor man sich fürchten muß!“ Ja, er gab zu, es war komisch, dass wir alles in bester Ordnung vorgefunden hatten und dass noch alle Navigationsinstrumente an Bord waren. Selbst bei einer Panik vergessen erfahrene Kapitäne und Schiffsoffiziere für gewöhnlich ihr wichtigstes Werkzeug nicht. Und dann war da auch noch das Logbuch, das wir mitgebracht hatten. Keine Andeutung von irgendwas Sonderbarem. Der letzte Eintrag lag vier Tage zurück und berichtete nur von gutem Wetter. Ich erinnere mich, dem Käpten vorgehalten zu haben, vermutlich würde keine Crew bei ruhigem Wetter das Schiff verlassen, ohne das Logbuch und die Schiffspapiere mitzunehmen, aber er fegte alle diese Bedenken beiseite. Er war ein Mann ohne jegliche Vorstellungskraft und dachte nur an sein Bergungsgeld.    

„Ich geb' dir sechs Mann“ sagte er zu Mathews, „und du kannst den dritten Maat mitnehmen. Bring sie nach Callao, und da können wir dann den ganzen Papierkram mit den Hafenbehörden erledigen.“

Mathews war kein bißchen begeistert von diesem Befehl, obwohl die meisten Maate vor Freude aus dem Häuschen gewesen wären bei der Aussicht, sichs selbst auf einem andren Schiff bequem zu machen und da den Kapitän zu spielen, wenn auch nur für kurze Zeit. „Das Ganze gefällt mir nicht, Sir“ murrte er. „Da ist etwas faul an der Sache!“

Der Käpten winkte ab. „Schwachsinn!“ rief er. „Du solltest dem lieben Gott für diese Chance danken!“ Kann sein, daß er recht hatte, bloß, wissen Sie, er war eben nicht drüben an Bord der ROBERT SUTTER gewesen. Und, naja, zurück auf der DOYON, umringt von der neugierigen Mannschaft, kam uns das Ganze ja auch selbst ein bißchen albern vor. Kurz und gut, wir suchten uns unsere Leute aus, oder genauer gesagt, der Käpt'n wies uns die sechs nutzlosesten Typen zu, die wir an Bord hatten, und dann ruderten wir zurück zur verlassenen Barkentine, zusammen mit vier anderen, die das Beiboot zurückbringen sollten. Die DOYON nahm wieder ihren alten Kurs auf, und ich weiß noch genau, wie Mathews und ich an Deck der ROBERT SUTTER standen und ihr mit einer sonderbaren Empfindung nachsahen – so als ob sie uns ganz unserem einsamen Schicksal überlassen würde.  

Aber es hatte schließlich keinen Zweck, sich irgendwelche Sorgen zu machen. Wir befanden uns auf einem völlig intakten und gut gebauten Schiff, reichlich ausgestattet mit Wasser und Proviant, und flogen ohne Fehl und Tadel auf der flaschengrünen See mit gutem Wind dahin. Mathews riß sich zusammen, und wir brachten das Fahrzeug auf Kurs, verglichen die Uhren, zogen die abgelaufenen Chronometer auf, synchronisierten sie mit einem, den wir von der DOYON mitgebracht hatten und richteten uns für die Fahrt ein.

Zu Teil 2

Schiff des Schweigens
(Ship of Silence)
The Blue Book Magazine 1932/7
Erstübersetzung, alle Rechte beim Übersetzer
(Mattthias Käther)

Anmerkungen: Amazing Pulps – Pulp Treasures 11 - Albert R. Wetjen Ship of Silence (1932)

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