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Böser Clown - Leseprobe

LeseprobeBöser Clown
Eine Leseprobe

Der Prolog
Vor sechs Jahren/ Irgendwo in Deutschland
… und dann wurde es wirklich verrückt. Vor dem Gebäude standen Einsatzfahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Die kreisenden Blaulichter erweckten die Relieffiguren an den Säulen des Eingangs zum Leben und weiter oben strichen die Lichtkegel starker Scheinwerfer über die Fassade des Nobelhotels.


Böser ClownDie Zufahrt zum Hof war durch einen Mannschaftswagen blockiert, damit Schaulustige und Presse vor den schmiedeeisernen Gittern blieben, die das Gelände umgaben. Kameras zoomten auf die Gestalt, die am Rand des Daches herumturnte. Sie trug eine abgenutzte Lederjacke über einer Weste mit Aufnähern und einem blauen Hemd, das sich über den Gürtel der Jeans wölbte. Als die Scheinwerfer die Gestalt erfassten, wandte sie sich dem Publikum zu: Wirre Haare, spitz gefeilte Zähne, weiß geschminktes Gesicht und oberhalb der roten Knollennase ein blauer Farbbalken quer über die Augen. Ein dicker Biker mit Clownsmaske, nur nicht so harmlos.

Vor dem Hotel traten sich die Polizisten gegenseitig auf die Füße, so viele von ihnen waren zu dem Einsatz erschienen. Jeder wollte derjenige sein, der dem wahnsinnigen Clown die Handschellen anlegte. Oder ihn vom Dach warf. Je nachdem, wie dicht die Presse herankam. Er hatte wirklich alles getan, um den Hass der Menschen auf sich zu ziehen, und jeder anwesende Familienvater wollte ihm an die Gurgel gehen. Der Einsatzleiter hatte nur die eine Sorge, dieses Monster könnte ihm entkommen. Das gekieste Flachdach bot zwar keine Deckung, um sich zu verstecken, aber der Clown war zuvor schon aus viel auswegloseren Lagen entkommen. Lachend kletterte er in das Gestänge des Hotelnamens und schwang darin herum wie ein gelangweilter Affe im Zoo. Er zeigte keine Ambitionen, seinen Verfolgern entkommen zu wollen. Im Gegenteil, umrahmt vom leuchtenden Namen des Hotels erwartete er sie bereits ungeduldig.

Die pendelnden Lichter der Taschenlampen näherten sich über die gesamte Breite des Dachs und die dramatische Musik schwoll an. Der Clown wusste, dass ein bestimmter Bulle an der Spitze seiner Verfolger war. Dirk Renner, der Leiter der Sonderkommission, die ihn seit Monaten jagte. Trotz Renners hohem Dienstalter ließ der Hass ihn über die Kondition der jüngeren Kollegen siegen. Der Clown hatte auch keine Gelegenheit ausgelassen, zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, indem er die Leiche von Renners Freund und Partner mitten im Foyer drapierte. Der ungestüme Anfänger hatte den kostümierten Irren im Hotel gestellt, bevor die Verstärkung eingetroffen war. Doch das Rasiermesser des Clowns war schneller gewesen. Und er hatte sich nicht nur darauf beschränkt, seinen Gegner zu töten. Denn er mochte es, wenn er auf hoch motivierte Gegner traf.

Renners Wutgeheul war auf seinem ganzen Weg durch das Treppenhaus nach oben zu hören gewesen. Das Ende der monatelangen Verfolgungsjagd stand unmittelbar bevor. Eine Jagd, die ihn in jeder Hinsicht an seine Grenzen gebracht hatte. Er war zäh, aufrichtig, geschieden und mit einem Alkoholproblem gestraft, das er selbst für überwunden glaubte. Dabei so gutaussehend, dass alle Kolleginnen ihn anschmachteten, und so muskulös, wie man in dem Job nie werden konnte. Doch dort auf diesem Dach sah er nur noch wie ein müder alter Mann aus, den einzig der Wunsch nach Rache auf den Beinen hielt. Als die Polizisten nah genug heran waren, zog der Clown einen Fernzünder aus der Tasche. Seine Verfolger blieben stehen und hoben ihre Waffen.

„Mein Beileid zum Verlust deines Partners“, brüllte der Clown über das Dach. Eine Kugel traf das Gestänge über seinem Kopf, gefolgt vom harschen Befehl, sofort das Feuer einzustellen.

„Tu´s nicht, Renner, er hat noch die Kinder“, brüllte ein besonnener Kollege. Der Clown betrachtete den Polizisten amüsiert, als sei es ihm gleichgültig, ob Renner abdrückte oder nicht.

„Wir brauchen ihn unbedingt lebend. So gerne ich ihn selbst umlegen würde“, mahnte der Einsatzleiter über Funk. Renners Hand mit der Pistole zitterte. Der Clown stieß wieder sein brüllendes Lachen aus, das jedem in Hörweite eine Gänsehaut bescherte, und schwang sich auf eine höhere Querstange. Scharfschützen hatten ihn ins Visier genommen und rote Punkte glitten über seinen Körper. Niemand wollte ein Risiko eingehen, solange der Verbleib der Geiseln nicht geklärt war. Im Hotel waren sie nicht, so viel hatte man schon herausgefunden. Nicht auszudenken, wenn jemandem die Nerven durchgingen und er den einzigen Menschen erschoss, der den Aufenthaltsort der Kinder kannte.

„Es gibt kein Entkommen von diesem Dach, der gesamte Block ist umstellt, geben Sie auf“, drang die Stimme des Einsatzleiters zu ihnen herauf. In Wahrheit rechnete niemand damit, dass der Clown aufgeben würde. Bisher hatte er keine Forderungen gestellt und das war ein schlechtes Zeichen. Sie mussten nur verhindern, dass er sein Geheimnis mit in den Tod nahm. Der Clown richtete sich zwischen der Leuchtschrift HOFGUT ECKLAUS auf. Er hob die Hand mit dem Fernzünder und drückte den Knopf. Mit einem lauten Knall erlosch das H im Schriftzug. Die Verfolger waren erstaunt.

„Habt ihr etwas anderes erwartet?“, fragte der Clown und lachte meckernd. Dann erloschen in rascher Folge das O, das G, das T, dann E, L, A und S. Die Polizisten lasen die Botschaft, während der Clown lachend in die Tiefe sprang. Im nächsten Moment verschwanden das Dach und alle darauf in einer gleißenden Explosion.

Abspann


 
Vor einem Jahr/ Außerhalb Berlins
Clarissa streckte sich in ihrem Schreibtischstuhl nach hinten und bog dabei die Nackenstütze, bis sie knarzte. Der Mann ihr gegenüber räusperte sich und legte ein Handy mit Mikrofonaufsatz zwischen ihnen auf den Tisch. Er war bereits über vierzig, wie die vielen Lachfältchen um seine Augen verrieten, doch sein jugendliches Gesicht und die freche Frisur ließen ihn jünger erscheinen. Mit einer beiläufigen Bewegung strich er sein etwas zu langes Haar nach hinten, schlug die Beine übereinander und klappte eine lederne Schreibmappe auf. Er machte einen kompetenten Eindruck und sah ziemlich gut aus. In beiden Punkten unterschied er sich erheblich von seinen Vorgängern.

„Gut, fangen wir an. Ihr Name ist Clarissa Calzotti, geborene Zelmani.“

„Richtig, obwohl ich immer unter dem Namen Zelmani gearbeitet habe.“

„Sie besaßen bereits vor Ihrer Heirat einen hervorragenden Ruf als Drehbuchautorin.“

Sie nickte.

„Ihren Ehemann lernten Sie bei Dreharbeiten kennen, den Regisseur Francesco Calzotti.“

„Genau. Aber schon als Regieassistent hat er das Pseudonym Frank DeCapri angenommen, weil er fand, dass es viel amerikanischer klingt.“

„Er war recht erfolgreich, nicht wahr?“

„Auf seinem Gebiet ist er es noch immer. Als Rambo 2 Mitte der Achtziger eine ganze Welle von billigen Söldnerfilmen lostrat, konnte Francesco seine Produzenten glücklich machen. Er erzählte dieselbe Geschichte, nur leicht abgewandelt, wieder und wieder, und wandte sich dann dem nächsten erfolgreichen Trend zu. Die Kritiker prophezeiten ihm, dass das Publikum kaum so dumm wäre, sein Geld für billige und vor allem schlechte Kopien der Originale auszugeben, aber sie irrten sich.“

„Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?“

„Als Regisseur weiß er, was er seinem zumeist männlichen Publikum schuldet. Man braucht sich nur seine jetzige Frau Ornella anzusehen, um zu wissen, welche Eigenschaften er an Frauen schätzt. Sie sind ausnahmslos auf den ersten Blick sichtbar.“

„Die Ehe zwischen Ihnen hielt nicht sehr lange.“

„Nein. Mein Mann wollte mich als billige Autorin für seine Filme, aber ich hatte anspruchsvollere Ziele.“

„Sie haben einmal gesagt, Ihre wichtigste gemeinsame Produktion sei Ihre Tochter gewesen.“

„Ja, und sie ist es bis heute geblieben.“

„Arbeitet sie auch im Filmgeschäft?“

„Nein, sie wollte nicht die Fehler ihrer Eltern begehen und ist in einer völlig anderen Branche tätig.“

Der Mann machte sich eine lange Notiz in seiner Mappe.

„Nach Ihrer Rückkehr aus Italien lag Ihre Karriere für einige Monate brach, bevor sie quasi über Nacht mit der Serie Zander-Squad berühmt wurden. Erzählen Sie mir etwas darüber.“

„Die Serie war benannt nach ihrem Anführer Konstantin Zander. Sie handelte von einer Gruppe aus Wissenschaftlern und Abenteurern, die in allen Teilen Europas Verbrecher jagte. Anfangs hatten alle Beteiligten große Pläne, aber die Geldgeber machten einen Strich durch die Rechnung. Für eine weltweite Einsatztruppe fehlte leider das Budget, deshalb operierte die Squad auch so oft in Osteuropa.“

„Die Serie lief mit großem Erfolg in den Niederlanden, Frankreich, Italien, Österreich, Dänemark, Ungarn und Tschechien …“

„Litauen nicht zu vergessen.“

„… und zielte auf ein Nischenpublikum ab. Doch stattdessen wurde sie ein Quotenhit.“

Clarissa nickte zur Bestätigung.

„Ich denke, der Erfolg kam daher, dass die Serie niemals Routine wurde. Es gab nie den gleichen Handlungsablauf so wie beispielsweise beim A-Team.“

„Kritiker monierten die qualitativen Schwankungen der Serie. Besonders während der zweiten Hälfte der Staffel.“

„Jaja, die blöden Testvorführungen. Im Fernsehen darf man nicht zu originell sein. Einige Nebencharaktere mussten gehen und wurden durch Klischeefiguren ersetzt, die mehr den Sehgewohnheiten entsprachen. Die Produzenten wollten den Erfolg um jeden Preis noch steigern und werkelten bis zuletzt am Konzept herum. Die alte Geschichte von den vielen Köchen und dem Brei. Wie ich gehört habe, wurde die letzte Folge der Staffel nur einen Tag vor dem Sendetermin fertiggestellt.“

„Da waren Sie allerdings schon nicht mehr dabei.“

Clarissa warf ihm einen Blick zu, der den Mann unruhig auf seinem Stuhl herumrutschen ließ.

„Ganz recht, von mir stammen nur die ersten acht Folgen.“

„Warum haben Sie nicht weitergemacht?“

„Sie wissen sehr gut, warum.“

Der Mann sagte nichts, sondern wartete ab. Schließlich nickte Clarissa ergeben.

„Ich hatte einen Nervenzusammenbruch und konnte meine Arbeit nicht fortführen.“

Scheinbar zufrieden machte er eine entsprechende Notiz. Es war ihm offensichtlich wichtig, dass Clarissa bestimmte Dinge aussprach. Er fuhr fort: „Können Sie ein wenig die Entwicklung der Serie ausführen?“

„Ich habe mir die Zander-Squad nicht ausgedacht, wie häufig falsch berichtet wurde. Zu Beginn meiner Arbeit wurde mir ein zehnseitiges Konzept überreicht und ich sollte eine Serie daraus entwickeln. Namen, Charakterskizzen und einige Hintergründe waren darin festgelegt.“

„Sie wissen also nicht, von wem die Idee stammte?“

„Nein. Es gab keinen Namen auf dem Konzept und auch meine Nachfragen haben nichts gebracht. Ich hatte den Eindruck, dass es schon seit einiger Zeit in der Vorproduktionshölle herumgereicht wurde. Also habe ich das so akzeptiert und mich an die Arbeit gemacht. Für den Pilotfilm schuf ich dann einen eigenen Weltenentwurf, weil es unbedingt eine Science-Fiction-Serie werden sollte.“

„Das war Zeit der Zeppeline.“

„Stimmt genau. Ich verlegte die Handlung in eine Alternativwelt, in der Zeppeline die Lüfte beherrschen und Helium einer der begehrtesten Stoffe überhaupt ist.“

„Warum wurde der Ansatz nicht beibehalten, der Pilotfilm war doch ein großer Erfolg?“

„Zu kostspielig. Als die Gesamtkalkulation für die erste Staffel stand, war klar, dass kein Geld für historische Kostüme und Kulissen zur Verfügung stand. Man machte also einen Zeitsprung über drei Jahrzehnte und fortan operierte die Zander-Squad in unserer Gegenwart.“

„Ist das nicht ein sehr ungewöhnliches Vorgehen?“

„Leider nicht so ungewöhnlich, wie man denken sollte. Sie würden sich wundern.“

„Ein großer Gewinn war die Besetzung der Rolle des Konstantin Zander mit Martin Probst, zu der Zeit einer der beliebtesten deutschen Schauspieler.“

„Als ich Martin das erste Mal begegnete, sah ich sofort Konstantin Zander in ihm.“

Der Mann schrieb eifrig etwas auf.

„Es heißt, Martin Probst habe ein schweres Alkoholproblem gehabt.“

„Das stimmt. Aber er machte auch nie ein Geheimnis daraus. Martin war ein Profi, und selbst wenn er betrunken oder verkatert am Set erschien, erledigte er seine Arbeit. Er fühlte sich für den Rest der Crew verantwortlich. Im Gegensatz zu den jungen Schnöseln, die sich alle für den nächsten Superstar hielten.“

„Spielen Sie auf jemand Bestimmten an?“

„Ist das nicht offensichtlich?“

 „Bleiben wir bei der Hauptrolle. Die Figur des Konstantin Zander gehört inzwischen zu den Kultfiguren des Fernsehens wie Mr. Spock oder Columbo.“

„Das war allein Martins Verdienst. Er war schon vor der Serie ein Star, deshalb konnte er Einfluss nehmen und die Figur mitentwickeln. Den Produzenten schwebte ein weiser, integrer Anführer vor. Moralisch einwandfrei mit festen Grundsätzen. Seriös, mutig und beherrscht – wie Reed Richards von den Fantastischen Vier. Der Comic, nicht die Band. Ein furchtloser Kämpfer und brillanter Wissenschaftler. Martin behielt Letzteres bei und warf alles andere über Bord. Sein Konstantin Zander war eine Mischung aus Roger Moore als Rufus Excalibur Ffolkes in Sprengkommando Atlantik und Alan Alda als Hawkeye Pierce in MASH. Die Serie, nicht der Kinofilm.“

„Der Bösewicht der Serie war der geheimnisvolle Sinola McBrewster. Ein Erzschurke, mit dem Zander und sein Team immer wieder konfrontiert wurden, quasi der Blofeld oder Professor Moriarty der Serie. Seine Handlangerin war eine gewisse Marie Frost. Neben Konstantin Zander gehört sie zu den interessantesten Figuren der Serie und hatte ihren ersten Auftritt in der vierten Episode. Erzählen Sie von ihr.“

Clarissa rieb sich über die Schläfe, als wolle sie einen pochenden Schmerz vertreiben.

„Alles in Ordnung?“, fragte der Mann mit gespielter Besorgnis. Diese und andere psychosomatische Reaktionen auf die Nennung des Namens Marie Frost waren bereits zuvor mehrfach beobachtet und dokumentiert worden. Clarissa winkte mit gesenktem Kopf ab.

„Schon gut. Marie Frost also. Die erste namentliche Erwähnung findet man bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist sie als mysteriöse Drahtzieherin in den Akten aller westlichen Geheimdienste registriert. Beginnend mit ihrem Auftritt 1905 in Griechenland, als sie ein Attentat auf einen deutschen Diplomaten verübte. Sie wurde als elegante Dame mittleren Alters beschrieben.“

Clarissa bemerkte, dass der Mann sie genau beobachtete, während sie die Biografie herunterrasselte. Sie ließ sich nicht davon beirren.

„Im Ersten Weltkrieg vertrieb Marie Frost Waffen auf deutscher und französischer Seite. Ein britischer Agent vermerkte in seinem Bericht ihren angeschlagenen Gesundheitszustand und bestimmte ihr Alter auf Anfang fünfzig. Dann tauchte sie in den wilden Zwanzigern wieder auf, wo die berüchtigtsten Feiern Berlins im Haus von Fräulein Frost stattfanden. Geschäftsleute und Diplomaten aus allen Nationen gingen bei ihr ein und aus. Die reichsten Männer Europas boten ihren gesamten Besitz, um ihre Gunst zu erlangen, doch sie war finanziell unabhängig und folgte deshalb nur den eigenen Interessen. Alle rühmten neben ihrer Schönheit und Intelligenz die Weisheit und Weltgewandtheit einer Frau von so jungen Jahren. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt.“

Clarissa lächelte amüsiert über den Gesichtsausdruck ihres Gesprächspartners, der an ihren Lippen hing, und fuhr fort.

„Der Zweite Weltkrieg brachte vielen Menschen Leid und einigen unermesslichen Reichtum. Unter anderem Marie Frost. Nach Kriegsende heiratete sie einen amerikanischen Senator, der auf dem besten Weg war, der nächste US-Präsident zu werden, aber bei einem Autounfall starb. Marie kehrte nach Europa zurück und in den nächsten fünfundzwanzig Jahren kamen zu den ohnehin spärlichen biografischen Hinweisen nur Spekulationen hinzu. In den späten Siebzigern feierte sie ihr Comeback – diesmal an der Börse. Die wenigen Menschen, die sie zu Gesicht bekamen, schätzten ihr Alter auf Mitte fünfzig oder Anfang zwanzig, was zusätzliche Verwirrung stiftete.“

Clarissa machte eine Pause und nahm einen Schluck kalten Tee aus der Tasse auf ihrem Schreibtisch. Der Mann blätterte in seinen Unterlagen, bis er die gesuchte Stelle gefunden hatte.

„Der Clou dabei ist ja, dass es sich um verschiedene Frauen handelt. Das kommt, glaube ich, gegen Ende der ersten Staffel heraus.“

„In der achten Folge, genau“, bestätigte Clarissa. „Die eine, einzige Marie Frost gibt es gar nicht. Sie ist ein Mythos. Eine Rolle, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, von Mutter zu Tochter.“

„Und wenn eine Marie Frost keine Tochter bekam?“

„Es gab immer eine Tochter.“

„Aber was geschah mit den Söhnen? Es muss doch auch Söhne gegeben haben.“

„Die wurden anonym zur Adoption freigegeben. Wenn eine Tochter soweit war, die neue Marie Frost zu werden, zog sich ihre Mutter zurück. Dasselbe passierte, wenn eine Marie zu Tode kam. Dann übernahm die Tochter ihren Platz.“

„Eine unglaubliche Idee.“

„Es gibt eine Comicfigur, das Phantom oder auch Der wandelnde Geist genannt. Dasselbe Prinzip, nur mit Jungs.“

„Also wurde sie nur für die Serie erfunden?“

„Ganz genau“, bestätigte Clarissa.

„Das widerspricht einigen Aussagen, die Sie bei meinen Vorgängern gemacht haben.“

„Daran kann ich mich nicht erinnern.“

Der Mann zögerte, ob er nachhaken sollte, dann fuhr er fort: „Nach den dramatischen Ereignissen liefen Wiederholungen zur besten Sendezeit und die erste Staffel war als DVD-Box ein Verkaufsschlager. Wenn ich ein Zyniker wäre, würde ich sagen, dass die PR dieser Tragödie unbezahlbar war.“

Clarissa sah ihn wieder auf ihre beunruhigende Art an. Der Mann räusperte sich und sprach mit gesenkter Stimme weiter: „Der Tod von Martin Probst hat Sie schwer belastet, nicht wahr, Clarissa?“

Sie nickte. Der Mann spielte mit einem Kugelschreiber herum, um seine Hände zu beschäftigen. Das taten sie alle. Sein Vorgänger hatte sich damit gegen die Zähne geklopft, wenn er nervös wurde.

„Und auch die Ermordung der anderen Darsteller der Serie: Erik Schad, Melissa Böhm und Peter Korritke.“

„Es war eine Tragödie.“

Der Mann wartete, ob sie noch mehr dazu sagen wollte, doch Clarissa hatte ihren Stuhl zur Seite gedreht und starrte die Bilder und Zeitungsausschnitte an der Wand an.

„Melissa Böhm spielte Luna Zander, eine Mischung aus Playmate und Krieger-Amazone. Bei ihr dachte man zuerst an Selbstmord, als sie mit einer Überdosis tot in ihrer Wohnung gefunden wurde.“

„Wie bitte?“

„Ich sagte, Melissa …“

„Ja, ihre Sucht war zwar allgemein bekannt, aber nach Peters Ermordung untersuchte man ihren Tod und Eriks Autounfall genauer.“

„Dabei kam heraus, dass die tödliche Spritze in ihrem linken Arm steckte. Und das, obwohl sie Linkshänderin war. Ein dummer Fehler des Mörders. Das wäre Marie Frost niemals passiert.“

Sie lächelte bitter.

„Warum haben Sie Melissa umgebracht, Clarissa? Spielte Eifersucht dabei eine Rolle?“

„Blödsinn, sie hatte eine wichtige Spur entdeckt und war kurz davor, mein Versteck zu enttarnen.“

„Von welchem Versteck reden Sie?“

„Folge Sechs. Neue Feinde.“

„Sie meinen Marie Frosts geheime Festung in der Wüste?“

„Ich konnte nicht zulassen, dass sie Zander geradewegs dorthin führt. Deshalb musste die Folge unbedingt verhindert werden. Aber ich war zu langsam.“

Der Mann räusperte sich erneut.

„Peter Korritkes Ermordung hat die Öffentlichkeit wegen ihrer Brutalität entsetzt. Warum musste er sterben?“

„Er war Zanders wichtigster Mann.“

„Sie meinen, er spielte Zanders wichtigsten Mann in der Serie, den Ersten Offizier Hoba.“

Sie schwenkte ihren Kopf in seine Richtung und bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick, als sei er völlig begriffsstutzig und unfähig, die wahren Zusammenhänge zu erkennen. Der Mann wusste, dass sie jeden Moment dichtmachen würde, zu sehr hatte er sich dem Teil der Geschichte genähert, um den seine Vorgänger seit Jahren erfolglos gekreist waren.

„Zu diesem Zeitpunkt war Ihnen also Ihre wahre Identität bewusst geworden.“

„Nicht nur das, ich hatte auch erkannt, dass die Unterlagen über die Zander-Squad kein Entwurf für eine Fernsehsendung waren, sondern ein Enthüllungsbericht.“

„Halten Sie es nicht für einen sehr großen Zufall, dass diese Unterlagen ausgerechnet zu Ihnen gelangten?“

„Natürlich, wenn es einer gewesen wäre. Sie denken doch nicht wirklich an einen Zufall? Man hat sie mir natürlich gezielt zugespielt, damit ich wieder zu mir komme und meine Aufgabe erfüllen kann.“

„Wer? Sinola?“

„Was glauben Sie denn? Natürlich Sinola.“

„Dann haben Sie also in seinem Auftrag all diese Morde begangen?“

„Es waren keine konkreten Anweisungen, aber als ich wusste, wer ich bin, wusste ich auch, was ich zu tun hatte.“

„Vier Schauspieler zu ermorden?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich hielt sie für die Echten. Ich war verwirrt von der langen Amnesie. Heute weiß ich um meinen Fehler, es war eine tragische Verwechslung.“
„Wenn ich Ihnen nun sage, dass es überhaupt keine Zander-Squad gibt, Clarissa, sie nur ein Fantasieprojekt ist …“

„Warum sollten Sie auch etwas anderes denken? Nur wenige wissen von ihrer tatsächlichen Existenz, sie operiert seit Jahrzehnten im Geheimen. Das soll auch so bleiben. Beide Seiten wollen es so haben.“

Der Mann hatte aufgehört mitzuschreiben.

„Sie haben von der geplanten Neuverfilmung gehört?“

„Von dem Spielzeugkonzern, der damals die Actionfiguren zur Serie herausgebracht hat? Wie heißt er doch gleich? Es war so ähnlich wie eine Figur aus Fix & Foxi.“

„LupoTek.“

„Genau. Aber das sind doch bisher nur Gerüchte.“

„Wie geht es Ihnen damit?“

Clarissa zuckte die Achseln. „Ich fange an, mir darüber Sorgen zu machen, wenn das Projekt grünes Licht bekommt.“

Der Mann tippte sich mit seinem Kugelschreiber nervös gegen die Zähne. Na also, dachte Clarissa. Als er den Tick bemerkte, schob er den Stift in die Brusttasche seines weißen Hemdes.

„Was genau meinen Sie, wenn Sie davon sprechen, sich Sorgen zu machen?“

„Immer, wenn etwas geschieht, wodurch die Existenz der Zander-Squad an die Öffentlichkeit gelangen könnte, zieht das schreckliche Folgen nach sich.“

„Was soll das bedeuten? Reden Sie mit mir!“

„Wir müssen das Interview beenden, ich habe entsetzliche Kopfschmerzen. Bitte verlassen Sie mein Büro.“

„Dies ist kein Interview und auch nicht Ihr Büro, das wissen Sie genauso gut wie ich.“

Clarissa erwiderte nichts. Der Mann beendete die Aufnahme und schob das Handy in die Seitentasche seines weißen Kittels, an dem ein Ausweis mit seinem Lichtbild hing.

„Übrigens habe ich in den Akten meiner Vorgänger gelesen, dass diese versuchten, Ihre Tochter zu benachrichtigen, damit die Sie besuchen kann. Sie können sich die Überraschung meiner Kollegen vorstellen, als sie herausfanden, dass Sie überhaupt keine Kinder haben. Auch Ihr Ex-Mann Francesco bestreitet, dass Sie beide eine Tochter haben.“

Clarissa ignorierte ihn.

„Wir werden morgen weiterreden“, sagte er und ging zur Tür. Er drückte einen Klingelknopf und der Pfleger draußen öffnete ihm.

„Gute Nacht, Clarissa.“

„Marie, bitte“, erwiderte sie, „Clarissa ist nur der Name, den mir die Leute gaben, die mich großgezogen haben.“ Dann griff sie nach dem Album, in das sie alle Artikel über die Ermordung der Seriendarsteller geklebt hatte. Dieses Kapitel ihres Lebens war abgeschlossen und sie hatte versagt. Jetzt lag es in den Händen der nächsten Marie Frost. Ihr Blick fiel auf ihre Handrücken, die ihr wahres Alter verrieten. Waren sie schon immer so faltig und fleckig gewesen? Mit einer Hand zupfte sich an der schlaffen Haut, die an ihrem Oberarm herabhing. Clarissa hatte aufgehört, ihr Haar zu färben, und es war vom Mittelscheitel aus silbergrau nachgewachsen. Die Falten um Mund und Augen hatten sich vertieft und durch den Bewegungsmangel war ihre Körpermitte füllig geworden. Ihre Zeit war vorüber. Clarissa wandte ihren Kopf zu der Überwachungskamera über der Tür.

„Ihr werdet meine Tochter noch kennenlernen“, murmelte sie leise.

Erster Teil: Der Clown
Kammerjäger
Als Arlo Panofsky unten an der Straße die mehrstimmige Fanfarenhupe seines Chefs hörte, stürmte er nach draußen. Den Overall bis zu den Hüften hochgezogen und die Ärmel vor dem massigen Bauch verknotet, wäre er fast gegen das unbekannte Wohnmobil auf dem Rasen vor seinem Haus gerannt. Weder erwartete er Besuch, noch wollte er welchen. Die einzigen Reifenspuren auf dem Weg zu seinem Haus stammten vom Pizzadienst, und selbst die waren kaum noch zu erkennen. Arlo ging um das Wohnmobil herum, spähte durch die Windschutzscheibe und die Fenster, sah aber nur zugezogene Vorhänge. Es war unwahrscheinlich, dass sich jemand versehentlich auf dieses abgelegene Grundstück verirrte. Die Rückseite des Wohnmobils war mit Städteaufklebern übersät und fast jeder sehenswerte Ort in Europa schien dort vertreten zu sein. Eine geografische Ordnung konnte Arlo nicht erkennen, aber dem Alter der Aufkleber nach zu urteilen, musste dieses Gefährt jahrelang kreuz und quer über den Kontinent gereist sein. Er klopfte an die Seitentür. Zuerst mit dem Fingerknöchel, dann mit der flachen Hand und schließlich mit der Faust, dazu rief er mit schwindender Freundlichkeit nach dem Besitzer. Arlo probierte den Griff, doch die Seitentür war verschlossen, ebenso wie Fahrer- und Beifahrertür.

Das Hupen von der Straße wurde ungeduldiger. Sein Chef Davide holte ihn wie jeden Morgen ab, da Arlo schon seit zwei Jahren nicht mehr motorisiert war. Als sein Polo liegenblieb, hatte das Geld gefehlt, um ihn reparieren zu lassen. Als Davide zu einem Dauerhupton überging, eilte Arlo über den ungewöhnlich kurz geschnittenen Rasen hinunter zum Tor. Sein Vermieter hatte ihm einen Rasenmähertraktor überlassen und die Jungen aus dem nahegelegenen Dorf überboten sich darin, damit mähen zu dürfen. Wenn Arlo ihnen zusah, wie sie über das unebene Gelände rasten und sich dabei wie auf einem bockenden Bullen festklammerten, kam er sich mindestens so clever vor wie Tom Sawyer. Obwohl er keinen Wert darauf legte, besaß er den gepflegtesten Rasen der ganzen Gegend und das Gras bekam kaum Gelegenheit, sich über der Erde zu erheben.

Davides Lieferwagen, der mit laufendem Motor an der Straße wartete, hatte keine Firmenkennzeichnung, da es den meisten Kunden peinlich war, wenn eine Schädlingsbekämpfungsfirma vor ihrer Tür stand. Angeblich aus diesem Grund verzichtete Davide auch auf einheitliche Uniformen, aber Arlo vermutete den Grund eher in seiner Sparsamkeit. Veraltete oder fehlende Ausrüstung und geringes Gehalt waren nicht die einzigen Gründe, weshalb man Davide niemals zum Arbeitgeber des Jahres wählen würde. Arlo musste all die Aufträge erledigen, die seinem Chef zu anstrengend, zu gefährlich oder ganz einfach zu schmutzig waren. Darum durfte er Ratten aus Toiletten angeln, Ameisenstraßen umleiten und Lebendfallen leeren, deren Insassen sich schon jenseits von Gereiztheit befanden. Er musste Giftköder auslegen, die einem selbst durch kurzen Hautkontakt Schwindel verursachten, und Pestizide versprühen, deren Gebrauch seit Jahren unter Androhung empfindlicher Strafen verboten war. Stoisch führte Arlo seine Arbeit aus und krabbelte in jedes Dreckloch, auf das Davide wies, während sein Chef freundlich plaudernd die Rechnungen ausfüllte und sich von älteren Auftraggeberinnen auf ein Gläschen Eierlikör einladen ließ.

„Vorwärts Filmstar, die Gremlins warten.“

Davide ließ es sich nicht nehmen, gelegentlich dieses Thema anzuschneiden, denn er gierte auf jede Indiskretion aus der Welt der Reichen und Berühmten. Wobei er stets versicherte, dass er sie eben nicht für sonderlich bewundernswert hielt. „Die machen beim Kacken auch die Knie krumm.“ Arlo hatte ihm an die hundert Mal vergeblich erklärt, dass er während seiner ebenso kurzen wie bescheidenen Karriere keine Prominenten kennengelernt habe, aber sein Chef hielt das für eine Art von solidarischer Verschwiegenheit unter Kollegen.

„Hast du neuerdings ein Wohnmobil?“, fragte Davide und wies zum Haus.

„Gehört mir nicht. Ich hab´s nicht mal kommen gehört. Als wäre es heute Nacht vom Himmel gefallen.“

„Bei dem Zustand könnte das hinkommen. Los, steig endlich ein!“

Arlo bekam Bedenken, sein Haus alleine zu lassen. Vielleicht war das Wohnmobil so eine Art Trojanisches Pferd, voller Einbrecher, die ihm die Bude ausräumten, sobald er außer Sicht war. Andererseits gab es dort drinnen überhaupt nichts zu holen. Arlo war seit seinem Rückzug aus dem Showgeschäft sehr sparsam gewesen. Das Problem war nur, dass er nie genug verdient hatte, um verschwenderisch zu leben oder teure Anschaffungen zu machen. Seine Karriere war beendet gewesen, bevor seine Gagen ein akzeptables Maß erreicht hatten.

„Brauchst du mich heute dringend? Mir ist nicht ganz wohl, solange ich nicht weiß, wer da drin ist.“

Davide kniff ein Auge zusammen. Jetzt würde die leiernde Kassette über die Undankbarkeit der Welt im Allgemeinen und seines Mitarbeiters im Besonderen aufgelegt werden, also stieg Arlo in den Wagen. Sie wussten beide, dass Davide lange nach jemandem suchen müsste, der diese undankbare Arbeit für so wenig Geld erledigte. Kammerjäger war kein Beruf, von dem man als junger Mann träumte, aber einer, den man guten Gewissens übernehmen konnte, sobald man sich die Hörner an der Realität abgestoßen hatte.

Davide legte krachend den Gang ein. Der gebürtige Italiener war schon seit langer Zeit Arlos einziger regelmäßiger Sozialkontakt. Davide erinnerte an Bob Hoskins als Super Mario (1993), mit einem Schnauzbart, der dem ehemaligen Maskottchen des NDR zur Ehre gereicht hätte. Außerdem hatte er am ganzen Körper einen ausgesprochen kräftigen Haarwuchs, außer auf dem Kopf. Wallendes Brusthaar linste aus dem Halsausschnitt seines T-Shirts wie eine Protestnote gegen den Rasurwahn trendbewusster Männer. Aber alle zwei Wochen entfernte er zumindest die Haare im Nacken und auf den Handrücken.

Der Lieferwagen wendete in Arlos Auffahrt, was den gesamten Inhalt zum Klappern und Schwappen brachte, und kämpfte sich dann mit rühriger Beschleunigung die Straße zum Dorf hinauf. Die Fahrt bis zum ersten Kunden dauerte nur eine Viertelstunde, während der Arlo seine Gedanken nicht von dem Wohnmobil lösen konnte. Erst als der Lieferwagen quer über drei Parkplätze hielt, drängte er seine Besorgnis beiseite und schob mit dem Fuß die Beifahrertür auf, um mehr Platz zum Aussteigen zu haben.

Seufzend beugte sich Davide im Sitz nach vorne, um unter der Sonnenblende hindurch einen Blick auf den monströsen Wohnblock zu werfen. „Prima Gegend. In den meisten Wohnungen stehen morgens nur die schulpflichtigen Kinder auf.“

Bis zur Mittagszeit erledigten sie einige belanglose Routineaufträge, doch dann erreichte sie ein Notruf aus einem Mehrfamilienaus. An der angegebenen Adresse stellte Davide den Motor ab, trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und wiegte sich zu einer Musik, die nur er hören konnte und die bei jedem Notfall vor dem Aussteigen mit dem Ausruf endete: Who you gonna call? Arlo blieb ihm die Antwort stets schuldig.

„Womit haben wir es zu tun, brauchen wir Schutzkleidung?“, fragte er.

„Der Gremlin ist noch nicht identifiziert, aber so, wie ihn die Bewohnerin geschildert hat, brauchen wir keine Lupe, um ihn zu finden.“

Gremlins nannte sein Chef alle Schädlinge, die er nach der Beschreibung des Kunden nicht einordnen konnte. Solche Einsätze konnten zu wahren Himmelfahrtskommandos werden, wenn sich das geschilderte Meerschweinchen bei der ersten Begegnung als höchst aggressiver und wahrscheinlich tollwütiger Waschbär entpuppte. Arlo hatte Dutzende von Büchern gelesen, um mehr über die einzelnen Schädlinge zu erfahren, hatte Gesetze und Verordnungen gebüffelt und die Inhaltsstoffe von Bekämpfungsmitteln gelernt. Vieles wusste er aus den Vorträgen von Davide, der stundenlang über eingeschleppte Arten dozieren konnte, die die einheimische Tierwelt verdrängten. Dazu kam noch sein schier grenzenloser Anekdotenschatz über frühere Begegnungen mit Wesen, die in den Bereich der Fabeln oder Kryptozoologie gehörten.

Davide stürmte im Treppenhaus voraus, Arlo kam mit der Ausrüstung hinterher und quietschte bei jedem Schritt. Er musste während der Arbeit meistens in Gummistiefeln herumlaufen, sodass er seine Freizeit gerne getrennt von seinen Füßen verbracht hätte. Seine einzige Bewaffnung bestand aus einem Zimmermannshammer. Das flache Ende war breit genug, um Schnitzel damit zu klopfen, und das gebogene Ende mit Kerbe nutzte er, um Nägel zu ziehen, falls er einen Schädling hinter der Fußleiste durch den Raum verfolgen musste.

Die Kundin öffnete ihnen erleichtert die Tür. Frau Bern war eine früh verblühte Endvierzigerin mit fliehendem Kinn und nicht erkennbarer Frisur, aber die Freude über das Eintreffen der beiden Kammerjäger ließ sie von innen heraus erstrahlen. Aufgeregt winkte sie die beiden Männer herein. Die Wohnung war knapp geschnitten und durch zusätzliche Regale noch beengter. Die Familie schien gleich mehrere Sammelleidenschaften auszuleben, die alle aus dem Ruder gelaufen waren. Nichts war kitschig, manches vielleicht sogar wertvoll, trotzdem stand die Wohnung unbestritten an der Grenze zu einem gutsortierten Messie-Haushalt.

„Wie sehen Ihre Gäste aus?“, fragte Davide mit besorgter Anteilnahme. Mit angewiderter Miene beschrieb sie erneut das Ungeziefer im Haus, und ohne die überschlagende Hysterie am Telefon klang es nach äußerst gewöhnlichen Kakerlaken. Arlo ging nach unten zum Wagen und öffnete die Hecktüren. Auf beiden Seiten der Ladenfläche befanden sich vollgestopfte Regale. Unten die Behälter mit Ratten- und Mäusegift, darüber Klebe-, Lebend- und Schnappfallen und ganz oben Wespen- und Flohvernichtungsmittel. Arlo stellte zusammen, was er brauchte, und trug es nach oben in die Wohnung.

 „Das ist alles so peinlich“, sagte Frau Bern und Davide legte ihr tröstend eine Hand auf den Unterarm. Er hatte mit einem Blick die Biografie der Frau erfasst und sich eine geistige Notiz gemacht. Vernachlässigte Hausfrauen waren Kandidatinnen für die kostenlose Nachuntersuchung durch seinen Kundenservice. Sprich: ihn.

„Die Leute schämen sich oft, uns zu rufen. Sie sehen unsere Dienste als Eingeständnis, dass es bei ihnen dreckig und unhygienisch ist. Besonders in der Gastronomie. Dabei sollten sie damit werben, dass sie Profis bezahlen, die ihren Laden sauber halten“, erklärte er Frau Bern bei einem Kaffee am Küchentisch und erläuterte ihre Vorgehensweise, während Arlo auf allen Vieren durch die Wohnung kroch.

„Mein Mitarbeiter stellt überall Klebefallen auf und verteilt mit seiner Spritze ein Fressköder-Gel. In zwei Wochen werden wir den Vorgang wiederholen und einen Monat später noch ein letztes Mal kommen. Wo haben Sie die Eindringlinge zuerst bemerkt?“

„Im Zimmer meiner Tochter. Am Ende des Flurs.“

Davide stieß einen auffordernden Pfiff aus und wies mit dem Daumen auf eine bunt beklebte Zimmertür. Arlo wunderte sich bald, dass er so wenig Spuren fand. Selbst unter den Möbeln fand er hauptsächlich Wollmäuse, aber kein lebendiges Ungeziefer. Oft jagte er die Viecher stundenlang durch das ganze Haus und hatte dann nicht übel Lust, sie mit der Lebendfalle zu erschlagen. Ratlos stand er auf und stemmte die Fäuste in die breiten Hüften. Dann legte er ruckartig den Kopf in den Nacken. Die Deckenpaneele im Kinderzimmer wiesen an den Rändern leichte Verfärbungen auf. Er zog den Schreibtischstuhl auf seinen Rollen in die Mitte des Raumes und kletterte darauf. Es war nicht einfach, die Balance zu halten, während er sich zur Decke streckte und die Paneele abklopfte. Der Kunststoff hob sich an verschiedenen Stellen und plötzlich hatte er ein Loch in das poröse Material gestoßen. Während er noch überlegte, wie er den entstandenen Schaden verbergen sollte, tauchten zwei Fühler in der Öffnung auf. Arlo zog eine stiftgroße Taschenlampe aus der Brusttasche und strahlte das Insekt an. Sofort verschwand es wieder. Arlo griff mit zwei Fingern in die Öffnung, ein großes Stück der Deckenverkleidung zerbröselte in seiner Hand. Und dann stürzte aus dem vergrößerten Loch ein ganzer Strom von Kakerlaken auf ihn herab, ergoss sich über seinen Kopf und in den offenstehenden Kragen seines Overalls. Arlo geriet nicht in Panik. Er schüttelte sie aus seinem Haar und wischte sie aus Gesicht und Nacken. Dann spürte er ein Kribbeln in einem Hosenbein. Winzige, tastende Bewegungen, ein Ziepen an den Haaren seines Schienbeins. Er blickte nach unten und sah eine Kakerlake von der Größe eines Daumens aus seinem Hosenbein schlüpfen. Schnell zog er den Reißverschluss auf und ließ den Overall fallen. Aus dem Stoffberg um seine Knöchel flitzten die Biester in alle Richtungen davon. Die Schabentiere waren riesig und ihre Panzer glänzten ölig. Sein Hammer schien Arlo die geeignete Waffe zu sein, aber dann würde er die weichen und flüssigen Bestandteile durch das Zimmer verspritzen und den Teppichboden endgültig versauen. Er sah ein paar besonders große Exemplare durch die Grifföffnungen in der Kommode verschwinden. Rasch zog er die Schubladen auf und suchte nach ihnen.

Das war der Moment, als Herr Bern nach Hause kam und laut nach Luft schnappte, als er angelockt vom Lärm einen fremden Mann mit heruntergelassenen Hosen in der Unterwäsche seiner dreizehnjährigen Tochter kramen sah. Seit Jahren versuchte er sich innerlich auf den Augenblick vorzubereiten, wenn er zum ersten Mal einen Jungen in ihrem Zimmer erwischte, doch als er den übergewichtigen Kerl weit jenseits der Dreißig sah, war er sprachlos. Sollte er den Wüstling zur Rede stellen oder sich sofort brüllend auf ihn stürzen? Der Vater überlegte etwas zu lange, wie die adäquate Verhaltensweise auszusehen hatte. Als Arlo sicher war, dass eine Affekthandlung des Hausherrn ausbleiben würde, bückte er sich, um seine Knöchel von den Hosenbeinen zu befreien. Herr Bern war inzwischen in die Küche marschiert, um seine Frau an seiner Empörung teilhaben zu lassen. Er traf sie mit erhitztem Gesicht und jugendlich kichernd mit einem schnurrbärtigen Kerl bei erheblich gesunkenem Pegel in der Likörflasche. Mitten in das folgende Spektakel platzte die Teenietochter, die gerade begann, die Aufsässigkeit der Punkmode für sich zu entdecken. Vom Flur aus beobachtete sie, teilnahmslos kaugummikauend, ihren wild gestikulierenden Vater in der Küche, verdrehte genervt die Augen und ging in ihr Zimmer. Sie ließ ihre Umhängetasche auf den Boden fallen, trat sich die schweren Nietenstiefel von den Füßen und kippte rücklings aufs Bett. Aus der Schublade ihres Nachttischs holte sie eine Zigarette und blies kurz darauf, einem Seufzer gleich, eine Rauchsäule zur Zimmerdecke.

„Und wer bist du?“, fragte sie Arlo mit genervter Stimme, der unter ihrem Schreibtisch hockte.

„Anstrengender Tag im Land der Pubertät?“, fragte er unter dem Tisch hervor, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Nichts konnte ihm ferner sein als die Nöte kleiner Schulmädchen. Sie hatte einen Irokesenschnitt, der allerdings nicht längs über den Kopf verlief, sondern von Ohr zu Ohr quer über den Kopf. Es sah aus wie ein Pfau mit aufgerichtetem, in Batiktechnik gefärbtem Gefieder. Damit konnte man bequemer auf dem Rücken schlafen, aber Arlo glaubte nicht, dass sich diese Variante durchsetzen würde.

„Sind nur ein paar Kakerlaken. Ich hör sie manchmal nachts“, erklärte sie und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die Wand. „Kein Grund zur Panik. Jedenfalls nicht zu sooo einer Panik.“

Aus der Küche hörte man, wie Davide immer noch sein Bestes gab, um den aufgebrachten Hausherren von den ehrenhaften und absolut nichtsexuellen Absichten sowohl seines Mitarbeiters als auch seiner selbst zu überzeugen. Davide, durch unzählige Familienfeste im Umgang mit Cholerikern geschult, gab sich zerknirscht. Herr Bern drohte mit Anwälten, Anzeigen und den Medien, um diese Firma voller Sexbestien aus dem Verkehr zu ziehen. Hätte er gesehen, dass Arlo genau in diesem Moment dank seiner knappen Shorts und der unvorteilhaften Haltung unter dem Schreibtisch dem Teenager einen tiefen Einblick in sein Maurerdekolleté bot, wäre wohl eine der prall geschwollenen Adern an seiner Stirn geplatzt. Nachdem der Vater davongetobt war, hatte Arlo keine Notwendigkeit mehr gesehen, in den Overall zu schlüpfen, sondern die textilarme Bequemlichkeit bei seiner Arbeit genossen. Er hatte das Loch in der Decke provisorisch verschlossen, sich dann auf die Suche nach anderen Zugängen in das Zimmer gemacht und war seitdem den geflüchteten Biestern mit einem Handstaubsauger auf der Fährte. Über seinem Kopf ging der Fernseher an und er hörte, wie das Mädchen durch die Kanäle zappte.

„Irgendwo habe ich den Clown schon mal gesehen“, sagte sie. Arlo hob kurz den Blick über die Tischkante. Er sah nur einen Moderator mit Föhnfrisur, der mit ernstem Gesichtsausdruck und Kompetenz heischendem Tonfall von ungewöhnlichen Ereignissen in der Berliner Innenstadt berichtete. Arlo wandte sich der Tochter des Hauses zu. Sie war zu jung, als dass er für sie den Bauch eingezogen hätte. Auch wenn sie sich cool und verrucht gab, was bei Teenagern immer lächerlich wirkte.

„Was für ein Clown?“

„Kommt gleich wieder ins Bild“, sagte das Mädchen und ließ eine Kaugummiblase knallen, aus der dann der Zigarettenrauch aufstieg. Arlo klaubte seinen Overall vom Boden auf und schüttelte ihn zum offenen Fenster hinaus, bevor er ihn wieder anzog.

„Da ist er!“

Arlo drehte sich um und sein Mund klappte auf, als er sich selbst auf dem Bildschirm sah. Oder besser einen Mann, der in einem Onkel-Manny-Kostüm auf einer fahrenden Straßenbahn balancierte. Er erkannte sofort, dass es sich um keine alte Aufnahme von ihm handelte. Während er sich in diesem Kinderzimmer mit Schädlingen herumärgerte, gab sich dort draußen jemand für ihn aus.

Auf dem Rückweg war Davide sauer, weil er einen Kunden verloren hatte. Arlo verzichtete darauf, sich zu verteidigen, und ließ den Sermon schweigend über sich ergehen. Davide träumte nämlich davon, mittelfristig zu expandieren und vielleicht mit einem geeigneten Familienzuwachs den Laden zu vergrößern. Beruhigt stellte Arlo fest, dass sein Chef dafür nicht ihn ins Auge gefasst hatte. Er hatte zweimal mit Davides Schwester Lucrecia geschlafen, im Abstand von drei Jahren, und beide Male waren sie sternhagelvoll gewesen. Anschließend hatten sie sich gegenseitig versichert, dass daraus nicht mehr werden sollte.

Als Arlo sich beim Aussteigen verabschiedete, erhielt er keine Antwort. Davide brauste davon, wendete ein paar Meter weiter und fuhr dann, den Blick starr nach vorne gerichtet, an ihm vorüber. Arlo marschierte seine Auffahrt hinauf. Das Wohnmobil stand noch immer vor dem Haus. Ob das ein wilder Camper war, der dreist sein Grundstück ausgesucht hatte? Es wäre zu schön, wenn eine so einfache Lösung dahinterstecken würde. Arlo überlegte, Werkzeug zu holen, um die alte Blechbüchse mit Gewalt zu öffnen, beschloss aber stattdessen, keinen Gedanken mehr an die Rostlaube und ihre Besitzer zu verschwenden. Sollte sie am nächsten Morgen noch vor seinem Haus stehen, würde er sie abschleppen lassen. Er trat im Vorbeigehen kraftvoll gegen die Seitentür und schlurfte dann weiter zur eigenen Haustür. Kaum hatte er den Schlüssel ins Schloss geschoben, flog hinter ihm die Tür des Wohnmobils auf.

„Arlo Panofsky?“

Arlo riss überrascht die Augen auf, als er eine Stimme aus seiner Vergangenheit hörte. Doch als er sich umdrehte, sah er eine völlig andere Person, als er erwartet hatte. Der kleine alte Mann mit dem dünnen Haar, der dem Wohnmobil entstieg, war ihm auch nach langer Überlegung unbekannt. Er hatte die Statur eines Jockeys und verströmte die Gelassenheit eines Mannes während der Nikotinentwöhnung. Die Cordjacke mit Lederflicken an den Ellenbogen, das kleinkarierte Hemd, die weite Leinenhose und die bequemen Schuhe mit Klettverschluss wiesen darauf hin, dass er über jede Form von Modediktatur längst hinaus war und dem eigenen Komfort den Vorzug gab.

„Hatten Sie sich die Ohren mit Oropax verplombt? Ich habe heute Morgen einen ziemlichen Zauber veranstaltet.“

„Sowas brauche ich nicht, ich hör sowieso kaum noch was. Wenn ich schlafen will, drehe ich mein Hörgerät ganz runter. Das mache ich auch gelegentlich bei uninteressanten Gesprächen.“

Der Mann ließ seinen Blick über Arlos Figur schweifen.

„Ganz schön stabil. Du gehörst offensichtlich nicht zu den Clowns, von denen zwanzig in einen Kleinwagen passen.“

Arlo kratzte sich durch sein T-Shirt den Bauch.

„Und Sie sind?“

Statt einer Antwort tippte das Männlein ungeduldig auf seine Armbanduhr.

„Haben Sie es eilig?“, fragte Arlo, „Ich möchte Sie nämlich auf keinen Fall aufhalten.“

„Pack ein paar Sachen ein, wir müssen sofort hier weg. Ich bin dein Manager.“

„Mein Manager hieß Tim Kaiser. Damals, als ich noch einen hatte.“

„Ich bin Tims Vater, mein Name ist Bernie.“

„Wo ist Tim?“

„Tim ist tot.“

„Er ist tot?“

„Schon seit fünf Wochen. Er starb am 2. April“, sagte Bernie und fügte dann traurig hinzu: „Wie ein verspäteter Aprilscherz.“

Arlo wusste nicht, was er empfinden sollte. Tim und er hatten lange nicht mehr miteinander gesprochen. Man konnte nicht einmal sagen, dass sie sich im Streit getrennt hatten. Sein Manager hatte sich einfach nicht mehr gemeldet und war mit der Konsequenz einer UFO-Entführung von der Bildfläche verschwunden. Als Arlo Bernies Stimme hörte, war sein erster Gedanke, dass sich sein Manager wieder an ihn erinnert hatte. Bernie klang genauso wie Tim. Natürlich musste es heißen, Tim hatte genauso geklungen wie sein Vater, aber Arlo hatte nun einmal den Sohn zuerst gekannt. Und jetzt, wo er es wusste, stellte er mit jedem weiteren Satz fest, wie groß die Ähnlichkeit ihrer Stimmen war. Sie zerstreute alle Zweifel an Bernies Identität, obwohl es äußerlich kaum Gemeinsamkeiten gab. Tim war ein Hüne gewesen, breitschultrig, muskelbepackt mit einer gutaussehenden Schlägervisage. Arlo konnte beim besten Willen keine Ähnlichkeit zwischen Bernie und seinem Sohn feststellen und sagte ihm das auch.

„Er kam mehr nach seiner Mutter“, sagte Bernie ohne jede Ironie und fragte dann ganz unvermittelt: „Wie war Tim so?“

„Ich habe ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Du solltest Clemens fragen, der war immer wie sein Schatten.“

„Und damals? Wie war er da so?“

„Arrogant, selbstgefällig, ehrgeizig. Unsere Firma war ihm immer zu klein und er hatte große Pläne.“

„Ich habe ihn immer für einen Versager gehalten, der sich nur für Frauen und Partys interessierte“, sagte Bernie.

„Diese beiden Dinge haben auch einen Großteil seiner Persönlichkeit ausgemacht.“

Arlo zögerte einen Moment und winkte ihn dann herein. Das Haus war eine ewige Baustelle. Anfang März hatte sich die Terrasse gesenkt, wodurch der Backsteinpfeiler vom Balkon darüber abriss und sich zur Seite neigte wie eine welke Blume. Der Besitzer hatte sich vorgenommen, es in Heimarbeit zu renovieren, um es dann teuer zu verkaufen. Überall um das Haus stand Baumaterial ungenutzt herum und auf der Nordseite ragte ein Gerüst bis an die Regenrinne. Doch es fehlte immer an Zeit und Geld, und so hatte er an Arlo vermietet, der sich nicht über die Zustände beklagte, und in den seltenen Fällen, wenn die Renovierung tatsächlich mal voranschritt, mit anpackte.

Im Inneren war alles auf ungemütliche Art verwinkelt und vollgestopft mit Dingen, die für einen Flohmarkt zu schäbig waren. Bernie betrachtete gefüllte Regale in verschiedenen Wohnzimmerschränken, kitschige Gemälde, Geweihe und ausgestopfte Schädel an den Wänden. Es gab kaum eine freie Stelle, wodurch glücklicherweise die scheußliche Tapete verdeckt wurde.

„Grundgütiger“, entfuhr es Bernie. Arlo folgte seinen Blicken, als würde er das Gerümpel gerade erst bemerken.

„Ich habe es möbliert gemietet.“

Bernie ging an den Reihen abgegriffener Taschenbücher vorbei. Es waren ausnahmslos Thriller, die sich in Zweierreihen in den Regalen stauten.

„Hast du die alle gelesen?“

„Größtenteils.“

Arlo las sich in Polit-Thrillern rund um die Welt und dachte deshalb viel über Dinge nach, die ihn eigentlich nicht interessierten. Es gab wenig Aufregung in seinem Leben, von seinen Einsätzen mit Davide einmal abgesehen. Deshalb lebte er recht unbeschwert, solange er sich nicht an die Vergangenheit erinnerte. Der Rummel, der ihn bis zu seinem Ausstieg begleitet hatte, war weit entfernt. Allerdings nicht mehr so weit, wie er es gewünscht hätte, dafür hatte der Clown vorhin im Fernsehen gesorgt. Arlo ließ sich aus dem Stand in einen abgewetzten Sessel fallen. Mit dem Kinn wies er auf die Couch. Bernie warf ein paar Kleidungsstücke zur Seite und setzte sich.

„Wie ist Tim gestorben?“

„Er wurde vor seinem Haus überfahren. Fahrerflucht. Es gab keine Zeugen.“

„Das ist tragisch“, sagte Arlo aufrichtig und überlegte, ob Tim jemals über seinen Vater gesprochen hatte. Aber ihm fielen auch bei längerem Nachdenken nur ein paar Halbsätze und beiläufige Bemerkungen ein. Als sie damals ihre Firma planten und eine Liste potenzieller Investoren erstellten, hatte Tim nur abgewunken, als es um seine Eltern ging. Arlo wusste nur, dass der alte Kaiser früher ebenfalls Künstler managte, sich aber zur Ruhe gesetzt hatte.

„Womit hältst du dich hier über Wasser, Arlo?“, fragte Bernie. „Ich meine, du kannst doch damals nicht so viel verdient haben, dass du bis heute von den Zinsen lebst.“

„Ich brauche nicht viel.“

„Willst du mir sagen, du bist mit diesem Leben hier zufrieden?“

„Du klingst so, als hätte ich hierfür ein tolles glamouröses Dasein aufgegeben. Ich war ein winziges, unbedeutendes Licht, bekam lächerliche Gagen und jeder durfte sich über mich lustig machen. Aber ich wollte nicht das Schicksal vieler erfolgloser Kollegen teilen und irgendeinen entwürdigenden Mist mitmachen, da rutsche ich lieber durch die Kanalisation. So gesehen habe ich mich für das entschieden, was ich weniger schlimm finde. Es gibt also keinen Grund, mich zu bedauern.“

Arlo meinte dies vollkommen aufrichtig. Man mochte den Kopf darüber schütteln, aber seine unattraktive Arbeit machte ihm weniger aus als die erbärmlichen Anfänge seiner Karriere, als er noch verbissen an sein vermeintliches Talent glaubte und sich, blind für den Geschmack des Publikums, dessen Ablehnung aussetzte.

„Ja, scheint so. Es sei denn, du lügst mir und dir die Hucke voll.“

Arlo zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Ich hatte dich mir verbitterter vorgestellt“, sagte Bernie.

„Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche.“

„Wenn man zu lange allein haust, wird man schrullig.“

„Wer sagt, dass ich keine Freundin habe?“, fragte Arlo trotzig.

„Deine Kleidung, deine Frisur, der Zustand des Hauses.“

„Dann bin ich eben schrullig.“

„Ganz schnell wird man dann unheimlich. Sieh mich an. Seit meine Frau gestorben ist, fahr ich allein in der Gegend rum. Jetzt mal ehrlich, würdest du in mein Auto steigen?“

„Also, falls es dich beruhigt, ich finde dich kein bisschen unheimlich.“

„Die schlimmsten Serienmörder waren völlig unscheinbare Typen. Ich könnte dir im Schlaf den Kopf abschneiden und ihn als Handpuppe verwenden. Vielleicht habe ich schon eine ganze Sammlung davon in meinem Wohnmobil.“

„Ich nehme das mit dem nicht-unheimlich zurück, zufrieden? Was war noch mal der Grund deines Kommens? Und warum hast du nicht einfach angerufen?“

„Telefone sind nicht sicher. Dasselbe gilt für E-Mail.“

„Klingt ganz schön paranoid. Was ist mit einem Brief?“

„Der Post vertrauen? Sag mal, wo lebst du eigentlich?“

Arlo seufzte resignierend.

„Okay, lassen wir den Smalltalk. Was genau willst du von mir?“

„Ich habe Tims Tagebuch bekommen, daraus geht eindeutig hervor, dass er sich bedroht gefühlt hat. Ich bin sicher, man hat ihn umgebracht.“

„Das fällt mir schwer zu glauben“, sagte Arlo.

„Dass er umgebracht wurde?“

„Dass er Tagebuch geführt haben soll.“

„Ich bin überzeugt, sein Tod war kein Unfall.“

„Aber weswegen?“

„Ich erzähle dir alles unterwegs. Pack ein paar Sachen ein, wir machen uns gleich auf den Weg.“

„So neugierig bin ich eigentlich gar nicht.“

„Ich glaube, es hat mit Tims Arbeitgeber zu tun. LupoTek.“

„LupoTek? Ich habe nicht mal gewusst, dass Tim für die gearbeitet hat. Früher wollte er lieber sterben, als für so einen Laden zu arbeiten“, sagte Arlo und bereute augenblicklich seine unglückliche Wortwahl.

„Das war wohl, bevor er herausfand, was man für viel Geld so alles kaufen kann“, erklärte Bernie, „er hat sich bei dem Deal nämlich auch einen Managerposten im Konzern gesichert.“

Der Mistkerl hatte sich gleich mit an LupoTek verkauft. In Arlo wuchs die Ahnung, dass dies nicht die letzte überraschende Neuigkeit für die nächste Zeit sein würde.

„Aber aus welchem Grund sollte man ihn töten?“

„Gute Frage. Vielleicht hat er etwas herausgefunden, das er nicht wissen durfte, und wurde deshalb zum Schweigen gebracht. Wir müssen rauskriegen, was passiert ist. Du schuldest es meinem Sohn.“

„Moment mal, ich schulde deinem Sohn gar nichts. Vielleicht schuldest du ihm etwas, ziemlich sicher sogar, aber ich nicht. Kein Geld, keinen Gefallen und schon gar nicht, mit seinem Vater irgendwohin zu fahren. Solange du dich also auf kryptische Andeutungen beschränkst, anstatt damit rauszurücken, was du weißt, wird hier gar nichts passieren.“

„Du erfährst alles früh genug.“

„Gute Reise“, sagte Arlo und stand auf.

„Hast du Onkel Manny im Fernsehen gesehen?“

Arlo hatte sofort gewusst, dass er nicht einfach wieder verschwinden würde. Bernie war so jemand, der seine Mitmenschen zermürbte. Arlo konnte sich vorstellen, wie er sich auf diese Art in der Branche durchgesetzt hatte. Ihm imponierte zwar die Hartnäckigkeit des alten Mannes, aber er hatte nicht vor, seinem Drängen nachzugeben. Vor allem nicht wegen solcher absurden Gründe. Natürlich war es schwer, sich mit dem Tod des einzigen Kindes abzufinden, aber deshalb eine Verschwörungstheorie zusammenzufantasieren? Er versuchte Bernie begreiflich zu machen, dass er sich nicht an diesem Blödsinn beteiligen würde, aber sein Gast wollte oder konnte ihn nicht verstehen. Arlo setzte ihn schließlich vor die Tür und stellte die Klingel ab. Er nahm sich vor, seinen ungebetenen Gast zu ignorieren und abzuwarten, bis er von selbst verschwand. Ein weiteres Beispiel für seinen ausgeprägten Hang zu Selbsttäuschungen.

Am nächsten Morgen stieg Arlo in aller Frühe die Treppe nach unten zur Haustür. Er wollte an dem Wohnmobil vorbei zur Straße hinunterschleichen und hatte Davide telefonisch gebeten, an diesem Tag einmal nicht zu hupen. Sein Chef war immer noch etwas ungehalten wegen des verprellten Kunden am Vortag und Arlo vermutete, dass er zur Strafe am Ende des heutigen Arbeitstages um einige Wespenstiche und Geruchserfahrungen reicher sein würde. Vielleicht sollte er lieber wieder für Davides kleine Schwester arbeiten. Lucrecia bezeichnete sich als Eventmanagerin, was immer das auch genau bedeuten sollte. In der Praxis vermittelte sie kleine Nebenjobs, um die sich niemand riss. Meist musste Arlo an frostigen Tagen auf dem Weihnachtsmarkt ausharren und einen Stand mit selbstgezogenen Kerzen oder handgestrickter Kinderkleidung (beides gelogen) bewachen, während er von allen Seiten mit Weihnachtsmusik beschallt wurde. Bereits das erste Jahr hatte sein Verhältnis zur Musik nachhaltig beschädigt. Dann waren auch historische Märkte dazugekommen. Er fand die Kutten recht bequem, die Jahreszeit sagte ihm mehr zu und es gab ausreichend Met aus Trinkhörnern. Als Bruder-Tuck-Verschnitt versuchte er sich vergebens an dem mittelalterlichen Duktus. Er blieb meist in der Nähe der Gothic- und Rollenspielfans, ließ sich über Ungenauigkeiten bei den Herr der Ringe-Verfilmungen belehren und tauchte mit der Gewandtheit eines Ninjas in jeder Runde auf, in der ein Joint kreiste. Natürlich nur aus medizinischen Gründen, wenn sein Knie mal wieder Probleme machte. Arlo hatte gehört, dass Marihuana weniger Nebenwirkungen bei der Behandlung chronischer Schmerzen hatte als pharmazeutische Produkte, und holte dazu auch keine zweite Meinung mehr ein. Meist fand man ihn beim Abbau der Stände laut schnarchend zwischen den Requisiten, während die Kasse des Standes, den er zu betreuen hatte, kaum mehr enthielt als das Wechselgeld, das ihm zuvor ausgehändigt worden war. Manchmal auch weniger, wenn ihn einer der anderen Stände nicht anschreiben ließ.

Als er aus der Haustür trat, stellte er ohne große Verwunderung fest, dass sich das Wohnmobil immer noch am selben Ort befand. Schwer vorstellbar, dass Bernie sich am Abend friedlich ins Bett gelegt hatte. Arlo sah sich misstrauisch um und bemerkte schnell die angelehnte Tür seiner Gartenhütte.

„Das hat er nicht gewagt“, stöhnte er. Vorsichtshalber zog er den Hammer aus seinem Gürtel und legte ihn neben die Haustür. Nur für den Fall, dass es zu einer Affekthandlung kommen sollte. Das Vorhängeschloss an der Hütte war gewaltsam geöffnet worden und im Inneren saß Bernie auf einer Kiste und blätterte einen Stapel Fotos durch. Was glaubte er, bei ihm zu finden? Beweise für die Ermordung seines Sohnes oder Hinweise auf Arlos Mittäterschaft?

„Ich habe gestern im Haus keinen einzigen Hinweis auf deine Vergangenheit gesehen, also habe ich hier gesucht“, erklärte Bernie völlig selbstverständlich. „Ich halte es zwar für großen Mist, was du früher gemacht hast, aber es hat Geld eingebracht, also respektiere ich es.“

„Ein Manager sollte sich eben immer seine künstlerische Integrität bewahren.“

„Du hast alles von damals in dieser Hütte?“

„Ich konnte es drinnen im Haus nicht ertragen.“

Alle Zeugnisse seiner Karriere lagerten in der Gartenhütte. Entwürfe, Skizzen, Requisiten, Kostüme, DVDs, Poster.

„Warum riechen die Sachen alle nach Benzin?“

„Einige Momente der Schwäche, in denen ich versucht habe, mich von dem Kram zu trennen. Dieser Teil meines Lebens ist abgeschlossen. Wenn dir die Sachen irgendwie helfen, kannst du sie gerne mitnehmen, aber auf meine Begleitung musst du verzichten.“

„Ich suche etwas Bestimmtes. Ein altes VHS-Band. Hat Tim dir zufällig eines geschickt?“

„Wir haben bei unserer Arbeit damals so eine neumodische Erfindung namens DVD benutzt.“

„Ein paar Bänder hast du aber schon.“

„Die sind uralt. Wie gesagt, du kannst sie haben.“

„Was ich suche, ist nicht dabei, ich habe sie mir schon angesehen.“

„Du hast was?“, entfuhr es Arlo, aber dann beruhigte er sich schnell wieder und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. „Natürlich hast du das, was frag ich?“

„Ich war bei Tim zu Hause und habe seine Sachen durchgesehen. Es gab Hunderte von DVDs, aber keine einzige Videokassette.“

Bernie hatte Tims Wohnung zum ersten Mal aufgrund des traurigen Anlasses betreten. Er hatte sich Zeit genommen, um sich der Sichtung aller Kisten und Kartons mit Tims Besitz zu widmen.

„Was ist auf diesem Band drauf, das so wichtig ist?“

„Ich nehme an, irgendwelches Belastungsmaterial.“

„Gegen wen?“

„Das weiß ich doch nicht.“

„Du hast keine Ahnung, was auf diesem Band ist? Was willst du dann damit?“

„Ich hoffe, dass der Inhalt mir den Grund zeigt, weshalb Tim ermordet wurde.“

Arlo schnaufte.

„Wie willst du das Band erkennen, wenn du nicht weißt, was darauf ist?“

„Episode 12.“

„Bitte?“

„Es geht um Episode 12.“

„Episode 12 von was?“, fragte Arlo.

„Das kann ich dir sagen, wenn wir das Band gefunden haben.“

„Eine Schnitzeljagd mit verbundenen Augen, ich liebe es jetzt schon. Wer außer mir könnte noch dieses Band haben?“, fragte Arlo.

„Die anderen.“

„Welche anderen?“

„Na, eure UndAction!-Truppe. So hieß doch die Firma, oder? Wir werden sie besuchen. Du bist mir bestimmt dankbar, dass ich dir helfe, deine alten Freunde zu finden. Nach so langer Zeit.“

„Wenn ich hätte wissen wollen, wo sie stecken, hätte mich das höchstens eine schlappe Viertelstunde im Internet gekostet. Ich habe kein Bedürfnis, mich mit ihnen zu treffen. Nicht, dass ich etwas gegen sie hätte, aber die Zeiten sind einfach vorbei.“ Arlo seufzte. „Sie einfach anrufen und nach dem Band fragen, war wohl nicht möglich?“

„Ihre Telefone werden vielleicht überwacht.“

„Ach genau, stimmt ja.“

„Wie kann ich dich bloß überzeugen? Es geht um dein Leben und möglicherweise auch um das deiner Freunde. Ich habe dich gefunden, also können das andere auch. Sie werden kommen, um nach dem Band zu suchen und alle Mitwisser zum Schweigen zu bringen.“

„Habe ich schon gesagt, wie paranoid das klingt?“

„Tim ist tot.“

„Ein Unfall, oder?“

„Ich habe keine Sekunde an die offizielle Darstellung geglaubt“, sagte Bernie mit leiserer Stimme. Dann ließ er resignierend die Schultern sacken. Arlo fand es recht durchschaubar, weshalb Bernie einer fremden oder sogar höheren Macht die Schuld zuzuschieben versuchte, die die Wiedervereinigung mit seinem Sohn verhindert hatte. Leider beließ er es nicht bei dieser Selbsttäuschung, sondern wollte die Schuldigen auch noch finden und bestrafen. Wie lange diese Selbsttäuschung die Konfrontation mit der Realität überstehen würde, war abzusehen.

„Ich habe deine Adresse aus Tims Unterlagen. Dein Name stand dort immer wieder. Genauso wie Onkel Manny. Er war im Begriff, wegen einer Rolle Kontakt mit dir aufzunehmen. Wenn du schon nicht für Tim mitkommst, dann tu es für Onkel Manny. Wenn du den öffentlichen Auftritten deines Doppelgängers keinen Riegel vorschiebst, wird es beim nächsten Fasching Legionen von Onkel Mannys geben.“

„Nicht jeder Clown ist gleich ein Onkel Manny.“

„Das ist richtig, aber der in Berlin schon. Oder glaubst du, da hat sich nur zufällig ein dicker Rocker ein Clownsgesicht aufgeschminkt?“

„Nein, das war schon ziemlich eindeutig. Aber ich sehe darin trotzdem keinen Grund, dich zu begleiten. Was hat dieser falsche Clown mit Tims Tod zu tun?“

„Tim wollte dich als Onkel Manny für ein Projekt, dann wird er umgebracht und ein falscher Clown taucht auf. Da gibt es doch wohl einen Zusammenhang.“

„Erstens gehen alle außer dir von einem Unfall aus und zweitens kann das einfach nur eine Abfolge von Ereignissen sein.“

„Vielleicht habe ich doch etwas, das dich überzeugen könnte“, sagte Bernie und verschwand im Wohnmobil. Arlo hörte, wie drinnen Schubladen aufgezogen und geräuschvoll durchwühlt wurden.

„Dauert das noch lange, ich habe nämlich einen anstrengenden Tag vor mir.“

Als Bernie wieder durch die Tür trat, hielt er eine Signalpistole in der Hand, die scheinbar zufällig auf Arlos Körpermitte wies.

„Ist die echt?“

„Sie ist alt, aber sie funktioniert noch. Soll ich es beweisen? Ich könnte den Tannenzapfen von dem Ast herunterschießen.“

Arlo folgte seinem Blick zu dem deutlich erkennbaren Vogel auf dem Ast einer Eiche.

„Lass mal gut sein, ich glaube es.“

Am ausgestreckten Zeigefinger von Bernies linker Hand baumelte ein Paar glänzender Handschellen.

„Damit wirst du dich an den Tisch in der Sitzecke ketten.“

„Es ist nicht sehr überzeugend, mich mit einer Waffe zu bedrohen, nachdem du mir vorhin erzählt hast, wie dringend du mich brauchst.“

„Ich würde eher abdrücken, als dich hierzulassen. Ich kann dich nicht dem Feind überlassen.“

„Der war noch mal wer?“

„Mach dich nicht über mich lustig, die Sache ist viel zu ernst“, schrie Bernie und stieß die Mündung vor. Arlo hatte die Handflächen neben den Kopf gehoben und bog sich vor der Waffe zurück. Er glaubte zwar nicht wirklich, dass Bernie abdrücken würde, aber es konnte sich aus Versehen ein Schuss lösen und das Resultat wäre dasselbe.

„Schon gut, schon gut!“

„Sie werden es wie einen Unfall aussehen lassen. So wie bei Tim.“

„Aber es würde natürlich keiner sein.“

„Natürlich nicht.“

Bernie sah Arlos mitleidigen Blick.

„Ich frage mich, was noch passieren muss, bis du endlich den Ernst der Lage erkennst.“

Arlo hätte ihn überwältigen können, aber was dann? Sollte er die Polizei rufen? Ihn verhaften lassen? Denn freiwillig würde Bernie nicht verschwinden. Außerdem hatte Arlo den Eindruck, mehr von dem Mann zu erfahren, wenn er ihn einfach reden ließ, anstatt ihn mit seiner eigenen Waffe zu bedrohen. Arlo stieg ins Wohnmobil, schloss ein Ende der Handschellen um das Tischbein, das andere um sein Handgelenk.

„Zufrieden?“

In dem Wohnmobil kämpften mehrere Duftspender gegeneinander und die ursprünglich wohlriechenden Einzeldüfte kulminierten zu einer schier atemraubenden Wolke. Vanillebäume, Lavendelsäckchen und diverse Raumsprays, für deren Einsatz Bernie das rechte Maß fehlte. Die olfaktorische Keule ließ Arlo mit der freien Hand das Fenster aufschieben.

„Schön, dann bleibt nur noch eines zu tun. Nämlich deine Spuren hier zu verwischen.“

Bernie hob die Signalpistole und feuerte mit beneidenswerter Treffsicherheit eine funkensprühende Kugel in die Gartenhütte.

Böser Clown
von Andreas Zwengel
ISBN: 978-3-943948-55-4
512 Seiten
15,95 €
Verlag Saphir im Stahl

Andreas ZwengelAndreas Zwengel, ...
... Jahrgang 1969, lebt mit seiner Frau in Griesheim bei Darmstadt.
2007 gewann er den Kurzgeschichtenwettbewerb von tcboyle.de und veröffentlichte seitdem über dreißig Phantastik- und Krimi-Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien.
2009 erschien sein Steampunk-Roman Die Welt am Abgrund.
2013 folgten der Abenteuerroman Sieben Städte aus Gold und der Mystery-Thriller Die Schattenkrieger.
2014 erschienen im Verlag Saphir-im-Stahl sein Kriminalroman Wespennest und die Anthologie Panoptikum, die erste Sammlung seiner Kurzgeschichten aus dem Bereich Phantastik.
Seit dem Frühjahr 2015 gehört er zum Autorenteam der Science-Fiction-Serie Ren Dhark und im Sommer nahm er seine Tätigkeit an mehreren Serien des BLITZ-Verlages auf, darunter Schattenchronik, Raumschiff Promet, Stahlwölfe und Sherlock Holmes. Seine erste Veröffentlichung im BLITZ-Verlag wird seine neue Phantastik-Anthologie BioPunk´d.
Weitere Informationen unter: andreas-zwengel.de

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