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Ringo`s Plattenkiste: Mike Oldfield - Incantations

Mike Oldfield - Incantations

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten  Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

 

heute geht es weiter mit anspruchsvoller Musik aus den Siebzigern. Wobei das heutige Album zum Zeitpunkt seines erscheinens ein nicht mehr zeitgemäßer Anachronismus war. Prog und ausufernde Kompositionen wollte 1978 keiner mehr hören, die Hörerschaft strebte nach Neuem. Und so waren Disco und Punk schwer angesagt. Die Hörer wollten kurze, knackige Songs mit eingängigen Melodien und schmissigen Texten. Songs die sich über 2 oder gar noch mehr Plattenseiten erstreckten, waren völlig out. Und so kam es dann, dass sich viele Bands und Musiker aus den frühen Siebzigern sehr schwer taten. Viele passten sich an, änderten radikal ihren Stil und Sound. Was manchmal gelang, wie etwa bei Gentle Giant (Ringo berichtete), manchmal aber in Orientierungslosigkeit oder Lächerlichkeit endete. Manche hörten einfach auf und die Musiker machten Solo weiter oder gründeten ganz neue Bands, die ihre Wurzeln zwar beibehielten, sich aber dennoch gleichzeitig auch an die neue Zeit anpassten. Auch der Musiker, um den es heute geht, änderte seinen Stil rigoros. Aber zuvor klotzte er noch einmal richtig.

bevor ich mich der heutigen Platte – eigentlich sind es zwei, da es sich um ein Doppelalbum handelt – widme, beleuchte ich den Künstler, der dahintersteht. 1953 kam Michael Gordon Oldfield in Reading, England, als jüngstes von 3 Kindern zur Welt. Als Mikey Sieben Jahre alt war, gebar seine Mutter noch ein viertes Kind, das aber leider am Down-Syndrom litt und im Kindheitsalter verstarb.

reading ist eine sehr alte Großstadt, die auf halbem Wege zwischen Oxford und London liegt. Oscar Wilde widmete der Stadt ein Gedicht, da er dort einige Zeit im Gefängnis inhaftiert war. Reading ist nicht nur der Geburtsort der Oldfields, sondern auch der von Elizabeth Taylor und Kate Winslet. Reading dürfte auch den meisten Musikfans ein Begriff sein, denn dort findet seit 1971 das alljährliche Reading Festival statt.

mike begann mit 10 Jahren Gitarre zu spielen, was ihn so begeisterte, dass er mit 16 die Schule schmiss, um mit seiner älteren Schwester als Folkduo unter dem etwas seltsamen Namen Sallyangie Musik zu machen. Ein weiterer Grund für den Abgang von der Schule war, dass Mike sich hartnäckig weigerte sein Haar kurz schneiden zu lassen. Sallyangie tourte durch England und Frankreich und veröffentlichte 1968 sogar ein Album, das aber das einzige bleiben sollte. Der Bandname Sallyangie setzt sich aus dem Vornamen von Mikes Schwester und dem Titel eines seiner Lieblingssongs zusammen: Angie von Bert Jansch. Nach dem Split begann eine schwierige Zeit für Mike und er bekam einen Nervenzusammenbruch. Er lernte bald Kevin Ayers kennen, dem er sich für kurze Zeit als Bassist anschlosss, nachdem er von Roger Chapman`s Family eine Abfuhr bekommen hatte.1970 spielte er mit seinem Bruder Terry in der unbekannten Band Barefoot, 1971 spielte er auf einem Track der Edgar Broughton Band Mandoline (Ringo berichtete). Zwischendurch arbeitete er als Gitarrist für die Bühnenaufführung des Musicals Hair, für das auch Aex Harvey arbeitete. Im selben Jahr begann Oldfield auch an der Arbeit zu seinem Magnum Opus Tubular Bells, das die Aufmerksamkeit von Richard Branson erregte, der ür sein brandneues Label Virgin Musiker suchte. Ursprünglich war Virgin Records and Tapes on Notting Hill Gate ein kleiner Plattenladen in London, der sich auf Krautrock aus Deutschen Landen spezialisierte. Der umtriebige Branson aber wollte mehr und sah seine Chance in der Gründung eines eigenen labels und streckte seine Fühler in alle Richtungen aus und wurde bald auf den Wunderknaben Oldfield aufmerksam.

oldfield, der als Bassist für Ayers tätig war, wurde von Branson zu allerbesten Konditionen sofort unter Vertrag genommen: Branson verpflichtete ihn zu 6 Alben plus einer optionalen Erweiterung von weiteren vier. Nicht schlecht für einen völlig unbekannten Jungspund! Neben Mike wurden auch Kevin Coyne, Vivian Stanshall und die deutsche Band Faust (Ringo berichtete) von Branson unter Vertrag genommen.

aufgenommen wurde das Debutalbum in Bransons Manor House, einem sehr gut ausgestatteten Tonstudio in einem Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, das nach umfangreichen Renovierungs- und Umbauarbeiten eins der wenigen Aufnahmestudios in England wurde, in dem die Kunden auch für die Dauer der Sessions wohnen konnten. En Konzept, das sich Branson vom Château d'Hérouville abkuckte. 1995 wurde das Studio im Gesamtpaket zusammen mit Virgin Records verkauft und wird mittlerweile von einer Adelsfamilie bewohnt.

tubular Bells erschien 1973 als Virgins erste Platte und verkaufte sich millionenfach. Branson musste fortlaufend Platten nachpressen, um der Nachfrage gerecht werden zu können. Tubular Bells traf anscheinend den Nerv der Zeit. Prog hatte gerade seinen Höhenflug begonnen, und Oldfields Platte stellte alles Bisherige in den Schatten. Nicht nur, dass sich die Komposition über beide Plattenseiten erstreckte, er spielte auch tatsächlich fast alle Instrumente selbst. Gastmusiker waren Steve Broughton, der Bruder von Edgar, Oldfields Schwester Sally und der schräge Vogel Vivian Stanshall von der Bonzo Dog Dooh-Dah Band. Stanshall fiel die Rolle des Master of Ceremonies zu, der die einzelnen Instrumente im Finale der ersten Plattenseite ankündigte. Das Album begründete Oldfields Image des musikalischen Wunderkinds und Multiinstrumentalisten. Während man heutzutage als solcher gilt, wenn man 2 Instrumente spielt, wartete Oldfield mit ca. 20 verschiedenen auf!

tubular Bells begründete den finanziellen Erfolg von Virgin und ermöglichte es dessen Besitzer, weiter zu expandieren. Branson gründete eine ganze Kette von Plattenläden, eine Fluggesellschaft, eine Eisenbahnlinie und stieg mit Virgin Galactic 2004 in die Raumfahrt ein. Nicht alle seiner Unternehmungen aber waren von Erfolg gekrönt. So musste er wegen finanzieller Engpässe von Virgin Atlantic Airways sein Label Virgin Records verkaufen. Es ging für eine Milliarde an EMI.

tubular Bells wurde bereits kurz nach seiner Veröffentlichung zum Klassiker und kam auch zu Filmehren: die Eröffnungssequenz ist im Film „Der Exorzist“ kurz zu hören. Oldfield war zu dieser Zeit Alkohol und Drogen nicht abgeneigt. Er trank gerne Rotwein und schmiss sich auch mal LSD ein, das ihn maßgeblich zu Tubular Bells beeinflusste.

 

ein Jahr nach Tubular Bells erschien sein zweites Album mit dem Titel Hergest Ridge, das ähnlich strukturiert war, wie sein Vorgänger: Oldfield spielte fast alle Instrumente und die Musik war ein abermals ein durchgängiger Song, der sich über zwei Plattenseiten erstreckte. Hergest Ridge war ebenfalls ein großer Erfolg, sodass wieder ein Jahr später sein drittes Album, Ommadawn erschien. Auch hier blieb Mike seinem bisherigen und Erfolg versprechendem Konzept bei. Ommadawn war folkloristischer und kann durchaus als frühes Beispiel von Weltmusik gelten.

nebenbei veröffentlichte Oldfield einige Singles, auf denen er traditionelles Liedgut verarbeitete und wirkte auch an Produktionen andere Musiker mit. 1976 erschien mit Boxed eine Vierfach-LP-Box, die seine drei ersten Alben enthielt sowie eine vierte Scheibe mit einer Auswahl von Kollaborationen. Für diese Box wurden die Aufnahmen klanglich aufbereitet und quadorphonietauglich gemacht.

oldfield hatte durch seine Platenverkäufe genug Geld in der Tasche und kaufte sich ein Haus, in dem er ein großzügiges Tonstudio einbauen ließ. Dort musizierte und komponierte er nach Herzenslust, was aber seinen Nachbarn nicht besonders gefiel. Diese beschwerten sich alsbald über den Lärm aus Oldfields Anwesen. Was mich ein wenig an Lovecraft`s „Der Fall Charles Dexter Ward“ (Ringo berichtete) erinnert. Oldfield erweckte zwar keine Toten, störte aber anscheinend durch seine Präsenz die Alteingesessenen. Der Klügere gibt nach, dachte sich Mike und erwarb ein neues Anwesen. Kurze Zeit spielte er mit dem Gedanken, sich ein ganz neues Haus nach seinen speziellen Vorlieben bauen zu lassen, fand dann aber ein altes Anwesen, das ihm gefiel. Wie das Manor war sein neues Domizil ein altes Steingebäude, das er gründlich umbauen ließ. Die teils recht kleinen Räume wurden durch herausreissen von Trennwänden vergrößert, um für ihn und sein geplantes Tonstudio ausreichend Platz zu bieten. Auch war das Gebäude weit genug von nervigen Nachbarn entfernt, sodass Mike in aller Seelenruhe seinen blasphemischen Experimenten, Verzeihung, musikalischen Projekten nachgehen konnte. Da die Devise „Klotzen, nicht kleckern“ hieß, suchte er sich einen ganz eigenen Toningenieur, den er in Paul Lindsay von den Rockfield Studios fand. Lindsay sagte sofort zu und begann damit, das geplante Studio auszustatten und einzurichten. Der unruhige Oldfield sauste inzwischen zu Bransons Manor, um eine neue Version von In Dulci Jubilo aufzunehmen.

1977, als Anwesen und Studio endlich fertig waren, plante Oldfield sein nächstes Album. Zuvor aber nahm er noch eine Interpretation von Rossinis Wilhelm Tell auf, die als Single veröffentlicht wurde.

Für das brandneue Album wollte Oldfield etwas ganz Besonderes. Es sollte sich grundlegend von seinen Vorgängern unterscheiden. Für Tubular Bells setzte er hauptsächlich Rock-Instrumente ein. Hergest Ridge zeigte keltische Einflüsse und Ommadawn schließlich afrikanische. Das neue Album sollte größer, höher, weiter und vor allem … magischer sein. Das war Oldfields Vision. Ein Album voller Magie und mit richtigen Instrumenten, ohne viel Synthesizersounds. Der Titel Incantations – Beschwörungen – sollte zuerst tatsächlich Programm sein, denn Mike plante, authentische Beschwörungsformeln für das Album zu verwenden. Oldfield lud sich in der Vorbereitungsphase gar einen angeblich echten Druiden ein, um zeremonielle Gesänge und ähnliches aufzunehmen. Der Druide erschien zwar wie vereinbart, hatte aber mehr Interesse an Oldfield selbst, den er zum Schüler nehmen wollte. Der Druide aber war nicht der einzige schräge Vogel, von dem sich Oldfield Inspirationen erhoffte. Eine Schamanin war bei ihm zu Gast, ebenso eine seltsame Dichterin namens Kathleen Raine. Die Schamanin schwieg übrigens während der Zeit ihres Aufenthaltes, was die Unterhaltung doch etwas einseitig machte. Oldfield stieß von selbst irgendwann auf die Namen Gog und Magog und beschäftigte sich mit der römischen Jagdgöttin Diana, kam aber allmählich von seinem ursprünglichen Konzept ab, beschränkte sich auf einen lockeren folkloristischen Hintergrund und widmete sich dem Komponieren.

Die Aufnahmen begannen im Dezember 1977 und zogen sich mit kleinen Unterbrechungen bis September 1978 hin. Dazu später aber mehr.

Oldfield erinnert sich, wie während der Zeit der Aufnahmen eines Tages eine Delegation von Virgin Records bei ihm erschien, um sich nach dem Fortschritt des Albums zu informieren. Nachdem er ca. 20 Minuten fertiges Material vorgespielt hatte, herrschte eisiges Schweigen. Man konnte es den Mienen der Herren ansehen, dass sie nicht besonders beeindruckt oder gar zufrieden waren. Seit seinem letzten Album waren 3 Jahre vergangen, in denen sich allerlei Veränderungen ergaben. 1978 war eine Zeit des ganz großen Umbruchs, und sogar das renommierte und auf anspruchsvolle Rockmusik spezialisierte Label Virgin verschloß sich dem Zeitgeist nicht. Sie sahen Punk als Stilrichtung und Bands wie die Sex Pistols zukunftsweisend und somit profitabler. Oldfield war für sie inzwischen ein langweiliger alter Sack, verspielt wie ein Kind und naiv in seiner musikalischen Scheinwelt lebend. Virgin distanzierte sich zunehmend von Mike und unterstützte ihn weitaus weniger als zuvor, was Promoting und Werbung betraf. Er konnte zwar noch verstehen, dass die heranwachsende Generation frustriert war und althergebrachte Rockmusik mit all ihren Sperenzchen satthatte, aber dass er selbst zunehmend ins Kreuzfeuer geriet, gab ihm den Rest. Für Oldfield brach eine Welt zusammen, und er vermochte eine Zeit lang nicht mehr weiter zu arbeiten. Sene Inspiration war weg und er begann heftig zu trinken.

Im Sommer 1978 nahm er eine Auszeit von den Aufnahmen und unternahm mit seinem Bruder eine Reise nach Italien und Griechenland, um etwas Abstand zu gewinnen. Während dieser Zeit wurde er durch die Frau seines Toningeniers Paul Lindsay  auf ein spezielles Seminar zur Selbstbehauptung aufmerksam: Exegis, so der Name des Programms des Anbieters Robert D`Aubigny, einem ehemaligen Schauspieler. Ein sehr umstrittener Herr übrigens, dessen Seminarprogramm Exegis mehr einer Sekte ähnelte, denn einem Selbstfindungslehrgang.

Nach 3 Tagen Seminar fiel eine Last von Oldfield ab und wer wurde ein neuer Mensch voller Selbstvretrauen. Der Tiefpunkt war überwunden und Mikemachte sich voller Elan erneut an die Arbeit. Inspiriert von der Therapie nahm er zwischendurch einen kurzen Song auf: Guilty. Der Track wurde später als Single veröffentlicht.

Die Besetzung sah aus wie folgt:

Mike Oldfield: various instruments

Mike Laird: trumpet

Pierre Moerlen: drums, vibraphone

Benoît Moerlen: vibraphone

Maddy Prior: vocals

Sally Oldfield: vocals

Queen's College Girls Choir: vocals

Sebastian Bell: flute

Terry Oldfield: flute

Jabula: African drums

David Bedford: strings and choir conductor

Produziert wurde das Album von Mike Oldfield selbst.

An den Reglern saß Paul Lindsay, der mit Mike zuvor schon bei der Collaborations-Platte vom Box-Set zusammengearbeitet hatte.

Mike Laird war ein bekannter und sehr gefragter klassischer Trompeter, der schon für Elton John und die Beatles (kennt die jemand?) getrötet hatte.

Die Brüder Pierre und Benoit Moerlen spielten zusammen in in der etwas verschrobenen Progband Gong. Oldfield kannte Pierre bereits von den Aufnahmen zu Ommadawn.

Maddy Prior war die Sängerin der britischen Folkband Steeley Span. Auf dem 1976er Jethro-Tull-Album „Too old to Rock n`Roll, too young to die“ (Ringo berichtete) war sie als Gastsängerin auf dem Titeltrack zu hören.

 

Sally Oldfield war die Schwester von Mike, wie wir bereits wissen und arbeitet mit ihm auf den vorherigen Alben.

Der Queen's College Girls Choir ist eine private Mädchenschule in Westminster, London und war auf diversen Aufnahmen David Bedfords zu hören.

Sebastian Bell ist ein britischer Flötist, der an verschiedenen Akademien unterrichtete.

Terry Oldfield war der Bruder von Mike und war ebenfalls auf den bisherigen Alben seines Bruders als gastmusiker tätig.

David Bedford war ein alter Bekannter Oldfields, mit ihm hatte er bereits früher zusammengearbeitet. Bedford war zudem auch für das oben genannte Queen's College tätig. Vermutlich kam die Zusammenarbeit mit dem Schulchor deshalb durch ihn zustande.

Jabula war ein mehrköpfiges Ensemble südafrikanischer Musiker, die bereits auf Ommadawn zu hören waren. Zur Band gehörten Julian Bahula, Ernest Mothle, Lucky Ranku und Eddie Tatane. Vermutlich inspirierte letzterer Waldo Marek zu seiner Figur Tatane aus der VHR-Subserie „Hexenhammer“.

 

Incantations erschien am 01. Dezember 1978 im schmucken Gatefold, das Mike vor einer stürmischen Küste zeigt.Fotografiert wurde von Teror Key, der zuvor schon für Tubular Bells und Hergest Ridge geknipst hatte.

Der gezeigte Küstenabschnitt liegt am Cala Pregonda Strand auf der Insel Menorca und wird von den Einheimischen „Die betende Frau genannt“. Schaut man sich den schroffen Felsen genauer an, vermag man mit ein wenig Phanasie tatsächlich die Silhouette einer betenden Frau zu erkennen.

Das Motiv ergab sich aus der Bekanntschaft mit einem Freund Richard Bransons, der damals ein Haus in der Nähe des Strandes hatte. Es ist nicht ganz klar, ob Oldfield tatsächlich am Strand posierte oder ob Key sein Bild geschickt in die Naturphotographie einfügte. Für mich ist das Cover sehr symbolisch, was aber vermutlich unbeabsichtigt war. Die rauhe Küstenlandschaft passt sehr gut zur stürmischen Zeit der Endsiebziger. Rockdinosaurier wie Oldfield mussten sich da ganz schön warm anziehen. Auch Oldfield selbst hatte sich optisch verändert. Der Fusselbart war ab, die Haare waren kürzer und er trug nicht mehr seinen obligaten Aussteiger-Pullover, sondern einen Leinenanzug. Klappte man das Cover auf, war eine Portraitaufnahme Oldfields zu sehen, neben der die Credits standen.

Die Erstauflage des Doppelalbums enthielt noch ein großes Poster, das ich mir damals an die Wand pappte.

Das Doppelalbum erschien auch auf der damals obligaten Kassette. Einige Jahre später auf CD mit einer Besonderheit. Da das komplette Album für die damalige Höchstlaufzeit von 74 Minuten zu lang war, kürzte man einfach Part 3 um die erforderlichen Minuten. Das vollstäöndige Werk erschien dann im Lauf der Zeit endlich wieder ungekürzt in diversen Versionen.

 

 

 

Hier die Tracklist des Original-Albums:

Seite 1

  1. Incantations (Part One)

Seite 2

  1. Incantations (Part Two)

Seite 3

  1. Incantations (Part Three)

Seite 4

  1. Incantations (Part Four)

Sehen wir uns die Tracks wieder mal ein wenig genauer an

Incantations (Part One) beginnt mit einer choralen Quinte, die mit einem Gong endet, um für die Streicher und die Querflöte zu weichen. Das musikalische Hauptmotiv, ein durchlaufender Quintenzirkel, kehrt, jeweils anders instrumentiert, stetig wieder. Die vielstimmige Musik wabert und schwebt auf Wolken, die aber jäh von einer majestätischen Trompete verscheucht werden. Bei oberflächlichem Hören ist es gar nicht so einfach, die einzelnen Instrumente zu identifizieren, obwohl es insgesamt nicht viele gleichzeitig zu hören gibt. Was eher untypisch für Oldfields Musik ist.

Was aber ist eigentlich eine Quinte?

Nun, eine Quinte ist ein Intervall, das heißt, eine Strecke von 5 Tonstufen vom Grund- bis zum Schlußton einer beliebigen Tonleiter. Es müssen nicht zwingend immer alle 5 Tonstufen zu hören sein. Wichtig ist das Intervall an sich, der genausogut nur 2 oder 3 Töne haben kann. Ebenso kann die Quinte in einem Akkord stecken. Ein Quintenzirkel baut auf dieses Prinzip auf. Im Zirkel der beliebigen Tonart kommt jeder Ton der Leiter einmal als Grundton mit einer darauffolgenden Quinte vor. Gefolgt vom nächsten, der wieder die Quinte durchläuft, abermals gefolgt vom nächsten. Das geht so lange, bis jeder einmal dran war.

Part One ist sehr repetiv. Oldfield präsentiert uns einen Quintenzirkel nach dem anderen, aber so geschickt arrangiert und instrumentiert, dass man gar nicht merkt, dass man im Grunde immer wieder die gleiche Melodie hört. Clever, was? Zwischendrin gibt es einen typischen Oldfield-Gitarrenpart, der ab der Mitte des Tracks dem Queens Choir gehört, der den so genannten Diana-Part zum Besten gibt. Dieser Diana-Part wurde, wie erwähnt, von der römischen Göttin der Jagd, Diana inspiriert und wird uns später wieder begegnen. Gegen Ende kehrt auch die Querflöte zurück und Part One endet dann auch genauso, wie er begonnen hat und dann ist Seite 1 auch schon zu Ende.

Drehen wir die Scheibe also mal um

Incantations (Part Two) Ein Synthesizer blubbert wie eine Quelle im hintergrund zu einer Flöte, die eine Variation von Part One spielt. Alles wieder schön im Quintenzirkel. Danach setzen abrupt die Streicher ein, hektisch wie ein herumschwirrender Insektenschwarm und das Soundgefüge entfernt sich allmählich von der idyllischen Quelle. Es wird ein wenig ruhiger und Oldfield betritt mit seiner Gitarre wieder den Schauplatz. Dieser etwas in die Länge gezogene Teil bildet eine Art Übergang zum Diana-Thema, das hier ein wenig anders instrumentiert und arrangiert ist, um dann wieder vom Chor intoniert zu werden. Bis jetzt bietet Part Two kaum Neues, aber Oldfield verpackt die bereits bekannten Strukturen geschickt in ein anderes Gewand. Das Diana-Thema ist in diesem Part ansprechender und feierlicher. Fast wie in der Kirche. Diana endet und macht Jabulas schamananheftem, monotonen Trommeln Platz. Ab hier beginnt der Part endlich, eigenständig zu werden. Zur Percussion gesellen sich bald ein schwebender Synthesizersound, ein wenig Vibraphon und schließlich Maddy Priors Gesangspart, der ebenfalls sehr repetiv ist und knapp 9 Minuten dauern wird. Dieser Part trägt den Titel „Hiawathas Song“ und ist dem legendären Führer des Irokesenbundes gewidmet. Der Text stammt nicht von Oldfield, sondern von dem US-amerikanischen Lyriker Henry Wadsworth Longfellow, der dem „Edlen Wilden“ Mitte des 19. Jahrhunderts sein Epos „The Song of Hiawatha“ gewidmet hatte. Part 2 ist der längste der ganzen Suite, aber leider auch der schwächste. Im Großen und Ganzen ist er eigentlich nur eine Wiederholung von bereits Bekanntem und das Neue, der Hiawatha-Song ist zwar sehr schön aber dennoch einfach zu lange.

Platte 1 kommt dann zurück in die Hülle

Incantations (Part Three) überrascht den Hörer mit mittelalterlich-folkloristischem Pomp, in dem auch Oldfields Gitarre nicht fehlen darf. Ein interessanter und neugierig machender Auftakt! Bald kehren rhythmische-repetive Prcussions und Vibraphon zurück, wie wir sie bereits von Part 2 kennen. Es gibt aber keinen Aufguß von Hiawatha, sondern einen sehr gelungenen und ausgedehnten Gitarrenpart. Nach knapp der Hälfte von Part 3 kramt Mike die mittelalterlichen Schalmeien wieder aus und die musikalischen Themen von Part 1 & 2 kehren zurück, bevor Mike gegen Ende wieder kräftig in die Saiten haut. Im Gegensatz den anderen Plattenseiten ist der dritte Teil rein instrumental. Gleichzeitig ist Seite 3 mit knapp 17 Minuten auch die kürzeste.

Legen wir nun also die vierte und letzte Seite auf

Incantations (Part Four) beginnt sphärisch und sehr ruhig mit einer ätherischen Harfe vor dezenten Synthesizertönen, zu der sich bald ein Piano gesellt. Alles zusammen bildet eine Art Intro zu einem ausgedehnten und vetrackten Vibraphon-Part der Moerlen-Brüder, die ihre Version des Eingangsthemas von der ersten Plattenseite zum Besten geben. Oldfield selbst setzt immer wieder mal mit seiner Gitarre ein, bis dann nach etwa 8 Minuten ein rockiger Weltmusikpart beginnt, der eigenständig ist, nichtsdestotrotz aber wieder eine Variation des Themas von Part 1 bringt. Im letzten Drittel wird es beschaulicher und die Moerlens kehren mit einer wunderschönen Vibraphon-Melodie zurück. Auch das Diana-Thema begegnet uns im Finale wieder bis dann Sally, Mikes Schwester zu singen beginnt. Auch hierzu stammt der Text nicht von Oldfield. Diesmal ist er von ben Johnson, einem Zeitgenossen William Shakespears. Angelehnt ist der Songtext an seine Satire „Cynthias revels“. Ein toller Ausklang eines ausufernden und streckenweise etwas langatmigen Monsterepos.

Incantations ist dann zu Ende

In den späten Siebzigern war mir der Name Mike Oldfield wegen Tubular Bells natürlich geläufig. Wenn ich mich genau erinnere, besaßen wir sogar das Vierfach-Box-Set. Incantations war 1978 für mich das erste Oldfield-Album, das brandneu erschien. Angekündigt wurde es bereits mit viel Vorschußlorbeeren im GOVI-Katalog. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich es dann auch dort bestellte oder ob ich es im lokalen Plattenladen kaufte. Ich tendiere zu letzterem. Ich weiß aber noch, dass mir das Cover überhaupt nicht gefiel, ebenso wie die Platte selbst. Was genau mich störte, bzw., was mir mißfiel, kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. In erster Linie lag es wohl an mir selbst, meinen Erwartungen und meiner juvenilen Oberflächlichkeit. Protzte Oldfield auf den Vorgängeralben mit einer genauen Auflistung der von ihm gespielten Instrumente, gab es hier nur schlicht die Nennung Various Instruments. Scheinbar brauchte ich damals diese Brücke mit den Instrumenten, um mir ein klangliches Bild vom Gehörten zu machen. Und tatsächlich, Incantations enttäuschte mich, da ich es voller Vorurteile als reine Synthesizermusik betrachtete. Und somit als Anbiederung an die damaligen Musiktrends. Was natürlich Quatsch war, dnn gerade auf diesem Album setzte Oldfield, wie erwähnt, auf richtige Instrumente.

Heute, durch das fast schon inflationäre Hören wegen dieses Artikels, bin ich regelrecht begeistert davon. Das Album ist nicht nur deutlich ausgereifter als die Vorgänger, es ist auch homogener und von einer sehr hohen kompositorischen und musikalischen Qualität. Klang Tubular Bells doch eher ein wenig zusammengestückelt, hört sich Incantations an wie aus einem Guß. Tatsächlich entdeckeich bei jedem Hören immer wieder etwas Neues. Mal ist ein einzelnes Instrument, das plötzlich in den Vordergrund tritt, mal ist es eine Melodie, bzw. die Variation einer bereits gehörten. Incantations ist Oldfields Meisterwerk, gleichzeitig aber auch der Schwanengesang einer ganzen Epoche. Der Hörer des sich zu Ende neigenden Siebziger wollte keine Musik, die sich über vier Plattenseiten erstreckt. Schon gar nicht wollte er Musik, zu der er nicht tanzen konnte oder die die Älteren gerne hörten. Der junge, sich entwickelnde Mensch wollte Punk, New Wave oder einfach Disco. So kam es, wie es kommen sollte.

1979 hielt sich Oldfield in New York auf und nahm dort eine Single auf: Guilty erschien im April des Jahres und entpuppte sich als Hit. Für den treuen Oldfield-Fan muss der Song ein Schock gewesen sein. Statt egozentrischem Multiinstrumentalismus in ausufernder Form gab es blubbernde Analosynthesizer in bester Donna Summer-Manier. Dazu kam noch ein funky und knallender Bass. Der Song ist überwiegend instrumental gehalten, nur gelegentlich ist ein Gesangsquartett zu hören, das „Guilty“ schmettert. Ein schrecklicher Song, aber Guilty schaffte es auf Platz 22 der britischen Charts. Was Mikey dazu nötigte, in Top-of-the-Pops aufzutreten. Auf der B-Side gab es dann noch vier Minuten aus Incantations. Mir erschließt sich nicht so recht, wieso Oldfield behauptet, er habe in diesem Song seine Exegis-Erfahrung thematisiert. Ausser dem gelegentlichen „Guilty“ gibt es sonst keinerlei Text.

Der über sich selbst hinausgewachsene Mike ging 1979 auf Tour, um das Album live darzubieten, was Richard Branson zu regelrechten Begeisterungsstürmen hinriss. Der bis dato schüchterne Oldfield war mit seinen Solowerken noch nie live aufgetreten. Für die Tour heuerte er ein Rockensemble an, eine Streicher- und Bläsersektion sowie einen ganzen Chor. Oldfield setzte hauptsächlich auf Musiker, die auch auf dem Album zu Hören waren. Die Konzerte führten duch Spanien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Niederlande, Dänemark und schließlich durch England. In Wembley wurde dann auch audiovisuell mitgeschnitten. Obwohl die Konzerte sehr gut besucht waren und von den Kritikern hochgelobt wurden, waren sie finanziell ein Fiasko. Oldfield zahlte 10 Jahre lang seine Schulden ab. Aber das war es ihm wohl wert gewesen. Mitschnitte von Mikes Konzerten erschienen 1979 auf dem Live-Doppelalbum Exposed. Ein Titel, der Programm ist: für Oldfield waren die Tour, die Konzerte und der Kontakt mit so vielen Menschen tatsächlich eine Art psychotherapeutisches Exponieren.

Das Folgealbum überraschte den Fan, denn es bot „nur“ auf der ersten Seite eine lange Komposition, die zweite Seite bestand aus kürzeren Songs. Der Trend setzte sich, vermutlich auf Druck der Plattenfirma, fort und Oldfield veöffentlichte zunehmend radiotaugliche, kürzere Songs, die es in die Charts schaffzten. Zu seinen bekanntesten Hits gehören Moonlight Shadow, Shadow on the Wall und To France.

Virgin Records verlangte, wohl aus finanzstrategischen Gründen immer wieder eine Fortsetzung von Tubular Bells, was Oldfield aber stets ablehnte.

1989 erschien das bisher erste Album, das keinen Instrumentaltrack enthielt. Ein Jahr später, als die Trennung von Virgin unausweichlich war, zeigte sich Mike von seiner rebellischen Seite: Amarok bot eine durchgehende Komposition mit einer Spieldauer von 60 Minuten. Das letzte Album für Virgin präsentierte Mike Oldfield selbst als Sänger. Für diese Aufgabe nahm er sogar Gesangsunterricht.

Oldfield wechselte zu Warner und veröffentlichte hier endlich das von Virgin lange geforderte, aber von ihm stets abgelehnte Tubular Bells 2, dem einige Zeit später gar Tubular Bells 3 folgen sollte. 2003, zum dreissigjährigen Jubiläum erschien eine komplette Neueinspielung von Tubular Bells, ei der Monty Python Komiker John Cleese den Part Vivian Stanshalls übernahm. Und so ging es munter weiter. Oldield veröffentliche Platten über Platten, die nichts wesentlich Neues, Überraschendes oder gar Überzeugendes boten. 2017 erschien dann auch noch eine Fortsetzung von Ommadawn, das den albernen Titel Return to Ommadawn trägt.

Was wurde aus den Beteiligten?

Mike Oldfield machte 1980 seinen Pilotenschein, war dreimal verheiratet und hatte eine kurze Beziehung mit Anita Hegerland, dem ehemaligen Kinderstar aus Norwegen, die mit Roy Black einen Riesenhit mit dem Titel „Schön ist es auf der Welt zu sein“ hatte. Insgesamt hat Oldfield 7 Kinder, von denen der Älteste aber leider nicht mehr am Leben ist.

2023 zog er sich vom Musikbusiness zurück und erklärte, dass er von nun an im Ruhestand lebt. Oldfield lebt inzwischen auf den Bahamas.

Mike Laird war als Professor an verschiedenen Universitäten tätig, unter anderem in deutschland.

Pierre Moerlen war mit Oldfield auf Tour und kehrte dann wieder zu seinen eigenen Projekten zurück. Seine Band Gong spaltete sich in zwei Hälften und Pierre war der Leader des Ablegers, Pierre Moerlen`s Gong. In späteren Jahren spielte er Schlagzeug auf diversen Musical-Tournenen wie z.B. West Side Story oder Jesus Christ Superstar. Pierre verstarb 2005.

Benoît Moerlen lebt noch und war ebenfalls mit Mike auf Tour. Er war auch festest Mitglied im Gong-Ableger seines Bruders sowie später bei Gongzilla.

Maddy Prior begleitete Oldfield ebenfalls auf seiner Tour und kehrte dann zu Steeley Span zurück. Maddy veröffentlichte noch etliche Soloalben.

Sally Oldfield veröffentlichte einige Soloalben und arbeitete noch einige Male mit ihrem Bruder zusammen.

Queen's College Girls Choir. Den gibt es noch und war ebenfalls mit Mike auf Tour.

Sebastian Bell. Der war auch mit Mike auf Tour. Und ist immer noch als Musiker aktiv.

Terry Oldfield war auch mal kurz bei Gong dabei, veröffentlichte aber Soloalben. Viele Jahre später solltre er wieder mal mit seinem Bruder zusammenarbeiten. Auf Tubular Bells 2.

Jabula spielten einige Alben ein, bis sie sich Mitte der Achtziger auflösten. Julian Bahula verstarb im Jahre 2015

David Bedford machte noch viele Jahre Musik, unter anderem für Filme, bevor er 2011 an Lungenkrebs verstarb.

 

 © by Ringo Hienstorfer  (04/2025)

Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um eine gitarrespielende Richterin, die wütende Texte singt...

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Kommentare  

#1 Andy 2025-06-29 08:17
Ich muss gestehen, bisher wenig von MIke Oldfield gehört zu haben."Tubular Bells " kenne ich tatsächlich auch nur aus dem Horrorfilm "Der Exorzist", aus dem Jahre 1973. Da gabe es mal eine Neuaufführung im Kino, so um 2000,

Wenn du schreibst, dass Oldfield zur Entstehung schon abhängig von Drogen und Alkohol war, passt das irgendwie. Diese Melodie hat als Auftakt alleine bei mir schon für eine gruselige Grundstimmung gesorgt.

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