Ringo`s Plattenkiste: The Au Pairs - Playing with a different Sex
The Au Pairs - Playing with a different Sex
Unsere musikalische Zeitreise führt heute in die Achtziger. Eine Zeit, in der Punk nach einem kurzen, aber heftigen Gastspiel schon wieder out war und, ähnlich wie weiland in den Sechzigern, sich neue Stilrichtungen ständig die Klinke in die Hand gaben. Punkmusik gab es zwar noch, allerdings hieß er in den Achtzigern Post-Punk. Zeitgleich schwappte eine neue Welle aus good old England in die Plattenläden, die sich auch nach dieser benannte: New Wave. Eine Spielart davon war die so genannte New Romantic, zu denen unter anderem Adam and the Ants, Spandau Ballet, Ultravox und Visage zählten. Aber um die geht es heute nicht, wobei ich tatsächlich mit einem Visage-Artikel liebäugele. Heute geht es um ein sehr originelles Post Punk./New Wave-Gemisch in klassischer Viererbesetzung und ganz ohne Drumcomputer und Synthesizer. Dafür mit einer geballten Ladung Frauen-Power, Feminismus und politischen Statements. Die Rede ist nicht von den Slits, sondern von den Au Pairs. Die Band bestand aus 2 Frauen sowie zwei Männern. Gegründet wurde das Quartett 1978 in Birmingham, der zweitgrößten Stadt Großbritanniens. Birmingham war das Zentrum der Industriellen Revolution sowie Die Rüstungsschmiede Englands. Aus diesem Grunde war es auch ein beliebtes Ziel deutscher Bombenangriffe im zweiten Weltkrieg.
Birmingham war in den Sechzigern sehr angesagt und galt als wahre Talentschmiede im Musikbereich. Unter anderem formierten sich dort Bands wie Black Sabbath (Ringo berichtete)und Judas Priest. Später UB40, Napalm Death sowie etliche Hip-Hop Bands. In Birmingham ansässig war auch die Firma Bradmatic, die das legendäre Mellotron herstellte.
Doch nicht nur Musiker, sondern auch bekannte Schriftsteller wie Arthur Conan Doyle und J.R.R. Tolkien lebten einstmals dort. Und auch eine temperamentvolle, zornige junge Frau namens Lesley Woods, die zusammen mit Jane Munro, Paul Foad und Pete Hammond die Au Pairs gründete. Foad und Hammond spielten zusammen in einigen erfolglosen Bands, bis die Beiden Lesley Woods rein zufällig kennenlernten, als sie ihr Equipment entluden und dabei irgendwie ins Gespräch kamen. Und schwupp! wurde die junge Studentin Mitglied in der brandneu gründeten Band. Auf der Suche nach einem weiblichen Bassisten stießen sie bald auf Jane Munro. Die besaß zwar einen Bass, konnte aber nicht besonders gut spielen. Da die Chemie aber stimmte und Woods unbedingt eine zweite Frau in der Band haben wollte, wurde sie schließlich das vierte Mitglied. Woods selbst spielte seit ihrer Kindheit schon Gitarre, tauschte für die neue Band aber die akustische erstmals gegen eine elektrische.
In der Anfangszeit spielten die Au Pairs voller Enthusiasmus in lokalen Clubs. Dieser Enthusiasmus, gepaart mit wilder Frauenpower und aggressiv-feministischen Texten hob sie deutlich von all den anderen Post Punk Bands ab und so wurde sehr schnell die Presse auf sie aufmerksam.
1979 nahmen sie ihre erste Single mit dem Titel „You“ auf, die sie im Eigenverlag veröffentlichten. Die Band kratzte hierfür all ihre Ersparnisse zusammen, ca. 500 Pfund. Die Hüllen falteten und bastelten sie selbst zusammen. Der Song erreichte recht bald eine gewisse Bekanntheit, und sie ergatterten einen kleinen Auftritt in einer BBC-Sendung.
Ein Jahr später folgte die zweite Single mit dem Titel „Diet“ und die Band ging mit der Gang of Four auf eine gemeinsame Tournee. 1980 wurden sie für den Konzertfilm „Urgh – a Music War“ gefilmt, der sich mit Punk und den anderen 90er-Musikstilen wie z.B. New Wave oder Post Punk beschäftigte. Unter anderem waren dort auch inzwischen bekannte Acts wie Dead Kennedys, Joan Jett, Orchestral Manouvres in the Dark, The Police und Devo zu sehen. Zum Film erschien auch ein Doppelalbum mit dem gleichen Titel. Der Film stammt von Derek Burbidge, einem Filmemacher, der hauptsächlich Musikvideos drehte. Zu seinen bekanntesten Kunden gehörten Supertramp, The Police, Pretenders und viele mehr.
Weitere Auftritte mit bekannten Acts wie z.B. den Buzzcocks sowie Gigs im legendären Marquee folgten, und die Au Pairs bekamen schließlich einen richtigen Plattenvertrag. Natürlich nicht bei einem Major-Label, sondern bei einem unabhängigen namens Human Records, bei dem auch die Frauenband The Slits unter Vertrag waren. Die Band ging ins Studio, um ihr Debutalbum aufzunehmen, dem gut ausgestatteten Jacobs Studio in Surrey, wo zuvor auch Tuxedomoon (Ringo berichtete) ihr erstes Album aufgenommen hatten. Das Studio hat inzwischen seine Pforten leider geschlossen.
Produziert wurde das Album von Ken Thomas, einem sehr talentierten und gefragten Mann. Thomas hatte zuvor schon für Gentle Giant (Ringo berichtete), Judas Priest, Rick Wakeman, Rush und Wire gearbeitet. Unterstützt wurde er von der Band selbst sowie von Martin Culverwell, der schon zuvor für die Au Pairs gearbeitet hatte.
Die Besetzung sah aus wie folgt:
Jane Munro: bass guitar
Lesley Woods: guitar, vocals
Paul Foad: guitar, backing vocals
Peter Hammond:drums
Playing with a different Sex erschien im Mai 1981 im damals üblichen Standard Sleeve. Das Cover zierte eine Photographie der sehr bekannten Fotografin Eve Arnold, die für die Fotoagentur Magnum arbeitete und unzählige Berühmtheiten, unter Anderem Marilyn Monroe, Queen Elizabeth, Malcolm X und viele andere abgelichtet hatte. Ihre Tätigkeit für Magnum führte sie durch die ganze Welt. Während einer dieser Reisen entstand 1979
das abgebildete Foto. Eve war zu dieser Zeit in der Mongolei und traf dort eine Gruppe weiblicher Milizionäre, die sich in einer Übung befanden. Das Bild zeigt 3 junge Frauen mit Gewehren und Bajonetten bewaffnet. Ein Motiv ganz nach Woods Geschmack also.
Auf der überwiegend in Pink gehaltenen Rückseite des Albums waren 5 kleine Fotoausschnitte zu sehen sowie die Credits und die Songtitel. Das ebenfalls in Pink gehaltene Innersleeve war einseitig mit den Lyrics bedruckt, während die andere Seite eine Temperaturkurve zeigte, die für das Bestimmen des Eisprungs verwendet wurde. Das Design stammt von der Firma Rocking Russian, die vor allem in den Endsiebzigern und Achtzigern aktiv war und sich auf Punk und Wave spezialisiert hatte. Zu den Kunden gehörten neben The Clash, Iggy Pop, The Eurythmics auch Peter Hammill (Ringo berichtete).
Hier die Tracklist des Original-Albums:
Seite 1:
- We're So Cool
- Love Song
- Set-Up
- Repetition
- Headache for Michelle
Seite 2:
- Come Again
- Armagh
- Unfinished Business
- Dear John
- It's Obvious
Sehen wir uns die Songs ein wenig genauer an
We're So Cool eröffnet das Album mit einem knalligen und eingängigen Riff, zu dem sich Woods rotziger Gesang gesellt. Der Text handelt von weiblicher Promiskuität, die vom männlichen Partner aber akzeptiert wird. Das typisch männliche Selbstverständnis wird hier auf eine visionäre Art und Weise umgekehrt. Dennoch herrscht aber auch in einer scheinbar offenen Beziehung eine Art Besitzergreifung vor, wie man unterschwellig heraushören kann.
Ein sehr gelungener und kraftvoller Auftakt, der richtig Lust auf mehr macht. Besonders spannend ist der rollende Stranglers-Bass in der Rhythmus-Abteilung. Der Track fand Verwendung als Flipside der Single „Headache for Michelle“.
Love Song ist ein typischer Post-Punk –Kracher, der textlich das ausgelutschte Thema Liebesgeschichten aufs Korn nimmt. Interessant ist hier der kurze Mittelteil, der sich musikalisch vom Rest des Songs abhebt.
Set-Up ist ein ruhiger Song, zumindest was das Tempo betrifft. Woods singt hier sehr melodiös über die Rolle einer Frau als Mutter und ihre Zweifel darüber. Vom Sound ist der Song im Dub-Stil gehalten. Es dominieren der dunkle Bass und die abwechslungsreich gespielten Drums. Die Gitarren bleiben dezent im Hintergrund und weben ein sehr rhythmisches und unmelodiöses Soundgewebe.
Repetition ist ein Coversong, der ursprünglich von David Bowies 1979er Album Lodger stammt. Die Au Pairs verpassen dem Song ein völlig neues und anderes Gewand, das kaum an sein Vorbild erinnert. Der Song ist in einem einfachen Reggae-Rhythmus gehalten, die Melodie eingängig und Woods Gesang wieder sehr melodiös und samtig. Abermals erinnert der Sound an Dub, abermals dominieren Bass und Drums. Die Gitarren produzieren eigentlich nur Geräusche und Soundeffekte. Der Text handelt von häuslicher Gewalt und Mißhandlung:“ I guess the bruises won't show/If she wears long sleeves,“
Headache for Michelle beginnt mit exzellent gespielten Drums, zu denen sich bald der obligate Bass gesellt. Auch in diesem Song singt Woods wieder sehr schön mit ihrer samtigen und warmen Stimme. In diesem mit über 6 Minuten dem längsten Stück gibt es einen kleinen instrumentalen Mittelteil. Drummer Hammond zeigt sich hier von seiner allerbesten Seite. Auch Headache hat wieder leichte Reggae-Anleihen. Textlich geht es um Heroinkonsum. Woods prangert allerdings den Staat an, dem unter Drogen stehende Menschen, die wie Zombies umherwandeln, am Liebsten sind. Da sie kaum aufbegehren. Der Song wurde auch als Single ausgekoppelt.
Dann ist Seite 1 leider schon zu Ende. Drehen wir die Platte also mal um
Come Again ist wieder ein punkig-waviger Song mit starker Bassbegleitung. Woods singt mit rotziger Stimme über das Verhalten beim Sex, wo jeder versucht, es dem anderen recht zu machen, wie es im Duett mit dem männlichen Begleitsänger zum Ausdruck kommt: „ Am I doing it right?“. Der provokante Text richtet sich vornehmlich an diejenigen, die die starren Regeln durchbrechen und stets aufrichtig sein wollen. Insgesamt ein recht aggressiver Song mit knackigen Punk-Gitarren und knalligen Drums. Auch der Bass ist wieder sehr relaxed. Come again findet sich auch in dem oben erwähnten Musikfilm „Urgh – A Music War“. Der Clip zum Song ist sehr empfehlenswert, da er Wood in all ihrer energiegeladenen, wütenden Präsenz zeigt. Eine Frau, mit der man sich besser nicht anlegen sollte. Stark. BBC hat den Song übrigens auf seiner schwarzen Liste geparkt.
Armagh ist ein sehr politischer Song, der das namensgebende Nordirische Frauengefängnis thematisiert. 1978 protestierten dort ca. 30 Häftlinge, indem sie ihre Zellen nicht mehr verließen und die Wände mit Exkrementen und Menstruationsblut beschmierten. Grund dafür waren die unmenschlichen und teils menschenverachtenden Zustände in dieser Anstalt, wo es mutmaßlich zu unkontrollierter Gewalt seitens der Aufseher und auch rohen Vergewaltigungen kam: „We don't torture, we're a civilized nation!“
Armagh wurde schließlich 1986 endgültig geschlossen. Unnötig zu erwähnen, dass auch dieser Song auf der Bannliste der BBC steht. Entgegen strikter Anweisungen spielten die Au Pairs Armagh aber dennoch während einer Aufzeichnung von „Old grey whistle Test“.
Unfinished Business ist ein eher schwacher Song, der sich textlich mit einer unbefriedigenden Situation einer Frau auseinandersetzt, die ein wenig Romantik will und sich dafür sexuell hingibt.
In Dear John schreibt Woods frech und amüsant einen Abschiedsbrief an ihren Lover, dem sie empfiehlt, sich anstelle einer Frau lieber eine Sexmaschine zu suchen. Der Text wird wie gewohnt sehr rotzig und aggressiv vorgetragen, die Musik ist ebenfalls roh und passt sehr gut zum Inhalt. Keine Gnade, keine Zeitverschwendung!
It's Obvious beschließt das Album mit einem für Post-Punk und New Wave untypischen Longtrack, der sich inhaltlich mit dem Thema Anpassung auseinandersetzt: „You're equal but different“. Obwohl klassischer Post-Punk mit all seinen Attitüden, ist der Song auch sehr progressiv, was vor allem den ziemlich schrägen Instrumentalpart mit dem Saxophon von Lindy Short betrifft.
Und dann ist diese tolle Platte leider, leider schon aus
Das Album verkaufte sich äußert gut und konnte Platz 33 der UK Album Charts erreichen. In den Independent-Charts landete es sogar auf Platz 1! Während sich die Au Pairs auf einer ausgedehnten Europatour befanden, veröffentlichte ihr Label die beiden ersten Singles neu, die sich im Zuge des Albumerfolgs ebenfalls sehr gut verkauften. 1981 gingen die Au Pairs auf eine US-Tournee, wo sie begeistert aufgenommen wurden. Es sah ganz danach aus, als ob eine ganz große Karriere winkte…
1981 erschien die dritte Single, „Inconvenience“, die sich zu ihrer erfolgreichsten entwickeln sollte. Textlich und musikalisch war der Song im selben Stil wie das Album gehalten, allerdings war er ein wenig ausgefeilter produziert. Wohl im Hinblick auf das Airplay. Interessant ist hier der Einsatz einer Trompete. Ebenfalls untypisch für Post-Punk.
1982 erschien das zweite und gleichzeitig letztes Album, Sense And Sensuality, das musikalisch eine deutliche Abkehr vom Sound des Erstlings zeigte. Auf diesem Album war das musikalische Spektrum wesentlich breiter gefächert und zeigte Einflüsse von Jazz, Blues, Funk und … Disco! Das Album konnte künstlerisch mit dem Erstling bei Weitem nicht mithalten und landete nur auf Platz 79der UK-Charts. Zudem war auch das Albumcover wenig ansprechend. Fade im typisch Achtziger Grau und Pink gehalten. Was überhaupt nicht die Zustimmung der Band fand. Aus diesem Album wurden auch keine Songs als Single ausgekoppelt.
1983 fand ein Besetzungswechsel statt. Die Neuzugänge waren Nick O'Connor an den Keyboards, Jayne Morris als Percussionistin, der Trompeter Graeme Hamilton und Cara Tivey als zweite Keyboarderin. Ein drittes Album unter der Regie von Steve Lillywhite war geplant, wurde aber nicht mehr realisiert: Woods stieg aus und die Band zerbrach.
Soviel zu dieser grandiosen Band, die dem Motto „Live fast – die young“ leider gerecht wurde.
Ich wurde 1981 auf die Au Pairs im GOVI-Katalog aufmerksam. Primär sprach mich natürlich das sehr ästhetische und ungewöhnliche Cover an. Da ich damals aber mit zeitgemäßer Musik wenig anfangen konnte, war ich zunächst zwar skeptisch, kaufte mir das Album aber dennoch. Und, was soll ich sagen? Ich war restlos begeistert! Die Musik war kraftvoll, energiegeladen, leidenschaftlich und eigenständig. Die Platte hob sich in angenehmer Weise vom damals üblichen Wave und Punk-Sound ab und bildete eine spannende, erregende Alternative zu meinen altbackenen Prog-Hörgewohnheiten. Mir gefiel vor allem Woods Gesang, der mal aggressiv, mal einschmeichelnd war. Ein wenig erinnerte sie mich an Patti Smith, die auch zu ihren Vorbildern gehörte. Auch die Arrangements waren eine Klasse für sich und ungewöhnlich. So stand der simple und stets repetive Bass von Jane Munro meist deutlich vor den Gitarren im Vordergrund und gab den Ton an. Das Schlagzeugspiel war sehr professionell und abwechslungsreich. Und besonders grandios waren die dezenten Dub- und Reggae-Einflüsse. Playing with a different Sex lief in Endlosschleife, ich selbst streifte meine steife Seventieshaut ab und suchte nach Vergleichbarem. Leider fand ich aber nichts. Platten von Wah! oder Associates konnten mit den Au Pairs nicht mithalten.
Ich kaufte mir auch das Nachfolgealbum, war aber restlos enttäuscht davon. Es waren nur noch wenig Spuren vom kraftvoll-innovativen Erstling zu hören. Die Musik dümpelte auf einem leider stets gleichbleibenden Level dahin. Irgendwie war trotz neuer Instrumente der Saft rausDie Songs waren nicht schlecht, aber auch nicht mehr als dies. Die Ideen fehlten. Es war ganz, wie Lesley Woods in einem Interview sagte: „Man kann ein gewisses Level nur begrenzte Zeit halten“. Und damit hatte sie recht.
Playing with a different Sex erschien auch auf CD. Meine Version hat zu den Original-Tracks auch noch 8 Bonustracks, bei denen es sich um die Singles handelt.
Was wurde aus den Beteiligten?
Jane Munro zog sich aus dem Musikbusiness zurück und arbeitet als alternative Therapeutin, die unter anderem Aromatherapie und Indische Kopfmassagen im Programm hat.
Lesley Woods gründete nach dem Split die kurzlebige und erfolglose Frauenband The Darlings, kehrte der Musikbranche aber den Rücken und ist Richterin geworden.
Paul Foad veröffentlichte ein Buch über das Gitarrespielen
Peter Hammond unterrichtet Schlagzeugspielen in Birmingham
© by Ringo Hienstorfer (05/2025)
Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um Essen!
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