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Ringos Plattenkiste: Farm - Farm

Farm - Farm

 »Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht        man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten  Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

 

BandHeute schauen wir wieder mal durch das Zeitfenster der Plattenkiste in die Siebziger und lassen uns in die Vereinigten Staaten treiben, genauer gesagt nach Illinois. Dieser Bundesstaat liegt im Mittleren Westen der USA und grenzt an Indiana, Missouri, Kentucky und Iowa. Illinois verdankt seinen Namen den amerikanischen Ureinwohnern, den Illiniwek, die von den weißen Siedlern gnadenlos vertrieben und umgesiedelt wurden.  Illinois ist ein fruchtbares und wohlhabendes Land, dessen Hauptproduktion im Anbau von Mais und Getreide liegt. Illinois ist auch durch die berüchtigte Gangsterstadt Chicago bekannt, aber auch durch Abraham Lincoln, der viele Jahre in Illinois lebte und auch dort bestattet wurde. Weitere Berühmtheit für uns Plattenfans erlangte der Bundesstaat durch Michael H. Kenyon, der in den Siebzigern viele Raubüberfälle, vornehmlich an Frauen tätigte, an denen er sich oftmals sexuell verging, indem er ihnen Einläufe (!) verpasste. Kenyon war ein solch bizarrer Charakter, dass ihm Frank Zappa (Ringo berichtete) einen Song widmete: „The Illinois Enema Bandit“. Zu hören ist der Track auf dem Doppelalbum „Zappa in New York“. Aber um den geht es heute nicht, sondern um eine Band, die nur ein einziges Album aufnahmen und inzwischen völlig vergessen ist. Die Rede ist von Farm, nicht zu verwechseln mit der britischen Independentband „The Farm“.

Die Combo ging, wie so oft, aus einer Schülerband hervor, die den kryptischen Namen „Lost Times“ trug und seit ca. 1966 bestand und Blueslegenden wie z.B. John Lee Hooker, Muddy Waters, Taj Mahal und Albert King nacheiferte, später aber auch Rockstars wie The Who, The Beatles (kennt die jemand?) und Jimi Hendrix. Die Gruppe spielte hauptsächlich auf Pool-Partys und Schülerfesten, aber auch gelegentlich in Clubs, wie dem Sparta Country Club. Die Besetzung wechselte, wie üblich, und bald auch der Name: Farm. Das muss Ende der Sechziger gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt lernten sie ihren Manager (welch hochtrabende Bezeichnung) und spirituellen Führer George Leemon kennen, der gelegentlich Keyboards in anderen Bands spielte. Spirituelle Führer waren damals angesagt und die Band dachte sich wohl, was Anderen nützt, kann auch ihnen nicht schaden. So ganz ernst gemeint war es aber nicht.

Nach einigen Gigs, unter anderem auch im Radio, brachte Leemon sie in das Golden Voice Studio, um ein Album aufzunehmen. Dort waren unter anderem auch schon R.E.O. Speedwagon zu Gast gewesen. Einen Plattenvertrag hatten sie nicht, dafür aber ein wenig Erspartes. Aus heutiger Sicht waren die Produktionskosten zwar lachhaft, damals aber waren 2000,00 $ eine Menge Geld. Material hatte die Band ausreichend, wenn man den spärlichen Quellen glaubt. Es werden zwischen 40 und 50 Eigenkompositionen angegeben, die auch teilweise auf Band aufgenommen wurden. Die Songs entstanden überwiegend in Gemeinschaftsarbeit, allerdings waren die besten lt. Gary Gordon nicht auf dem Album.

Die Besetzung sah aus wie folgt:

Del Herbert: Leadgitarre, 12saitige Gitarre

Gary Gordon: Slide-Gitarre, Gesang

Jim Elwyn: E-Bass, Gesang

Steve Evanchik: Congas, Zimbel, Mundharmonika

Roger Greenwalt: Orgel, Klavier

Mike Young: Schlagzeug

Die 6 Musiker waren zur Zeit der Aufnahmen sehr jung, ihr Alter lag zwischen 18 und 22 Jahren.

An den Reglern saßen Jerry Millam und der Spirituelle Führer George Leemon. George war nebenbei auch für die PA verantwortlich, wo er sich außerordentlich begabt zeigte und der Band zu einem professionellen Sound verhalf, der angeblich sogar besser gewesen sein soll, als der von namhaften Bands wie Jethro Tull (Ringo berichtete) oder den Small Faces, glaubt man Gary Gordon.

Das unbetitelte Album erschien 1971 im Standard Outer Sleeve und sollte leider auch das einzige bleiben. Das Cover ziert eine sepiagetönte Photographie einer Farmerfamilie, bei der es sich um Verwandte des spirituellen Führers George Leemon handelt. Die Rückseite ist rotbraun und zeigt die Tracklist und die Credits. Insgesamt ist alles sehr schlicht gehalten, was wohl primär den Kosten geschuldet war, aber dennoch ästhetisch.

CoversGeorge Leemon gibt eine Auflagenzahl von ca. 1000 Stück an, die Presskosten lagen zwischen 2000 und 2500 $. Aufgrund dieser niedrigen Auflagenzahl und vor allem der Tatsache, dass es eine reine Eigenproduktion war, gelangte die Platte nicht über einen regulären Vertrieb in die Läden, sondern wurde bei den Auftritten der Band verkauft. Geld für Werbung war auch nicht vorhanden und so lief alles über Mundpropaganda. Der Verkauf gestaltete sich schwierig, da nach kurzer Zeit illegale Raubkopien auf Kassette oder Tonband in Umlauf gerieten.

Hier die Tracklist: Tape

Seite 1

  1. Jungle Song
  2. Let That Boy Boogie

Seite 2

  1. Sunshine in My Window
  2. Cottonfield Woman
  3. Statesboro Blues

Betrachten wir die Songs ein wenig genauer.

Jungle Song ist ein verspielter, fast 8-minütiger Longtrack ganz im Stile des damals in Hippiekreisen beliebten West Coast Rock. Genauer gesagt erinnert er an die Band Qicksilver Messenger Service. West Coast Rock ist primär keine eigene Stilrichtung, sondern eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche Stile und Bands, die von der US-amerikanischen Westküste stammten, vornehmlich aus dem Umfeld San Franciscos, dem Zentrum der damaligen Hippie-Bewegung. Zum Westcoast Rock zählten neben der oben erwähnten Band auch Acts wie Grateful Dead (Ringo berichtete) Jefferson Airplane und später die Eagles.

Let That Boy Boogie ist feinster Bluesrock und erinnert an Canned Heat und ein wenig auch an die frühen ZZ Top.

Seite 1 ist dann aus, also drehen wir die Platte mal um

Sunshine in My Window ist fast schon Prog-Rock, hat aber dennoch wieder deutliche West Coast Züge. Der Track erinnert ein wenig an die Allman Brothers und Skin Alley. Die kennt jetzt keiner, was? Macht nix, über die werde ich auch noch berichten.

Cottonfield Woman ist wieder knackig-rauher Bluesrock mit einem eingängigen Riff, aber leider wenig abwechslungsreich.

LapStatesboro Blues schließt das Album mit der Coverversion einer Bluesnummer von Blind Willie McTell ab, die von einer Taj Mahal-Aufnahme inspiriert war. Gitarrist Gordon war ein großer Fan von Taj Mahal und deshalb wollte er vermutlich unbedingt diesen Song spielen. Zu diesem Zweck borgte er sich eine Lap Steel Guitar, die üblicherweise beim Spielen auf den Knien des Gitarristen liegt, und hängte sie sich um wie eine Bottleneck-Gitarre. Pink Floyd`s David Gilmour spielte gerne eine Steel Guitar, die auch Hawaii-Gitarre genannt wird. Bottleneck (auch Slide-Guitar genannt) ist eine Technik des Gitarrespiels, bei der sich der Spieler ein Rohr aus Metall oder Glas (daher der Name) über einen Finger der Greifhand streift und keine Akkorde greift, sondern die Tonhöhe durch Auf- und Abgleiten auf den Saiten glissandoartig verändert.

 Und dann ist die Platte leider schon zu Ende.

Farm tourten und verkauften ihre Platten auf den Konzerten, lösten sich 1973 aber auf. Der unbetitelte Erstling blieb ihre einzige LP, obwohl sie auch weitere Songs aufgenommen hatten. Fatalerweise fielen sie einem Brand zum Opfer, der in der Wohnung eines Roadies stattfand, bei dem sämtliche Tapes gelagert wurden.

Mir fiel die Band dieses Jahr zufällig durch einen Wikipedia-Artikel ins Auge, denn ich kannte sie zuvor nicht. Also lauschte ich ein wenig bei YouTube und war sehr angetan. Das Album erschien 2000 als Counterfeit bei einem italienischen Label. Die Begriffe Counterfeit und Bootleg werden oftmals verwechselt. Während ersteres eine unauthorisierte Veröffentlichung ist, bei der die Musiker keinen Penny zu sehen bekommen, stellt ein Bootleg einen ebenso illegalen Mitschnitt, meist einer Livedarbietung dar. Aber auch hier gehen die Musiker leer aus. Seit letztem Jahr aber gibt es eine autorisierte und neu remasterte Ausgabe auf CD.

 Die Musiker gingen getrennte Wege, fanden aber für 2 Reunioauftritte in den Jahren 2007 und 2009 wieder zusammen. Bis auf Perkussionist Steve Evanchik spielte die Gruppe in Originalbesetzung. Evanchik war gesundheitlich aufgrund eines Schlaganfalls außer Stande mitzuspielen, saß aber im Publikum.  Von diesen Konzerten gibt es zwar Mitschnitte, blieben aber bislang unveröffentlicht. Es ist sehr schade, dass die überaus talentierten Musiker nach kurzer Zeit aufgabe, weil sie keinen Plattenvertrag erhielten. Zum Teil mangelte es ihnen wohl an einer gewissen Originalität und Eigenständigkeit, aber das hätte sich nach weiteren Platten gewiss geändert. Alles was bleibt, ist eine halbe Stunde aufgenommener Musik. Aber die ist vom Feinsten.

Was wurde aus den Beteiligten?Gary

Gary Gordon behielt nach dem Aus das meiste des Equipments und machte weiterhin fleißig Musik.

Zusammen mit seiner Ehefrau bildete er das Duo The Gordons, die Bluegrass und Country spielten und einige Alben veröffentlichten. Später eröffnete er ein eigenes Tonstudio, das Inside Out Studio, ein eigenes Label namens 3-Chord-Records und einen Musikladen: Alligator Music.

Del Herbert, Jim Elwyn, Steve Evanchik, Roger Greenwalt kehrten der - zumindest professionellen – Musik den Rücken. Wie Gordon in einem Interview erzählte, stehen sie aber alle noch in engem Kontakt.

Mike Young wird bei Discogs fälschlicherweise als Urheber von Downbeat und Drum and Bass-Platten aufgeführt, was aber eine Verwechslung aufgrund einer Namensgleichheit sein muss.

© by Ringo Hienstorfer  (01/2024)

Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um die Filmmusik zu einer weltberühmten Tragödie mit einer Lady, zwei Königen, 3 Hexen und viel Mord!

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Kommentare  

#1 William 2024-01-21 10:46
Danke für diesen schönen Musiktipp und den ausführlichen Artikel. Ich höre mir das Album gerade via YT an und es gefällt mir ausnehmend gut, wie sagt man doch gleich im Englischen: My Cup Of Tea. :-)

Auf YT fand ich das Album viermal eingestellt, seltsamerweise sind bei dreien von den vier Einstellungen die Albumseiten vertauscht, 'Jungle Song' und 'Let That Boy Boogie' sind als letzte Songs aufgeführt, obwohl sie lt. LP-Cover doch die A-Seite bilden.

'Let That Boy Boogie' erinnert anfangs tatsächlich an den 'Refried Boogie' von Canned Heat.
#2 Ringo Hienstorfer 2024-01-21 10:59
William: Vielen Dank! Ich höre mir das Album auch sehr gerne an, es nutzt sich einfach nie ab. Es ist nur schade, dass es das einzige der Band war. Aber auch die Platten von "The Gordons" sind sehr hörenswert, wenngleich auch völlig anders.
#3 Toni 2024-01-24 12:51
Klasse Artikel. Geiler Sound… weiß nicht, wie oft ich die ersten drei- vier Minuten von „…. Window… schon gehört habe. Mein Bruder schleppte damals (9 Jahre älter) solche Kuriositäten an. Erinnert mich auch immer ein wenig an Brubek
#4 Toni 2024-01-24 12:53
…Brubeck (bevor die klugscheisser zuschlagen)
#5 Ringo Hienstorfer 2024-01-26 10:09
Stimmt, der 5/4-Takt des Songs erinnert an Dave Brubecks`s Klassiker "Take Five".

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