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Wenn Charaktere in Serie gehen – Dezember 2010 (Advents-Special)

Auf eine Mail mit Uschi ZietschWenn Charaktere in
Serie gehen –
und sich einfach nicht umbringen lassen
Dezember 2010
(Advents-Special)

Man kennt es von amerikanischen Filmen spätestens seit der Erfindung der DVD: Ist ein Film beim Testpublikum nicht gut angekommen, wird schon mal gerne ein alternatives Ende gedreht.

 

Auch Schriftsteller machen die Probe aufs Exempel und lassen – wenn dafür die Zeit ist – neue Texte von ausgewählten Personen probelesen. Wie wichtig sind Probeleser für dich, wie viel änderst du aufgrund ihrer Hinweise? Kann durch das Probelesen auch schon mal ein anderes Ende oder eine ganz andere Handlungsrichtung entstehen?

Uschi auf dem Weihnachstmarkt Uschi: Ich habe noch nie Probeleser gehabt. Ich rede im Vorfeld mit dem Lektor und meinem Mann über Alternativen, oder welche Idee sie bevorzugen würden, oder wie sie es überhaupt finden und was noch fehlt. Wenn das Exposé fertig ist, steht auch die Geschichte. Ein anderes Ende käme für mich niemals in Frage, denn das ist das Essentielle an meiner Geschichte.

Du sagst, dass kein anderes Ende in Frage käme. Aber hast du dir schon mal gewünscht, du hättest einen bestimmten Charakter nicht sterben lassen? Entweder, weil er dir so ans Herz gewachsen ist, oder weil du ihn gerne noch mal in einer anderen Geschichte verwendet hättest?

Uschi: Also, bei mir ist es so, dass ich normalerweise, sobald ich mir das Grobgerüst der Geschichte ausdenke, das Ende bereits kenne – also das Ziel der Geschichte. Was nicht bedeuten muss, dass ich auch immer weiß, wer überlebt und wer nicht, manchmal überlasse ich das der Entwicklung der Geschichte. So war es z.B. bei Quinto Center, da wusste ich bis zu dem Moment, als ich dort ankam, nicht, ob die Heldin am Schluss überleben wird oder nicht; die Auflösung an sich aber stand, und die Geschichte führte dorthin. Das meine ich mit „das Ende steht fest“, ich sollte vielmehr sagen: Die Auflösung steht fest. Bei den Waldsee-Chroniken und den beiden Folgebänden aber wusste ich genau, wie es für die Personen endet. Bei längeren Serien wie SunQuest, Elfenzeit und Schattenlord, an denen noch dazu andere Autoren mitarbeiten, ist es unerlässlich, das Ende zu wissen, um die Geschichte steuern zu können. Wie die einzelnen Fäden aber dorthin hinführen, und was sich dabei noch verknüpft, das ergibt sich dann während des Fortschritts, und welche Ideen der Autoren ich wieder aufgreife. Insofern habe ich also das Schlussszenario schon aufgestellt, und eine grobe Reiseroute, aber wie die Handlung gefüllt wird und welche Entwicklung die Charaktere durchmachen, erwarte ich mit Spannung und freue mich schon immer darauf, am Schluss alle Fäden zusammenzuführen.

Ein krasses Beispiel für Eigendynamik ist der Charakter Tom Bernhardt in Elfenzeit. Er sollte einen einzigen – kurzen! – Auftritt in meinem Band 4 haben, im Exposé wurde er gar nicht genannt, aber ich brauchte ihn, um Nadja zu helfen. Aber ich wurde den Kerl nicht mehr los! Schon am Ende des Bandes erschien er plötzlich wieder und tauschte die Adresse mit Nadja, völlig ungeplant, und ich wunderte mich schon sehr. Und dann hing er wie Klebstoff dran und schmuggelte sich immer wieder in die Bände hinein. Egal, was ich unternahm, um ihn loszuwerden, es gelang mir nicht einmal, ihn umzubringen, (Redaktion und Autoren lachten schon über meine Bemühungen) der Kerl entschlüpfte, war zäh, liebenswürdig und gewann zusehends an Gewicht – das bedeutete schließlich für mich, er hatte noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Tatsächlich zeichnete sich diese dann auch ab, und plötzlich fügte sich ein Rädchen ins andere.

Alle Charaktere wachsen mir ans Herz, und wenn sie sterben müssen, so geschieht das zwiespältig. Einerseits genüsslich, mit pompösen Aufwand, wo man so richtig alles rauslassen kann – andererseits aber auch leise weinend, weil man sich von jemand Nahestehenden verabschieden muss. Das sind dann die Situationen, wo man als Autor so richtig mitleben kann, was durchaus auch länger beschäftigen kann. Und wenn man eine Figur vermisst, umso besser!

Deine Romanserien sind ja Zyklen, die im Vorfeld schon durchgeplant werden und einen Bogen haben. Könntest du dir vorstellen, im kreativen Rahmen einer US-TV-Serie zu schreiben, bei der nach jeder Episode die Charaktere weitestgehend unverändert aus der Geschichte hervorgehen?

Uschi: Ich habe ja eine Zeitlang für RTL diverse Stoffentwicklungen u.a. auch für neue Serien gemacht und konnte dadurch Erfahrungen sammeln, wie es im Filmbetrieb so ist. Kollege Thomas Ziegler hat damals Dialogbücher für Daily Soaps geschrieben (zu denen ich dann ein paar Romane verfasste). Ich habe aber festgestellt, dass fürs Fernsehen zu arbeiten nichts für mich ist. Das ist eine ganz andere Art Arbeit und hat nicht mehr allzu viel mit Kreativität und Schöpfung zu tun. Dafür bekommt man im Vergleich zu Büchern sehr viel mehr Geld und kann sich ein schönes Auskommen sichern. Es gibt einen hervorragenden Spielfilm mit David Duchovny, „The TV-Set“, der ganz exakt beschreibt, was beim Fernsehen geschieht. Das ist in Deutschland genauso wie in den USA. Man muss wissen, worauf man sich einlässt, und ich habe mich anders entschieden.

Vielen Dank für die Special-Länge der Adventsausgabe unserer Mail-Kolumne.

Bis zur nächsten »Mail mit Uschi« im nächsten Jahr. Frohes Fest und guten Rutsch!

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