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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der kulturellen Aneignung?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit der kulturellen Aneignung?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: In den letzten Tagen hatte ich immer wieder Selbstzweifel an meiner sprachlichen Fähigkeit als Autor. Da geisterte der Begriff der „kulturellen Aneignung“ durch die Medien. Ich gebe zu, dass ich gar nicht wusste, was das ist. Nach einigen Recherchen stellte sich heraus, dass führende Linguisten (Sprachwissenschaftler) in ihrer Mehrheit sagen, dass es den Begriff „kulturelle Aneignung“ genaugenommen gar nicht gibt. Das ist eine Erfindung von Personen, die wohl zurück ins Biedermeier, mit Sicherheit aber ins Spießbürgertum wollen, in dem staatliche Gemeinschaften sich isolieren und jeglichen intensiven Kontakt zu anderen Völkern vermeiden.

Schon wenn ich eine fremde Sprache lerne, begehe ich eine „kulturelle Aneignung“. Da ich seit meinem 9. Lebensjahr die englische Sprache gelernt habe, habe ich also Engländern und Amerikanern einen wichtigen Teil ihrer Kultur gestohlen?!?! Komisch, dass die immer sehr stolz sind, wenn sie hören, dass ich mir die Mühe gemacht habe, ihre Sprache zu lernen.

Ich trage Jeans, T-Shirts und amerikanische Cowboy-Boots – das ist glatter Kulturdiebstahl. Bezogen auf Indianer – denn darum ging es – hege ich seit Jahren eine große Bewunderung für indianische Handwerkskunst und habe daher immer wieder Perlenarbeiten und Silberschmuck für mich und meine Frau gekauft. Auch Töpferei, Weberei und Schnitzarbeiten. Das ist natürlich „kulturelle Aneignung“. Merkwürdig nur, dass mir die indianischen Kunsthandwerker und Silberschmiede diese Stücke mit Freude selbst verkauft und meine Neigung als Unterstützung ihres Lebensunterhalts gesehen haben. Das waren vermutlich völlig kulturvergessene, naive und weltfremde Menschen.

Kulturen leben von der Begegnung, vom Austausch. Das ist für den Empfänger bereichernd und für den Geber beglückend, weil es Anerkennung und Existenzerhaltung bedeutend. Wovon sollte ein Navajo-Silberschmied leben, wenn nicht Menschen anderer Kulturen seine Kunst kaufen?

Aber das ist natürlich nicht korrekt gedacht. Der Silberschmied darf seine Ketten, Ringe, Anhänger, usw. nur an Mitglieder seines Volkes abgeben und nicht an irgendwelche weiße Touristen verkaufen. Ob er dann noch leben kann, ist egal. Er darf ruhig kulturell verhungern.

Dass eine Kultur langfristig nur leben kann, wenn sie sich mit anderen Kulturen austauscht, wenn sie Elemente anderer Kulturen übernimmt oder Teile der eigenen Kultur weitergibt, ist natürlich illusorisch. Die Erkenntnis, dass Kultur vital und flexibel zu sein hat, um überleben zu können, ist offenbar überholt. Die Idioten (Entschuldigung für das „I-Wort“) die diese Debatte betreiben, gehören zu den geistig beschränkten Pseudointellektuellen, die einen lebendigen Austausch zwischen Völkern austrocknen wollen, bis einzelne Kulturen ausgestorben sind. Wie krank ist das? Dabei haben die Indianer selbst diesbezüglich schon vor über 200 Jahren ihre Unschuld verloren.

Mein Freund, der indianische Historiker Michael Bad Hand, hat in einem seiner Vorträge einmal gesagt: „Ein Plainsindianer von ca. 1850 war zum größten Teil in seiner Erscheinung ein Produkt kulturellen Austausches. Er trug Perlenarbeiten (die Perlen kamen von weißen Pelzhändlern aus Venedig oder Tschechien), er trug Messer aus Stahl, Spiegel aus Glas, Gewehre, Metall-Tomahawks, Metallteile am Sattel, usw. Darauf war er stolz. Von anderen materiellen Gütern nicht zu reden, die er gegen Biberfelle und Büffelhäute eintauschte.“

Alles „kulturelle Aneignung“. Was wissen diese „Dummschwätzer“ eigentlich vom Leben und von der Geschichte der Indianer? Sie sollten sich lieber mal mit dem „kulturellen Diebstahl“ befassen, der in den „Boarding Schools“, betrieben wurde, wo Indianerkinder ihrer Kultur entrissen wurden.

Jeder, der sich noch heute mit Teilen der indianischen Kultur befasst, ist ein „Retter dieser Kultur“. Er eignet sich nichts an, er bewahrt etwas, das er erhaltenswert findet.

Man sollte diese lächerlichen, verklemmten und verachtenswerten Gestalten im eigenen Saft schmoren lassen. Ich werde weiter „kulturelle Aneignung“ betreiben, weil ich weiß, dass ich damit den Schöpfern dieser Kultur helfe, ihre Lebensart zu erhalten.

Niemand sollte sich einschüchtern lassen. Jeder, der Indianer dabei unterstützt, ihre Musik, ihre Kunst, ihr Handwerk am Leben zu erhalten und ihnen damit dazu verhilft, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, tut etwas Gutes und leistet einen Beitrag zum „Kulturerhalt“, nicht zur „Aneignung“.

Wie gesagt: Kultur lebt durch Austausch. Kaufen Sie indianische Kulturgüter, kaufen Sie indianische Kunst jeglicher Art, versuchen Sie, handwerkliche Methoden der Indianer zu erhalten, damit diese Techniken und Kenntnisse nicht für immer verloren gehen.

Bilder
01: Ich mit meinem alten Freund Loren Yellowbird, traditioneller Arikara-Indianer, hochrangiger Nationalpark-Ranger in Fort Union (North Dakota), Sonderberater des DiCaprio-Films "The Revenant"; er brachte einigen Darstellern die Arikara-Sprache bei.

02: Ich mit Curly Bear Wagner (leider verstorben). Blackfeet-Ältester und Pfeifenbewahrer.

03: Ich mit Ken Woody, jahrzehntelang Chief Ranger am Little Bighorn. Aus einer prominenten Mohawk-Familie, die auf den berühmten Häuptling Joseph Brant zurückgeht.

04: Mein jahrzehntelanger Freund Martin Knife Chief, Lakota.

05: Töpferei-Künstler aus dem Pueblo Acoma. Den Topf, den er in den Händen hält, hat er mir mit Freude verkauft.

06: Ein kleiner Teil meiner Navajo-Silber-Sammlung, die ich von den Künstlern in Arizona und New Mexico gekauft habe.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

 

Kommentare  

#1 Robert Martschinke 2022-08-31 17:00
Hier funktioniert offenbar irgendwas mit der Bilderstrecke nicht; zumindest bei mir wird nichts davon angezeigt (stattdessen: Fehlermeldung/-hinweis.)
Zum Thema: Klar ist die These von der KA totaler Schwachsinn. Sie zeugt eher von totaler kultureller und sozialer Ignoranz. Aber wie bei allem Schwachsinn gibt es Leute, die ihn zu ihren asozialen Zwecken zu nutzen wissen, und andere, die drauf anspringen.
Für alle Fans der KA: Das Wasserklosett haben die Franzosen erfunden; den "Donnerbalken" die antiken Römer. - Jetzt lasst euch mal was "Eigenes" einfallen ...
#2 Harantor 2022-08-31 19:15
Jetzt funktioniert auch die Bildergalerie
#3 Robert Martschinke 2022-09-01 15:38
Jetzt seh´ ich´s auch. Fritz fast stets kariert. (Holzfällerhemdkulturaneignung?)
Dank Harantor!
#4 Harantor 2022-09-01 17:13
Fritz? Du meinst Dietmar
#5 Robert Martschinke 2022-09-02 08:24
Dietmar natürlich!
Wie komm´ ich auf Fritz? Keine Ahnung. Sorry. :oops:

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