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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der »Mayflower«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit der »Mayflower«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 16. September 1620 verließ ein Schiff unter Kapitän Christopher Jones mit geblähten Segeln den englischen Hafen Plymouth: Die „MAYFLOWER“. Diese Fahrt beeinflusste die Geschichte der Welt; in jedem Fall war das Unternehmen entscheidend für die Geschichte Nordamerikas. Jones hatte das Schiff mit Partnern 1607 für den Handel zwischen England und Frankreich gekauft. Als Frachtschiff steuerte die „Mayflower“ auch mindestens zweimal den Hamburger Hafen an.

(Manche Chroniken nennen den 6. September als Datum, aber diese richten sich nach dem sogenannten „Julianischen Kalender“, der 1582 in den meisten Ländern der Welt abgeschafft wurde. Das aktuelle Datum vom 16. September entspricht dem Gregorianischen Kalender, der in unserer Welt bis heute gilt.)

Die „Mayflower“ hatte normalerweise Fracht an Bord. 1620 aber beförderte sie 102 Passagiere, die auf dem Weg nach Nordamerika waren, um ein neues Leben zu beginnen. Hinzu kam die Besatzung von etwa 30 Mann. In den Geschichtsbüchern werden alle Passagiere meistens pauschal als „Pilgerväter“ bezeichnet, aber 40 waren Protestantische „Separatisten“, die sich selbst „Saints“ nannten, Heilige.

Heute sieht man sie als evangelikale Fundamentalisten. Im frühen 17. Jh. galten sie einfach als radikale Außenseiter der Anglikanischen Kirche, die sie ihrerseits als „korrupt, degeneriert und unchristlich“ ansahen, „ebenso schlimm wie die katholische Kirche.“ Schon 1608 hatten Anhänger dieser Lehre England verlassen und waren nach Holland ins Exil gegangen, wo sie auf religiöse Freiheit hofften. Diese Separatisten sollten nicht mit den Puritanern verglichen werden, die bereits früher nach Amerika gegangen waren; sie teilten allerdings weitgehend deren Prinzipien.

Die Separatisten fanden zwar religiöse Toleranz in Holland, aber sie ertrugen die eher kosmopolitische Atmosphäre der Niederlande nicht. Ihr Fanatismus, ihre Unduldsamkeit machten sie auch hier zu Außenseitern. Die Tatsache, dass zahlreiche jüngere Anhänger sich von der „gottlosen“ holländischen Lebensweise angezogen fühlten, war für die Führung alarmierend. Daher wurde die Entscheidung getroffen, den Ozean zu überqueren und eine Welt nach ihren Prinzipien aufzubauen.

Verhandlungen in London mit der Siedlungsgesellschaft „Virginia Company“ führten zu der Vereinbarung, eine „Plantage“ an der Ostküste Amerikas anzulegen. Die englische Krone gab die Genehmigung – froh, die Unruhestifter loszuwerden. Notgedrungen mussten sie sich mit weiteren Auswanderern zusammentun, die sie teilweise als „unchristlich“ ansahen und daher als „Fremde“ bezeichneten.

Die Überfahrt in die Neue Welt dauerte 66 Tage und muss nach allen überlieferten Beschreibungen schrecklich gewesen sein. Die „Mayflower“ war nicht für Passagiere vorgesehen. In dieser „Nussschale“ von gerade einmal 28 m Länge und 9 m Breite herrschte drangvolle Enge. Manche Schlafplätze waren nur 80x50cm groß. Das Schiff geriet immer wieder in schweres Wetter über dem Atlantik. Die meisten Passagiere litten unter entsetzlicher Seekrankheit und Mangelernährung. Einer der „Fremden“, ein junger Mann, wurde über Bord gespült, was die Separatisten lakonisch „der Hand Gottes“ zuschrieben.

Die „Mayflower“ kam vom Kurs ab und erreichte am 9. November die Küste Nordamerikas bei Cape Cod, weit außerhalb des Territoriums der „Virginia Company“.

Eine gemischte Gruppe von 41 „Heiligen“ und „Fremden“ unterschrieb kurz darauf einen Vertrag, genannt „Mayflower Compact“, in dem man sich auf die Gründung einer Kolonie namens „Plymouth“ einigte, benannt nach dem Hafen ihres Aufbruchs in England. In diesem Papier wurde einerseits dem englischen König Treue geschworen, andererseits wurde die Einrichtung einer Selbstverwaltung beschlossen. Historiker sehen in diesem Dokument den ersten Schritt zu einer von England unabhängigen Verwaltung.

Es herrschte Winter. Die Bedingungen für eine Landung an der amerikanischen Ostküste konnten nicht schlechter sein. Die Auswanderer blieben in Ermangelung von Unterkünften an Bord der „Mayflower“. Nur 53 Passagiere überlebten diese Zeit. Von 19 Frauen schafften es nur 5. Sie starben an Kälte, Mangelernährung, Lungenentzündung, Tuberkulose und anderen Krankheiten. In dieser Zeit kam es zu den ersten Kontakten mit den eingeborenen Abenaki- und Wampanoag-Indianern der Region – ohne deren Hilfe wären vermutlich alle Kolonisten zugrunde gegangen. Die Wampanoag handelten nicht ganz uneigennützig – sie wehrten sich gegen ständige Angriffe durch Narragansetts und erhofften sich Verstärkung und Unterstützung durch die englischen Kolonisten.

Im März 1621 begannen die Engländer mit dem Bau von Unterkünften. Im April 1621 segelte die „Mayflower“ zurück nach England. Die Siedler lernten von den Wampanoag, wie sie Mais, Bohnen und Kürbisse anzubauen hatten und welche jagdbaren Wildtiere es gab.

Im Herbst 1681 brachten die Siedler die erste Ernte ein; es kam zu einem drei Tage dauernden Fest, das als erstes „Thanksgiving“ überliefert wird. Kolonisten und Indianer zelebrierten die Ernte gemeinsam. Den Schilderungen zufolge übertraf die Zahl der Indianer die Pioniere erheblich. Edward Winslow, einer der Siedler, berichtete: „Viele Indianer haben uns besucht. Darunter ihr größter König Massasoit mit etwa 90 Menschen.“

Die Separatisten gingen schließlich in den Puritanern auf, die die Siedlungen in der Massachusetts Bay dominierten. Sie blieben sich ihres Ursprungs allerdings immer bewusst, und selbst ihre Nachfahren behaupteten, dass sie die Puritaner „erleuchtet“ und näher zu Gott gebracht hätten.

Man geht heute davon aus, dass etwa 10 Millionen Amerikaner und auf der ganzen Welt 35 Millionen Menschen direkte Nachfahren der „Mayflower“-Passagiere sind. Dazu gehören/gehörten Personen wie der Schauspieler Humphrey Bogard, der Künstler Norman Rockwell, die Präsidenten John Adams und James Garfield. 1897 wurde eine „Society of Mayflower Descendants“ gegründet.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

 

Kommentare  

#1 Ringo Hienstorfer 2021-01-24 11:03
Das Thema "Mayflower" hat schon immer eine starke Faszination auf mich ausgeübt. Danke für diesen tollen Artikel!
#2 JLo 2021-01-24 22:12
Da schließe ich mich sehr gerne an!
Es gibt übrigens auch eine sehr informative Doku von Arte hierzu, abrufbar auf Youtube unter: www.youtube.com/watch?v=Ltj4OJDbSAo

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