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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Salem?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Salem?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Die Zeit der Hexenverbrennungen gilt heute als eine der dunkelsten Perioden europäischer Geschichte. Sie charakterisierte Unmenschlichkeit, Aberglaube, Fanatismus und religiösen Extremismus.

Vergessen wird meist, dass es dieses Phänomen auch in Nordamerika gab.

Im Mai 1693 endeten in der Gemeinde Salem in der Kolonie Massachusetts die amerikanischen Hexenverfolgungen, die nicht nur die direkt Betroffenen, sondern auch deren Familien für mehrere Generationen in Leid und Not stürzten.

In Massachusetts waren über 200 Menschen der Hexerei angeklagt. 30 wurden schuldig gesprochen, 19 wurden getötet – 14 Frauen und 5 Männer.

Ein weiterer Mann, Giles Corey, wurde zu Tode gequält, weil er sich weigerte, seine vermeintliche Schuld einzugestehen. Mindestens 5 Menschen starben nach schweren Mißhandlungen im Gefängnis. Im benachbarten Connecticut wurden ebenfalls 14 Frauen und 2 Männer als „Hexen“ getötet.

Begonnen hatte die Hexenjagd im Februar 1692. Im puritanischen Nordamerika galt „Hexerei“ zu dieser Zeit noch als Kapitalverbrechen. Als treibende Kraft trat der puritanische Geistliche Cotton Mather auf, ein fanatischer Prediger, den ein Buch des englischen Philosophen Joseph Glanvill beeinflusst hatte, in dem das Wirken von Hexen, bösen Geistern und übernatürlichen Wesenheiten beschrieben worden war. Danach war jeder, der die Existenz dieser Wesen in Zweifel zog, nicht nur bereits von ihnen besessen, sondern leugnete auch die Existenz Gottes; ein todwürdiges Verbrechen.

Vereinzelt war es schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Verurteilungen wegen „Hexerei“ in Nordamerika gekommen, aber den Höhepunkt erreichten diese Verirrungen erst gegen Ende der 1780er Jahre. Um diese Zeit hatte es in den britischen Kolonien eine Pockenepidemie gegeben, bei der viele Menschen gestorben waren. Cotton Mather hielt naturwissenschaftliche Begründungen für diese und andere Krankheiten, deren Ursachen nicht ausreichend erforscht waren, etwa auch Epilepsie, für gottlos. Für ihn wurden derartige Leiden durch den Teufel und dessen Dämonen verursacht. Medizinische Therapien mit möglicher Impfung verwarf er.

Wer sich gegen ihn positionierte, wurde selbst als „besessen“ gebrandmarkt. Die puritanisch verwurzelte Bevölkerung war höchst empfänglich für Mathers Thesen. Er löste letztlich eine regelrechte Massenhysterie aus. Die ersten Verdächtigen waren Menschen, die nicht dem puritanischem Glaubensmuster anhingen. Erstes Opfer Mathers war die irisch-katholische Waschfrau Goody Ann Glover, die wegen ihrer scharfen Zunge offenbar unter ihren Nachbarn nicht sonderlich gelitten war. Der Maurer John Goodwin beschuldigte sie, die Epilepsie seiner Kinder durch einen Fluch verursacht zu haben.

Mather behauptete, sie habe Pocken und andere Krankheiten verursacht, um sich an ihren Nachbarn zu rächen. Als Beweis für „Götzendienste“ galt, dass sie nicht imstande war, christliche Gebete in reinem Englisch zu zitieren – sie war eine arme Irin, die lediglich den Dialekt ihrer Heimat beherrschte. Sie wurde am 16. November 1688 in Boston als „Hexe“ gehängt. Danach überredete Mather den Gouverneur von Massachusetts, Sir William Phips, ein Hexen-Tribunal einzurichten, als dessen Vorsitzender der Vize-Gouverneur William Staughton ernannt wurde. Cotton Mather begann einen Feldzug mit aufputschenden Predigten. Da er in mehreren Fällen die Verurteilung von Angeklagten bereits publizierte, noch bevor die Prozesse überhaupt zu Ende waren, war ersichtlich, dass es sich im Grunde um Scheinverfahren handelte, deren Urteile vom ersten Tag an feststanden.

Als Kronzeugin agierte anfangs die 17- oder gar erst 14jährige Elizabeth Hubbard. Sie war elternlos und wuchs bei ihrem Onkel auf. Sie beschuldigte wohl mindestens 40 Menschen der Hexerei, von denen 13 hingerichtet wurden, 17 im Kerker landeten und 2 in ihren Zellen starben. Auch die meisten anderen Anklagen stammten von jungen Mädchen, die zwischen 12 und 20 Jahre alt waren. Sie gaben an, dass die Beschuldigten versucht hätten, sie zu „verhexen“. Sie berichteten von schwebenden Objekten, von überirdischen Schreien, von unnatürlichen Körperverrenkungen und magischen Zeremonien. Sie behaupteten, von den Angeklagten gefoltert und gezwungen worden zu sein, sich in ein Buch des Satans einzutragen, dass ihnen vorgelegt worden war. Elizabeth Hubbard trat über dreißigmal vor dem Tribunal auf und machte ihre letzte Aussage am 7. Januar 1693.

Neben den diffusen Anschuldigungen der jungen Mädchen gegen ältere Frauen – und einige Männer – breitete sich das Denunziantentum sehr schnell aus, indem Streitigkeiten unter Nachbarn in der Beschuldigung der Hexerei gipfelten. Da wurde das Brunnenwasser schlecht oder die frische Milch sauer, weil die Nachbarsfrau einen Fluch ausgesprochen hatte. Kuchen, den eine Frau gebacken und ihren Nachbarn gegeben hatte, wurde zum „Hexenkuchen“, der Krankheiten und andere Leiden verursachte. Es konnte jeden treffen. Beispielsweise Abigail Faulkner, die 1692 als „Hexe“ angeklagt wurde, weil sie sich aggressiv gegen Gerüchte wehrte, die über ihren Lebenswandel ausgestreut wurden. Sie gab nach Folter vor Gericht zu, dass sie „wahrscheinlich zeitweise vom Teufel besessen gewesen“ sei und ihren Nachbarn Böses gewünscht habe. Ledige Frauen, oder Frauen, die trotz Ehe kinderlos blieben, standen unter Generalverdacht. Die „Zeugen“ berichteten, dass die Angeklagten „geflogen seien wie Vögel“. Bei einer weiteren Angeklagten, Sarah Osborne, galt als Beweis, dass sie kein Interesse an regelmäßigen Gottesdienstbesuchen hatte, dass sie sich angeblich am Erbe ihres verstorbenen Mannes für ihren Sohn bereichert und sich mit einem Dienstboten eingelassen habe. Fast alle angeklagten Frauen waren in irgendeiner Form Außenseiterinnen der puritanischen Gesellschaft.

Der Höhepunkt der Prozesse wurde erreicht, als Martha Corey und Rebecca Nurse aus Salem als „Hexen“ angeklagt wurden – weil sie öffentlich die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel gezogen hatten. Sogar die 4jährige Dorothy Good, die Tochter von Martha Corey, wurde der Hexerei beschuldigt. Die Frauen aber waren hingebungsvolle Gemeindemitglieder. Das brachte das Fundament der Hexenjäger ins Wanken. Wenn zwei anerkannt gläubige Frauen als „Hexen“ entlarvt wurden – dann konnte jeder vom Teufel besessen sein. Im April 1692 wurden fast alle 36 Familienangehörigen beider Frauen inhaftiert. Mehrere der Angeklagten wurden „schuldig“ gesprochen und gehängt. Zweifelnde Stimmen wurden lauter.

Im Mai 1693 fand der letzte Hexenprozess statt. Die öffentliche Hysterie war abgeklungen. Dafür verlangten jetzt die Angehörigen der gequälten und getöteten Angeklagten Gerechtigkeit. 1695 erhob ein Quäker, Thomas Maule, in einem Buch schwere Vorwürfe gegen die puritanische Führung. Dafür wurde er verhaftet, angeklagt und 12 Monate eingesperrt. Es dauerte noch einmal bis Ende 1697, dann bezeichnete ein Gericht die Periode der Hexenprozesse als „Tragödie“. In einer Kirche in Boston wurde öffentlich von einer „Schande“ gesprochen.

Nach dem Jahr 1700 klagten einige Nachkommen der Opfer auf Aufhebung der Schuldsprüche. Ab 1703 gab es seitens der Kirche die erste Rücknahme der Exkommunizierungen von Angeklagten, und 1706 gestand eine der Anklägerinnen, Ann Putnam, öffentlich, dass sie nicht die Wahrheit gesagt habe; sie sei bei ihren Anschuldigungen selbst vom Satan besessen gewesen.

1711 hob das oberste Gericht der Kolonie die Verurteilung von 22 Personen auf, und der Gouverneur ordnete eine finanzielle Entschädigung der Nachkommen und jener Angeklagten an, die die Prozesse im Gefängnis überlebt hatten. 300 Jahre später, 1992, wurde in Salem – das heute „Danvers“ heißt – nicht nur eine volle Rehabilitierung der Opfer vollzogen, sondern es wurden auch Gedenkplätze geschaffen, um die Namen der Menschen zu bewahren, die unter großen Leiden gestorben waren.

Der amerikanische Historiker George L. Burr schrieb: „Die Hexenprozesse von Salem waren der Fels, an dem die Theokratie zerschellte.“ Das ist vielleicht zu optimistisch gedacht.

Bis heute gibt es Universitätsprojekte, die das Gedenken an die „Hexen von Salem“ aufrecht erhalten, etwa seitens der University of Virginia.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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