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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der Erfindung Gliddens?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit der Erfindung Gliddens?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Es gibt Dinge in unserem Alltag, die als so selbstverständlich angesehen werden, dass sich niemand Gedanken darüber macht, wo sie eigentlich herkommen und was ihr Ursprung ist. Dazu gehört zweifellos der Stacheldraht (engl. Barbed Wire/amerik. Barb Wire). So wie wir ihn kennen, gab es den Stacheldraht erst seit 1874 – und er wurde in Amerika erfunden.

Tatsächlich war es ein amerikanischer Farmer namens JOSEPH FARWELL GLIDDEN, der den Stacheldraht am 27. Oktober 1873 – vor 146 Jahren – zum Patent anmeldete. Es sollte über ein Jahr dauern, bis ihm die Patentschrift ausgehändigt wurde. Dann aber trat der Stacheldraht einen beispiellosen Siegeszug auf der ganzen Welt an, und es gab Hunderte von Nachahmern, die sich an das gewaltige Geschäft mit den stachelbewehrten Zäunen anhängen wollten. Das war mit Dutzenden von patentrechtlichen Prozessen verbunden, die letztlich alle zugunsten von Glidden ausgingen.

Der Stacheldraht beendete die Ära der „Open Ranges“, der offenen Weiden in Nordamerika. Bis dahin hatte jeder seine Rinder frei weiden lassen. Sie waren nur durch Brandzeichen dem jeweiligen Züchter zuzuordnen, und die Weidegebiete waren durch Markierungen oder natürliche Landmarken gekennzeichnet. Jetzt zäunten Rancher ihre Wasserstellen ein, um den Zuzug von kleinen Farmern zu verhindern. Es kam im gesamten Ranchland zu den sogenannten „Fence Cutter Wars“ (Zaunschneiderkriegen), in denen sich Rinder- und Schafzüchter und Farmer blutige Kämpfe um den Besitz von Weideland lieferten.

Joseph F. Glidden war am 18. Januar 1813 auf einer kleinen Farm in New Hampshire geboren worden. Sein Vater ließ ihn in New York studieren. Danach hatte Glidden mehrere Jahre Anstellungen als Lehrer, bevor er auf die väterliche Farm zurückkehrte. Er arbeitete schließlich als Erntehelfer auf zahlreichen anderen Farmen und gelangte 1842 nach Illinois, wo er in der Nähe der Stadt De Kalb eigenes Land erwarb.

Hier entdeckte er auf einer landwirtschaftlichen Messe das Muster eines mit Stacheln bewehrten Zauns, der allerdings schwere Mängel aufwies, nicht stabil genug und in der Herstellung umständlich und teuer war. Da gab es breite, dünne Eisenblechbänder, durch die Nägel getrieben worden waren, und es gab Drähte, auf die man Sporenräder (von Reitsporen) aufgefädelt hatte – nichts davon war praktikabel oder starkl genug, um die massiven Longhorn- oder Shorthornrinder oder andere robuste Rassen aufzuhalten.

Glidden begann mit einer eigenen Entwicklung, die nicht nur besser war, sondern die maschinell und damit günstig hergestellt werden konnte. Er entwickelte auch eine entsprechende Maschine.

1874 tat er sich mit einem Partner zusammen, Isaac L. Ellwood, und gründete mit ihm die „Barb Fence Company of De Kalb“. Ellwood (1833-1910) war ein Rancher und Eisenwarenhändler, der selbst ein Patent auf Stacheldraht angemeldet hatte. Aber er erkannte, dass Gliddens Erfindung weitaus besser war als seine eigene Entwicklung, und finanzierte die Produktion. Das Geschäft war vom ersten Tag an erfolgreich – und man kann ohne Übertreibung sagen, dass Glidden damit den amerikanischen Westen, vor allem die Great Plains nachhaltig veränderte.

Gliddens Erfindung beruhte auf der maschinellen Verflechtung von zwei Drähten in der Art eines Kabels, das im Abstand von 10 bis 13 cm mit Stacheln versehen wurde, die entweder einfach oder doppelt um den Flechtdraht gewunden wurden. Während die Grundlage, das geflochtetene Kabel, meist gleichblieb, erhielt die Stachelbewehrung verschiedene Formen – von dünnen spitzen Dornen bis zu breiten, fast klingenartigen scharfen Eisenblechblättern.

Glidden verkaufte seine Anteile an der Stacheldrahtfabrik, nachdem sein Patent in allen Gerichtsverfahren bestätigt worden war, und konnte sich damit als reicher Mann zur Ruhe setzen.

Der Stacheldraht ersetzte binnen weniger Jahre die meisten Holzzäune, deren Errichtung weitaus teurer und arbeitsaufwendiger war. Schon 1880 gab es schätzungsweise 80.000 km Stacheldrahtzäune im amerikanischen Westen.

Bis ca. 1890 hatte der Stacheldraht die legendäre „Open Range“, die „offene Weide“, besiegt. Damit war die Zeit des „Wilden Westens“ faktisch vorbei.

Glidden, der seine erste Frau im Kindbett und seine Söhne in einer Epidemie verloren hatte, heiratete ein zweites Mal, hatte eine Tochter und wurde 1853 zum Sheriff gewählt. Er amtierte ferner als Vize-Präsident der DeKalb National Bank, war Direktor der North Western Railroad Company, besaß die örtliche Zeitung und erwarb ein Hotel.

Er starb am 9. Oktober 1906.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die kommende Ausgabe

 

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