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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Maximilian, Bodmer imd Dreidoppel?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Maximilian, Bodmer, Dreidoppel?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Im Oktober 1832 – vor 187 Jahren – verließen drei Männer mit einer Fähre die Stadt Pittsburgh (Pennsylvania), bestiegen auf dem anderen Ufer des Ohio River eine Postkutsche und fuhren westwärts. Zwei dieser Männer sind bis zum heutigen Tag weltweit unter Völkerkundlern, Historikern und Indianerfreunden unvergessen; einer war der deutsche Prinz Maximilian zu Wied, dessen Schrift „Reise in das innere Nordamerika in den Jahren 1832-1834“ (1837-41) zum Oberen Missouri eine der nachhaltigsten Quellen über die Kulturen der Mandan, Hidatsa und anderer Indianervölker darstellt. Der andere war der Schweizer Künstler Karl Bodmer, der zweifellos beste Indianermaler des 19. Jahrhunderts.

Der dritte Mann war der Leibjäger David Dreidoppel, ein Angestellter von Maximilian, der weitgehend vergessen ist, der während der legendären Expeditionsreise zu den Indianervölkern allerdings eine wichtige Rolle spielte.

Die Tatsache, dass Maximilian und Bodmer ihre „indianische Reise“, wie es manchmal romantisch heißt, in Pittsburgh begannen, ist kaum noch bekannt – wenn überhaupt.

Maximilian war mit Dreidoppel und Bodmer im Mai 1832 in Rotterdam (Holland) an Bord eines amerikanischen Dampfschiffes gegangen. Er landete am 4. Juli in Boston. Die drei Männer reisten von hier aus nach New York und Philadelphia und erreichten schließlich Pittsburgh, eine damals aufstrebende Industriestadt mit Kohle-, Glas- und Eisenverarbeitung.

Maximilian war ein Mann voller Forschungsdrang und Abenteuerlust – aber körperlich eher schwächlich und von ständigen Krankheiten geplagt. Um so erstaulicher ist, dass er die extrem anstrengenden Expeditionen überstand.

Sein Plan war gewesen, von Boston aus ohne Aufenthalt bis nach St. Louis zu reisen. Eine schwere Cholera durchkreuzte sein Vorhaben. Er benötigte ärztliche Behandlung und Erholung. Pittsburgh bot sich an, weil hier zahlreiche deutsche Geschäftsleute lebten, die den Prinzen freundlich empfingen und ihn in Kontakt mit der Sekte der Harmonisten brachten, die in der Nähe von Pittsburgh den Ort Economy gegründet hatte. Hier fanden Maximilian, Bodmer und Dreidoppel Aufnahme.

Die Harmonisten waren eine der vielen deutschen Sekten, die in ihrer Heimat – in diesem Fall Baden-Württemberg – nicht gelitten waren. Ihre Gemeindestruktur basierte auf einem sozialistischen Wirtschaftskonzept, in dem es keinen Privatbesitz gab. Die meisten derartigen Gemeinschaften scheiterten, aber die von dem charismatischen Prediger Georg Rapp gegründeten Harmonisten – 600 bis 700 von ihnen waren nach Amerika ausgewandert – entwickelten sich zu einer der erfolgreichsten Freikirchen in den USA, die es zu beträchtlichem kommunalem Reichtum brachte. Sie waren Selbstversorger als Farmer und Handwerker, deren Produkte auf den Märkten rings um Pittsburg äußerst gefragt waren. Sie betrieben Rinderzucht, Weinanbau, Seidenraupenzucht und Industrieweberei. Als Maximilian hier eintraf, bestand Economy bereits aus mehr als 150 Häusern, und in der Fabrikation waren die damals modernsten Maschinen mit Dampfkraft eingesetzt. Mehr noch: die Harmonisten legten Wert auf gediegene Bildung. 1827 hatten sie eines der ersten naturgeschichtlichen Museen der USA eingerichtet und verfügten über eine der besten wissenschaftlichen Bibliotheken Pennsylvanias. Maximilian erhielt nicht nur die notwendige medizinische Versorgung, sondern konnte sich als Gast im Haus von Georg Rapp gründlich mit den neuesten Veröffentlichungen über den amerikanischen Westen, die Geografie und die Indianervölker informieren und auf seine Reise vorbereiten.

Als Privatgelehrter mit weitgefächerten Interessen, fertige Maximilian detaillierte Aufzeichnungen über Pittsburgh und Flora und Fauna an den Flüssen Ohio und Allegheny an. Er schickte Karl Bodmer aus, Skizzen anzufertigen, die später in einem kaum bekannten Buch über Reptilien und Amphibien im westlichen Pennsylvania gedruckt wurden. („Verzeichnis der Reptilien welche auf einer Reise im noerdlichen America beobachtet wurden“; 1865)

Von hier aus begaben sich Maximilian und Bodmer in die Harmonisten-Gemeinde New Harmony in Indiana, wo sie überwinterten und die Cholera auskurierten. Danach zogen sie von St. Louis aus den Missouri hinauf. Der Rest ist Geschichte… Sie kehrten im August 1834 nach Deutschland zurück.


Ich war erstmals 2004 in Old Economy. Der Kern des Ortes – der heute als Ganzes unter Denkmalschutz steht – erinnert an eine schwäbische Siedlung des 19. Jahrhunderts. Die Harmonisten hatten die Architektur ihrer Heimat vollständig mit in die Neue Welt gebracht.

Als ich das Haus von Georg Rapp, dem Sektengründer, betrat, sah ich als erstes Reproduktionen von Bodmer-Bildern an den Wänden. Die Dame, die mich führte, konnte mir dazu keine Auskunft geben, worauf ich anfing, in Pittsburgh zu recherchieren. Ich wurde in den Aufzeichnungen von Maximilian zu Wied fündig. Er hat in der Tat eine Beschreibung seines Aufenthaltes in Pittsburgh und Economy hinterlassen, die ein lebendiges Bild der Harmonistensekte und des Lebens im westlichen Pennsylvania vermittelt. Diese Beschreibungen werden meistens überlesen oder bleiben völlig unbeachtet, weil die meisten Leser sich auf die „indianischen Kapitel“ konzentrieren.

Seine Berichte über die Indianervölker des Oberen Missouri haben ihn unsterblich gemacht – so wie Karl Bodmer mit seinen Indianerbildern in den künstlerischen Olymp aufgestiegen ist. Aber die Reise in den amerikanischen Westen begann im Oktober 1832 in Pennsylvania. Die letzten Vorbereitungen erfolgten in der Bibliothek einer deutschen Sekte, die einige Jahrzehnte später ausstarb, weil sie sich entschied, zölibatär zu leben.

Im Oktober 2005 – vor 14 Jahren – veröffentlichte das wissenschaftliche Magazin „Western Pennsylvania History“ meine Nachforschungen unter dem Titel „MAXIMILIAN OF WIED IN PITTSBURGH“. Der Artikel löste damals in Pennsylvania größtes Erstaunen aus. Maximilian ist bis heute als einer der bedeutendsten Indianerforscher des 19. Jahrhunderts bekannt. Sein Aufenthalt in Pittsburg war völlig vergessen.

Die letzten Sätze meiner Arbeit über Maximilian sind bis heute gültig:

The Prince left Pittsburgh on October 8, 1832. As the Ohio was too shallow for steamships at that time of year, “we had to travel overland till Wheeling… We crossed the Ohio with a ferryboat which paddle wheels were driven by four horses.”
On the other side of the river he entered a stagecoach. From Wheeling, he steamed up the Ohio to New Harmony, Indiana, where his weak health, caused by the cholera, forced him to stay for the entire winter. Bodmer used the time to make some independent trips to different parts of the American east and south and to sketch and paint animals from the southern states, as well as from the Allegheny and Ohio areas. His works later illustrated a scholarly publication by Maximilian on North American reptiles and amphibians (Dresden 1865) -- a volume, which is not only extremely rare, but also similarly unknown to the general public, as is the visit of this famous European traveler and explorer to Pittsburgh and Economy.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die kommende Ausgabe

 

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