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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem »Nez Perce Krieg«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem »Nez Perce Krieg«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 5. Oktober 1877 ging hoch im Norden Montanas, nur 40 Meilen von der kanadischen Grenze entfernt, der sogenannte „Nez Perce Krieg“ zu Ende. In den zerklüfteten Ausläufern der Bear Paw Mountains hatten Einheiten der US-Armee unter dem Kommando von General O. O. Howard und Colonel Nelson A. Miles über 400 Nez Perce Indianer eingeschlossen. Nach einem tagelangen erbitterten Kampf ritt der letzte noch lebende Häuptling, Chief Joseph, ins Lager der Armee und übergab an Nelson Miles seine Winchester mit den Worten: „Ich bin des Kämpfens müde. … Mein Herz ist krank und traurig. Von dem Punkt, an dem die Sonne jetzt steht, werde ich nie wieder kämpfen.“

Diese Rede machte ihn unsterblich. Vorausgegangen war ein 4 Monate dauernder Wettlauf zwischen den Indianern, die aus ihrem Heimatgebiet im Wallowa Valley im nördlichen Idaho geflüchtet waren, und der Armee. 1.200 Meilen (ca. 1.900 km) zogen die Indianer durch den Nordwesten der USA. Bei allen Zusammenstößen mit der Armee trugen sie den Sieg davon. Zugleich wurde ihre Situation immer verzweifelter. Krieger fielen oder wurden verwundet. Frauen und Kinder litten Hunger. Ihre Hoffnung, bei den befreundeten Crow-Indianern Hilfe und Schutz zu erhalten, erfüllte sich nicht – die Crow wiesen sie ab. Also entschlossen sie sich, Richtung Kanada – ins „Land der Großen Mutter“ (Königin Victoria) – weiterzuziehen, wo im Jahr zuvor auch Sitting Bull nach der Schlacht am Little Bighorn mit seinen Leuten Asyl gefunden hatte.

Völlig erschöpft, in eisigem Wetter - seit dem 29. September schneite es -, erreichten sie die Bear Paw Mountains im Norden Montanas und glaubten, die sichere Grenze überschritten zu haben. Das war ein Irrtum. Einige kleinere Gruppen zogen weiter und erreichten Kanada. Die meisten Nez Perce aber rasteten am Snake Creek, um neue Kraft zu sammeln. Sie glaubten, die Armee endgültig abgehängt zu haben. Sie wußten nicht, daß eine starke Armeekolonne unter Nelson Miles dicht hinter ihnen war. Am 30. September griff unvermittelt die US-Kavallerie an. Wenig später hatte die Armee sie eingeschlossen. Es begann ihr letzter Kampf.

Das Drama, das im Oktober 1877 bereits Schlagzeilen im amerikanischen Osten machte und eine indianerfreundliche Öffentlichkeit empörte, hatte im Grunde 1860 begonnen, als nach der Entdeckung von Gold mehr als 5.000 Prospektoren illegal in das Gebiet der Nez Perce eindrangen und die Regierung den Stamm aufforderte, auf 90% ihrer Reservation zu verzichten. Das war ein glatter Bruch des nur 5 Jahre zuvor geschlossenen Vertrags von Fort Walla Walla. Nur ein kleiner Teil des Stammes akzeptierte die Forderung. Die Mehrheit beharrte auf Einhaltung des Vertrags.

Jahrelang blieb es beim Status Quo – die Nez Perce blieben auf ihrer Reservation, die Regierung schickte immer wieder Beamte und Offiziere, um über einen Wegzug der Indianer zu verhandeln, und die Goldsucher nisteten sich immer selbstsicherer ein, gefolgt von Siedlern, die Farmen im Nez-Perce-Land aufbauten. 1877 eskalierte der Konflikt, als die Armee die Nez Perce ultimativ aufforderte, in eine kleinere Reservation in Idaho umzuziehen.

Mehrere Stammesgruppen unter den Häuptlingen Joseph, Looking Glass, White Bird, u. a. – insgesamt 250 Krieger und 500 Frauen und Kinder, sowie etwa 2.000 Pferde (der größte Schatz der Nez Perce) verließen im Juni die Reservation. Für sie begann eine regelrechte Odyssee, die für die amerikanische Armee zum Albtraum wurde. Es kam zu nicht weniger als 18 kriegerischen Zusammenstößen, als die Armee die Verfolgung aufnahm und versuchte, die Indianer zu stellen und nach Idaho zu zwingen. Fast 2.000 Soldaten waren an dem Unternehmen beteiligt. Es gelang ihnen nicht, die Nez Perce aufzuhalten. Mit jeder weiteren Woche und mit jeder weiteren Niederlage wurde ein Sieg über die Nez Perce zu einer Prestigeangelegenheit. Inzwischen hatten sich fast alle amerikanischen Zeitungen auf die Seite der Nez Perce gestellt und machten sich über die Erfolglosigkeit der Armee lustig, die in vier größeren Schlachten den weitaus schwächeren Indianern unterlagen. Einer der bedeutendsten Kämpfe fand am Big Hole in West-Montana statt.

Das Drama der Nez Perce entwickelte sich in der Presse zur Heldensaga. Dabei gingen einige Fakten unter:

  • Der Feldzug der Armee wurde von Kriegergruppen der Lakota und Cheyenne begleitet, für die die Nez Perce immer Feinde gewesen waren. Sie führten die Soldaten immer wieder auf die richtige Fährte der flüchtenden Nez Perce.
  • Der Häuptling Joseph, der bis heute zu den profiliertesten indianischen Führern des 19. Jahrhunderts gezählt wird, wurde nach den Siegen über die Armee in der Öffentlichkeit zum „roten Napoleon“ und militärischen Genie, der der Armee die schmachvollsten Niederlagen zufügte.
  • Tatsächlich war Joseph gar kein Kriegshäuptling, sondern der Diplomat des Stammes, ein glänzender Redner und eine eindrucksvolle Erscheinung. Die militärischen Erfolge wurden in Wirklichkeit von seinem Bruder Ollokot und den Häuptlingen Looking Glass, White Bird und Toohoolhoolzote erzielt – keiner dieser Männer jedoch war in der Öffentlichkeit bekannt. So fokussierte sich das allgemeine Interesse auf Joseph.
  • Als die Nez Perce am Bear Paw ankamen, waren diese Häuptlinge entweder tot, fielen in den letzten Kämpfen oder waren rechtzeitig geflüchtet. Joseph war der letzte, der die Kapitulation erklären konnte. So stand sein Name wieder im Mittelpunkt.

Mit seiner charismatischen Persönlichkeit und seiner Rednergabe gewann er den Respekt der Offiziere, denen er sich ergab, und er gewann die Sympathie der amerikanischen Öffentlichkeit. Die „New York Times“ schrieb damals: „Der Nez Perce Krieg war, was unsere Seite betrifft, in seinem Ursprung und seiner Motivation ein gigantischer Fehler und ein Verbrechen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Nez Perce - 431 Menschen, davon 79 Männer, 178 Frauen und 174 Kinder - wurden zunächst nach Fort Buford gebracht, von hier aus nach Fort Abraham Lincoln im Dakota-Territorium. Hier bekundeten viele Bürger der nahen Stadt Bismarck ihre Sympathie mit den Indianern und versorgten sie mit Essen und Decken. Dann wurden sie nach Fort Leavenworth in Kansas deportiert. Erst 1885 wurde ihnen erlaubt, in den pazifischen Nordwesten zurückzukehren. Chief Joseph mußte sich in der Colville Reservation im Bundesstaat Washington niederlassen, wo er 1904 starb – an „gebrochenem Herzen“, wie sein Arzt sagte.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die kommende Ausgabe

 

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