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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie ist das mit der Strafexpedition gegen Villa?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie ist das mit der Strafexpedition gegen Villa?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 15. September 1916 befahl der amerikanische Präsident Woodrow Wilson einem Armeekorps unter dem Kommando von General John „Black Jack“ Pershing den Einmarsch nach Mexiko. Grund für diese „Strafexpedition“, die fast zu einem erneuten Krieg zwischen Mexiko und den USA geführt hätte, war ein Überfall des mexikanischen Revolutionärs Francisco „Pancho“ Villa auf den amerikanischen Grenzposten Camp Furlong und den daneben liegenden Ort Columbus in New Mexico. Columbus ist heute fast eine Geisterstadt in einer trostlosen Wüstengegend, damals war es ein wirtschaftlich bedeutender Grenzposten.

Im Morgengrauen des 9. März 1916 überquerte eine berittene Guerillatruppe von knapp 500 Mann Stärke die Grenze. Als die Sonne aufging, stand der Stadtkern von Columbus in Flammen und 17 – einige Quellen sagen 25 – Amerikaner waren getötet worden.

Nach seinem Bruch mit der Carranza-Regierung zog Villa, der in den Jahren zuvor führend an mehreren Revolutionen beteiligt gewesen war und zeitweise als Gouverneur der Provinz Chihuahua amtiert hatte, mit seiner „Armee“ plündernd und mordend durch den Norden Mexikos und das amerikanische Grenzland. Hinter dem Anschlag auf Columbus standen politische Intrigen, die bis in die Amtsstuben europäischer Regierungen reichten.

Da die mexikanische Regierung sich aufgrund der Instabilität im eigenen Land nicht imstande sah, die Guerillas zu stellen, beorderte Präsident Wilson ein Expeditionskorps an die mexikanische Grenze, um Villa tot oder lebend fangen.

Das Unternehmen wurde zur letzten großen Kampagne der US-Kavallerie. Beteiligt war der „alte Westen“ der Pionierzeit, ehemalige Revolverhelden, die legendären schwarzen „Buffalo Soldiers“ und Apachenscouts der grenznahen Reservationen. Erstmals wurden gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt, und erstmals begleiteten Flugzeuge als Aufklärer die Armee – weshalb Columbus als „Wiege der US Airforce“ bezeichnet wird. Besondere Aufmerksamkeit erregte dieser Feldzug aber nicht nur wegen seiner politischen Wirkungen, sondern auch wegen der beiden Protagonisten. Der eine, Pancho Villa, war ein militärisch-politischer Desperado, der in seiner Heimat Mexiko bis heute als Freiheitskämpfer und Revolutionär verehrt wird; eine völlige historische Verzerrung. Der andere, General John Pershing, hat das Ansehen einer militärischen Lichtgestalt ohne Fehl und Tadel. Ab 1919 wurde er durch ein Sondergesetz des Kongresses zum ranghöchsten General der amerikanischen Militärgeschichte („General of the Armies“) ernannt. Unter seinem Kommando profilierte sich erstmals ein junger Leutnant namens George Patton.

Was dem Ereignis und seinen Folgen besondere historische Aufmerksamkeit verschaffte war zudem die Tatsache, dass zur selben Zeit im fernen Europa der 1. Weltkrieg tobte. Zu dem, was sich in den Wüsten des amerikanischen Südwestens abspielte, gab es unmittelbare Zusammenhänge, und die amerikanisch-mexikanischen Ereignisse sollten nur wenige Monate später Auswirkungen auf den europäischen Kriegsschauplatz haben.

Es sollte sich später erweisen, daß Villas Überfall eine gezielte Provokation war, um die amerikanische Armee an der Grenze zu Mexiko zu binden und daran zu hindern, in den 1. Weltkrieg einzugreifen. Der Plan, der von Agenten des Deutschen Reichs ausgeheckt und teilweise finanziert worden war, wäre beinahe geglückt, aber er scheiterte letztlich. General Pershing wurde Oberkommandierender des Armee-Korps, das 1917 nach Frankreich eingeschifft wurde.

Pancho Villa war jahrelang ein Freund der Amerikaner gewesen, als es darum ging, den Diktator Porfiria Diaz zu stürzen. Auch am Sturz der Präsidenten Madero und Huerta war er beteiligt. Der Sohn armer Bauern stieg bis zum General der nationalen Armee auf und wurde lange Zeit von den USA unterstützt, Als der ebenfalls von Villa bekämpfte korrupte Präsident Caranza überraschend von den USA anerkannt wurde, kam es zum Bruch. Diese Chance nutzte der deutsche Botschafter in Mexiko, der mit Hilfe des kaiserlichen Geheimdienstes versuchen wollte, die amerikanische Armee in einen Konflikt mit Mexiko zu treiben.

Beteiligt an dem Komplott waren so illustre Gestalten wie der Militärattache an der deutschen Botschaft in Washington, Franz von Papen. Zu Villas Beratern gehörte der Deutsche Felix Sommerfeld, ein Glücksritter und Doppelagent. Er spionierte sowohl für Villa als auch für das Caranza-Regime. Ende 1915 erhielt er vom Deutschen Reich astronomische 340.000 $ auf ein Bankkonto in St. Louis überwiesen. Davon kaufte er Munition von der „Western Cartridge Company“ in Illinois und ließ diese zu Villas Armee transportieren.

Columbus verwandelte sich nach dem Überfall Villas in ein Heerlager. Innerhalb weniger Monate entstand eine Armee von rd. 6.000 Mann, mit der Pershing die Grenze überquerte. Die Speerspitze bildete sein favorisiertes 10. Kavallerieregiment, die „Buffalo Soldiers“.

Die mexikanische Nationalarmee hielt sich zurück – offiziell wurde der Einmarsch der Amerikaner als feindlicher Akt angesehen, aber die mexikanische Regierung war selbst am Kampf gegen Villa interessiert und wäre zu einer Militäraktion gegen Pershings Armee gar nicht imstande gewesen.

Die US-Armee stieß etwa 400 Meilen tief in mexikanisches Territorium vor, durchkämmte ganz Nord-Mexiko, gewann zahlreiche Scharmützel mit Villas Truppen. Er selbst konnte sich verletzt verstecken und wurde nicht gefaßt. Im Februar 1917 erklärte Präsident Wilson, „es damit bewenden zu lassen, daß die gesetzlosen Banden bestraft worden sind.“ Ende April 1917 war der Rückzug aus Mexiko abgeschlossen. Insgesamt hatten fast 15.000 Soldaten an diesem Unternehmen teilgenommen. Einen vergleichbaren Kavallerieeinsatz der US-Armee gab es nie wieder, auch wenn die berittenen Einheiten bis in die 1940er Jahre existierten. Im März 1917 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Mexiko wieder aufgenommen. Columbus, monatelang Zentrum der Weltgeschichte, versank wieder in Vergessenheit.

Villas Revolutionsarmee war nachhaltig geschwächt worden. Zahlreiche seiner Offiziere waren in Kämpfen gefallen, andere Angehörige seiner Truppe wurden in New Mexico hingerichtet.

General Pershing griff mit einem Expeditionskorps an der Seite von Frankreich und England in den 1. Weltkrieg ein. Die im Mexiko-Feldzug gewonnenen Erfahrungen mit moderner Militärtechnik kamen ihm und seinen Offizieren zugute. Der Mann, der die Militärgeschichte vom Ende der Indianerkriege bis zum Beginn des Atomzeitalters aktiv erlebt hatte, starb 1948 in Washington DC.

Pancho Villa wurde 1920 von der mexikanischen Regierung mit einer großzügigen Pension und dem Geschenk einer riesigen Hazienda „ruhiggestellt“. Am 23. Juli 1923 wurde sein Auto von 8 Heckenschützen in der Nähe der Stadt Paral förmlich „in Stücke geschossen“.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die kommende Ausgabe

 

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