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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Susan Shelby?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Susan Shelby?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 30. Juli 1827 wurde auf einer Plantage in Kentucky Susan Shelby geboren. Ihr Großvater war Isaac Shelby, der erste Gouverneur von Kentucky. Er ist so gut wie vergessen, im Gegensatz zu Susan. Die junge Frau heiratete 1845 den wohlhabenden Händler Samuel Magoffin. Ein Jahr später reiste das junge Paar von Independence (Missouri) aus auf dem Santa Fe Trail nach Süden und erreichte im Juli Fort Bent am Arkansas River – der damaligen Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko. Susan Magoffin war vermutlich die erste weiße Frau auf dieser Route. Die Neunzehnjährige war hoch schwanger und erlitt am 31. Juli 1846 – vor 173 Jahren – eine Fehlgeburt.

Das alles wäre für sich genommen nicht so bemerkenswert, wenn Susan nicht die Zeit, die sie in Fort Bent verbrachte, um sich zu erholen, dazu genutzt hätte, ein Tagebuch zu schreiben, das bis zum heutigen Tag als der detailierteste und exakteste Bericht über das Leben in diesem bedeutenden Pelzhandelsposten gilt. Das machte die junge Frau zu einer der wichtigsten Zeitzeuginnen in der Geschichte des frühen Colorado.

Susan war reich geboren und heiratete einen wohlhabenden Mann. Samuel Magoffiin und sein Bruder James Wiley Magoffin betrieben erfolgreich Im- und Exportgeschäfte zwischen den USA und Mexiko seit den 1820er Jahren und vor allem nachdem Mexiko sich von Spanien losgesagt hatte. James Wiley wurde 1828 amerikanischer Konsul in Saltillo und heiratete hier die Tochter eines großen mexikanischen Händlers.

Samuel Magoffin war mit seiner Frau 1846 auf dem Weg zu seinem Bruder in Mexiko. Genaugenommen war er als Santa-Fe-Händler ein Konkurrent der Brüder Bent. Gleichwohl wurde er mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen. Seine Frau wurde in einem der wenigen Gästezimmer zusammen mit ihrer Zofe im Obergeschoß des Forts untergebracht. Wahrscheinlich zahlte Samuel dafür pro Tag 1 Dollar – in jener Zeit keineswegs ein niedriger Preis.

Susan hatte eine strapaziöse Reise hinter sich – wenn auch mit weitaus mehr Komfort als andere Reisende auf dem Santa Fe Trail. Ihrem Tagebuch zufolge bestand ihr Treck aus 14 großen Frachtwagen, die jeweils von 12 Maultieren gezogen wurden. Dazu gab es einen Versorgungswagen mit 4 Maultieren und eine Reisekutsche, in der Susans Zofe fuhr. Das Ehepaar Magoffin reiste in einer eigenen Kutsche. Zu ihrem Personal gehörte ferner ein Koch.

Gleichwohl ging der Weg über Stock und Stein. Die schwangere Susan erkrankte, und die Fehlgeburt, die sie in Fort Bent erlitt, war letztlich keine Überraschung. Trotzdem hinterließ das, was sie in dem Pelzhandelsposten sah, der zugleich Grenz- und Raststation war, einen überwältigenden Eindruck. Sie schrieb über die täglichen Abläufe im Fort, über die sozialen Klassen des Pelzhandels, über die kulturelle und soziale Mischung der Menschen hier. In Fort Bent hörte man mindestens ein Dutzend verschiedene Sprachen. Man sah Vertreter verschiedener Indianervölker, Menschen aus fast allen Teilen Europas, viele Mexikaner. In ihrem Tagebuch vermerkte sie, das am selben Tag, als sie ihr Baby verlor, im Stockwerk unter ihr eine Arapaho-Indianerin ein gesundes Kind zur Welt brachte. Noch erstaunlicher für sie war, dass die Indianerin eine halbe Stunde später zum Arkansas ging und zusammen mit ihrem Neugeborenen ein Bad im Fluß nahm.

Susan war mit den Vorurteilen ihrer Zeit in den Westen gekommen. Was sie beobachtete, änderte ihre Meinung teilweise. Sie schrieb: „Zweifellos ist die Gesundheit vieler feiner Ladies in unserer Zivilisation durch die übervorsichtige und ängstliche Behandlung während der Schwangerschaft ruiniert worden.“

Über die Mexikaner schrieb sie: „Ich habe sie als primitiv in ihrem Lebensstil gesehen, als stumpfe, tierähnliche Arbeiter. Jetzt habe ich guten Grund, meine Meinung zu ändern; sie sind mit Sicherheit wache, fleißige und intelligente Menschen.“

Die Magoffins gehörten sozial zur Oberklasse. Samuel nahm am „First Tabel“, der Tafel von William Bent und dessen Clerks, Platz, wo von chinesischem Porzellan gegessen und französische Weine getrunken wurden.

Susan Magoffin und ihr Mann verließen Fort Bent am 14. August. Am 31. August 1846 erreichten sie Santa Fe. Die Stadt war inzwischen von General Kearnys „Westlicher Armee“ besetzt. Gerüchte besagen, daß es ihrem Schwager, James Wiley Magoffin, zu verdanken war, daß New Mexico kampflos von den Amerikanern eingenommen werden konnte; angeblich hatte er den amtierenden mexikanischen Gouverneur Manuel Armijo bestochen.

Als die Magoffins schließlich Saltillo erreichten, hatte sich Susans Gesundheit wieder verschlechtert. 1848 brachte sie hier einen Sohn zur Welt, der nur kurz darauf starb. Im selben Jahr kehrten die Magoffins nach Kentucky zurück, wo 1851 eine Tochter geboren wurde. 1852 zog die Familie nach Missouri. Samuel hatte hier eine Plantage gekauft.

Susan sollte sich von den Strapazen der Reise auf dem Santa Fe Trail nie mehr richtig erholen. Sie kränkelte ständig. 1855 brachte sie eine zweite Tochter zur Welt – und nur wenig später, im Oktober 1855, starb sie im Alter von gerade 28 Jahren.

Ihr Tagebuch endet im September 1847. Es gilt heute als erstrangiges Zeitdokument und reflektiert zudem die Beobachtungsgabe und den scharfen Verstand dieser jungen Frau. Ihre Aufzeichnungen haben dazu beigetragen, das Bild vom Leben in einem frühen Pelzhandelsposten zu bewahren, von einer Welt, die innerhalb weniger Jahrzehnte unterging und die uns heute so fern ist.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die kommende Ausgabe

 

 

 

 

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