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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Narcissa Prentiss Whitman?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Narcissa Prentiss Whitman?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 29. November 1847 starb eine bemerkenswerte Frau, Narcissa Prentiss Whitman. Sie war eine der ersten Missionarinnen im Indianerland und die erste weiße Frau überhaupt, die über den South Pass die Rocky Mountains auf einer Route überquerte, die später Teil des Oregon Trails, des Weges der großen Planwagenzüge, werden sollte.

1808, vor 210 Jahren, war sie in Prattsburgh im Staat New York als drittes von 9 Kindern der Familie Prentiss geboren worden. Während einer großen christlichen Erweckungsbewegung, die sich während ihrer Jugend im amerikanischen Osten erhob, fühlte sie sich berufen, ihr Leben dem Glauben zu widmen und Missionarin zu werden. Im März 1835 wurde sie von einer Missionsgesellschaft angenommen, die ihr eine Ausbildung an der Franklin Academy in Prattsburgh zur Lehrerin ermöglichte. Allerdings war es in jenen Tagen unmöglich, daß einer alleinstehenden Frau die Leitung eines Missionsprojektes übertragen wurde. Die Missionsgesellschaft legte auch bei Männern Wert darauf, daß sie familiär gebunden waren.

Anfang 1836 wurde ein Treffen zwischen ihr und dem Missionar Dr. Marcus Whitman arrangiert. Vier Wochen später bereits, im Februar 1836, waren beide verheiratet. Zusammen mit dem Missionarsehepaar Henry und Eliza Spalding – auch diese hatten kurz vor Beginn des Missionsprojektes geheiratet – begaben sich die Whitmans im März 1836 auf die lange und entbehrungsreiche Reise nach Oregon. Sie trafen im September in Fort Walla Walla ein, das von der Hudson’s Bay Company betrieben wurde. Hier errichteten sie im Gebiet der Cayuse-Indianer ihre Mission.

Die Whitman-Mission wurde nicht nur zu einem sozialen und religiösen Zentrum für die Indianer im Willamette Valley, sondern auch zu einem Anlaufpunkt für Reisende und Trapper. Whitman gehörte früh zu den prominentesten Advokaten einer Besiedelung Oregons durch Amerikaner. Das Gebiet wurde in jenen Jahren noch von England und den USA gemeinsam beansprucht. Whitman warb intensiv dafür, mehr amerikanische Pioniere an die Westküste zu holen, um die Engländer langfristig zu verdrängen.

Er reiste mehrfach auf dem Oregon Trail hin und her. 1843 war er der Führer der sogenannten „Westlichen Karawane“, des vermutlich größten Trecks, der jemals über den Trail nach Westen zog, ca. 1.000 Menschen.

Die Whitmans richteten eine Schule ein, lehrten viele Indianer Lesen und Schreiben, hielten Bibelstunden ab. Im März 1837 brachte Narcissa ihre Tochter Alice zur Welt, das erste weiße amerikanische Kind, das im Oregon-Gebiet geboren wurde. (Im Alter von zwei Jahren ertrank Alice Whitman im Walla Walla River.) Die Whitmans nahmen im Laufe der Zeit aber auch Pflegekinder auf, u. a. eine Tochter des berühmten Mountain Man und Entdeckers Jim Bridger.

War das Verhältnis zwischen den Whitmans und den Indianern der Region zunächst äußerst freundlich gewesen – insbesondere die Nez Perce hatten sich sehr interessiert und aufgeschlossen an der christlichen Religion gezeigt –, so änderte sich das im Laufe der Jahre. Der wachsende Strom von neuen Siedlern machte die Indianer mißtrauisch. Die Neuankömmlinge kümmerten sich nicht um indianische Landrechte. Sie schossen das Wild ab, das die Indianer für ihre Ernährung brauchten. Schon 1841 forderte der Cayuse-Häuptling Tiloukaikt die Whitmans auf, die Mission zu verlassen.

Zur tödlichen Krise kam es aber erst 1847. Einer der Siedlertrecks hatte eine fatale Fracht dabei – mehrere Kolonisten waren an Masern erkrankt. Die Indianer steckten sich an, und die Krankheit breitete sich rapide unter ihnen aus.

Während die Kolonisten eine gewisse Immunität gegen diese Infektion besaßen, war diese Erkrankung bei Indianern bis dahin unbekannt gewesen; das Ergebnis war eine hohe Rate von Todesfällen. Fast die Hälfte der Cayuse wurden dahingerafft.

Whitman, der vor seiner Missionarszeit Arzt gewesen war, tat sein Bestes, mit den in jener Zeit begrenzten Mitteln gegen die Epidemie anzukämpfen. Die Indianer allerdings verloren ihr Vertrauen in ihn. Täglich starben vor allem Kinder und ältere Menschen. Währenddessen erholten sich die meisten Weißen, die an den Masern erkrankt waren, bald wieder. Der Zusammenhang mit besseren körpereigenen Abwehrkräften bei den Weißen, die mit dieser Krankheit vertraut waren, war den Cayuse nicht klar. Unter ihnen breitete sich die Überzeugung aus, daß Whitman seine weißen Landsleute heilte und die Indianer sterben ließ.

Das war objektiv falsch. Whitman behandelte die Indianer weitaus intensiver als die weißen Siedler, aber er war gegen die Ausbreitung der Epidemie machtlos.

In der Kultur der Cayuse wurde allerdings der Medizinmann als Verantwortlicher angesehen, wenn es ihm nicht gelang, eine Erkrankung zu kurieren. Familien, die Angehörige wegen einer Krankheit verloren, waren berechtigt, den Medizinmann dafür zur Rechenschaft zu ziehen.

Am 29. November 1847 griffen Cayuse-Indianer unter Häuptling Tiloukaikt die Mission an und erschlugen Narcissa und Marcus Whitman, sowie 11 andere Bewohner. Das war das Ende der Whitman-Mission und der Beginn des sogenannten „Cayuse-Krieges“. 1850 wurden 5 vermeintliche Rädelsführer des „Whitman-Massakers“ gehängt – mindestens einer davon hatte gar nicht an dem Überfall auf die Mission teilgenommen. Der Krieg dauerte bis 1855; dann kapitulierten die Cayuse und zogen mit anderen kleinen Stämmen auf die Umatilla-Reservation.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, März 2019Die kommende Ausgabe

 

 

 

 

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