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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit John Rutherford Ash?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit John Rutherford Ash?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 28. September 1837, wurde in Hebron, im Banks County des Staates Georgia, ein Mann namens John Rutherford Ash geboren. Kaum jemand dürfte diesen Namen kennen. Er taucht in keinem Geschichtsbuch auf. Und doch machte er Geschichte. Er beschäftigte Chronisten und Historiker; denn er gehörte zu den Menschen, die dem grauenvollen Bürgerkrieg in Nordamerika (1861-65) ein Gesicht gaben.

Vom 1. bis 3. Juli 1863 tobte im Osten Pennsylvanias eine der gewaltigsten Landschlachten der amerikanischen Geschichte. Die kleine Stadt Gettysburg wurde zu einem der Höhepunkte des Bürgerkrieges.

Wenige Tage nach der Schlacht tauchten Fotografen auf, die mit ihren Plattenkameras das Grauen im Bild festhielten, das sich dem Auge bot.  

Einer dieser Fotografen war Alexander Gardner (1821-1882). Der gebürtige Schotte war ursprünglich ein Mitarbeiter des berühmten Fotografen Mathew Brady. Inzwischen hatte sich dieser hochbegabte und ehrgeizige Mann selbständig gemacht und erregte mit seinen Fotos von Abraham Lincoln, aber vor allem mit seinen Schlachtfeldbildern die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.  

Eines seiner Fotos, die er in Gettysburg aufnahm, wurde frühzeitig zu einem Symbol des Grauens.

Es zeigt einen toten konföderierten Soldaten in einer Scharfschützenstellung von „Devil’s Den“, einer rauen Felsformation direkt gegenüber dem Little Round Top, einer der Schlüsselstellungen des Schlachtfeldes.

Dieses Foto entstand am 6. Juli 1863, drei Tage nach der Schlacht. Es wurde allerdings nicht vor 1865 in Gardners „Photographic Sketch Book of the Civil War“ veröffentlicht, wo es den Titel erhielt: „A Sharpshooter’s Last Sleep.“ (Eines Scharfschützen letzter Schlaf.)

Seither gehört dieses Bild zu den absoluten Kultfotografien des Bürgerkrieges. Und seit dieser Zeit wurde immer wieder versucht, die Geschichte hinter dem Foto zu klären und den Toten zu identifizieren. Angesichts der chaotischen administrativen Verhältnisse nach der Schlacht von Gettysburg und den sehr unvollständigen Akten der konföderierten Armee schienen alle Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Allerdings entstand im Laufe der Jahrzehnte ein Puzzle an Informationen, das der Lösung Schritt für Schritt näherkam.

Im Juni dieses Jahres veröffentlichte der pensionierte Offizier und leidenschaftliche Historiker Scott Fink im angesehenen CIVIL WAR TIMES Magazin einen Artikel, der mit allergrößter Wahrscheinlichkeit das Rätsel um dieses Foto und den gefallenen Soldaten klärt.

Es beginnt damit, daß Gardners Angabe von einem „Scharfschützen“ nicht stimmt, und daß der unglückliche konföderierte Soldat gar nicht dort starb, wo er fotografiert wurde.  

In jenen Tagen, als die Fotografen mit ihren schweren Plattenkameras auf die Schlachtfelder zogen, als wegen der Belichtungszeiten „Schnappschüsse“ gar nicht möglich waren, war es nicht ganz unüblich, Bildmotive zu „arrangieren“, um ihnen mehr Dramatik zu verleihen. Zu diesem Zweck legten sich manchmal sogar die Assistenten der Fotografen in grauen oder blauen Uniformen „dekorativ“ auf den Boden und spielten Gefallene.

Im Fall des vermeintlichen Scharfschützen war der junge Mann wohl 40 bis 70 m entfernt von der Stellung im Devil’s Den gefallen. Der Leichnam des einfachen Soldaten wurde hinter den Steinwall getragen und mit seinem Gewehr entsprechend neben den Felsen „drapiert“.

Für diese Tatsache gab es Zeugen, deren Aussagen später aufgefunden wurden. Gardner war bekannt für solche Verfahrensweisen. Er machte dann von dem toten Konföderierten 6 Aufnahmen aus verschiedenen Winkeln, darunter auch 3 Stereobilder, die damals sehr populär waren.

Die Spekulationen, um wen es sich bei dem Gefallenen handelte, schossen seit der Veröffentlichung ins Kraut. Es meldeten sich vermeintliche Verwandte, die glaubten, den Toten wiedererkannt zu haben. Bei näheren Untersuchungen stellten sich diese Angaben alle als unmöglich heraus, weil die fraglichen Personen in Truppenteilen gedient hatten, die entweder nicht einmal in der Nähe von Devil’s Den gewesen waren oder das Schlachtfeld zu diesem Zeitpunkt längst verlassen hatten.

Scott Fink ging all diesen Angaben und Spuren nach, und am Ende wurde er in dem Werk „Gettysburg’s Confederate Dead: An Honor Roll From America’s Greatest Battle“ fündig.  

Es gab einen Soldaten aus Bennings Brigade des 2. Georgia Regiments, Kompanie A, der alle Kriterien erfüllte, die auf den Toten zutreffen mußten. Danach handelte es sich um den 25jährigen John Rutherford Ash, der am frühen Abend des 3. Juli 1863 von einem Granatsplitter getötet worden war. (Er hatte einen Bruder, der bereits im April 1863 in Vicksburg ums Leben gekommen war.)

Nachdem Fink den dokumentierten Spuren bis hierher gefolgt war, gelang es ihm, in einem Archiv in Georgia eine Fotografie des 13jährigen John Ash zu finden, die er in ein Bilderkennungsprogramm seines Computers einspeiste. Er schrieb: „Ash und der tote Soldat in der Barrikade zeigten exakt dieselben Gesichtsmerkmale, eingeschlossen die Ohren, Nase, Kinn, Lippen und Augenbrauen. Die Ähnlichkeit war unheimlich.“

Er schrieb weiter: „Gardners Inszenierung des Fotos am 6. Juli 1863 war nach unseren Maßstäben moralisch falsch. Allerdings erklärt er in seinem Skizzenbuch seine Absicht mit diesen Worten: ‚Ein solches Bild vermittelt eine notwendige Moral: Es zeigt den blanken Horror und die Realität des Krieges, im Gegensatz zu seinem Prunk. Hier sind die schrecklichen Details! Lasst einen solchen Anblick mithelfen, dass nie wieder ein derartiges Unglück über die Nation kommt.‘ "

Der Leichnam von Ash endete in einem namenlosen Grab. In seinem Heimatort in Georgia stellten Angehörige einen Gedenkstein für ihn auf.

Ich wurde bei einem meiner Besuche in Gettysburg von einem Ranger, mit dem ich mich über dieses Foto unterhalten hatte, zu der Stellung im Devil’s Den geführt. Die meisten Besucher liefen achtlos vorbei – das ist allerdings verständlich, da dieses Schlachtfeld so ausgedehnt ist und so viele Denkmäler und Interpretationstafeln aufweist, das man leicht etwas übersieht, wenn man ohne jegliche Vorkenntnisse dorthin geht.

Ich empfand eine unglaubliche Beklemmung, als ich vor dieser Felsformation und dem Steinwall stand. Seither habe ich diese Bilder nie ohne emotionale Bewegung anschauen können.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Dezember 2018Die aktuelle Ausgabe

 

 

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