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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem »Big Hole«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem »Big Hole«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Die 1870er Jahre verliefen nicht unbedingt glorreich für die kleine US-Armee im amerikanischen Westen. Noch immer unvergessen sind die katastrophalen Niederlagen im Juni 1876 am Rosebud River und natürlich am Little Bighorn.

Im August 1877 fand im Westen Montanas ein Kampf statt, der heute vielfach vergessen ist, an den man sich aber erinnern sollte. In einem einsamen Tal, am „BIG HOLE“, erlitt die amerikanische Armee eine Niederlage gegen ein kleines Indianervolk, das sich mit allen Kräften gegen Vertragsbruch und ungerechte Behandlung wehrte, die Nez Perce. Allerdings ist die bis heute gelegentlich anzutreffende Behauptung, die Nez Perce seien ein unkriegerischer Stamm gewesen, falsch. Pelzhändler und Reisende stuften die militärischen Fähigkeiten dieses Volkes höher ein als der meisten Plainsstämme.

Die Nez Perce hatten sich im 19. Jh. vor allem mit den mächtigen Blackfoot östlich der Rockies und auch mit den Shoshone erbitterte Kämpfe um die Bison-Ressourcen der Plains geliefert. Dagegen begegneten sie weißen Händlern und Entdeckern äußerst freundlich. 1805 hatten sie die Lewis-&-Clark-Expedition vor dem Untergang bewahrt. Mehr noch: Sie begrüßten weiße Missionare und zeigten sich hoch interessiert an der christlichen Lehre.

Als die ersten Weißen in das sogenannte Plateau-Gebiet vordrangen, siedelten die Nez Perce schon seit rd. 9.000 Jahren hier. Heute befinden sich hier die Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho. Es war ein wald- und wildreiches Gebiet. Die Flüsse boten Fisch im Überfluß. Um 1800 lebten die Nee-mee-poo (der Eigenname) in ca. 300 Dörfern und zählten um die 6.000 Menschen.

Nach 1710 gelangten sie in den Besitz von Pferden. Im Gegensatz zu anderen Indianervölkern erkannten sie deren wirtschaftliche Bedeutung und begannen, diese Tiere zu züchten und damit Handel zu treiben. Aus den von ihnen gezüchteten Pferden gingen die „Appaloosas“ hervor. Die Nez Perce wurden damit zu einem der wohlhabendsten Völker der westlichen Region.

1836 entstanden unter Marcus Whitman und Henry Spalding die ersten katholischen Missionen, die von den Nez Perce begrüßt wurden. Dennoch übersehen viele spätere Chronisten, daß das Vordringen der abendländischen Kultur, die einen radikalen Schnitt zur seit Jahrtausenden gewachsenen indianischen Lebensform bedeutete, wie ein Schock gewirkt haben muß. Innerhalb einer einzigen Generation, sollten die halbnomadischen Jäger und Krieger zu christlichen Farmern werden.

Ein Teil des Stammes war dazu bereit, ein anderer nicht. Das führte zwangsläufig zu inneren Spannungen.

Ab 1855 kam es zu Verträgen mit der Regierung. Teile der Nez Perce-Gebiete wurden zur Besiedelung und zum Bau einer Eisenbahn freigegeben. Die weißen Verhandler waren zunächst beeindruckt von diesen grandios und selbstbewußt auftretenden Kriegern, aber, wie es in einer Schrift hieß, „die Indianer verstanden nicht, daß man Land wie einen Ballen Stoff verkaufen konnte.“

Die ersten Verträge wurden ständig durch zuströmende Siedler unterlaufen. 1863 sollte die Situation „angepaßt“ werden. Nur wenige Häuptlinge erklärten sich dazu bereit und wurden zu „Vertragsindianern“. Ein Großteil der Nez Perce mit Häuptlingen wie Old Joseph, White Bird, Big Thunder weigerte sich, auf weitere Ländereien zu verzichten.

1873 erkannte die Indianerbehörde nach Verhandlungen mit Chief Joseph, dem Sohn von Old Joseph, überraschenderweise an, daß das Wallowa-Tal Eigentum der Nez Perce sei. Weiße Ansiedlungen wurden untersagt. Das führte aber zu Aufruhr unter den bereits ansässigen Siedlern.

1875 wurde erneut verhandelt. Inzwischen waren die Feindseligkeiten gewachsen. Weitere Kolonisten versuchten rechtswidrig, die Indianer aus dem Wallowa-Tal zu verdrängen.

Die Verhandlungen über eine freiwillige Umsiedlung blieben erfolglos. Die Indianerbehörde setzte den Nez Perce eine Frist bis zum April 1877, ihr Heimatgebiet zu verlassen und in eine Reservation umzuziehen.

Es gelang Joseph zunächst, seine Gruppe zusammen mit seinem Bruder Ollokot davon zu überzeugen, daß ein friedliches Eingehen auf die Forderung der Regierung besser für das Volk sei. Aber Anfang Juni, als sich rund 600 Nez Perce – davon wohl nur ca. 100 Krieger – versammelt hatten, um das Wallowa-Tal zu verlassen, brach unter den jungen Kriegern Unruhe aus. Bis Mitte Juni wurden um die 20 weiße Siedler bei individuellen Raubzügen kleiner Kriegergruppen erschlagen. Wie sehr die Kolonisten seit Jahren die Nez Perce provoziert hatten, wurde bei diesen Ereignissen nicht berücksichtigt. Der amerikanische Historiker Jerome Greene schrieb: „Der … völlig unkontrollierte Ausbruch am Tolo Lake war ein allgemeiner Aufstand kultureller Verzweiflung, basierend auf lange angestauten Aggressionen.“

Joseph und Ollokot hatten die Entwicklung nicht verhindern können. Aber für sie stand jetzt fest, daß an einen friedlichen Abzug nicht mehr zu denken war.

Es begann eine Flucht, die beinahe biblische Züge annahm. Die Nez Perce zogen mit ihrer wertvollen Pferdeherde quer durch Montana, um sich in Sicherheit zu bringen.

General Howard, der zuständige Armeekommandeur, erhielt den Befehl, sie unter allen Umständen aufzuhalten und zurückzutreiben.

Als die Presse im amerikanischen Osten Kenntnis vom verzweifelten Kampf der Nez Perce um ihre Heimat erhielt, wurde der Feldzug zu einem nationalen Thema.

Die US-Armee genoß in der Bevölkerung jener Zeit keinen besonders guten Ruf. Christliche Organisationen setzten sich für die bedrängten Indianervölker ein. Die wenig bekannten Nez Perce wurden plötzlich zu einem Symbol – und Chief Joseph wurde in der amerikanischen Presse zum „Roten Napoleon“, der der US-Armee eine Serie blamabler Niederlagen zufügte. Tatsächlich war das nur ein Zeichen kultureller Ahnungslosigkeit – Joseph war ein „Friedenshäuptling“, ein genialer, wortmächtiger Diplomat. Die militärischen Erfolge erzielten Häuptlinge wie sein Bruder Ollokot, Looking Glass, White Bird, Toohoolhoolzote, u. a.

Unabhängig von der Unkenntnis über indianische Führungsstrukturen – die schwachen Truppen wurden von der Flucht der Nez Perce völlig überrascht. Wann immer es zum Zusammentreffen zwischen der Armee und den Nez Perce kam, trugen die Indianer den Sieg davon.

Im Juli erhielt der erfahrene Offizier Colonel (Brevet-Brigadegeneral) John Gibbon den Auftrag, den Nez Perce den Weg abzuschneiden. Gibbon hatte im Jahr zuvor an der Kampagne teilgenommen, die zum Untergang der 7. Kavallerie am Little Bighorn geführt hatte. Jetzt war er Kommandeur des „District of Western Montana“. Er führte 163 Reguläre und 35 Freiwillige. Ferner verfügte er über eine 12-Pfünder-Haubitze.

Es war reiner Zufall, daß er am 8. August das große Indianerlager im Tal des Big Hole entdeckte. Im Morgengrauen des 9. August gab er Angriffsbefehl.

Alles sah nach einem leichten Sieg aus. Die Soldaten stürmten das schlafende Dorf, schossen und schlugen auf alles ein, was sich bewegte. Aber dann wendete sich das Blatt.

Nach dem ersten Schock, schlugen die Indianer zurück. Lieutenant Bradley, der Gibbons linken Flügel führte, wurde tödlich getroffen. Damit brach der Angriff zusammen. Die Nez Perce brachten auch Gibbons rechten Flügel zum Wanken. Den Soldaten im Zentrum gelang es nicht, die Tipis in Brand zu setzen. Sogar Frauen und Kinder leisteten heftigen Widerstand.

Nachdem Gibbon selbst einen Schuss ins Bein erhalten hatte, musste er den Rückzug befehlen. Die Soldaten brachten sich auf dem bewaldeten Höhenrücken in Deckung, von wo aus ihr Angriff begonnen hatte. Aber die Indianer ließen ihnen keine Zeit, sich einzugraben. Sie folgten ihnen auf dem Fuße. Gibbon war nicht mehr Herr der Situation.

Die Sonne stieg, es wurde heiß. Die Soldaten lagen hinter Bäumen und in flachen Bodenvertiefungen und wurden von Nez-Perce-Scharfschützen unter Feuer genommen. Die Haubitze, die Gibbons Männer den Hügel hinaufgezerrt hatten, um von hier aus das Lager zu beschießen, wurde von einer Gruppe tollkühner Krieger überrannt.

Den ganzen Tag über kämpften die Soldaten um ihr Leben. Nach Einbruch der Nacht zogen die Indianer sich zurück. Unter der Leitung von Joseph hatten die Frauen und Kinder das Dorf inzwischen abgebrochen und den Abzug vorbereitet. Als die letzten Schüsse verhallten, wagten die Soldaten zunächst nicht, ihre Deckungen zu verlassen; ausgehungert, halb verdurstet, völlig erschöpft, waren sie zu einer Verfolgung nicht imstande.

Gibbon hatte 33 Männer verloren, 38 waren verwundet worden. Von seinen insgesamt 17 Offizieren waren 14 unter den Opfern.

Dass die US-Armee Big Hole in ihren offiziellen Papieren später zu einem „Sieg“ umdeutete und vonseiten der politischen Führung Auszeichnungen für zahlreiche Beteiligte einforderte, ist nur ein Beleg für den öffentlichen Druck, unter dem die handelnden Offiziere sich befanden.

Tatsächlich kann dieses Gefecht als einer der dramatischsten indianischen Siege auf dem Kriegsschauplatz im Fernen Westen angesehen werden.

Es war zudem eine der sehr seltenen Gelegenheiten, dass ein Indianerdorf ausschließlich von Infanterie, ohne Unterstützung berittener Truppen, angegriffen wurde. Obwohl die Armee das Überraschungsmoment vollständig auf ihrer Seite hatte, gelang es den Indianern, das Blatt zu wenden und das Gesetz des Handelns wieder an sich zu reißen. Das widersprach allen taktischen Erkenntnissen der US-Armee an der Indianergrenze.

Aber auch die Verluste der Nez Perce waren vergleichsweise hoch, da sie im Schlaf überrascht worden waren. Neben vielen Frauen und Kindern, die der ersten Angriffswelle zum Opfer gefallen waren – auch Josephs Frau war schwer verwundet worden –, waren die Häuptlinge Rainbow und Five Wounds, sowie zahlreiche besonders fähige Krieger gefallen. Insgesamt zählten die Nez Perce zwischen 60 und 90 Tote und Verwundete.

Weitere ähnliche Kämpfe sollten folgen. Damit wurde die Flucht der Nez Perce zum Heldenepos, das erst am 5. Oktober auf dem Bear Paw Battlefield, nur 40 Meilen südlich der rettenden kanadischen Grenze endete. Hier kapitulierte Joseph als letzter der wichtigen Häuptlinge mit den Worten „Ich will nie wieder kämpfen.“

Bei diesem letzten Kampf wird von der Geschichtsschreibung häufig übersehen, daß zu den von General Miles geführten Truppen ein starkes Kontingent Cheyenne-Krieger gehörte, die der Armee Hilfe gegen die Nez Perce leisteten, das Lager Josephs am Bear Paw entdeckten und die Armee dorthin führten.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2018Die aktuelle Ausgabe

 

 

Kommentare  

#1 Heizer 2018-10-01 23:16
Wir sollten aufhören, uns gegenseitig etwas vorzumachen Freunde.
Der Mann mit den dicksten Eiern ist Herr Kuegler.
#2 Heizer 2018-10-01 23:21
Respekt...Sie haben Ihr Leben konsequent durchgezogen. Roncos Tagebücher gepaart mit den geilen Covern von König. Einzigartig!
Und was sie nach ihrer Ronco Zeit lieferten........Klasse Mann. Ich bin froh, dass Sie weder Autorennen noch Kampfsport betreiben......da wäre mein großes Maul schnell gestopft.
#3 Rüdiger 2018-10-02 09:21
Ob dickste Eier oder nicht, das bleibt sich gleich, wie ein spezieller Freund sagen würde, aber der klare Blick, die differenzierte Betrachtungsweise und das in allerhand Sätteln, real oder am Schreibtisch, eine überzeugende Figur abgeben fallen in der Tat immer wieder beeindruckend auf ...

:-)

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