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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Texas?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Texas?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Im Juli 1824, begann im amerikanischen Süden eine Bewegung, die nur gut 10 Jahre später die Landkarte der Neuen Welt nachhaltig verändern sollte.

Ein gewisser Stephen F. Austin hatte die ersten 297 anglo-amerikanischen Familien nach Texas geführt, das damals die Nordprovinz von Mexiko bildete. Diese Gruppe wird heute in der texanischen Überlieferung als „die alten 300“ bezeichnet.

In der frisch gegründeten Siedlung San Felipe de Austin – der inoffiziellen Hauptstadt der Kolonie – wurde im Juli 1824 das erste Landbüro eröffnet, in dem die von Austin angeworbenen Familien sich registrieren konnten. Sie hatten zuvor mit Stephen Austin einen Vertrag abgeschlossen. Gegen eine Gebühr von 12,5 Cents per Acre konnte jeder erwachsene Mann und das Haupt einer Familie 640 Acres (knapp 260 Hektar) Land für sich eingetragen lassen, für jede Ehefrau konnten noch einmal 320 Acres, für jedes Kind einer Familie weitere 160 Acres, und 80 Acres für jeden Sklaven, den eine Familie mitbrachte, erworben werden. Dieser Preis entsprach nur 10% dessen, was vergleichbares Land in den USA kostete.

Stephen Austin war der Sohn von Moses Austin (1761-1821), einem Geschäftsmann aus Connecticut, der zunächst im Geschäft mit Eisenwaren erfolgreich war. Nachdem er nach Richmond (Virginia) gezogen und in eine Familie eingeheiratet hatte, die Anteile an Bleiminen hielt, wurde er zeitweilig zum „Bleikönig“ von Virginia. Als der Preis für Blei verfiel, mußte er so gut wie bankrott nach Missouri ausweichen, das sich damals noch unter spanischer Herrschaft befand, um seinen Gläubigern zu entgehen. Hier leistete er einen Eid auf die spanische Krone. Schon 1798 übereignete ihm die spanische Regierung einen Landgrant in Missouri – aber 1803 ging das gesamte Gebiet durch den Verkauf des Louisiana-Territoriums an die Vereinigten Staaten. Austin war somit wieder amerikanischer Bürger und gründete in St. Louis eine Bank. 1819 verlor er in einer Wirtschaftskrise abermals fast sein gesamtes Vermögen und erinnerte sich an seine zeitweilige spanische Staatsbürgerschaft. Er reiste nach San Antonio in der spanischen Nordprovinz von Mexiko und unterbreitete der Verwaltung zunächst den Plan, einen Handelsposten an der texanischen Küste für Ex- und Importgeschäfte mit Neuspanien zu gründen. Er kam zur rechten Zeit: 1820 drohte ihm in Missouri die Verhaftung wegen seiner Schulden. Im selben Jahr aber warb die spanische Krone um Siedler für die nördlichen Provinzen ihres Vizekönigreichs. Sogenannte „Empresarios“ erhielten riesige Landflächen, auf denen sie in einer vorgegebenen Frist Kolonisten ansiedeln sollte. Dieses Angebot war für Moses Austin wie ein Rettungsanker. Die Anwerbung von Siedlern eröffnete neue Perspektiven. Der spanische Gouverneur erteilte ihm die Genehmigung, zunächst 300 Siedlerfamilien nach Texas zu bringen.

Moses Austin begann sofort mit der Realisierung diese Pläne – und dann traten dramatische Veränderungen ein: Mexiko erhob sich gegen das spanische Mutterland, bildete ein kurzfristiges Kaiserreich und erklärte zunächst alle Verträge der spanischen Krone für Null und Nichtig. Moses Austin erkrankte auf der Rückreise von San Antonio nach St. Louis und starb im Juni 1821 an einer Lungenentzündung. Er hinterließ das unvollendete Kolonisationsprojekt seinem Sohn Stephen.

Stephen Austin war ein hervorragend gebildeter Mann, der sich auf eine Karriere in der amerikanischen Politik eingerichtet hatte. Um das Erbe seines Vaters und die wirtschaftliche Existenz der Familie zu retten, fühlte er sich verpflichtet, die bereits geschlossenen Siedlungsverträge zu erfüllen; er hätte die Zahlungen, die sein Vater bereits erhalten hatte, auch nicht erstatten können.

Er reiste nach Mexico City und verhandelte zäh darum, den „Land Grant“, der seinem Vater zugesagt worden war, bestätigt zu erhalten. Aber die Tinte unter den Zusagen war noch nicht trocken, als eine erneute Revolution die Verhältnisse in Mexiko wiederum änderte: Kaiser Iturbide wurde von seinem einstigen Günstling, General Santa Anna, gestürzt, und Santa Anna übernahm als Präsident einer Republik die Regierung. Wieder stand für Stephen Austin das Kolonisationsprojekt auf Messers Schneide. Wieder gelang es ihm, die neuen Machthaber davon zu überzeugen, das „Empresario“-System der spanischen Krone zu erneuern. Es sollte Vorteile für beide Seiten bringen: Austin wollte Kolonisten werben, die nach günstigem Siedlungsland suchten, und die Republik Mexico wollte die riesigen, leeren Landflächen im Norden nutzbar machen. Hinzu kam, daß Santa Anna nicht genügend Soldaten hatte, um die Nordprovinzen abzusichern. Texas wurde de facto von kriegerischen Comanchen, Apachen, Karankawa und anderen Indianervölkern beherrscht, die eine systematische Besiedelung bislang fast unmöglich gemacht hatten. Somit gab es nur einige schwächlich besetzte mexikanische Presidios und Missionen. Die Niederlassung von Hunderten, wenn nicht Tausenden von anglo-amerikanischen Familien sollte diese Situation ändern. Die Überlegung der Mexikaner war, daß die Siedler gezwungen sein würden, zu ihrer eigenen Sicherheit die Indianer in Schach zu halten und damit die mexikanische Armee und Verwaltung zu entlasten.

Diese Vorstellungen führten von Anfang an zu einem schwierigen Verhältnis zwischen den anglo-amerikanischen Kolonisten und den Mexikanern; denn die Siedler erwarteten ihrerseits Schutz seitens ihrer neuen Heimat.

Stephen Austins Absichten waren ehrenhaft. Er lernte die spanische Sprache und änderte seinen Namen in „Estevan Austin“. Er wurde von der mexikanischen Verwaltung mit der politischen Führung der entstehenden Kolonie beauftragt und nahm diese Aufgabe sehr ernst. Sein Ziel war es, Menschen nach Texas zu bringen, die bereit waren, hart zu arbeiten, den Aufbau einer wirtschaftlich erfolgreichen mexikanischen Kolonie in die Wege zu leiten und ihrer neuen Heimat gegenüber loyal zu sein. Austin sah nicht nur finanziellen Erfolg für sich, sondern auch die Möglichkeit, langfristig in Mexiko politisch einflußreich zu werden.

Seine Siedler entwickelten allerdings sehr bald andere Ansichten als ihr Empresario. Der mexikanische Staat bot zwar Land zu äußerst günstigen Konditionen an, aber er stellte einige Bedingungen: Die Kolonisten mußten mexikanische Staatsbürger werden. Sie sollten den katholischen Glauben annehmen, der die Staatsreligion von Mexiko war, und sie sollten auf Sklavenhaltung verzichten.

Aber die wenigsten Kolonisten - die das billige Land gern annahmen - waren zur Erfüllung dieser Bedingungen bereit. Sklavenhaltung war für sie unabdingbar – die meisten Siedler stammten aus den Südstaaten der USA und nahmen dieses System als gottgegeben hin. Fast alle waren Protestanten und dachten nicht daran, die katholische Lehre anzunehmen. Die Gesetze der schwachen spanischen Verwaltung waren für sie auch keine Option, zudem sie sehr bald die wenigen mexikanischen Siedler zahlenmäßig übertrafen.

Ende 1825 war es Stephen Austin gelungen, weitere Landzuteilungen der mexikanischen Regierung zu erhalten, um zusätzlich 900 Kolonistenfamilien nach Texas zu bringen. Die Zahl der Einwanderer wuchs auch durch andere Empresarios.

Die unsichere Situation in den Grenzgebieten des Indianerlandes führte dazu, daß die Siedler eine Art Miliz organisierten, aus denen die „Texas Rangers“ hervorgingen. Damit verlor die mexikanische Regierung bereits einen Teil der militärischen Kontrolle über Texas. Weitere strukturelle Entscheidungen der Austin-Kolonie setzten mexikanische Gesetze teilweise außer Kraft. Binnen weniger Jahre trat somit eine Entfremdung zwischen den Neubürgern und der mexikanischen Regierung ein. Die Siedler fühlten sich vernachlässigt, die Mexikaner empfanden das Verhalten der Einwanderer als undankbar.

Stephen Austin versuchte jahrelang, ein gutes Verhältnis zur Regierung in Mexico City aufzubauen. Aber letztlich trauten die Mexikaner ihm nicht mehr – er landete zeitweise, völlig ungerechtfertigt, wegen Anstiftung zur Rebellion im Kerker, und seine Kolonisten fühlten sich gegängelt und verlangten politische Unabhängigkeit. Zudem erfüllten sich die finanziellen Hoffnungen Austins nicht.

Als die texanische Kolonie sich ab den 1830er Jahren zunehmend von Mexiko absetzte und die Siedler immer stärker auf Eigenständigkeit pochten und ein eigenes Parlament wählten, wurde Austin zum Getriebenen. Ihm entglitt nach und nach die Kontrolle, während Männer wie William Travis, James Fannin, Jim Bowie und andere zu neuen Führungsgestalten wurden.

1835 kam es zur offenen Rebellion der Texaner. Präsident Santa Anna versuchte, die unbotmäßigen Kolonisten militärisch zur Raison zu bringen, aber er wurde 1836 von Sam Houstons texanischer Armee bei San Jacinto geschlagen und mußte die Unabhängigkeit von Texas anerkennen.

Noch 1836 kandidierte Stephen Austin für das Amt des ersten Präsidenten von Texas – und wurde von Sam Houston besiegt. Houston ernannte den „Vater von Texas“ nach der Regierungsübernahme zwar zum Außenminister, aber Austin starb noch im Dezember desselben Jahres.

Formal kann man ihn tatsächlich als den „Vater von Texas“ bezeichnen. Historisch und politisch gesehen aber hatte Texas viele Väter. Da waren die Helden des Alamo, da waren die Abgeordneten im Revolutionsparlament, und da war Sam Houston, der unter der Bedrohung des mexikanischen Militärs zum unumschränkten Führer der Unabhängigkeitsbewegung wurde. Aber das alles hatte im Juli 1824 begonnen, als Stephen Austin die ersten Kolonisten ins Land brachte, aus denen schließlich „Texaner“ werden sollten.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2018Die aktuelle Ausgabe

 

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