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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der »Manifest Destiny«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit der »Manifest Destiny«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Es gibt historische Begriffe in der Rhetorik eines Volkes, die Schlüsselfunktionen ausüben, weil sie Ereignisse auslösen können, die die Bewegungen einer ganzen Nation beeinflussen.

In den Vereinigten Staaten von Amerika gehört der Begriff „Manifest Destiny“ zu den prägenden und bedeutendsten Formulierungen des 19. Jahrhunderts. Übersetzt als „schicksalhafte Bestimmung“ stehen diese Worte als ideologische und theoretische Basis der Wanderung nach Westen, der Eroberung des Kontinents von der Küste des Atlantiks bis zu den Ufern des Pazifischen Ozeans.

Es war im Juli 1845 – also vor genau 173 Jahren - als der junge, aber bereits einflußreiche Journalist John O’Sullivan in einem der Demokratischen Partei nahestehenden Magazin einen Artikel über die Expansion nach Westen schrieb und den Begriff der „schicksalhaften Bestimmung“ erstmals verwendete.

Der Gedanke einer Ausdehnung der Vereinigten Staaten „von Küste zu Küste“ war nicht neu. Schon der 3. Präsident, Thomas Jefferson, hatte diesen Plan verfolgt. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb er die Lewis-&-Clark-Expedition ausgeschickt hatte. Der Pelzhändler John Jacob Astor hatte mit seiner Gründung „Astoria“ an der Columbia-Mündung einen Grundstein für die amerikanische Besiedelung der Pacific-Küste gelegt.

Auch weitere Präsidenten, andere Politiker und Geschäftsleute hatten die Westküste im Visier – allerdings nicht so sehr den amerikanischen Westen. Der Westen - die Prärien und Great Plains - galt als „große Wüste“, gerade gut genug für die nomadischen Indianervölker. Keiner aber sprach den expansiven Anspruch so offen aus wie Präsident James Polk (1795-1849), der offensiv die Einnahme des Oregon-Gebiets verlangte und 1846 einen Krieg mit Mexiko vom Zaun brach, um das gewaltige Gebiet zu besetzen, das heute 10 Bundesstaaten der USA umfaßt

Diese Gedanken waren in jenen Tagen keineswegs populär. Vor allem konservative Politiker konnten mit der Überlegung, den Westen zu besiedeln, nicht viel anfangen. Sie hielten diese Idee schlichtweg für unmöglich. Es gab keine Verkehrswege, keine Anbindung an den amerikanischen Osten. Das Gebiet galt als Wildnis; gefährlich, klimatisch unkalkulierbar und wertlos. Kein Lebensraum für Familien. Der Weg über die Rocky Mountains wurde als nicht machbar angesehen. Das änderte sich erst mit der Entdeckung des Goldes in Kalifornien.

John O’Sullivan, der schon sechs Jahre vorher von einer „heiligen Bestimmung“ gesprochen hatte, formulierte im Juli 1845, was nur vorausschauende Politiker zu dieser Zeit dachten – und die wurden jahrelang dafür verspottet. Zum Vorreiter des Gedankens einer West-Expansion wurde der mächtige Missouri-Senator Thomas Hart Benton, der gegen Widerstände im Parlament die ersten Expeditionen seines Schwiegersohns, John Charles Fremont, finanzieren ließ. Fremont wurde zum „Pfadfinder“, zum Propheten der Westausdehnung. 1843 führte der Missionar Marcus Whitman mit der „westlichen Karawane“ einen riesigen Treck von rd. 1.000 Menschen – darunter 600 Kinder – auf den Trail nach Westen und eröffnete damit die praktische Umsetzung des „Manifest Destiny“. In den nächsten 40 – 50 Jahren sollten zwischen 400.000 und 500.000 Menschen folgen.

„Manifest Destiny“ – die „schicksalhafte Bestimmung“ – wurde zum geflügelten Wort. Der Erfinder dieser Formulierung, die ein ganzes nationales politisches Programm bedeutete, wurde vergessen.

O’Sullivan war sich allerdings der langfristigen Wirkung seines Artikels vermutlich nicht bewußt gewesen. Er war ein tagespolitischer Journalist, der mit seinem Text eigentlich eine Kampfansage an die europäischen Mächte England und Frankreich schicken wollte, die die Entwicklung der USA behinderten. O’Sullivan hatte u. a. geschrieben, daß diese Mächte

„das erklärte Ziel verfolgen, unsere Politik zu durchkreuzen und unsere Macht zu verringern, unsere Größe zu begrenzen und die Erfüllung unseres offensichtlichen Schicksals in Frage zu stellen, um den von der Vorsehung für die freie Entwicklung unserer jährlich wachsenden Bevölkerung auf diesem uns geschenkten Kontinent zu behindern.“

Und dann kam der entscheidende Satz: „Es ist unser Recht, es ist unsere schicksalhafte Bestimmung (Manifest Destiny), den ganzen Kontinent, den uns die Vorsehung für die Entwicklung des uns anvertrauten großen Experiments der Freiheit und der föderierten Selbstherrschaft gegeben hat, zu überspannen und zu besitzen.“

Dieser wegweisende Artikel, der die gesamte Richtung der amerikanischen Besiedelung vorgezeichnet hat, wurde erst 1927 von dem Historiker Julius W. Pratt wiederentdeckt. Damit war klar, wer das ideologische Konzept für die Westwanderung kreiert hatte. Kurz nach O’Sullivans Veröffentlichung hatten sich führende Politiker dessen Formulierungen zu eigen gemacht, so daß später der Eindruck entstand, die Vision von der Besiedelung des Westens sei in Regierungskreisen und im Parlament entstanden.

Und haften geblieben ist letztlich die griffige Schlagzeile des bis heute unvergessenen Journalisten Horace Greeley: „Go West, Young Man!“

Aber für all das war das „Manifest Destiny“ der Anfang gewesen.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2018Die aktuelle Ausgabe

 

 

Kommentare  

#1 MHR 2018-09-16 18:11
Und wieder etwas gelernt. Vielen Dank, Herr Kuegler. Frage: Gibt es Infos zu den beiden Herren der Fotos 2 und 5?
#2 Dietmar Kuegler 2018-09-16 18:21
Hallo, MHR: Bild 2 zeigt den Journalisten John O'Sullivan, der als "Erfinder" des Begriffs "Manifest Destiny" gilt. Bild 5 ist der berühmte Journalist und Verleger Horace Greely, dessen Formulierung "Go West, Young Man" zum Schlachtruf der Westexpansion wurde.
#3 MHR 2018-09-16 22:19
Vielen Dank für die schnelle Antwort. Ich freue mich auf jeden neuen Beitrag.

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