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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Tod von Jesse James?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Tod von Jesse James?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 3. April 1882 erhob sich ein gewisser Thomas Howard vom Frühstückstisch, bemerkte ein staubiges Bild an seiner Wohnzimmerwand, stieg auf einen Stuhl, um es zu reinigen – und hörte vielleicht noch den Knall des Schusses, der ihn von hinten tötete.

Sein Mörder stürzte auf die Straße und schrie: „Ich habe Jesse James erschossen!“

Jesse James – das war der richtige Name jenes „Mr. Howard“, der in St. Joseph am Missouri als vorgeblich treusorgender Familienvater in der Lafayette Street Nr. 1318 mit Frau und Kindern gelebt hatte.

Jesse James war in den Jahren nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg zum Schrecken von Banken und Eisenbahngesellschaften in den Südstaaten geworden. Nach heutigen Maßstäben war er weit mehr als nur ein Straßenräuber. Er war ein Terrorist, ein ehemaliger Guerilla, der mit seinem Bruder Frank und den Brüdern Younger den Bürgerkrieg privat fortsetzte und seine Verbrechen politisch begründete. Nach jeder Tat gingen Briefe mit Bekenntnissen an örtliche Zeitungen, in denen die Bande ihr Vorgehen rechtfertigte. Es gelang Jesse James, seine Überfälle als „Widerstand“ gegen die ungerechte Besetzung der Südstaaten zu deklarieren. Sympathisanten priesen ihn als „Robin Hood“, der den nordstaatlichen Besatzern das unrechtmäßig erworbene Gut wegnahm und es den Armen schenkte. Dieser Mythos ist noch immer nicht völlig vergangen.

Beraubt wurden Eisenbahngesellschaften, die als die Bannerträger der Nordstaaten angesehen wurden. Überfallen wurden Banken, die sich im Besitz von Politikern des Nordens und (vermeintlichen) Kriegsgewinnlern befanden. So wie 1876 in Northfield (Minnesota), wo die Inhaber der First National Bank ehemalige Offiziere der Unionsarmee und Politiker der Rekonstruktionszeit nach dem Krieg – General Adalbert Ames und General James Butler – waren. Hier war Jesse James am entschiedenen Widerstand der Bürger katastrophal gescheitert. Er und Frank waren verletzt entkommen, die Youngers landeten im Zuchthaus.

In den folgenden Jahren hatte Jesse James eine neue Bande aufgebaut. Obwohl sein Name immer noch für Furcht sorgte, verblaßte sein Ruf nach und nach. Noch immer aber war er der gesuchteste Kriminelle der USA.

Die Unterstützung in der Bevölkerung hatte nachgelassen. Die intensiven Ermittlungen von Sicherheitsdiensten der Eisenbahnen, lokaler Sheriffs und Detekteien wie der Pinkerton-Agentur hatten seine neue Bande, die wechselnde Mitglieder hatte, erodieren lassen. James wurde zunehmend mißtrauisch; er witterte überall Verrat. Nach dem letzten Zugüberfall am 7. September 1881 hatte er sich von den meisten Männern getrennt. Niemand sollte wissen, wo er mit seiner Familie lebte. Die einzigen, mit denen er noch persönlichen Kontakt hielt, waren die Brüder Robert und Charles Ford aus Missouri, zwei blutjunge Männer, die scheinbar in völliger Bewunderung und Abhängigkeit von Jesse James lebten.

Im Frühjahr 1882 war Robert Ford gerade 20 Jahre alt. Er ritt seit zwei Jahren mit Jesse James. Frank James hatte sich zu dieser Zeit schon entschieden, sich ins bürgerliche Leben zurückzuziehen. Er lebte in Lynchburg (Virginia).

Jesse wollte noch einmal einen großen Coup landen. Er plante, die Platte City Bank in Missouri auszurauben.

Die Ford-Brüder hatten sich aber schon anders entschieden. Statt der Aussicht auf einen Anteil an dem geplanten Bankraub, lockte sie eine Belohnung von 10.000 Dollar, die der Staat Missouri auf die Köpfe von Jesse und Frank James ausgeschrieben hatte. Schon im Januar 1882 hatten sie sich zusammen mit dem Bandenmitglied Dick Liddil dem Sheriff im Ray County gestellt, der ihnen ein Gespräch mit dem Gouverneur von Missouri, Crittenden, vermittelte. Crittenden versprach den Fords nicht nur die ausgelobte Belohnung, sondern vollständige Begnadigung, wenn sie Jesse James zur Strecke bringen würden.

Die Fords lebten zeitweise mit ihm in seinem Haus in St. Joseph, saßen mit seiner Familie am Tisch.

Nach dem gemeinsamen Frühstück am Morgen des 3. April wollte James mit den Fords nach Platte City aufbrechen. Vorher las er in der Zeitung, daß sich sein Gang-Mitglied Liddil den Behörden gestellt hatte. Daß die Fords ihm nichts davon erzählt hatten, weckte nun auch Mißtrauen gegen sie. Robert Ford erzählte später, daß er spürte, daß Jesse James seine Absichten durchschaut hatte. Ihm blieb keine Zeit mehr. Als James seinen Revolver ablegte, und ihm den Rücken zuwandte, zog er seine Waffe und schoß. Die Kugel schlug in den Hinterkopf des Banditen. Er war auf der Stelle tot.

Die Fords stellten sich danach den Behörden und verlangten die versprochene Belohnung. Stattdessen wurden sie wegen Mordes angeklagt. Gouverneur Crittenden hatte wohl nicht damit gerechnet, daß James noch immer große Beliebtheit in der Bevölkerung genoß. Der heimtückische Mord ließ die öffentliche Empörung hochkochen.

Die Ford-Brüder wurden vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Zwei Stunden später wurden sie vom Gouverneur begnadigt – aber das war alles, was er für sie tun konnte. Die „dreckigen Feiglinge und Verräter“ wurden zu Geächteten. Sie erhielten nur einen Teil der versprochenen Belohnung.

Bob Ford verdiente zunächst Geld damit, daß er als „der Mann, der Jesse James erschoß“ öffentlich auftrat und zusammen mit seinem Bruder den Mord auf Theaterbühnen darstellte. Sie wurden als Sensation bestaunt und gleichzeitig als Verräter verachtet. Der öffentliche Druck und gesundheitliche Probleme führten letztlich dazu, daß Charles Ford am 4. Mai 1884 Selbstmord beging. Robert Ford und Dick Liddil verließen Missouri und betrieben in New Mexico einen Saloon.

1889 überlebte er einen Mordanschlag in Kansas City. Danach ging er nach Colorado, wo er schließlich in der Minenstadt Creede einen Saloon und eine Tanzhalle eröffnete. Anfang Juni 1892 brannte der Rotlichtdistrikt nieder. Ford setzte sein Etablissement in einem großen Zelt fort und plante den Neubau seines Saloons. Aber am 8. Juni 1892 betrat Edward O’Kelley den Zeltsaloon mit einer Schrotflinte. Er sprach Ford von hinten an. Als dieser sich umdrehte, feuerte O’Kelley beide Läufe gleichzeitig ab.

Der „Mann, der Robert Ford tötete“ saß bis zum Oktober 1902 im Gefängnis, wurde aus gesundheitlichen Gründen begnadigt und im Januar 1904 erschossen, als er versuchte, einen Polizisten umzubringen.

Das Haus von Jesse James in St. Joseph wurde im Laufe der letzten 100 Jahre zweimal umgesetzt. Es steht seit 1977 in der Nähe des „Patee House Hotels“ – unweit seines Originalstandortes – und ist ein kleines Museum, in dem tatsächlich noch einige Gegenstände aus dem Besitz der Familie James zu sehen sind.

In dem luxuriösen Patee Hotel – in dessen Erdgeschoß sich auch die Verwaltungszentrale des legendären Pony Express befand – wohnten Frau und Kinder und die Mutter von Jesse James, bis die Leichenschau stattgefunden und der Leichnam freigegeben worden war.

Jesse James wurde zunächst auf der elterlichen Farm in Kearny beigesetzt und später auf den Friedhof der Gemeinde umgebettet.

Immer wieder tauchten Gerüchte auf, er habe den Anschlag überlebt oder sogar nur inszeniert, um unerkannt untertauchen zu können. 1995 wurde einer der besten Forensiker der USA, Professor James E. Starrs von der George Washington Universität engagiert, die sterblichen Überreste von Jesse James zu exhumieren und zu untersuchen. Sie wurden mit DNA-Material seiner Nachkommen verglichen. Das Ergebnis war eindeutig: Der Tote war zu 99,7% Jesse James. Und eine weitere Legende wurde durch die Exhumierung zerstört: In seinem Haus befindet sich ein Loch in der Wand, das die Kugel Bob Fords angeblich geschlagen hatte. Tatsächlich steckte die Kugel noch immer im Schädel des Toten. Das Loch war später zur Freude der Touristen in die Wand geschossen worden.

Meine Fotos zeigen das Jesse-James-Haus in St. Joseph, sowie einen alten Stich mit dem Menschenauflauf nach dem Mord, Robert Ford, die Leichenschau von Jesse James, das Patee-Hotel, in dem die James-Familie nach dem Tod Jesses wohnte, und das erste Grab von Jesse auf der James Farm. Auf dem Grabstein heißt es: „Ermordet von einem Verräter und Feigling, dessen Name es nicht wert ist, erwähnt zu werden.“ Fords Grab zeigt ein weiteres Bild.

Ferner bin ich neben dem endgültigen Grab von Jesse James zu sehen.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, März 2018Die aktuelle Ausgabe

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