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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Major Andrew Henry?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Major Andrew Henry?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Im Februar 1822 erschien in St. Louis (Missouri) eine kleine, eher unauffällige Zeitungsanzeige:

An unternehmungslustige junge Männer

Der Unterzeichner möchte 100 junge Männer einstellen, die den Missouri bis zu seiner Quelle hinauffahren und dort ein, zwei oder drei Jahre für ihn arbeiten. – Wegen weiterer Einzelheiten kontaktieren Sie Major Andrew Henry nahe den Bleiminen im Washington County, (er wird die Gruppe begleiten und kommandieren) oder den Unterzeichner in St. Louis. William H. Ashley

Dieser Aufruf veränderte den amerikanischen Westen. Die 100 jungen Männer waren schneller gefunden als Ashley und Henry geglaubt hatten. Die erste Handels- und Jagdexpedition konnte bereits Anfang April aufbrechen. Sie ging als „Ashleys 100“ in die Geschichte ein. Es war der Beginn der legendären „Rocky Mountain Fur Company“.

Schon am 7. März 1823 – vor genau 195 Jahren – schickte Ashley die zweite Gruppe von Abenteurern auf den Weg und versprach diesen Männern mindestens 200 Dollar Lohn im Jahr – eine enorme Summe in jener Zeit.
Seit Rückkehr der erfolgreichen Lewis & Clark Expedition (1804-1806) hatte es Pläne gegeben, die Ressourcen der Rocky Mountains Region zu nutzen. An eine Besiedelung dieser Gebiete dachte zu jener Zeit so gut wie niemand. Von mineralischen Bodenschätzen war auch nichts bekannt. Es war – wie schon zuvor im östlichen Waldland – das „braune Gold“, das die Phantasien bewegte. Es war der schier unermeßliche Schatz an felltragenden Tieren, vor allem dem Biber, dessen Pelz auf der ganzen Welt begehrt war und aus dessen Fell der hochklassige Filz für die Castor-Hüte produziert wurde.

Fast konkurrenzlos hatte über Jahrzehnte die englische Hudson’s Bay Company von Kanada aus geschäftliche Kontakte zu den Indianervölkern der Region geknüpft und den Handel beherrscht. Nachdem durch Berichte und Landkarten der Lewis-&-Clark-Expedition wichtige Informationen über die Rockies und darüber hinaus gewonnen worden waren, wollten die Amerikaner selbst von diesem Reichtum profitieren.

Der erste, der Handelsexpeditionen unternahm, war der stets als düster und skrupellos beschriebene Spanier Manuel Lisa, der schon 1807 von St. Louis aus die ersten Handelsagenten ausschickte und im Jahr darauf die „Missouri Fur Company“ etablierte. (Lisa starb schon 1820.)

Tatsache ist: Alle, die im Pelzhandel Fuß fassen wollten, waren keine zartbesaiteten Charaktere. Wer in diesem harten Geschäft bestehen wollte, benötigte Stärke, Ausdauer, Risikofreude und Rücksichtslosigkeit. Er benötigte auch intime Kenntnisse über die Indianervölker, die als Geschäftspartner gebraucht wurden. Die meisten dieser Stämme standen auf Seiten der britischen Händler. Sie als Lieferanten zu gewinnen, stellte eine Herausforderung dar.

Ashley und Henry wollten zweigleisig fahren – sie wollten Tauschhandel mit Indianerstämmen betreiben und gleichzeitig selbst Jägertrupps aussenden, sogenannte „Trapperbrigaden“.

Die erwähnte Zeitungsannonce bildete die Grundlage für die Entstehung von Westernlegenden. Es meldeten sich blutjunge, abenteuerlustige Männer, die aus der Enge und wirtschaftlichen Beschränkung ihres Lebensraums ausbrechen wollten. Binnen ein, zwei Jahren sollten sie zu Heroen einer neuen Zeit werden.

Zur ersten Expedition gehörten Männer wie Jim Bridger, Jedediah Smith, die Brüder Sublette, Thomas Fitzpatrick, Hugh Glass – ihre Namen allein lösen heute Bilder von unberührter Wildnis, von freiem Trapperleben, von Verbrüderung weißer Männer mit Indianervölkern aus.

Als sie 1822 die Kielboote Ashleys und Henrys bestiegen und zum Oberen Missouri aufbrachen, hatten sie keinerlei Kenntnisse über das, was sie erwartete. Sie waren „Greenhorns“ im wahrsten Sinne des Wortes. Als sie irgendwann nach Jahren zurückkehrten, waren sie gehärtete, erfahrene Mountain Men, die von der Gnadenlosigkeit des wilden Landes, aber auch von dessen Freiheiten und Schönheiten so sehr geprägt waren, daß sie für ein Leben in der sogenannten Zivilisation kaum noch geeignet waren.

Sie hatten den Lebensstil der Indianervölker angenommen, denen sie sich angeschlossen hatten, hatten von ihnen gelernt, in den Bergen und Wäldern zu überleben.

Ein Mann wie Jim Bridger hatte Schwierigkeiten, in geschlossenen Häusern zu leben. Er zog es vor, selbst bei Schnee und Regen unter offenem Himmel zu schlafen. Er trug sein Leben lang weder Stiefel noch Schuhe, sondern nur noch Mokassins. Und so war es mit den meisten anderen auch.

Diese Männer wurden zur Antriebskraft des globalen Pelzhandels, der die Betreiber binnen kurzer Zeit steinreich machte. Die meisten „Mountain Men“ blieben materiell uninteressiert und endeten häufig so gut wie besitzlos. Der Schatz, den sie für sich gehoben hatten, war eine überwältigende Freiheit und das Privileg, als erste weiße Männer die indianischen Kulturen auf ihrem Höhepunkt und die berauschende Schönheit der westlichen Weiten in ihrer Unberührtheit zu erfahren.

Mit einem Fuß in der abendländischen Lebensart, mit dem anderen in der indianischen Kultur wurden sie zu Trägern einer historischen Ära, die binnen weniger Jahrzehnte verging – und sie wurden gleichzeitig zu Außenseitern. Die Pioniere, die ihren Pfaden folgten, sahen in ihnen „Halbwilde“. Viele von ihnen, die versuchten, beide Lebensarten zu kombinieren, scheiterten. Die geschäftlichen Unternehmen eines Jim Bridger blieben meist erfolglos. So war es auch bei Kit Carson. So war es bei Hugh Glass. So war es bei Seth Kinman, so war es bei Jim Beckwourth und Jedediah Smith.

Der Höhepunkt der „Trapperkultur“ wurde durch die von William Ashley initiierten „Rendezvous“ erreicht. Ab 1825 trafen sich in den geschützten Tälern der Rocky Mountains Tausende von Indianern verschiedener Völker mit Pelzhändlern und Trappern und zelebrierten ihre Lebensart, die Lichtjahre vom amerikanischen Osten entfernt war. Die Rendezvous, als geschäftliche Treffen geplant, wurden zu einem sozialen und kulturellen Ereignis und zu einem historischen Meilenstein in der Geschichte des amerikanischen Westens.

Die große Zeit der Trapper und Mountain Men, die mit Ashleys Anzeige 1822 eingeläutet wurde, dauerte nur bis ca. 1840. Dann verfielen die Preise für Biber. Danach begann die Bisonjagd, die eine völlig andere Sorte Menschen in den Westen spülte, die kein Interesse an indianischer Lebensart hatten – die diese Lebensart zerstörten.

Die Zeit der Trapper war weit davon entfernt, eine Idylle zu sein. Aber sie entwickelte Regeln, nach denen die verschiedenen Gruppen nebeneinander leben konnten, ohne sich gegenseitig zu vernichten.

Ashley konnte sich nach nur 4 Jahren mit einem enormen Vermögen zurückziehen und sich seinen politischen Ambitionen widmen, die weit weniger erfolgreich waren. Er starb am 26. März 1838 – vor genau 180 Jahren – an Lungenentzündung. (Ein Bild von ihm ist nicht bekannt, ein Grab gibt es nicht.) Er hat Amerika mehr verändert und beeinflußt als er selbst wußte.

Die jungen Männer, die er in die Berge geschickt hatte, wurden zu Entdeckern. Jedediah Smith erforschte die alten indianischen Jagd- und Kriegspfade, die später zu Wegen für die Planwagen der Siedler wurden. Jim Bridger entdeckte den Großen Salzsee in Utah, wies der Union Pacific den Weg nach Westen, legte Trails an, vermittelte mit Indianervölkern, errichtete seinen eigenen Trading Post am Oregon Trail. Andere verschwanden sang- und klanglos in der Wildnis – aber sie alle wurden zu Legenden.

Die Bilder zeigen die Annonce von William Ashley, Manuel Lisa, Jim Bridger, Jedediah Smith, Jim Beckwourth und einen Blick über das Rendezvous-Gelände am Green River, wo die wilden Feiern der Männer der Berge stattfanden, das sich noch heute in majestätischer Einsamkeit präsentiert, sowie ein Gemälde von Alfred J. Miller, dem einzigen Künstler, der 1837 an einem Rendezvous teilnahm und es mit einzigartigen Bildern dokumentierte. Ferner den Handelsraum von Fort Bent mit den begehrten Tauschwaren der Pelzhandelszeit, einen Trapper mit seinen Maultieren, das Grab von Manuel Lisa, einem der Pelzhandelspioniere, von Captain Bonneville, der als erster mit Fuhrwerken in die Rocky Mountains zog und von William Sublette, einem der wenigen Trapper, die es zu Reichtum brachten. Sowie die gigantische Trapper-Statue in Pinedale unweit der Green-River-Rendezvous-Plätze.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Juni 2018Die kommende Ausgabe

 

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