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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Mni Akuwin?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Mni Akuwin?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 8. März 1866, vor 152 Jahren, fand in Fort Laramie (Wyoming), einem der bedeutendsten Armeeposten im Westen der Vereinigten Staaten, eine bemerkenswerte Szene statt. Gefolgt von einer großen Gruppe Lakota-Indianer, weißer Soldaten und Zivilisten rollte ein Armeewagen über den Paradeplatz zu einem Hügel, wo sich ein kleiner Friedhof befand. Hier war ein Gerüst mit einer Plattform aufgestellt worden. Dort angekommen, wurde ein schlichter Sarg vom Wagen gehoben und auf das Gerüst gestellt. Die Indianerfrauen stimmten Trauergesänge an.

In dem Sarg lag ein junges Mädchen, Mni Akuwin (Brings Water Home), die Tochter des Brulé-Lakota Häuptlings Spotted Tail.

Ein Militärgeistlicher sprach ein Gebet. Ein Dolmetscher übersetzte seine Worte in die Lakota-Sprache. Der Fortkommandant, Colonel Henry Maynadier, legte seine besten Kavalleriehandschuhe auf den Sarg. Dann wurde der Sarg mit einer Bisonrobe und einer Wolldecke verhüllt.

Bemerkenswert war dieses Ereignis, weil es in den Jahren vor 1866 ständig Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Indianern gegeben hatte. Gerade wurde wieder einmal über einen dauerhaften Frieden verhandelt. Die Aussichten waren schlecht.

Colonel Maynadier hoffte, mit der militärischen Bestattung für die Häuptlingstochter Vertrauen zu gewinnen. Es sollte nicht an ihm liegen, daß der Krieg weiterging.

Mni Akuwin, um 1848 geboren, hatte 1854 als Kind den ersten tödlichen Zusammenprall zwischen der Armee und ihrem Volk miterlebt. Lieutenant John Grattan hatte mit 30 Soldaten versucht, ein Dorf wegen einer angeblich gestohlenen Kuh anzugreifen. Dabei war das gesamte Kommando niedergemacht worden. Danach hatten Truppen unter Brigadegeneral William Harney eine Vergeltungsaktion im westlichen Nebraska durchgeführt, bei der viele Frauen und Kinder der Lakota getötet worden waren.

Spotted Tail war mit seiner Familie zeitweise inhaftiert gewesen. Nach seiner Freilassung zog er mit seiner Gruppe jährlich nach Fort Laramie, um Handel zu treiben und die von der Regierung versprochenen Rationen abzuholen. Die Offiziere begegneten ihm mit Respekt. Seine Tochter gewann die Freundschaft mehrerer Offiziersfamilien.

Die Spannungen zwischen Indianern und Weißen wuchsen schon seit 1849. Zehntausende von Westwanderern zogen auf dem Oregon und California Trail nach Westen und schossen das jagdbare Wild ab; sie bedrohten damit die Ernährungsbasis der Plainsvölker. Gleichwohl blieben die Brulé-Lakota unter Spotted Tail freundlich, bis es 1864 im Südosten Colorados am Sand Creek zu einem grauenvollen Massaker an friedlichen Cheyenne kam. Cheyenne, Arapaho und verschiedene Lakota-Gruppen bewegten sich nordwärts und vereinigten sich im Powder River Land. 1865 kam es zu mehreren gewaltsamen Zusammenstößen. In der Nähe der heutigen Stadt Casper (Wyoming) wurde ein Kommando von 26 Soldaten unter Lieutenant Caspar Collins getötet. Als Antwort darauf zog General Patrick Connor mit 2.500 Soldaten durch das Powder River Land und griff ein Arapaho-Dorf am Tongue River an. (Nahe der heutigen Stadt Ranchester.)

Spotted Tails Gruppe wurde in Fort Laramie verhaftet und als Kriegsgefangene nach Fort Kearny (Nebraska) verbracht. Hier flüchteten die Brulé zurück nach Norden und verloren bei einem Angriff der US-Kavallerie alle ihre Pferde.

Der Kommandant von Fort Laramie, Colonel Maynadier, bot Friedensverhandlungen an und schickte Boten zu den Oglala und anderen Gruppen. Der letzte Winter war für die Sioux hart gewesen. Die Zahl der Büffel im Powder River Gebiet war geschrumpft. Red Cloud, Swift Bear und Spotted Tail folgten Maynadiers Ruf. Die Regierungsrationen, die im ersten Laramie-Friedensvertrag von 1851 vereinbart worden waren, stellten ein starkes Argument dar, das Angebot der Armee zu prüfen.

Auf dem Weg nach Fort Laramie erkrankte Mni Akuwin – man vermutet heute, daß sie an Tuberkulose oder einer Lungenentzündung litt, sicherlich verstärkt durch Erschöpfung und mangelnde Ernährung. Sie starb, bevor die Brulé Fort Laramie erreichten. In ihren letzten Tagen bat sie ihren Vater, er möge sie in der Nähe des Forts bestatten. Spotted Tail teilte Colonel Maynadier den letzten Wunsch seiner Tochter mit. Der Colonel erkannte die Möglichkeit, eine gute Atmosphäre für die Verhandlungen zu schaffen. Mit einer kleinen Eskorte ritt er den Brulé entgegen und begleitete sie zurück zum Fort. Hier verkündete er, daß eine Friedenskommission aus Washington unterwegs sei. Er behandelte die Brulé als Gäste und ordnete eine offizielle Beerdigung für Spotted Tails Tochter an.

Die Friedenskommission ließ auf sich warten. Maynadier machte den Lakota viele Versprechungen, um zu verhindern, daß sie enttäuscht abzogen. Er konnte nicht ahnen, daß die Regierungskommission die meisten seiner Zusagen einfach ignorieren würde.

Es ging um Wegerechte durch das Lakota-Land in die Montana-Goldfelder. Die Kommission versprach, daß die Goldgräber und Warentransporte ausschließlich den vereinbarten Trail benutzen und kein Wild abschießen würden. Dafür wollte die Regierung bezahlen.

Spotted Tail und Red Cloud waren bereit, darüber zu verhandeln. Aber indianische Häuptlinge waren nicht allmächtig, wie manche Klischees noch immer glauben machen wollen. Sie mußten sich mit den Gruppen ihrer Völker abstimmen.

Als sie mit Hunderten weiterer Krieger und Familien zurückkehrten und die Verhandlungen wieder aufnahmen, marschierte Colonel Henry B. Carrington mit 700 Soldaten von Osten heran. Er hatte den Befehl, entlang des Bozeman Trails mehrere Forts als Rast- und Sicherungsstationen für die zu erwarteten Wagentrecks zu errichten.

Red Cloud und die anderen Oglala Chiefs waren empört. Red Cloud erhob sich: „Der Weiße Vater will eine Straße durch unser Land und nimmt sie sich, bevor der Rote Mann Ja oder Nein sagen kann.“ Er brach die Verhandlungen sofort ab. In den folgenden Wochen begann ein Krieg, der als „Red Clouds War“ in die Geschichte eingegangen ist. Der einzige Krieg auf den Plains, den die US-Armee verlor.

Spotted Tail und weitere südliche Oglala blieben und unterschrieben den Friedensvertrag. Sie waren des Krieges müde. Aber sie hatten auch nichts zu verlieren – das Powder River Gebiet war nicht ihr Land.

Ende 1867 mußte die Armee einsehen, daß sie den Krieg gegen Red Cloud nicht gewinnen konnte. Ab Frühjahr 1868 wurde erneut über Frieden verhandelt. Im November ritt Red Cloud in Fort Laramie ein und „berührte die Feder“.

Er hatte die Bedingungen für diesen neuen Vertrag, der in diesem Jahr 150 Jahre alt wird, diktiert. Er war der Sieger. Auch wenn der Vertrag schon 1874 wieder gebrochen wurde. Er ist seit einer Entscheidung des Obersten Gerichts der USA von 1980 wieder in Kraft, und vor allem die Besitzrechte über die Black Hills, die hier festgeschrieben wurden, sind daher bis heute umstritten.

Zu dieser Zeit stand das Totengerüst von Mni Akuwin noch immer auf dem Hügel, auf dem später ein Hospitalgebäude errichtet wurde.

Die Geste Colonel Maynadiers, Spotted Tails Tochter eine militärische Bestattung zu ermöglichen, hatte den Krieg nicht verhindern können. Aber Spotted Tail vergaß dem Offizier seine Freundlichkeit nicht. Er nahm an keinem Kampf gegen den weißen Mann mehr teil und bemühte sich aktiv um ein friedliches Nebeneinander.

Das trug vermutlich zu seinem gewaltsamen Ende bei. Am 5. August 1881 wurde Spotted Tail von Crow Dog, einem Mitglied seiner Gruppe, erschossen. Gerüchte gingen um, daß er einem anderen Mann die Frau weggenommen habe und der Mord ein Racheakt war. Es gab aber zu jener Zeit bereits erhebliche Unzufriedenheit in seinem Stamm, weil Spotted Tail der Regierung Landzusagen gemacht hatte, ohne sich mit den anderen Häuptlingen abzustimmen.

Die private Affäre gab vermutlich den Ausschlag, daß mehrere führende Krieger beschlossen, ihn zu beseitigen.

Spotted Tail war zeitweise einer der mächtigsten und einflußreichsten Lakota-Führer. Nach seiner Zeit als gefürchteter Krieger, wurde er zum Advokaten des Friedens. Er ist unvergessen. Er liegt auf der Rosebud Reservation (South Dakota) begraben. (Copyright © by Dietmar Kuegler)

Die Fotos zeigen Spotted Tail und Colonel Maynadier, sowie Spotted Tail (M.) mit einer Häuptlingsdelegation in Washington und ein Foto von den Verhandlungen in Fort Laramie (ganz rechts der Dolmetscher und Pelzhändler James Bordeaux). Zu sehen ist auch das Bestattungsgerüst von Mni Akuwin. Ferner zwei Bilder von Fort Laramie, einmal die Kommandantur „Old Bedlam“ und das erhaltene Kavalleriequartier. (Auf dem Hügel dahinter wurde Mni Akuwin bestattet.) Das letzte Bild zeigt das Grab von Spotted Tail.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Juni 2018Die kommende Ausgabe

 

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