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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Studebaker?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Studebaker?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 16. Februar 1852 entstand in der kleinen Stadt South Bend (Indiana) eine Werkstatt für die industrielle Fertigung von hochklassigen Frachtwagen, gegründet von der Familie STUDEBAKER. Die „Studebaker Brothers Manufacturing Company” spezialisierte sich auf den Bau von Fahrzeugen für Farmer, Bergbaubetriebe und das Militär.

Die Studebaker-Brüder waren keine Neulinge in diesem Geschäft. Sie stammten aus einer alten deutschen Handwerker-Familie. Die „Staudenbeckers“ oder auch „Stutenbeckers“ – wie sie sich ursprünglich schrieben – waren im 17. Jahrhundert Messerschmiede in Solingen gewesen. Nach ihrer Emigration arbeiteten sie als Grobschmiede, Stellmacher und Wagner.

Am 1. September 1736 trafen die Studebakers mit dem Segelschiff „Harle“ aus Rotterdam kommend in Philadelphia ein. Peter Studebaker und sein Sohn (mit demselben Vornamen) finden sich bereits 1789 in den Steuerlisten von Maryland als „Wagenmacher“. 1740 hatten sich die Studebakers in der Siedlung Hagerstown niedergelassen. Ihr Haus steht noch heute. Studebaker Senior war in Deutschland Mitglied der Gilde der Messerschmiede gewesen. Als sein Sohn begann, Wagen zu bauen, war er für den Metallbeschlag und die Schmiedearbeiten zuständig. Die Studebakers waren fleißig und ehrgeizig. Sie errichteten eine Mühle, legten eine der ersten Wagenstraße im Gebiet des heutigen US-Staates Maryland an und erwarben Ländereien. Hier gründeten sie mehrere Farmen mit Sägemühlen und Schmiedewerkstätten – Handwerke, die in den frühen Kolonien dringend benötigt wurden. Zunehmend spezialisierten sie sich auf den Bau von Frachtfahrzeugen, da sie erkannt hatten, daß sich das Transportwesen in den amerikanischen Kolonien zu einer expandierenden Industrie entwickeln würde. Als Studebaker Senior starb, führten seine fünf Söhne die Geschäfte fort: Henry, Clement, John M., Peter und Jacob Franklin. Es gab auch noch 5 Schwestern.

Henry und Clement Studebaker erlernten das Schmiedehandwerk, die anderen Brüder wurden Tischler und Wagner. John M. ließ sich vom Goldrausch nach Kalifornien locken, eröffnete in Placerville eine Werkstatt und baute hier Schubkarren für die Goldsucher. Er kehrte mit einem kleinen Vermögen zurück und trug somit zur Gründung der gemeinsamen Wagenfabrik bei. Die Studebakers fanden den für sie am besten geeigneten Platz im heutigen Bundesstaat Indiana. Ihr Ruf als erstklassige Wagenbauer hatte sich bereits verbreitet, so daß sie von Anfang an volle Auftragsbücher hatten. Ab 1858 erhielten sie umfangreiche Armeeaufträge für Frachtwagen. Schon im Jahr zuvor hatten sie begonnen, auch kleinere, elegante Kutschen zu bauen. Auch Abraham Lincoln fuhr einen Buggy der Studebakers.

Obwohl die Brüder mit den Aufträgen der US-Armee wohlhabend wurden, bereitete ihnen dieses Geschäft erhebliche Probleme: Die Familie gehörte zu der sehr konservativen Religionsgemeinschaft der Baptist Dunkards, die jegliche Kriegshandlung strikt ablehnte. Henry Studebaker schied daher irgendwann aus dem Geschäft aus und gründete eine Farm.

Es verblieben die Brüder Clement, Peter und John, die sich in die Geschäftsführung teilten. Sie bauten auch unzählige „Prärie-Schoner“, mit denen die Oregon-Pioniere nach Westen zogen. Man geht heute davon aus, daß ca. die Hälfte aller Planwagen, die auf dem Oregon Trail nach Westen rollten, von den Studebakers stammten – oder zumindest Teile davon; denn die Studebakers lieferten auch Wagenteile an kleinere Werkstätten in Missouri.

Während des Bürgerkrieges boomte das Geschäft mit der Armee, und 1868 hatte die Firma einen Jahresumsatz von 350.000 Dollar erreicht (nach heutiger Kaufkraft ein Betrag um die 10 Millionen Dollar), damit waren sie einer der größten Fuhrwerkhersteller der Welt. Ihre Werkstätten erhielten einen eigenen Eisenbahnanschluss, um ihre Fahrzeuge schnell überall in Nordamerika liefern zu können. Ihre Kunden hatten inzwischen die Auswahl zwischen klassischen Frachtwagen, Pionierfahrzeugen, Sulkies und diversen eleganten Kutschen und Buggies. Sogar eine Art „Pferdebus“ für 12 Passagiere war verfügbar.

Ab den 1880er Jahren wurden die Straßen – zumindest in den Städten – befestigt. Die Studebakers eröffneten Fahrzeuggeschäfte in Chicago und anderen größeren Zentren. 1889 bestellte der neue US-Präsident Harrison die komplette Fahrzeugflotte des Weißen Hauses – inklusive Pferdegeschirr – von den Studebakers. Die Firma hatte damit den Gipfel ihres Erfolgs erreicht. 1885 verließen 75.000 Fahrzeuge die Fabrik in South Bend.

Eine weltweite Rezession 1893 brachte einen dramatischen wirtschaftlichen Einbruch. Die riesige Fabrik mußte für mehrere Wochen schließen. Aber die Studebakers überlebten auch diese Krise.

Bis 1917 starben nacheinander alle Gründer. Ihre Söhne und Schwiegersöhne waren inzwischen aktiv in den Betrieb eingetreten und sorgten für eine Fortführung der Geschäfte. 1895 drängten sie darauf, in Zukunft auch „pferdelose Kutschen“ – sprich: Automobile – herzustellen. Mochte die alte Generation auch skeptisch sein, John Studebakers Schwiegersohn setzte sich durch, und ab 1897 arbeitete die Firma an der Entwicklung eines ersten Autos, dabei entschieden sie sich entgegen dem allgemeinen Trend für Elektroautos – nach heutigen Maßstäben eine unglaublich fortschrittliche Entscheidung. Bis 1911 entstanden in South Bend Fahrzeuge mit Elektroantrieb. Die Schwierigkeiten, einen geeigneten Absatzmarkt zu finden – schon damals -, zwangen die Studebakers letztlich aber, ab 1904 auch Wagen mit Benzinmotor herzustellen, wobei sie mit erfahrenen Firmen kooperierten. Ab 1912 erfolgte die vollständige Automobilherstellung in den Studebaker-Fabriken.

Wie schon bei der Fertigung ihrer Frachtwagen, Prärie-Schoner und Kutschen hatten Studebaker-Automobile sehr bald den Ruf besonderer Qualität. Das blieb so für rund 50 Jahre; dann geriet die Firma – u. a. aufgrund ihres hohen und kostenintensiven Qualitätsanspruches – erneut in finanzielle Schieflage und wurde zeitweilig von der „Packard Company“ übernommen. Nach einer weiteren Phase der Unabhängigkeit, setzte ab 1963 der endgültige Verfall ein. Das letzte Studebaker-Auto rollte im März 1966 vom Band. Seither ist der Name „Studebaker“ Geschichte.

Damit endete eine deutsch-amerikanische Tradition, die von der Kolonialzeit bis ins 20. Jahrhundert angedauert und vom Conestoga-Schoner über die Planwagen der Pioniere, die Farm- und Frachtwagen auf den weiten Überlandtrails im Westen, die typischen Buggies der Westernstädte, bis zu großen Automobilen auf den amerikanischen Highways gereicht hatte.

Die Fotos zeigen diverse Studebaker-Fahrzeuge, die ich auf historischen Ranches und in alten Armeeforts aufgenommen habe, sowie eine Gruppenaufnahme der Studebaker-Brüder, das alte Studebaker-Haus in Hagerstown (Maryland), den Firmenkatalog von 1877, ein frühes Bild ihrer Fabrik und eine Studebaker-Limousine von 1908.

Noch heute sieht man historische Studebaker-Wagen aus dem Jahr 1900, die etwa von der Budweiser-Brauerei für Werbeeinsätze benutzt werden, gezogen von 8 mächtigen Clydesdale-Pferden, die immer eine Sensation darstellen, wenn sie auftauchen.

Ich habe dieses Gespann bei einem großen Rodeo fotografiert.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2018Die aktuelle Ausgabe

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